
Nur eine Stunde hat die mündliche Verhandlung vor dem Amtsgericht Halle gedauert. Michael, der eigentlich anders heißt, ist nun wegen Diebstahls vorbestraft. Dass er mit einer Strafe von weniger als zwei Jahren davongekommen ist und nicht ins Gefängnis muss, hat er auch einem Deal zwischen seinem Verteidiger, dem Gericht und der Staatsanwaltschaft zu verdanken. Sein Anwalt habe die Sache angeschoben, erzählt Michael.
"Also wir hatten ja vorher schon ein paar Termine, um die Strategie zu besprechen und da hat er das dann schon angemerkt gehabt, wie das mit einem Deal laufen könnte, dass da halt noch eine Bewährungsstrafe dabei herauskommt. Und als wir dann am Gericht waren, sind erst Richter und Staatsanwalt in den Gerichtssaal rein, mein Anwalt dann hinterher. Ich habe noch draußen gewartet. Er hat dann halt mit denen gesprochen."
"Danach hat dann der Richter gesagt gehabt, ich habe von ihrem Anwalt schon erfahren, dass sie dem, was in der Anklageschrift steht, zustimmen. Und auch in welche Richtung das ungefähr geht. Haben Sie noch etwas zu sagen? Und da habe ich dann halt nur gesagt, was vorher mit meinem Anwalt abgesprochen war: Ja, ich stimme der Anklage, so wie sie verlesen wurde, zu. Und das war es dann eigentlich."
Geständnis gegen Straferlass, das ist in der Regel der Grundsatz bei einem Deal, einer "verfahrensbeendenden Absprache", wie es offiziell heißt. Für Michael bedeutete das, er gesteht alle ihm vorgeworfenen Taten, auch die, die ihm die Staatsanwaltschaft möglicherweise nicht hätte nachweisen können. Und dafür bekommt er noch eine Bewährungsstrafe. Rückblickend ist er sich allerdings nicht mehr ganz so sicher, ob das wirklich der beste Weg war:
"Oder wäre das andere, wenn sich die Staatsanwaltschaft nicht darauf eingelassen hätte, vielleicht anders gekommen, noch weniger an Strafe, weil sie jede Einzeltat hätten nachweisen müssen, was aber nicht gegangen wäre."
Wer vor Gericht steht, ist in einer Ausnahmesituation. Tausend Gedanken gingen dem Angeklagten durch den Kopf: Wie es soweit kommen konnte, wie es jetzt weitergeht - was aus seinem Hund wird, wenn er ins Gefängnis muss. Und so war Michael vor allem erleichtert, als sein Anwalt vom erfolgreichen Deal berichtete.
"Zu dem Zeitpunkt ist halt die Anspannung so groß, da freut man sich quasi über jede glückliche Nachricht in Anführungszeichen und wenn der Anwalt sagt, ja, das klappt so, dann sagt man, ja, o.k., machen wir. Bloß schnell weg hier und.... ja."

Noah Krüger ist Oberstaatsanwalt in Frankfurt am Main. Er arbeitet in der Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftsstrafsachen. Hier geht es besonders häufig um komplizierte und sehr langwierige Verfahren, die sich mit einem Geständnis und einer Absprache über die Höhe der Strafe arbeitsökonomisch abkürzen ließen. Und dennoch: Allzu häufig werden seine Verfahren nicht mit einem Deal beendet
"Ich denke mal, dass die Thematik verfahrensbeendende Absprachen in weniger als jeder zehnten Verhandlung zur Sprache kommt. Und eine konkrete verfahrensbeendende Absprache wird noch in deutlich weniger Fällen, dann tatsächlich geschlossen. Da gibt es dann unterschiedliche Interessenlagen, unter Umständen wird das nur von einer Seite angesprochen und die anderen Seiten sagen nein, oder man kann sich nicht einigen."
"...von Betäubungskriminalität, über die Steuerdelikte über den Betrug oder ähnliches ist der Grad der Fälle, bei denen darüber gesprochen wird und bei denen es zu einer Einigung kommen kann, in etwa gleich."

"Das kann durchaus so sein, dass ein Anwalt mal anruft und sagt, wir wollten mal hören, ob man sich nicht mal zusammensetzen kann, ob das Gericht da möglicherweise eine Chance sieht, bei einer geständigen Einlassung in einem bestimmten Strafrahmen sich zu bewegen."
Allerdings ist Richter Stefan Caspari kein großer Freund von Absprachen:
"Ich mache es nicht gerne, mache es auch nicht von uns aus. Also vom Gericht aus mache ich keine Verständigungsvorschläge, verweigere mich dem aber auch nicht, wenn es von anderer Seite kommt. Der Gesetzgeber hat gesagt, das ist eine Art und Weise, wie man verfahren kann, dann fände ich es auch nicht richtig zu sagen, auch wenn es im Gesetz drinsteht, machen wir es generell nicht. Aber als Gericht selber fördere ich das nicht, weil es aus meiner Sicht immer noch so ein bisschen den Beigeschmack von Bazar hat."
"Also man kann sich nicht dahingehend einigen, dass man sagt, wir gehen jetzt mal davon aus, das war so, aber wir werden das jetzt am Ende nicht als Raub sondern nur als Diebstahl und Körperverletzung werten."
"Es gibt Richterinnen und Richter, denen reicht der Standardsatz, der Anklagesachverhalt wird objektiv und subjektiv eingeräumt, trifft alles zu. Was natürlich strenggenommen, kein wirkliches Geständnis ist. Das ist eine Verteidigererklärung mit einem Satz. Das hat mit dem, was der Mandant dazu zu sagen hat, herzlich wenig zu tun."
"Und dann auch nicht nur, ja stimmt alles, ich gestehe, sondern tatsächlich auch ein bisschen mit Inhalt verbunden."
An den unterschiedlichen Vorstellungen davon, wie denn das Geständnis zu erfolgen hat, scheitere nicht selten der ganze Deal, so Annette von Stetten. Besonders problematisch kann das werden, wenn ein Mandant Taten gesteht, die er gar nicht begangen hat, einfach nur, weil die Beweislage so erdrückend ist.
"Also, das kommt häufiger vor, als man denkt. Der Mandant sagt, ich war das nicht, und ich rate ihm trotzdem, das Deal-Angebot anzunehmen. Einfach, weil klar ist, der wird in jedem Falle verurteilt. Nur ohne Deal halt noch viel schlimmer. Und gerade in diesen Fällen ist es natürlich dem Mandanten nicht möglich, da eine qualifizierte Erklärung abzugeben, warum er die Straftat, die ihm da zur Last gelegt wird, begangen hat."
"Da habe ich massiv angeschoben, was diesen Deal anbelangt, weil ich wusste, dass meiner Mandantin nichts wichtiger war als ein Geständnis des Angeklagten. Der war völlig egal, was kommt dabei raus. Geht er jetzt für vier Jahre oder für sechs Jahre oder nur für drei Jahre ins Gefängnis? Das war der völlig wurscht. Das wichtigste war für die das Geständnis des Angeklagten. Das zweitwichtigste war, dass ihr eine nochmalige Aussage erspart bleibt. Und das war dann letztlich auch der ausschlaggebende Punkt für die Staatsanwaltschaft, den Dealvorschlag zu akzeptieren."
Das Ergebnis ging in die gleiche Richtung wie schon die Untersuchung aus dem Jahr 2013, so Jörg Kinzig. Zwar sei nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes alles etwas besser geworden, aber: "Die Hauptaussage der Untersuchung ist, dass die illegalen Absprachen leben, würde ich sagen. Also die sind auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht tot, sie gehören immer noch zum Alltag in deutschen Gerichtssälen."
"Es zeigt sich ein weiteres Mal, was schon immer prognostiziert oder vorhergesagt wurde, dass sich mit der bloßen Regelung einer Grenze der Legalität, es nicht verhindern lässt, dass die Legalität informell umgangen wird. Das heißt, wir haben einen erheblichen Anteil von Staatsanwälten, Richtern und Strafverteidigern, die sich an die Regeln halten, wir haben aber auch einen ganz erheblichen Anteil von solchen Beteiligten, die sich nicht daranhalten."
Und wo genau die Grenze verläuft und wann diese Regeln gebrochen werden, ist von außen überhaupt nicht zu kontrollieren, sagt Fischer. Und das wiederum könne zu einem Vertrauensverlust in die Justiz führen. Der frühere Bundesrichter hält Deals nicht zuletzt für ungerecht:
"Einen Deal kann man ja nur machen, wenn es etwas zu dealen gibt. Und Absprachen zeichnen sich ja dadurch aus, dass Leistung und Gegenleistung angeboten und dann auch gebracht werden. Das bedeutet, wer viel zu dealen hat, hat auch viel zu gewinnen."
Gegen illegale Deals gibt es für Fischer nur ein probates Mittel: "Wenn man das verhindern will, muss man klar sagen, dass solche Absprachen unzulässig sind und man muss unzulässige Absprachen klar sanktionieren, und zwar so sanktionieren, dass es denjenigen, die sie durchführen, weh tut und dass sie sich davor fürchten und es deshalb nicht tun."
Und auch Rechtsanwältin Annette von Stetten kann aus ihrer Erfahrung nicht bestätigen, dass Absprachen jenseits der Vorgaben weit verbreitet sind. Das Ergebnis der Studie hat sie deshalb ziemlich überrascht.
"Also ich erlebe das praktisch nie. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine verfahrensbeendende Absprache erlebt hätte, die nicht lege artis war."
Und auch von Kolleginnen und Kollegen hat sie nichts über illegale Deals gehört. Das geht auch Richter Caspari so. Seit das Gesetz in Kraft ist, habe sich doch einiges geändert. Auf jeden Fall, so meint Caspari, bei den Landgerichten, wo meist schwerere Straftaten verhandelt werden.
"Gerade bei den Strafkammern und gerade bei den Wirtschaftssachen glaube ich schon, dass die Gesetzesänderung damals was gebracht hat, dass es nicht mehr im Hinterstübchen gemacht wird."
Für Oberstaatsanwalt Noah Krüger hat der Paragraph 257 c die Deals nicht nur, wie er sagt "vom Dunkel ins Licht geführt", sondern sie auch weitgehend legitimiert – allerdings mussten zunächst Anfangsschwierigkeiten überwunden werden.
"Zu Beginn der Neuregelung gab es erhebliche Unsicherheiten bei den Gerichten, wie mit den neuen Vorschriften umzugehen ist. Und die führten bei manchen dazu, dass sie übervorsichtig wurden, und sagten, davon halten wir uns jetzt mal fern. Und bei anderen dazu, dass sie einfach ihr altes Prozedere durchgezogen haben, wie sie das gewohnt waren. Solche Fallkonstellationen habe ich jetzt seit einer ganzen Reihe von Jahren nicht mehr erlebt. Ich denke, das liegt daran, dass inzwischen die Gerichte damit vertraut sind, dass die Obergerichte viele zweifelhafte Fallkonstellationen oder Graubereiche klargestellt haben, und dass vielleicht auch ein bisschen ein Generationenwechsel stattgefunden hat. Dass der eine oder andere alte Hase, der sich nicht mehr auf eine neue Rechtslage einstellen wollte, inzwischen eben dann auch in Pension gegangen ist."

"Man wird darüber nachdenken müssen, ob man etwas reformieren muss."
Das Bundesjustizministerium hat mitgeteilt, genau das wolle man jetzt tun. Die politische Diskussion über die Konsequenzen der Studie und die Zukunft des Deals hat erst begonnen.