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Einzeltäter oder islamistisches Netzwerk?

Terroristische Bedrohungen sind den Franzosen nicht unbekannt. In jüngster Zeit hätten dschihadistische Gruppen aber immer weniger Bedeutung, sagen Experten. Die starken salafistischen Tendenzen unter Muslimen unterschieden sich vom Dschihadismus, der Gewalt anwende.

Von Birgit Kaspar |
    Die Morde an sieben Menschen in Toulouse und Montauban haben ganz Frankreich erschüttert. Für die Präsidentschaftskandidatin des rechtsradikalen Front National, Marine Le Pen, ist die Sache klar:

    "Ich glaube, die fundamentalistische Gefahr ist in Frankreich unterschätzt worden. Man muss sagen, dass sich diese politisch-religiösen Gruppen in einem Klima der Nachlässigkeit entwickeln. Deshalb müssen wir jetzt endlich den Krieg gegen solch fundamentalistische Gruppen führen."

    Terroristische Bedrohungen sind den Franzosen nicht unbekannt - auch, aber nicht nur aus dem radikal-islamistischen Milieu. Vor allem in den 90er-Jahren kam es insbesondere in den vernachlässigten und verarmten Vorstädten zur Radikalisierung von Jugendlichen mit muslimischen und häufig maghrebinischen Wurzeln. Noch im vergangenen Jahr warnte Bernard Squarcini, der Chef des Inlandsgeheimdienstes, Frankreich stehe nach den USA auf Platz zwei der Hitliste für Attentate des Terrornetzwerkes El Kaida.

    Rund zweimal im Jahr kämen die französischen Sicherheitsbehörden einem Anschlag zuvor. Dabei konzentriert sich die Risikozone vor allem um Paris und die südfranzösische Stadt Lyon. Bemerkenswert sei allerdings in jüngster Zeit, dass die dschihadistischen Gruppen oder Netzwerke immer weniger Bedeutung hätten, erklärt Mathieu Guidère, Experte für radikalen Islamismus an der Universität Toulouse:

    "Es herrscht der Trend zur Selbstradikalisierung, die Aktionen haben einen zunehmend solitären Charakter. Allerdings mit einer totalitären Logik, denn sie streben die Auslöschung des anderen, der als unmenschlich angesehen wird, an. Der Feind ist ein Symbol, das zerstört werden muss."

    Pierre Conessa, ehemals hochrangiger Funktionär im französischen Verteidigungsministerium, glaubt nicht daran, dass El Kaida eine in Frankreich unterschätzte Bedrohung sei:

    "Ein Einzelner muss nur entschlossen genug sein. Selbst wenn er sich auf El Kaida beruft, heißt das noch lange nicht, dass er eine bedeutende Unterstützerzelle hinter sich hat. Möglich ist indessen, dass er sich in einem ideologischen Milieu bewegt, das ihm geholfen hat, zur Tat zu schreiten."

    Sicherheitsexperten schätzen, dass die Zahl der französischen Jugendlichen, die heute noch zur Ausbildung nach Afghanistan und Pakistan pilgern, überschaubar ist. Von mehreren Dutzend ist die Rede, nicht mehr von Hunderten wie in den 90er-Jahren. Mathieu Guidère:

    "Es sind wenige, die sich nach Afghanistan aufmachen, die meisten kehren heute zurück. Aus einem einfachen Grund: Seit dem Tod Bin Ladens und mit der Bewegung des arabischen Frühlings existiert der sogenannte Dienstweg, also die organisatorische Unterstützung für die Reise, nicht mehr."

    Zwar gebe es in Frankreich starke salafistische Tendenzen unter den Muslimen, also einen rückwärtsgewandten religiösen Radikalismus, so Guidère. Doch der unterscheide sich vom Dschihadismus, der Gewalt anwende.

    Salafisten sind auch in Toulouse präsent, vor allem in der Vorstadtsiedlung Le Mirail. Das ist ein sozialer und krimineller Brennpunkt, wo viele Franzosen und Ausländer arabischer Herkunft leben. Aber Dschihadisten wie Mohammed Merha, der mutmaßliche Serienmörder, seien in Toulouse ein Novum, betont der Extremismusexperte Guidère. Und hoffentlich tatsächlich ein Einzelfall, wünschen sich die Bürger von Toulouse.