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Der kleine Nachbar übt sich in Zurückhaltung

Die Auseinandersetzung um Souveränität, Selbstbestimmung und Minderheiten auf dem Balkan betrifft nicht nur das Kosovo und Serbien allein. Mit der Kosovo-Frage stehen ernste völkerrechtliche Fragen für die nach wie vor instabile Region auf der Tagesordnung - zum Beispiel in Montenegro, das sich im Mai vergangenen Jahres in einem Referendum von dem staatlichen Bündnis mit Serbien lossagte. Norbert Mappes-Niediek berichtet.

29.11.2007
    Unter neu entstehenden Kleinstaaten auf dem Balkan, möchte man meinen, herrscht vielleicht so etwas wie Solidarität - vor allem dann, wenn sich beide vom selben ungeliebten Zentrum in Belgrad abspalten. Aber wenn das Thema Kosovo zur Sprache kommt, würde sich das kleine Montenegro am liebsten noch kleiner machen. Nur eines wiederholen die Offiziellen immer wieder, dass es in der Kosovo-Frage einen Kompromiss, eine Verhandlungslösung geben soll und auf keinen Fall einseitige Schritte.

    Dass das Kosovo nicht unabhängig werden dürfe, sagt die Regierung des Kleinstaats wohlweislich nicht. Nur wenn, dann soll die benachbarte serbische Provinz es genauso machen wie einst Montenegro selbst – mit, wenn auch zähneknirschender, Zustimmung Belgrads.

    Was aber, wenn die Kosovo-Albaner sich an den Rat nicht halten und sich ohne den Segen Belgrads unabhängig machen wollen? Für diesen Fall wird in Montenegro munter spekuliert. Die für die Anerkennung sind, tun so, als wären sie sich schon sicher: Montenegro wird unter den ersten Staaten sein, die das Kosovo anerkennen. Zum Beispiel Ferhat Dinosa, der Vertreter der albanischen Minderheit in Montenegro:

    "Ich denke, die jetzt bestehenden Kontakte sind schon ein deutliches Zeichen, dass Montenegro gute Beziehungen zum Kosovo unterhalten will. Egal wie der endgültige Status auch aussieht und wann es sich entscheidet, Montenegro wird absolut bereit sein, einen guten Nachbarn abzugeben."

    Das offizielle Podgorica aber schweigt und hat dafür seine Gründe. Belgrad nämlich formuliert für den Fall der Unabhängigkeit deutliche Erwartungen, wie Serbiens Außenminister Vuk Jeremic nach seinem letzten Besuch bei seinem montenegrinischen Amtskollegen Milan Rocen klar machte:

    "Ich habe die Ansicht vertreten, dass eine Unabhängigkeit des Kosovo und Metochiens für Serbien absurd wäre und unannehmbar ist, in welcher Form, in welcher Gestalt auch immer. Daneben habe ich zum Ausdruck gebracht, dass wir von allen Staaten in der Region in diesem Moment Zurückhaltung erwarten, nicht nur von den Staaten in der Region, möchte ich sagen, aber besonders von ihnen - in diesem delikaten Moment, wo es um eine Lösung für den Status des Kosovo und Metochiens geht."

    Der Wunsch nach Zurückhaltung wurde prompt erhört - Montenegros Außenminister Milan Rocen ist vor den Mikrofonen kein Wort zu entlocken. Und er lässt seine eigene Haltung lieber gleich vom serbischen Kollegen referieren:

    "Serbien tritt für eine Weiterführung der Verhandlungen ein. Nur auf dem Verhandlungsweg kann es zu einer stabilen Kompromisslösung kommen. Jeder Unilateralismus, jeder einseitige Akt, von welcher Seite auch immer, wäre schädlich, besonders wenn er aus der Region kommt. Ich kann mit Zufriedenheit sagen, dass ich mit meinem Kollegen Milan Rocen in der Auffassung einig bin, dass einseitige Akte zur Instabilität beitragen würden und nicht zu der Stabilität, die wir gemeinsam erreichen wollen."

    Wenn Montenegro dem serbischen Wunsch nach Zurückhaltung so bereitwillig nachkommt, dann aus drei Gründen. Erstens: Es ist politisch und wirtschaftlich stärker von Serbien abhängig als umgekehrt. Das wiederum hängt eng mit dem zweiten Grund zusammen: Ein Großteil der montenegrinischen Bevölkerung hat sich mit der im Vorjahr erreichten Unabhängigkeit nicht abgefunden, jeder dritte Einwohner des Landes deklariert sich als Serbe. Diesen Teil des Volkes muss die Regierung erst noch gewinnen.

    Und schließlich gibt es durchaus Befürchtungen, dass die eigenen Albaner, fünf Prozent der Bevölkerung, sich von einem unabhängigen Kosovo ermuntert fühlen könnten, sich von Montenegro abzuspalten. Zwar ist das Klima zwischen den Nationen von jeher viel besser als nebenan im Kosovo. Aber Extremisten gibt es auch hier. Etwa in der Hafenstadt Ulcinj im Süden, wo man es einem dummen Zufall der Geschichte zuschreibt, dass man 1913 diesseits und nicht jenseits der Grenze in Albanien landete. Oder auch in dem großen und reichen katholischen Dorf Tuzi bei Podgorica, wo im Vorjahr 18 angebliche albanische Terroristen gefangen genommen wurden, denen heute in der Hauptstadt der Prozess gemacht wird.