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Decode Genetics aus Island
Gralshüter der Gene

Die Firma Decode Genetics besitzt eine der weltweit größten Gendatenbanken. Die Hälfte aller Isländer hat ihr genetische Proben für die Forschung zur Verfügung gestellt. Ursprünglich wollte das Unternehmen damit Krankheiten vorhersagen und Medikamente entwickeln - geriet allerdings in einen ethischen Konflikt.

Von Jessica Sturmberg |
    Im Labor des isländischen Biotech-Unternehmens Decode Genetics in Reykjavík.
    Decode Genetics konzentriert sich aktuell auf Grundlagenforschung (Deutschlandradio/Jessica Sturmberg)
    In wohl keinem Land der Welt ist die Ahnentafel einer ganzen Bevölkerung bis zu den Anfängen der Besiedlung um das Jahr 900 so gut erhalten wie in Island. Im Íslendingarbók, dem Buch der Isländer sind die verwandtschaftlichen Linien, die Genealogien, festgehalten. Sodass fast jeder nachschauen kann, von wem er abstammt.
    "Mörð hieß ein Mann, den man Gígja nannte, die Fiedel. Er war ein Sohn von Sighvat Rauð und lebte auf dem Hof Völl in Rángarvellir. Mörð hatte eine Tochter mit Namen Unn."
    Die Bedeutung der Ahnen ist in den Sagas dokumentiert, die Geschichten der frühen Wikinger. Dieses einzigartige Wissen zusammen mit der Kenntnis von medizinischen Daten und einer der weltweit umfassendsten Gendatenbanken ist der Schatz, auf dem Humangenetiker Kári Stefánsson sitzt. Er gab einst seine Neurologie-Professur in Harvard auf, um sein großes Gen-Projekt zu starten.
    Der Gen-Schatz der Isländer
    Die Hälfte der isländischen Bevölkerung, rund 160.000, hat ihm genetische Proben für seine Forschung zur Verfügung gestellt. 1996 hat er das Unternehmen Decode Genetics gegründet und die Daten digitalisiert. Von rund 2.600 Isländern hat er gar das gesamte Genom sequenziert, was ihm einen kompletten Überblick eröffnet.
    "Das ermöglicht uns auf effektive Weise, die Störungen in unserer Biologie auszumachen, die zu bestimmten Krankheiten führen. Und es ist keine Frage, dass diese Möglichkeit bedeutenden Einfluss hat auf die Art, wie wir diesen Krankheiten beikommen können."
    Die Gendatenbank in Kombination mit dem Wissen über die Vorfahren, eine homogenen Gesellschaft, die durch ihre Lage isoliert hoch oben im Nordatlantik jahrhundertelang kaum Einflüssen von außen ausgesetzt war – darin liegt das Potenzial, aus den Daten rückzuschließen, welche genetischen Informationen auf die nächste Generationen übertragen werden. Also, was wird vererbt, was ist auf Umwelteinflüsse zurückzuführen.
    "Wir müssen nicht mit einer Hypothese beginnen, wir werten einfach die Daten aus. Wenn wir wissen, dass die Krankheit auf einer genetischen Veränderung beruht, dann finden wir das."
    Ethische und datenschutzrechtliche Debatte
    Mit Hilfe dieser Daten könne er den Isländern vorhersagen, wer ein erhöhtes Krebsrisiko hat oder wer womöglich an Alzheimer erkranken wird, stellte er in Aussicht und löste damit sowohl eine ethische als auch datenschutzrechtliche Debatte aus: Wie steht es um das Recht auf Nicht-Wissen, gerade bei nicht heilbaren Krankheiten? Und: Sollten die Daten weiter anonym bleiben?
    Kári Stefánsson ist nicht nur ein herausragender Wissenschaftler, sondern auch einer, der seine Wissenschaft zu vermarkten weiß. Inzwischen 68 Jahre alt, steckt weiter voller Ideen, den Zusammenhängen auf die Spur zu kommen, zwischen neu entdeckten Genen und Krankheiten wie Schizophrenie, Alzheimer oder Diabetes Typ 2. Er hat Gene gefunden, die bei der Entstehung von Schizophrenie eine Rolle spielen und glaubt, die Wechselwirkung zwischen Kreativität und Schizophrenie so genau wie kein anderer zu verstehen. In einem modernen, dreistöckigen Gebäudekomplex am Stadtrand von Reykjavík, nahe der Universität, forscht Kári Stefánsson zusammen mit 120 Wissenschaftlern an den komplexen Fragen:
    "Wir wissen immer noch nicht, wie unser Gehirn Gedanken erzeugt, wir wissen immer noch nicht, wie es Gefühle erzeugt. Und ich finde es unglaublich spannend, ein biologisches und biochemisches Verständnis für diese Prozesse zu bekommen, die uns ausmachen."
    Aus den sorgsam gelagerten Blutproben wird die DNA herausgenommen und analysiert. Sie ist die Grundlage für die komplexen Forschungsfragen. Das Wissen um die Gene ist der eine Schritt. Aber um daraus ein profitables Unternehmen zu machen, mussten Kári Stefánsson und sein Team auch die Wechselwirkung mit der Umwelt verstehen, um bestimmen zu können, welche Therapie geeignet ist, Krankheiten zu verhindern oder zu heilen.
    Erst die Ernüchterung, dann die Insolvenz
    Aber hier hakt es in der Branche. Der anfänglichen – auch von Kári Stefánsson geschürten – Euphorie folgte Ernüchterung. Die Medikamentenentwicklung erwies sich in der Biotechnologie in den letzten Jahren als sehr viel schwieriger als vermutet. Das Aufspüren von Krankheits-Markern heißt noch nicht, das Wissen nutzbar machen und Behandlungsmethoden entwickeln zu können. So geriet Decode Genetics in der Finanzkrise in finanzielle Schwierigkeiten und musste Insolvenz anmelden.
    2012 stieg das amerikanische Biotech-Unternehmen Amgen ein und sorgte dafür, dass in Reykjavík weiter an den Grundlagen geforscht werden kann. Der Fokus liegt jetzt wieder auf der Grundlagenforschung. Die ist zwar nicht so profitabel, aber bekommt in letzter Zeit wieder mehr Beachtung.
    Kaum ein Wissenschaftler in der Humangenetik habe so viel zum wissenschaftlichen Fortschritt beigetragen, wie Kári Stefansson, würdigte ihn die amerikanische Gesellschaft für Humangenetik im vergangenen Oktober. Eine Auszeichnung, die auch den Wert einbezog, der den Humangenetiker erst groß gemacht hat: die Offenheit der Isländer, ihre Gene für die Forschung bereitzustellen samt ihrer einzigartigen Ahnentafel.
    "Mit Helga Njálsdóttir hatte Kári folgende Kinder: Þorgerð und Ragneið, Valgerð und Þórð, der bei der Brenna umkam. Mit Hildigunn bekam er dann noch Starkað, Þorð und Flosi. Dessen Sohn war Kolbeinn, der einer der angesehensten Männer dieses Geschlechts gewesen ist. Damit schließe ich die Brennu-Njáls Saga."