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"Den Täter handlungsunfähig schießen"

Dass der Serientäter von Toulouse nach mehr als 30-stündiger Belagerung nun doch tot ist, sei keine Niederlage für die französische Polizei, sagt Bernd Carstensen, stellvertretender Bundesvorsitzender des Bundes deutscher Kriminalbeamter. Die Einsatzkräfte vor Ort müssten aus der Situation heraus entscheiden.

Bernd Carstensen im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Tobias Armbrüster: Die dramatische Belagerung eines Wohnhauses im französischen Toulouse ist beendet. Seit gestern Morgen hatte die Polizei in Frankreich das Wohnviertel in Toulouse abgeriegelt. Mehrere Agenturen melden jetzt, dass der Belagerte in dem Haus inzwischen tot ist. Das wurde inzwischen auch vom französischen Innenminister bestätigt. Vorausgegangen war demnach ein Feuergefecht. Am Telefon ist jetzt Bernd Carstensen, er ist stellvertretender Bundesvorsitzender beim Bund deutscher Kriminalbeamter. Schönen guten Tag, Herr Carstensen.

    Bernd Carstensen: Hallo, guten Tag.

    Armbrüster: Herr Carstensen, 30 Stunden lang, mehr als 30 Stunden lang hat die französische Polizei dieses Wohnhaus belagert. Was sagen Sie zu dieser Taktik?

    Carstensen: An erster Stelle steht natürlich, die Gefährdung für Menschen zu minimieren, die im Wohnhaus oder Anlieger und dergleichen sind. Das ist etwas, was die Polizei begrenzen muss, also Gefährdung Außenstehender auszuschließen. Wenn man dann die Möglichkeit auch hat, genau in einem Haus festzustellen, wo sich der Täter aufhält, und von ihm keine Gefahr ausgehen kann, man das auch begrenzen kann, dann muss man auch tatsächlich stundenlang in dieser Umgebung sich so verhalten.

    Armbrüster: Jetzt hat die französische Polizei genau diese Linie durchgezogen und am Ende ist der Gesuchte, der Umzingelte, wenn man das so sagen kann, doch tot. Ist das nicht eine Niederlage für die Polizei?

    Carstensen: Nein, ich denke nicht, dass das eine Niederlage ist. Das ist eine Situation, die ganz sicher daraus entstanden ist, dass die Gewalttätigkeit, also der Schusswechsel, nach meinen Einschätzungen von dem Täter selbst ausgegangen ist und dass dann in dieser Situation die eingesetzten Polizeibeamten den Sachverhalt dort begrenzen mussten, also den Täter handlungsunfähig schießen. Und dabei findet dann eben halt auch der Tod dieses Täters statt.

    Armbrüster: Was haben sich denn die Beamten der französischen Polizei wohl erhofft von dieser langen Belagerung?

    Carstensen: Ich kann mir gut vorstellen, dass auch die Möglichkeit überlegt wurde, ob man tatsächlich eine Festnahme dieses Täters durchführen kann, ihn also lebend aus seiner Umgebung zu holen, damit er auch für eine Verhandlung zur Verfügung steht. Um auch Informationen zu bekommen, wie es zu diesen Situationen, wie es zu den vorangegangenen Anschlägen kam, um eventuell auch Informationen auf Hintermänner, auf eventuelle Strukturen, Organisationen zu bekommen.

    Armbrüster: Aber da genügt es ja wahrscheinlich nicht, das Haus nur umstellt zu halten, da muss man ja auch mit dem Täter in Kontakt treten, nehme ich an.

    Carstensen: Das ist genau richtig. Man kann aber auch versuchen, mit Dingen, wie man sich dem Täter gegenüber verhält, ihn in eine psychische Situation zu bringen, dass er von sich aus sein Vorhaben aufgibt und dann praktisch die Waffen niederlegt. Diese Situation haben wir auch, die gibt es auch und da gibt es auch Beispiele für zurückliegende Taten.

    Armbrüster: Aber geht man mit so einer Belagerung nicht immer das Risiko ein, dass sich der Täter am Schluss selber doch etwas antut?

    Carstensen: Ja, und nicht nur, dass er sich selbst etwas antut. Man muss auch sehr vorsichtig und sehr übersichtlich in diese Häuser oder in seine Umgebung hingehen. Das was wir gehört haben und auch wissen ist, dass es ja auch durchaus in dem Haus hätte installierte Sprengfallen geben können. Also wenn die Polizei einfach das Haus stürmt, dann praktisch in solche Sprenghinterhalte läuft. Das muss auch ausgeschlossen werden, deswegen auch diese lange Zeit.

    Armbrüster: Wir haben nun gehört, dass es schon in der Nacht mehrere Explosionen gegeben hat. Gehört das mit dazu bei der Polizei, ab und zu mal einen Sprengsatz loszulassen, um den Täter möglicherweise in Angst und Schrecken zu versetzen?

    Carstensen: Zumindest ist das eine Möglichkeit, die ja vorher festgelegt wird, wie man dort strategisch vorgehen will. Das hat natürlich damit zu tun, dass man das Täterverhalten analysiert und eine Einschätzung findet, auf was könnte er reagieren, wie könnten wir ihn entweder verunsichern, oder wie könnten wir ihn auch tatsächlich dazu bringen, wie ich das zu Anfang sagte, von seinem Vorhaben abzukommen. Da gibt es zig Möglichkeiten. Da werden aber natürlich nur Dinge entschieden von den Beamten, die dort vor Ort die Einschätzung vornehmen.

    Armbrüster: Die Beamten werden jetzt, nachdem der Täter nach dieser Schießerei tot ist, nachdem er im Kugelhagel gestorben ist, wahrscheinlich auch eine Lagebesprechung abhalten und sich die wichtigsten Fragen stellen. Welche Fragen werden das jetzt sein, die die französische Polizei sich selber stellt?

    Carstensen: Ganz sicher wird jeder Einsatz, der dokumentiert worden ist - das findet bei uns hier auch statt -, noch mal analysiert, wer hat wann was zu welchem Zeitpunkt gemacht, weil ja jeder Einsatz auch dazu dient, den nächsten Einsatz noch besser wieder vorzubereiten. Das hat aber auch damit zu tun, dass man herausfinden muss, wie es in diese Situation gekommen ist. Das was ich sagte, also festzustellen, welche Dinge haben dafür gesorgt, dass dieser Straftäter mit dem islamistischen Hintergrund sich in diese Situation begeben hat und dass er diese Taten begangen hat. Das gehört ermittelt und auch analysiert.

    Armbrüster: Gehört dazu möglicherweise auch die Frage, ob man besser früher zugeschlagen hätte, vielleicht auch gar nicht erst so eine Belagerung abgewartet hätte, sondern möglicherweise gewartet hätte, bis der Mann auf die Straße kommt, um möglicherweise einen Einkauf zu erledigen?

    Carstensen: Ganz sicher sind das Varianten, die aber auch dann von den Einsatzführern dort taktisch vor Ort entschieden werden. Das ist gar keine Frage. Solche Möglichkeiten werden überlegt. Aber man muss aus den Erkenntnissen vor Ort, aus der Situation heraus entscheiden, und das können nur die Beamten, die dort auch vor Ort sind.

    Armbrüster: Sagt Bernd Carstensen, er ist stellvertretender Vorsitzender beim Bund deutscher Kriminalbeamter. Besten Dank für das Interview, Herr Carstensen.

    Carstensen: Auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.