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Der deutsche Frauenfußball braucht "neue Ideen und Innovationen"

Bernd Schröder, langjähriger Coach von Turbine Potsdam, warnt davor, sich auf dem Erreichten auszuruhen. "Man muss Visionen haben", sagt der ehemalige Trainer der DDR-Frauennationalmannschaft. Dazu gehöre auch, über mehr männliche Trainer im Frauenfußball nachzudenken.

Bernd Schröder im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 29.07.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: In der Vorrunde der Fußballeuropameisterschaft der Damen in Schweden, da sah es ja überhaupt nicht so aus, als ob die Truppe von Bundestrainerin Silvia Neid irgendetwas würde reißen können, im Gegenteil: An Silvia Neid wurde deutliche Kritik laut. Aber die Spielerinnen haben mehrere Schippen draufgelegt und gestern im Finale Norwegen mit eins zu null bezwungen. Edgar Endres.

    Heckmann: Edgar Endres berichtete, und telefonisch sind wir jetzt verbunden mit Bernd Schröder, Trainer von Turbine Potsdam, und das seit 40 Jahren mit kurzen Unterbrechungen, ehemals Trainer der DDR-Frauennationalmannschaft. Schönen guten Morgen, Herr Schröder!

    Bernd Schröder: Guten Morgen!

    Heckmann: Herr Schröder, Deutschland ist also zum achten Mal Europameister, obwohl Silvia Neid kurzfristig auf sechs Stammspielerinnen verzichten musste. Sind ihre Kritiker jetzt Lügen gestraft worden?

    Schröder: Na ja, wir haben ja trotz dieser Situation von Anfang an gesagt, also die Insider haben gesagt, dass wir eine gute Mannschaft haben und dass wir zu den Favoriten zählen, zumal wir wussten, dass die Gegnerschaft nicht unbedingt berauschend ist. Das hat sich bestätigt. Es ist ganz klar, dass die Leistung dieser Nationalmannschaft doch die Leistung der Bundesliga ist, weil, es sind ja alles Spielerinnen, die aus den Klubs kommen. Wir haben in diesem Jahr wieder mit dem Vfl Wolfsburg den Champions-League-Sieger gestellt, und ich denke, dass man von Anfang an auf diese Mannschaft gebaut hat, war wichtig, und auch schwächere Spiele haben uns nicht vom Hocker gerissen.

    Heckmann: Was hat denn den Ausschlag gegeben, Herr Schröder, die Stärke der deutschen Nationalmannschaft oder die Schwäche der Gegnerinnen?

    Schröder: Fußball ist immer Actio gleich Reactio, aber ich denke schon, dass wir uns dann auf das besonnen haben, was wir eigentlich können und was uns auch vor der Weltmeisterschaft, vor der Europameisterschaft so stark gemacht hat. Denn was auch die Nationaltrainerin immer behauptet hat und wir gemeinsam, dass wir eine sehr gute, sehr starke Mannschaft haben, dass wir auch Favorit sind – dass man natürlich ein oder zwei Spiele gemacht hat, die nicht so gut waren und dann schon wieder ins Wanken gekommen ist, das ist ganz normal im Fußball, aber zum Schluss war es eine geschlossene Mannschaftsleistung unseres Teams, unserer jungen Mannschaft, die nicht so viel verändert wurde trotz dieser Probleme, die wir hatten innerhalb des Teams, und dadurch, dass wir fast konstant mit der gleichen Besetzung gespielt haben, hat es uns doch geholfen.

    Heckmann: Das heißt, man kann jetzt sagen, aus Ihrer Sicht, im deutschen Frauenfußball ist jetzt alles wieder gut?

    Schröder: Nein, es ist nicht alles wieder gut. Gerade in solchen Situationen, wo man mal gewinnt oder wo man wieder mal einen Titel holt, muss man sich überlegen, was man anders machen kann. Es ist ja nicht immer die Stärke auch der gegnerischen Mannschaften oder die Schwäche, die uns nach vorn oder zurückwirft. Es sind ja auch die eigenen Stärken oder Schwächen, und da muss man sich überlegen, jetzt ist die U-19-Europameisterschaft in Wales in den nächsten Wochen, wie wir bei dem Nachwuchs vorangekommen sind, denn das ist ja auch in zwei Jahren die Weltmeisterschaft, und da muss man gucken, was gelaufen ist. Ich meine, sicherlich ist es so, man hat den Titel geholt, man kann sich erst mal ausruhen, aber es hat auch im Männerbereich schon Situationen gegeben, ich denke an Bayern München, als die Champions League 2001 gewonnen haben, haben die sich auch zurückgelehnt – also man muss schon nach vorne gucken und bestimmte Dinge auch analysieren, und das werden wir machen.

    Heckmann: Das heißt, Sie sind der Ansicht, man darf sich hier nicht auf den Lorbeeren ausruhen, sondern sich bestimmte Schwachstellen auch anschauen. Was sind denn die Schwachstellen?

    Schröder: Ja, das ist einfach so, dass wir, sag ich mal, in bestimmten Situationen – man kann ja nicht immer davon sprechen, dass die Jungen so schlecht waren, wir haben vier oder fünf junge Spielerinnen gehabt, eine gute Mischung - aber es hat einfach teilweise Situationen gegeben, wo wir auch, sag ich mal, mental nicht so gut drauf waren, wo wir uns gewundert haben, wie kann das sein? Zum Schluss hat es sich ja wieder gezeigt, dass wir durchaus im physischen Bereich sehr gut waren, aber hier und da mal mental uns irgendwie aus der Rolle bringen lassen. Insbesondere das Spiel gegen Holland hat uns gezeigt, dass wir auf dieser Strecke noch arbeiten müssen. Das haben wir getan, aber in Zukunft müssen wir schon die jungen Spieler und insgesamt als Mannschaft so fungieren, dass wir uns nicht von unserem Weg abbringen lassen, wenn wir mal ein schlechtes Spiel machen oder vielleicht schlechte Aktionen haben.

    Heckmann: Sie sind ja dafür bekannt, Herr Schröder, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, und haben sich in den letzten Tagen und Wochen und Monaten immer wieder auch als Kritiker profiliert. So haben Sie vor wenigen Tagen erst noch einmal Ihre Forderung erhoben, es brauche einen Mann im Trainerstab der deutschen Fußballnationalmannschaft. Mit dem Sieg der EM sind Sie aber jetzt klar widerlegt, oder?

    Schröder: Nein. Es geht ja nicht um die Nationaltrainerin. Das wird ja immer wieder ein bisschen sehr falsch dargestellt und interpretiert, nicht von Ihnen, aber generell. Ich habe gesagt, wir haben ein gut funktionierendes System beim DFB, wir haben die beste Organisation der Welt, aber wir sollten mal nachdenken, ob wir irgendetwas verändern. Wir haben jedes Jahr 22 Fußballlehrer, da sind bestimmt 20, 21 aus dem Männerbereich. Es muss auch mal ein bisschen was Neues kommen in dem Gesamtsystem, nicht in der Nationalmannschaft allein, sondern im Gesamtsystem unserer Ausbildung, unserer Fortbildung und alles Drum und Dran. Man kann sich natürlich auch ausruhen. Und es ist nichts um so falsch, wenn man denkt, man ist immer auf dem besten Wege. Gerade neue Ideen, Innovationen brauchen wir. Wir ändern bei uns, bei unserem Klub jedes Jahr auch die Zusammensetzung.

    Heckmann: Aber weshalb unbedingt soll ein Mann in den Trainerstab gehen? Es läuft doch ganz gut, und seit 1997 sind alle EM-Titel international von Trainerinnen geholt worden.

    Schröder: Das hat ja damit nichts zu tun. Man muss ja das Umfeld sehen. Ich denke, man sollte nicht nur sehen, wer vorne an der Spitze steht. Wir haben mit den Japanern einen Nationaltrainer, wir haben mit Frankreich, wir haben – man hat es gesehen mit Norwegen, war ein schmaler Grat. Das hat auch mit der Nationaltrainerin nichts zu tun. Ich sag noch mal, es geht darum, dass man im Gesamtbereich der Organisation des Frauenfußballs auch im DFB nachdenkt – wir hatten ja so was. Wir haben mit Ralf Peter Leute gehabt, die die ganze Nachwuchsarbeit, die jahrelang Europameister wurden bei dem Nachwuchs. Also das eine schließt das andere doch nicht aus. Ich kann doch nicht sagen, jetzt steh ich wieder hier und wir haben alles ordentlich gemacht. Man muss nach vorne gucken, man muss Innovationen haben, man muss Visionen haben. Und auch das wäre ein Gedanke, der uns unbedingt noch weiter nach vorne bringen könnte.

    Heckmann: Lassen Sie uns mal grundsätzlich auf den deutschen Frauenfußball schauen. Wie stark hat der denn aufgeholt im Vergleich zum Männerfußball?

    Schröder: Das kann man nicht vergleichen. Also, Frauenfußball ist, wie wir alle auch sagen, eine andere Sportart. Nicht wenn wir – wir haben ja durch die Weltmeisterschaft sind wir zurückgeworfen worden, formell zurückgeworfen worden. Wir waren immer eine gute Mannschaft, wir haben immer guten Nachwuchs gehabt, wir waren immer an der Spitze in der Welt, in Europa. Männerfußball ist eine eigene Kategorie, wir sind eine eigene Kategorie, ich denke, wir sollten aufpassen, dass wir nicht in Europa, in der Welt, sag ich mal, den Anschluss verlieren oder die Richtung verlieren. Die haben wir nicht verloren trotz schweren Spiels heute, aber der Männerfußball ist eine eigene Kategorie und der Männerfußball ist eine Struktur, die stimmt, wo hinten und vorne, sag ich mal, wo wir gute Spieler haben, aber die Konkurrenz ist natürlich wesentlich größer in der Welt als im Frauenfußball.

    Heckmann: Die deutschen Fußballerinnen sind also wieder da. Was heißt das für die Weltmeisterschaft 2015?

    Schröder: Die Mannschaft ist in einer guten Zusammensetzung. Wir haben ja viele junge Nachwuchsspielerinnen in der Hinterhand, und wenn man sieht, wie die anderen Mannschaften aufgestellt sind in Europa, die Schweden haben sehr, sehr alte Spieler auch, man hat es in Norwegen gesehen mit Gulbrandsen und mit Stensland, zwei ältere Spieler dabei, die nicht mehr spielen in zwei Jahren. Wir sind gut aufgestellt, ich denke, wir sollten uns keine Gedanken machen, dass wir bei der nächsten WM unter "ferner liefen" sind.

    Heckmann: Kurze Frage zum Abschluss mit der Bitte um eine kurze Antwort. Herr Schröder, Sie fordern einen Mann in den Trainerstab der DFB-Frauen. Was würden Sie dazu sagen, wenn jemand auf die Idee käme zu sagen, man brauche eine Frau in dem Stab der Herren?

    Schröder: Das ist sicherlich nicht so falsch weg. Wenn man den Stab als großes Gebilde sieht – es ist immer wichtig, dass man eine gute Mischung hat.

    Heckmann: Bernd Schröder war das, Trainer von Turbine Potsdam und ehemals Trainer der DDR-Frauennationalmannschaft, zum Sieg der Frauenfußballerinnen bei der Fußballeuropameisterschaft. Besten Dank für das Gespräch, Herr Schröder, und einen schönen Tag!

    Schröder: Danke!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.