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"Libra - Das Rechtsbriefing"
Zweifel an der Staatsferne

Die Staatsferne gehört zu den grundlegenden Prinzipien in der deutschen Medienlandschaft: keine journalistischen Inhalte von staatlichen Stellen. Doch ausgerechnet ein Online-Angebot des Bundesjustizministeriums könnte diesen Grundsatz verletzen - zum Ärger der Zeitungsverlage.

Von Michael Meyer | 24.01.2023
Online-Portal "Libra"
Online-Portal "Libra" auf einem Computerbildschirm (Deutschlandradio)
Das Justizministerium unter Minister Marco Buschmann ist äußerst aktiv auf Social-Media-Plattformen. Unter anderem veröffentlicht Buschmann regelmäßig auf der Website des Bundesministeriums und bei YouTube den Videopodcast "#JetztErstRecht – Buschmanns 60 Sekunden".
Nun ist eine Debatte darum entstanden, inwieweit die im Frühjahr letzten Jahres gestartete Seite "Libra - Das Rechtsbriefing" das Gebot der Staatsferne einhält.  Auf der bunt daherkommenden Seite sind Artikel über verschiedenste Themen, vom Einsatz von VR-Brillen bei Tatortbegehungen bis hin zu Frauenquote in der deutschen Anwaltschaft.

Neuaufstellung der Juris GmbH

Produziert wird die Website von der Juris GmbH, an der der Bund mehrheitlich beteiligt ist. Weder die Juris GmbH noch das Bundesjustizministerium wollten sich dazu in einem Interview äußern, die Juris GmbH teilt aber mit, dass man an der Neuaufstellung der Firma arbeite.
"Weil die Entflechtung vom Bund und die damit verbundene Privatisierung der Juris GmbH noch nicht vollständig erfolgt sind, konnte der falsche Eindruck entstehen, Juris agiere mit Libra als Staatsunternehmen. Faktisch sind aber 98 Prozent der Aktivitäten der Juris GmbH Wertschöpfungsleistungen als Wirtschaftsunternehmen auf dem Markt. Nur etwa 2 Prozent der Aktivitäten von Juris machen Verwaltungshelferaufgaben für die öffentliche Hand aus, die historisch gewachsen sind und über die Jahre immer weiter zurückgefahren wurden."

"Gefährlich - sogar für die Demokratie"

Letztlich sei die völlige Privatisierung der Juris GmbH eine Entscheidung des Bundes. Für Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbands, ist der Fall Libra einer, bei dem sich Transparenzfragen stellen:
"Wenn hier unter einem Deckmäntelchen versucht wird, einem was unterzuschieben, dann ist das einfach nicht fair, und aus Steuergeldern bezahlt oder mitfanziert schon mal gar nicht. Journalismus hat im Moment, auch was die Finanzierbarkeit angeht, ziemlich zu kämpfen, und da sind dann solche Konkurrenzangebote, wenn man das konsequent zu Ende denkt, sogar gefährlich für die Demokratie."

Ärger bei den Zeitungsverlegern

Auch bei den Zeitungsverlegern ist man alarmiert - zumal die Website Libra bei weitem nicht das erste Beispiel dieser Art ist, sagt Anja Pasquay, Sprecherin des Bundesverbands der Zeitungsverleger BDZV. Sie kritisiert, dass seit Jahren die Öffentlichkeitsarbeit staatlicher Stellen sich immer weiter ausbreitet.
"Die Tageszeitungsverlage haben sich deshalb immer wieder genötigt gesehen, durch Unterlassungsklagen diesem Trend entgegenzuarbeiten, und wir haben höchstrichterliche Entscheidungen erwirkt, sie müssten eigentlich die öffentliche Hand auch dazu anhalten, ihre medialen Aktivitäten so zu begrenzen, dass die Garantie der Pressefreiheit nach Artikel 5 Grundgesetz nicht gefährdet wird. Diese Urteile werden einfach leider vielfach ignoriert."

Entscheidung des Bundesgerichtsshofs

Ein anderer vergleichbarer Fall war vor zwei Jahren jener des Stadtportals dortmund.de - die Verleger sahen durch redaktionelle Inhalte die Staatsferne gefährdet - die Website durfte laut richterlichem Beschluss des Bundesgerichtshofes zwar weitermachen, musste aber den Anteil ihrer redaktionellen Inhalte deutlich zurückfahren.
Anja Pasquay sagt, es gehe auch nicht darum, die Öffentlichkeitsarbeit der Ministerien und Behörden grundsätzlich zu verbieten. Es gehe aber schon um Form und Inhalt der jeweiligen Angebote, auch beim jetzt diskutierten Angebot Libra.
"Hier handelt es sich um ein redaktionell aufgemachtes, optisch ansprechendes juristisches Info-Produkt, das so auch von einem privatwirtschaftlichen Verlag angeboten werden könnte – und wird", so Pasquay. "Sprich: Libra löst sich vollständig von den Aufgaben einer neutralen Rechtsdatenbank. Aus unserer Sicht ist diese Plattform im aktuellen Zuschnitt nicht legitimierbar."

Das Ministerium will prüfen

Jan Christopher Kalbhenn, Medienrechtler an der Uni Münster, stellt fest, dass es keine ganz klare juristische Abgrenzung gebe - aber: redaktionell gestaltete Inhalte, die staatlich finanziert werden, seien nun mal untersagt.  Am Beispiel dortmund.de habe der BGH geurteilt: Journalistisch gestaltete Texte müssen eine untergeordnete Rolle spielen, da die Seite ja auch im Markt agiere: "Das ist dann eine wettbewerbsrechtliche Frage, oder kann eine wettbewerbsrechtliche Frage sein, in wie weit solche Nebenprodukte, oder öffentliche Informationsangebote der privat organisierten Presse Konkurrenz machen dürfen."
Der BDZV will derzeit noch nicht den Klageweg beschreiten, man habe schriftlich an Justizminister Marco Buschmann appelliert, dass man die mangelnde Staatsferne beseitigen soll. Das Bundesjustizministerium teilt mit, dass man die aufgeworfene Frage der Staatsferne sehr ernst nehme. Man wolle diese Frage durch eine Studie ergebnisoffen untersuchen lassen, und habe bereits ein Vergabeverfahren eingeleitet.