Freitag, 29. März 2024

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Folgen der Affäre Schlesinger
„Staatsferne des Rundfunks sehr ernst nehmen“

In der Krise des RBB wird auch der Ruf nach mehr Einfluss der Politik laut. "Es ist extrem problematisch, wenn der Staat eingreift“, sagte der Staats- und Medienrechtler Hubertus Gersdorf im Dlf - und verweist auf die Geschichte. Außerdem funktioniere die interne Aufarbeitung zurzeit auch so.

Hubertus Gersdorf im Gespräch mit Annika Schneider | 22.08.2022
Der Hauptausschuss des Brandenburger Landtags tagt bei einer Sondersitzung im Fall der abberufen Intendantin Schlesinger
Der Hauptausschuss des Brandenburger Landtags tagte am 16.08.2022 bei einer Sondersitzung im Fall der abberufen RBB-Intendantin Patricia Schlesinger (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
In die Debatte um Konsequenzen aus der Affäre um die gerade fristlos entlassene RBB-Intendantin Patricia Schlesinger mischen sich von Beginn an auch die Parteien ein. Von der AfD, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ganz abschaffen will, über die FDP, die Sender zusammenlegen will, bis hin zur SPD mit konkreten personellen Forderungen – die Bandbreite von Forderungen und Ideen ist groß.
Die Rechtsaufsicht für den RBB liegt im Brandenburger Landtag – welche Eingriffsmöglichkeiten hätte man dort, wenn die Aufarbeitung im Rundfunkrat des Senders scheitern würde? Das haben wir den Leipziger Staats- und Verfassungsrechtler Hubertus Gersdorf gefragt. “Ganz allgemein ist es extrem problematisch, wenn der Staat eingreift“, so Gersdorf. Deutschland habe im Nationalsozialismus und in der DDR-Zeit seine „Erfahrung eines durch den Staat geführten Mediensystems“ gemacht.

Experte: Auch die ARD kann nicht viel tun

„Und deswegen sind wir sehr gut beraten, dass wir die Staatsferne des Rundfunks und damit auch des RBB sehr, sehr ernst nehmen.“ Die Rundfunkaufsicht könne nur dann reagieren, „wenn der Rundfunkrat überhaupt keine Maßnahmen trifft und krass rechtswidrig handelt“, erklärt der Jurist. „Und einen solch evidenten Verstoß gegen Recht kann ich derzeit nicht feststellen und auch nicht prognostizieren.“
Dorette König, RBB-Verwaltungsratschefin. Das Gremium kündigte den Vertrag mit der abberufenen Intendantin Schlesinger fristlos
Dorette König, RBB-Verwaltungsratschefin. Das Gremium kündigte den Vertrag mit der abberufenen Intendantin Schlesinger fristlos (picture alliance / dpa / Monika Skolimowska)
Auch die ARD kann laut Gersdorf nicht mehr tun, als „von außen kommentieren“. Der Senderverbund sei kein Rechtsträger und habe allenfalls informelle Einwirkungsmöglichkeiten. „Die anderen Landesrundfunkanstalten können Empfehlungen aussprechen, die dann der Rundfunkrat in Wahrnehmung seiner Autonomie (…) berücksichtigen kann. Aber keinesfalls muss.“ Die Intendantinnen und Intendanten der ARD hatten der amtierenden RBB-Spitze am Wochenende das Vertrauen entzogen.

Das Interview in voller Länge:

Annika Schneider: Die anderen ARD-Anstalten trauen dem RBB nicht mehr zu, die Vorwürfe zügig aufzuarbeiten. Und der ARD-Vorsitzende Tom Buhrow sagte auch, „es besteht die Gefahr, dass sich die Strukturen des RBB anfangen, aufzulösen“. Sehen Sie auch diese Gefahr?
Hubertus Gersdorf: Also, die Gefahr sehe ich, offen gestanden, überhaupt nicht. Weil die Gremien des RBB ja tagen und auf diesen Sitzungen auch die entsprechenden Entscheidungen getroffen wurden. Heute vor einer Woche wurde die Intendantin Schlesinger vom Rundfunkrat des RBB abberufen mit sofortiger Wirkung. Heute (22.08.2022) tagt der Verwaltungsrat des RBB und entscheidet über die fristlose Kündigung des Dienstvertrages. Also, dass die Organe des RBB nicht handlungsfähig sind und die Strukturen in Auflösung begriffen sind, kann ich im Moment so nicht feststellen. Hinzu kommt noch, dass der RBB-Rundfunkrat auch am Donnerstag abermals zusammentritt und dann über a) die Geschäftsführung zu entscheiden hat, aber b) auch über sich selbst.
Schneider: Jetzt wissen wir natürlich noch nicht, was heute Nachmittag oder dann auch am Donnerstag entschieden wird (Anm. d. Red.: Das Verwaltungsrat hat kurz nach Aufzeichnung des Interviews entschieden, Schlesinger zu entlassen und ihr so auch keine Abfindung zahlen zu müssen.) Aber wenn wir auf die aktuelle Geschäftsleitung blicken, zum Beispiel auf den aktuellen Interims-Intendanten Hagen Brandstäter. Der hat erst abgestritten, dass es ein Bonussystem für Führungskräfte gibt. Inzwischen ist klar, er hat selbst wohl davon profitiert. Das heißt, inzwischen gibt es unter anderem vom Redaktionsausschuss auch die Forderung, die ganze Geschäftsleitung muss eigentlich zurücktreten. Wer kann da jetzt noch Aufklärung leisten, wenn auch hohe Führungspositionen mit kompromittierten Personen womöglich besetzt sind?
Gersdorf: In der Tat, das Verhalten und die Aussagen vom geschäftsführenden Intendanten mögen irritierend sein. Aber: Ob Herr Brandstäter noch das Vertrauen des Rundfunkrates des RBB hat, darüber befindet der Rundfunkrat. Und nur, wenn der RBB Rundfunkrat keine Entscheidung treffen sollte oder sogar der Verdacht bestehen sollte, dass der Rundfunkrat selbst seiner Aufgabe nicht nachkommt, kann man sich weitere Gedanken machen.

Intendanz bestimmen? „So weit dürften Befugnisse nicht gehen“

Schneider: Nun ist es ja so, dass am Samstag die Rundfunkratsvorsitzende Friederike von Kirchbach auch zurückgetreten ist. Sie haben gerade gesagt, wenn der Rundfunkrat nicht mehr in der Lage ist, aufzuarbeiten, dann muss man sich weitere Gedanken machen. Diese weiteren Gedanken würden ja vermutlich in den Brandenburger Landtag führen, der die Rechtsaufsicht hat und ja jetzt auch schon in einem Ausschuss das Thema beackert. Welche Möglichkeiten hätte die Politik einzugreifen, wenn es so weit kommt?
Gersdorf: Ganz allgemein ist es extrem problematisch, wenn der Staat eingreift. Wir haben aus sehr, sehr gutem Grund, aus Gründen unserer Geschichte, unserer nationalsozialistischen Vergangenheit, aber auch der DDR-Vergangenheit, mit der Erfahrung eines durch den Staat geführten Mediensystems, unsere Erfahrung gemacht. Und deswegen sind wir sehr gut beraten, dass wir die Staatsferne des Rundfunks und damit auch des RBB sehr, sehr ernst nehmen. Und die Rundfunkaufsicht, die Rechtsaufsicht, hat nur sehr, sehr begrenzte Möglichkeiten, kann im Prinzip auch nur dann reagieren, wenn der Rundfunkrat überhaupt keine Maßnahmen trifft und krass rechtswidrig handelt. Und einen solch evidenten Verstoß gegen Recht kann ich derzeit nicht feststellen und auch nicht prognostizieren. Also von daher glaube ich, ist die Staatsaufsicht sehr gut beraten, auch auf Kommentare zu verzichten.
Schneider: Aber der Vollständigkeit halber: Welche erforderlichen Maßnahmen wären das denn dann, die da möglich wären?
Gersdorf: Die Rechtsaufsicht hätte die Möglichkeit, für den Fall, dass Organe des RBB rechtswidrig handeln, anzuordnen und den RBB aufzufordern, diese Rechtsverletzung zu beseitigen. Und wenn diese Beseitigung nicht erfolgen sollte, dann kann in der Tat die Rechtsaufsicht den RBB auch anordnen, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Aber ob die Anordnung jetzt auch so weit geht, eine ganz bestimmte Person – ich denke jetzt mal, eine bestimmte Intendantin, einen Intendanten – in das Amt zu bringen, das würde ich für zu weitgehend halten. Weil durch die Bestimmung des Staates, wer das zentrale Amt der Intendanz wahrnimmt, natürlich der Staat auf die programmliche, inhaltliche Arbeit Einfluss gewinnen würde. Und so weit dürften diese Befugnisse nicht gehen.

Und die ARD? „Einwirkungsmöglichkeiten gibt es nicht“

Schneider: Lassen Sie uns noch mal kurz auf die anderen ARD-Anstalten schauen, die Sie gerade angesprochen haben. Tom Buhrow hat sehr klar gesagt, dass dieser Vertrauensentzug, den die Intendantinnen und Intendanten jetzt ausgesprochen haben, kein formaler Ausschluss des RBB aus der ARD ist. Hätte die ARD denn überhaupt solche Mittel und Möglichkeiten, um gegen den RBB vorzugehen wie zum Beispiel ein Ausschluss? Oder kann sie jetzt nur zuschauen und von außen kommentieren?
Gersdorf: Also, sie kann in der Tat nur von außen kommentieren. Einwirkungsmöglichkeiten – welcher Landesrundfunkanstalt oder gar der ARD, die kein Rechtsträger ist – auf den RBB gibt es nicht. Und deswegen gibt es allenfalls informelle Einwirkungsmöglichkeiten. Also, die anderen Landesrundfunkanstalten können Empfehlungen aussprechen, die dann der Rundfunkrat in Wahrnehmung seiner Autonomie am Donnerstag berücksichtigen kann. Aber keinesfalls muss.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.