Samstag, 27. April 2024

Demos gegen Rechts
Kommentar: Es müssen noch viel mehr aufstehen

Gerade wer sich nicht direkt bedroht fühle von Ausweisungssphantasien und Rechtsruck sollte dieses Privileg nutzen, bevor es zu spät ist, kommentiert Luise Sammann. Laut werden, widersprechen, Haltung zeigen, das sei von mehr Menschen gefordert.

Ein Kommentar von Luise Sammann | 15.01.2024
Jan Lars Redmann (l-r), Landesvorsitzender der CDU Brandenburg, Manja Schüle (SPD), Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), AuÃenministerin, Mike Schubert (SPD), Oberbürgermeister von Potsdam, und die Fahrländer Ortsvorsteherin Carmen Klockow (Bürgerbündnis) stehen während der Demonstrationen «Potsdam wehrt sich» auf dem Alten Markt.
Mit Regierungsbeteiligung: Demonstration gegen Rechts in Potsdam am Sonntag (14.01.23) (picture alliance / dpa / Sebastian Gollnow)
Unrealistisch? Unvorstellbar? Verrückt? Die vom Recherchenetzwerk "Correctiv" aufgedeckten rechten Ausweisungssphantasien mögen für viele Menschen in Deutschland abwegig klingen. Eher lächerlich als bedrohlich vielleicht. Noch.
Ganz anders aber ist das schon jetzt für jenes Viertel der Gesellschaft, das sich seit Jahrzehnten immer unsicherer fühlt in einem Land, das es eigentlich gern Heimat nennen würde. Mölln, Solingen, Halle, Hanau … Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in der Bundesrepublik haben allen Grund sich zu ängstigen. Immer wieder hört man in Gesprächen von jenen, die jetzt aktiv nach einem Plan B suchen, die ganz konkret über das Auswandern nachdenken.
Das aber liegt nicht allein an den Höckes und Weidels da draußen. An Aufmärschen von Glatzköpfen und Geheimtreffen von einschlägig bekannten Schlipsträgern. Es liegt auch ganz entscheidend an dem Gefühl, gerade in der so genannten Mehrheitsgesellschaft keinen Rückhalt zu finden, wenn es hart auf hart kommt.

Demos als erster Hoffnungsschimmer

Dass am Sonntag 25.000 Menschen in Berlin gegen Rechts demonstrierten und für die nächsten Tage weitere Versammlungen geplant sind, mag ein kleiner Hoffnungsschimmer sein. Aber es reicht nicht, dass jetzt ein paar Engagierte auf die Straße gehen. Alle, denen die Zukunft dieses Landes am Herzen liegt, müssen aufwachen und ihre eigene Haltung, aber auch ihre Sprache hinterfragen.

Söder und Co verstehen Tragweite nicht

Wenn Politiker wie Markus Söder auf der einen Seite behaupten, die rechten Deportationspläne seien „die Vorstufe des Düstersten und Ekligsten“, was sie sich vorstellen könnten – nur um dann im gleichen Atemzug zu fordern, dass Menschen unter bestimmten Umständen die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt und die Pläne zur schnelleren Einbürgerung zurückgenommen werden müssten, dann zeigt das, dass sie sie die Tragweite des Problems mitnichten verstanden haben.

Menschen wird Angst gemacht

Es sind genau diese diskursiven Verknüpfungen von Themen und Gruppen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben, die Menschen zurecht Angst machen. Denn sie beweisen wieder und wieder, dass die Trennlinien in dieser Gesellschaft immer noch nach Namen und Haut- oder Haarfarben gezogen werden. Dass „die Ausländer“, „die Migranten“ oder zumindest „die Nicht-Blonden“ doch irgendwie alle in einen Topf gehören.

Unübersehbarer Rechtsruck

Sich gegen solche Narrative und auch gegen den unübersehbaren Rechtsruck zu wehren, kann nicht allein Aufgabe derer sein, die sich in diesen Tagen voller Angst fragen, ob sie überhaupt noch eine Zukunft in Deutschland haben. Im Gegenteil. Gerade, wer sich aktuell nicht direkt bedroht oder betroffen fühlt, sollte dieses Privileg nutzen bevor es zu spät ist. Laut werden, widersprechen, Haltung zeigen.
Denn eins ist klar: Die rechten Phantasien betreffen letztendlich nicht nur eine bestimmte Gruppe. Sie betreffen die Demokratie, den Staat – uns alle.