Donnerstag, 28. März 2024

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Deutsche-Bahn-Chef Richard Lutz
"Wir wollen investieren und wir wollen angreifen"

Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn, Richard Lutz, hat seinen Brandbrief an die Führungskräfte des Unternehmens verteidigt. An der Lage gebe es nichts zu beschönigen, aber auch nichts zu dramatisieren, sagte Lutz im Dlf. Es müsse mehr Geld in das gesamte System Bahn gesteckt werden, da sei auch der Bund in der Verantwortung.

Richard Lutz im Gespräch mit Klemens Kindermann | 16.09.2018
    Richard Lutz, Vorstand Finanzen und Controlling der Deutschen Bahn, spricht am 19.03.2015 in Berlin bei der Bekanntgabe der Jahreszahlen 2014.
    Richard Lutz (dpa / picture-aliance / Britta Pedersen)
    Klemens Kindermann: Herr Lutz, die Vorfälle in Chemnitz und Köthen haben Sorgen auch in der Wirtschaft ausgelöst. Ihr Unternehmen steht vielleicht mehr als irgendein anderes sonst in Deutschland in der Öffentlichkeit, wird von vielen Menschen genutzt. Sie selbst als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn sind Schirmherr der Aktion "Bahn-Azubis gegen Hass und Gewalt". Wie positioniert sich die Deutsche Bahn angesichts dieser Vorgänge in Chemnitz, in Köthen?
    Richard Lutz: Die Bahn steht vielleicht wie kein anderes Unternehmen in der Mitte der Gesellschaft. Wir haben alleine hier in Deutschland weit über 100 Nationen und wir stehen sozusagen von unserer innersten DNA her für das Thema Respekt, Toleranz und gutes Miteinander. Und deshalb haben wir auch die Vorfälle in Chemnitz durchaus mit Sorge betrachtet. Und die Initiative, die Sie ansprechen: "Bahn-Azubis gegen Hass und Gewalt" zeigt, dass wir quer durch das ganze Unternehmen eben für Respekt, für Toleranz, für Offenheit, für Vielfalt stehen und da auch die Stimme erheben. Und das ist, glaube ich, auch gut so und entspricht unserer gesellschaftlichen Verantwortung, die wir haben.
    Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn, Richard Lutz (r.), im Gespräch mit Klemens Kindermann, Dlf-Wirtschaftsredakteur
    Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn, Richard Lutz (r.), im Gespräch mit Klemens Kindermann, Dlf-Wirtschaftsredakteur (Jochen Klotzek, FH Berlin )
    "Stolz auf die Mitarbeiter, die ihre Stimme erheben"
    Kindermann: Richten Sie auch eine Forderung sozusagen an die Gesellschaft? Wollen Sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihres Unternehmens auffordern, sich zu verhalten?
    Lutz: Ja, wir haben auf unserer "DB Planet"-Seite, in unserem Intranet, auch Position bezogen und haben da ganz, ganz viel Zustimmung bekommen. Und ich glaube, dass es wirklich ein breit getragener Gedanke durch das ganze Unternehmen ist, dass wir unser gesellschaftliches Miteinander aus einer Grundüberzeugung gestalten, dass es nur mit Respekt, mit Offenheit, Toleranz geht und dass es für Abgrenzung, Ausgrenzung, für Hass, für Gewalt und auch für Fremdenfeindlichkeit keinen Platz gibt. Und das adressieren wir intern auch. Und darauf bin ich, ehrlich gesagt, auch stolz: auf die Mitarbeiter, die aufstehen und auch ihre Stimme erheben und eben auch dafür kämpfen, dass unser gesellschaftliches Miteinander so zu organisieren ist, dass wir alle gut auskommen.
    Kindermann: Auch im September, wenn man so rausschaut, will sich der Sommer noch nicht so richtig von uns verabschieden. Lassen Sie uns mal eine Bilanz dieser Hitzemonate ziehen. In einem Gedicht von Rainer Maria Rilke heißt es "Der Sommer war sehr groß". Im August musste bei Ihnen der Zugbetrieb wegen des Waldbrandes vor Berlin unterbrochen werden. Es gab Stürme, Bäume wurden geknickt. Es gibt einen neuen Rekord bei den Böschungsbränden. Kann man sagen, der Sommer war für die Bahn vielleicht zu groß?
    Lutz: Ja, er war jedenfalls eine riesige Herausforderung für das ganze Unternehmen. Da gibt es auch gar nichts drumherum zu reden. Ich glaube trotzdem, dass – und das zeigt ja das Thema Klimaanlagen, wo wir vor einigen Jahren ja durchaus auch zu Recht in der Kritik waren –, dass wir die Investitionen, die wir auch in unsere Anlagen, in unsere Fahrzeuge getätigt haben, dass die sich ein Stück weit auch gelohnt haben.
    Immer mehr auf Witterungsbedingungen einstellen
    Kindermann: Da funktionieren jetzt erstaunlicherweise fast alle. Wie kommt das denn?
    Lutz: Na, wir haben sehr viel in Prävention gesteckt. Unsere Klimaanlagen waren in Summe bei etwa 95 Prozent Verfügbarkeit. Bei den neuen ICEs, die neuen Garnituren, sogar bei 99 Prozent. Und das zeigt eben auch, dass wir im Unternehmen selber uns auf solche auch durchaus extremen Witterungsbedingungen - egal, ob das jetzt Hitze und Brände im Sommer oder eben Herbst- und Winterstürme und auch Schnee zu anderen Jahreszeiten - einstellen müssen und das Gesamtsystem robuster machen und auch in Stabilität und Zuverlässigkeit investieren müssen. Wir tun das. Das ist ein noch langer Weg, den wir uns da vorgenommen haben und den wir noch vor uns haben, aber der Weg ist richtig und das haben unsere Kunden auch verdient, dass wir robuster werden, als wir es teilweise im Moment noch sind.
    Kindermann: Wenn Sie jetzt den Schnee schon ansprechen. Wie sind Sie denn auf den Winter vorbereitet?
    Lutz: Wir haben auch eine Wintervorbereitung, ganz routinemäßig. Wir machen auch Winterübungen, um uns eben auf solche extremen Ereignisse auch vorzubereiten. Wir hoffen, dass wir durch diesen Winter gut kommen und ein Stück weit eben auch von den ganz extremen Zusammenhängen, wenn es eben nicht nur Schneefall, sondern auch noch Stürme gibt, vielleicht in diesem Winter verschont werden.
    Kindermann: Also, Sie können den Bahnkunden versprechen: Vereiste Weichen wird es nicht mehr geben?
    Lutz: Nein, ich glaube, bei der Anzahl der Weichen kann man das nie versprechen. Ich kann unseren Kunden aber versprechen, dass wir uns wirklich so gut es irgend geht vorbereiten und wir - durch die gesamte Eisenbahn in Deutschland, durch alle Geschäfte - auch alles Mögliche tun, um in solchen extremen Witterungsbedingungen dann eben auch noch einen einigermaßen zuverlässigen Betrieb und einen guten Service beim Kunden abzuliefern.
    Mehr Investitionen in die Fahrzeugverfügbarkeit
    Kindermann: Man sagt ja, die Bahn hat nur vier wirkliche Feinde. Das sind Sommer, Winter, Herbst und Frühjahr.
    Lutz: Ja.
    Kindermann: In der Folge ist jetzt leider die Pünktlichkeitsquote auf einem neuen Tiefpunkt gelandet. Nur noch 69,8 Prozent der Fahrzeuge kamen im August pünktlich an. Das Schlimme: Die Quote wird kontinuierlich immer schlechter statt besser. Sind wir bald so weit, dass von drei Zügen nur noch zwei pünktlich sind?
    Lutz: Nein, aber natürlich haben wir im August – und das hängt ja mit der Hitzeperiode zusammen – sehr stark gelitten, auch bei dem Thema Pünktlichkeit, wie übrigens jeder andere Verkehrsträger auch. Wir sind da in guter, um nicht zu sagen, in schlechter Gesellschaft. Aber es gibt da nichts zu beschönigen, auch nicht drumherum zu reden. Wir sind in Summe nicht zufrieden mit unserer Pünktlichkeit. Und deshalb kämpfen wir auch jeden Tag um jede Minute, im Interesse unserer Kunden.
    Kindermann: Diese Kunden wollen das jetzt genauer wissen. Was machen Sie denn dann genau?
    Lutz: Also, wir sind querbeet an ganz, ganz vielen Themen dran, haben übrigens auch beschlossen, dass wir weit mehr als 100 Millionen Euro noch mal in die Hand nehmen, um das Thema Fahrzeugverfügbarkeit und das Thema Anlagenverfügbarkeit …
    Kindermann: Das hatten Sie ja im Laufe dieses Jahres bereits angekündigt …
    Lutz: Ja.
    "Das Thema Kapazität in den Mittelpunkt rücken"
    Kindermann: Aber jetzt ist die Quote noch weiter runter gegangen. Jetzt müssen doch die Alarmglocken klingeln. Es müsste noch mehr geschehen. Oder?
    Lutz: Na, die Maßnahmen wirken, aber noch mal, ich glaube, wir müssen uns auch darüber unterhalten, dass zumindest mal in solchen extremen Witterungsbedingungen - wir hatten in diesem Jahr einige davon und eben auch das Thema Hitzewelle und auch Böschungsbrände haben uns da Pünktlichkeit gekostet -, dass wir solche Extremsituationen dann auch ein Stück weit eben alle gemeinsam dann ertragen müssen. Das heißt aber nicht, dass wir im Gesamtsystem nicht viel investieren und viel tun, um die Pünktlichkeit auch in Normalsituationen so hoch wie möglich zu halten. Und diese Maßnahmen, über die wir gesprochen haben, die auch unterwegs sind, die wirken. Wir sehen das. Aber das geht erst Stück für Stück und mit der Zeit.
    Kindermann: Wie wird die Quote am Ende des Jahres aussehen? Was würden Sie schätzen?
    Lutz: Na, wir haben ja nicht mehr so ganz viele Wochen und Monate. Und traditionell ist insbesondere jetzt im Herbst auch sehr viel Bautätigkeit. Und das zeigt ja auch – und das sehen wir auch, wenn man sich so ein Gesamtjahr anguckt: wir haben ein strukturelles Dilemma, das wir in einer auch durch diese Baustellentätigkeit immer knapperen Infrastruktur immer mehr Verkehr fahren, immer mehr Züge unterwegs sind und - Gott sei Dank - auch immer mehr Menschen in unseren Zügen sind. Und da, wo wir genügend Kapazität haben, auch ausreichend Fahrzeuge und gut geplante Fahrpläne, dort sehen wir, dass die Pünktlichkeit signifikant höher ist als in den Netzabschnitten und den Bereichen, wo eben Infrastruktur knapp ist und ganz, ganz viel Verkehr stattfindet. Insofern müssen wir auf lange Sicht auf jeden Fall an dem Thema Auflösen von Kapazitätsengpässen arbeiten. Das geht nicht von heute auf morgen. Aber es gibt eine große Bereitschaft auch in der Politik, das Thema Kapazität in den Mittelpunkt zu rücken, weil es nicht nur auf Wachstum einzahlt, sondern eben auch auf Betriebsqualität und Pünktlichkeit.
    "Ohne Aufgeregtheit die notwendigen Dinge tun"
    Kindermann: Sie hören das Interview der Woche mit dem Vorstandvorsitzenden der Deutschen Bahn, Richard Lutz. Und Sie sprechen die Politik an. Herr Lutz: in den letzten Tagen ist die Bahn aus den Schlagzeilen ja gar nicht mehr herausgekommen. Man hatte fast Mühe zu folgen. Die Züge sind noch unpünktlicher geworden. Das haben wir gerade eben besprochen. Die Fahrpreise steigen aber trotzdem. Und zuletzt haben Sie jetzt noch einen Brandbrief an Ihre Führungskräfte geschrieben. Vielleicht wollen wir das mal etwas ordnen. Zunächst einmal: was die Bahnfahrer vielleicht nicht verstehen, die - gefühlt - jeden Tag in immer volleren Zügen stehen: dass Sie als Deutsche Bahn im Gegenzug immer weniger Gewinn machen. Das ist ja im normalen Leben anders.
    Lutz: Ja, das ist richtig. Und es liegt - Gott sei Dank - eben auch nicht daran, dass wir uns am Markt – und insbesondere im Fernverkehr – sehr freuen, dass viele Kunden davon überzeugt sind, dass wir gute Produkte haben und mit uns fahren wollen. Unsere Probleme und Defizite, die wir eben auch benannt haben, liegen sicherlich an anderer Stelle. Wir haben im Schienengüterverkehr mit Markt und Wettbewerb zu kämpfen. Wir haben auch mit bestimmten Ausgabenentwicklungen zu kämpfen. Und, wenn ich das sagen darf, bei allem Verständnis für die öffentliche Aufmerksamkeit, die das, was wir da letzte Woche im Vorstand entschieden haben und auch mit dem Brief an unsere Führungskräfte dann auch kommuniziert haben, würde ich sehr dafür werben wollen, dass wir das ein Stück weit sozusagen auch einsortieren. Es gibt da nichts zu beschönigen, aber es gibt auch nichts zu dramatisieren. Das, was wir da gemacht und beschlossen haben, ist für Unternehmen in einer vergleichbaren Situation ein durchaus gewöhnlicher Vorgang, dass man dann, wenn Ausgaben aus dem Ruder laufen, auf Kosten, Disziplin und Sparsamkeit achtet und dann auch intern in der Führungsmannschaft und auch bei allen Mitarbeitern dafür wirbt, dass wir jetzt zusammenstehen müssen und eben auch die notwendigen Entscheidungen treffen muss und mit aller Ruhe und aller Gelassenheit und ohne Aufgeregtheit die notwendigen Dinge machen muss. Wir werden das mit Ruhe machen, aber mit auch der nötigen Konsequenz und Disziplin.
    Kindermann: Bei der Vorlage der Bilanz im März haben Sie noch einen leicht höheren Gewinn in Aussicht gestellt.
    Lutz: Ja.
    Notwendige Ressourcen fehlen
    Kindermann: Was ist dazwischen passiert?
    Lutz: Na, wir kämpfen insbesondere – um es mal konkret zu machen – im Schienengüterverkehr damit, dass wir das, was wir uns für dieses Jahr vorgenommen haben, nämlich diese Trendwende im Umsatz und damit eben auch im Ergebnis zu schaffen, dass das noch – jedenfalls im Moment – nicht in Sicht ist. Es liegt auch daran, dass wir noch nicht die notwendigen Ressourcen von Lokführern, über Rangierer und viele andere kritische Funktionen an Board haben. Wir rekrutieren was das Zeug hält. Da wird auch nicht gespart. Da wird weiter offensiv auch geworben. Aber wir müssen anerkennen, dass wir in der aktuellen Situation, wie viele andere Industrien auch, auf der Kapazitätsseite nicht die Ressourcen haben, um das Wachstum abzufahren.
    Kindermann: Sie haben eine sogenannte qualifizierte Ausgabensteuerung beschlossen. Das haben Sie in diesem Brandbrief mitgeteilt. Also ein Ausgabenstopp. Wie sieht der genau aus? Ab welcher Grenze gilt der denn?
    Lutz: Also, so, wie der Name schon sagt: Wir haben keinen Ausgabenstopp verhängt, sondern eine qualifizierte Ausgabensteuerung. Das heißt ganz konkret, dass wir natürlich alle Ausgaben des laufenden Betriebs und auch alles, was wir im Sinne von Kunde und Qualität und Pünktlichkeit, auch an zusätzlichem Geld freigegeben haben, dass das natürlich unvermindert weiterläuft. Es läuft auch weiter unsere Rekrutierungsoffensive. Wir wollen dieses Jahr 19.000 Mitarbeiter für uns gewinnen. Auch da gibt es überhaupt keine Veranlassung zu bremsen. Und wir wollen eben gerade nicht unsere langfristige Kunden- und Qualitätsoffensive wegen kurzfristiger Ergebnisse und Ausgabensteuerungen ausbremsen. Das ist nicht der Punkt.
    Kindermann: Wo wird denn dann gespart?
    Lutz: Es wird ganz klassisch in Dingen gespart, die eben ein Stück weit weg sind vom laufenden Betrieb. Im sonstigen Aufwand, auch in den Verwaltungsbereichen gibt es guten Grund und alle Veranlassung, mit Sparsamkeit und Kostendisziplin auf unser Aufgabenverhalten zu gucken. Deshalb braucht auch niemand besorgt sein. Der Kunde und auch das Thema Qualität und auch das Thema Rekrutierung werden von dieser Ausgabensteuerung nicht betroffen sein.
    Keine Sorge "dass wir an der falschen Stelle sparen"
    Kindermann: Besorgt ist aber jetzt doch der Konzernbetriebsrat, der sagt: dieser Ausgabenstopp das sei eine Bankrotterklärung.
    Lutz: Ich werbe da sehr für Maß und Mitte und auch ein bisschen weniger Aufgeregtheit. Ich sage es noch mal: In einer vergleichbaren Situation sind auch andere Unternehmen und die reden über vergleichbare Maßnahmen, nämlich auch Ausgabensteuerung, mit einer relativen Gelassenheit. Und ich glaube, wie gesagt, bei aller Visibilität, die ein Unternehmen jedenfalls wie die Deutsche Bahn nach draußen hat, sollte man die Dinge unaufgeregt – jedenfalls intern im Unternehmen – mit der nötigen Ruhe und Gelassenheit, aber auch der notwendigen Konsequenz und Disziplin betrachten. Da muss auch keiner im Unternehmen Sorge haben, dass wir jetzt an den falschen Stellen sparen.
    Kindermann: Wobei der Betriebsrat sagt, sie lehnen diesen Ausgabenstopp ab. Wie gehen Sie damit um? Wie nehmen Sie die Mitarbeiter mit?
    Lutz: Ich war im Konzernbetriebsrat. Wir haben da natürlich die Maßnahmen und was wir vorhaben und auch, was wir nicht vorhaben, besprochen. Und ich glaube, wir tun alle gut daran, dass wir in einer Situation, wo wir eben auch im Ergebnis ein Stück weit rutschen und eben keine dritte Gewinnwarnung – Sie hatten das ja angesprochen – nach den ersten beiden hinterherschicken wollen, dann auch die notwendigen Entscheidungen treffen und die auch mit Ruhe und Gelassenheit und Konsequenz umsetzen und alle gemeinsam, auch gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretungen und den Betriebsräten aufpassen, dass wir nicht an den falschen Stellen sparen. Und ich glaube, wir kennen uns gut genug, auch die Arbeitnehmervertreter und die Betriebsräte, dass wir diesen Kurs gemeinsam so fahren, dass nichts passiert, was wir alle gemeinsam ja auch nicht wollen.
    "In der jetzigen Situation die richtigen Entscheidungen treffen"
    Kindermann: Kritisiert wird insbesondere, dass Sie in diesem Brandbrief keine Lösungen anbieten, sondern sozusagen nur das Problem darstellen.
    Lutz: Dieser Brief ist relativ ausführlich. Er ist ja auch mittlerweile sowohl intern als auch extern öffentlich. Ich glaube, dass es richtig war, nicht nur zu sagen, dass wir eine Ausgabensteuerung qualifizierter Art machen, sondern eben auch Kontext schaffen, auch noch mal erklären, warum wir das eigentlich machen und auch nach vorne betrachtet sagen, wo wir insgesamt hinwollen. Insofern sehe ich nicht, dass dieser Brief nicht nach vorne guckt und Lösungen zeigt. Aber wir müssen eben hier und jetzt mit dieser aktuellen Situation, mit auch dieser von der Ergebnisseite durchaus schwierigen Situation umgehen. Und ich drehe es mal um. Ich glaube, wenn wir als Konzern und auch als Konzernvorstand nicht handeln würden und nicht die notwendigen und nötigen Entscheidungen treffen würden, gäbe es vielleicht auch – vielleicht nicht jetzt, aber spätestens am Jahresende, wenn wir im Ergebnis dann sehen, dass wir weitergerutscht sind und das, was wir nicht nur unserem Aufsichtsrat und Eigentümer, sondern auch in der Pressekonferenz der Öffentlichkeit versprochen haben, nicht geliefert haben -, dann gäbe es, glaube ich, relativ viel Kritik: Warum haben die Führungskräfte und der Vorstand es so lange laufen lassen? Ich glaube, es ist gut und richtig in der jetzigen Situation, auch die nötigen Entscheidungen zu treffen und die in aller Ruhe und Gelassenheit auch umzusetzen und zu begleiten.
    Kindermann: Wenn Sie sagen, das Ergebnis könnte noch weiter runtergehen, können Sie ausschließen, dass es eine dritte Gewinnwarnung geben wird von Ihnen?
    Lutz: Also, wir werden jetzt alles Notwendige tun, dass wir das Ergebnis stabilisieren, denn noch mal: Jeder Euro, den wir im Ergebnis nicht haben, ist auch ein Euro, den wir nicht haben, um zu investieren, um in Zukunft dann eben auch die Dinge zu machen, die wichtig sind. Insofern sollte man auch Gewinn und Ergebnis nicht stigmatisieren. Jeder Euro, den eine Firma erwirtschaftet, ist ein Euro, den man in Zukunft in Investitionen, in Wachstum investieren kann.
    Kindermann: Kann es sein, dass dieser Brandbrief – ich bleibe noch mal bei dem Wort –, kann es sein, dass der mehr an die Politik gerichtet ist, eine Art Hilferuf an die Politik?
    Lutz: Ich habe das in den öffentlichen Kommentaren so gelesen. Es war nicht unsere Intention und wer den Brief kennt, weiß auch, dass er nicht nach draußen gerichtet war, sondern nach drinnen gerichtet im Sinne von: Wir haben eine schwierige Situation. Wir sitzen alle in einem Boot. Wir haben alles das gleiche Problem und wir rücken jetzt enger zusammen und gucken, dass wir mit dieser schwierigen Situation vernünftig umgehen und die notwendigen Entscheidungen treffen und das gemeinsam auch zu einem guten Ende führen. Da ist keinerlei Hilferuf an die Politik. Die Themen, die wir da haben, sind unsere Themen, ist unser Job, unsere Verantwortung. Dieser Verantwortung müssen wir uns auch stellen. Und Politik darf erwarten und muss auch erwarten, dass wir uns um unsere Hausaufgaben kümmern und die Dinge machen, die gemacht werden müssen aus einer unternehmerischen Verantwortung heraus.
    "Wir wissen, dass wir eine leistungsfähige Schiene brauchen"
    Kindermann: In der Finanzplanung des Bundes sind bis 2020 für Erhalt der Bahninfrastruktur und Modernisierungen immer gleiche Beträge vorgesehen. 5,6 Milliarden in diesem Jahr, ähnlich weitere. Wie können Sie Finanzminister Olaf Scholz überzeugen, dass Sie noch mehr brauchen?
    Lutz: Also, jedenfalls nicht über Radiointerviews, wenn ich das mal so sagen darf.
    Kindermann: Hier wäre die Gelegenheit.
    Lutz: Es gibt – um das vielleicht auch noch mal deutlich zu sagen –, es gibt zwischen Politik einerseits und Unternehmensführung andererseits eine große Geschlossenheit, dass wir mehr Geld in das gesamte System stecken müssen. Wir wissen alle, dass wir eine leistungsfähige Schiene brauchen, um in der Perspektive auch bis 2030 – Stichwort Koalitionsvertrag – signifikante Beiträge zu Klima und Umweltschutz zu leisten. Dafür braucht es die Schiene. Und, wenn diese Überschrift richtig ist, dann heißt das eben auch, dass wir die Attraktivität der Produkte, aber auch die notwendige Kapazität, um dieses Wachstum dann auch wirklich auf die Schiene zu verlagern, bereitstellen müssen. Da hat der Bund ein Stück weit eine Verantwortung, insbesondere auf der Seite der Infrastruktur, aber wir haben auch eine Verantwortung, insbesondere, wenn es um das Thema Fahrzeuge geht, um das Thema Personal geht. Und wir werden – das ist ja das Schöne daran, dieser große Zuspruch, den wir von unseren Fahrgästen – gerade im Fernverkehr – haben -, wird eben auch dazu führen, dass wir zusätzlich in Fahrzeuge investieren, um dieser Nachfrage gerecht zu werden. Das ist ja ein Luxusproblem, wenn ich das mal so sagen darf. Und das ist gut so, ist schön so und wir wollen alle zusammen wachsen. Wir wollen investieren und wir wollen angreifen.
    Kindermann: Sie sind jetzt bei der Verschuldung schon fast bei der magischen Grenze von 20 Milliarden Euro. Werden Sie die noch reißen?
    Lutz: Also, die Ausgabensteuerung, diese qualifizierte, die wir da vereinbart haben, dient natürlich auch dazu, denn jeder Euro, der im Ergebnis da ist oder nicht da ist, ist natürlich auch in der Verschuldung da oder nicht da. Es geht auch darum, das Thema finanzielle Stabilität im Griff zu behalten. Und wir sind eine gute Adresse am Kapitalmarkt. Wir haben ein sehr, sehr gutes Rating.
    Kindermann: Noch. Das könnte ja auch etwas weniger werden – bei höherer Verschuldung.
    Lutz: Ist im Moment nicht zu sehen. Aber auch Ratingagenturen und übrigens auch die Öffentlichkeit hat natürlich auch die Erwartung an eine unternehmerische Führung eines solchen Konzerns, der sehr kapitalintensiv ist, dass dieses Thema finanzielle Stabilität im Blick bleibt und wir eben auch eine verlässliche Adresse für unsere Investoren am Anleihemarkt bleiben. Und dazu stehen wir auch und das ist auch eine wichtige Verantwortung, die wir haben.
    Preissteigerungen "nicht größer als die 1,3 Prozent"
    Kindermann: Sie hören das Interview der Woche mit dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn, Richard Lutz. Herr Lutz, Sie haben schon Preiserhöhungen angekündigt im Fernverkehr, und zwar unterhalb der Inflationsrate. Das ist etwas allgemein. Vielleicht geht es noch etwas genauer? Sie lagen im letzten Jahr bei 0,9 Prozent, 2016 bei 1,3 Prozent. Wo werden wir dann bei den Preissteigerungen liegen?
    Lutz: Ja, wir werden es in den nächsten Wochen – und da bitte ich ein Stück weit um Verständnis – ganz konkret der Öffentlichkeit vorstellen, was wir an Preismaßnahmen haben. Aber man kann jetzt schon sagen, dass wir in etwa in dieser Größenordnung der letzten Jahre auch bleiben und damit signifikant unterhalb der Inflationsrate, weil wir eben auch das Wachstum und die Nachfrage nach unseren Produkten und unseren Fernverkehrszügen stimulieren wollen und sehr froh sind, dass die Kunden das auch tatsächlich annehmen und mit uns gemeinsam wachsen.
    Kindermann: Also, es wird in einem Korridor über 1 Prozent, aber nicht über 1,5 Prozent sein?
    Lutz: Ja, in diesem Korridor, den Sie genannt haben, irgendwo um das eine Prozentpünktchen, mit Sicherheit nicht größer als die 1,3 Prozent, die Sie da genannt haben, werden wir auskommen. Ich glaube, das ist ein guter Beitrag für das, was wir eben an Wachstum auch wollen. Und wir gehen davon aus, dass das vom Kunden auch akzeptiert werden kann.
    Kindermann: Jetzt muss ich noch nach dem Super-Sparpreis fragen – 19,90 Euro. Soll der dauerhaft so bleiben? Finden ja viele Leute gut.
    Lutz: Ja, wir auch. Der Super-Sparpreis von 19,90 Euro – haben wir ganz bewusst ja auch als Reflex und Reaktion auf den Wettbewerb des Fernbusses durch die Liberalisierung damals in 2013 ins Preisgefüge mitreingenommen.
    Super-Sparpreis hat Bestand
    Kindermann: Aber der Wettbewerb ist doch jetzt gar nicht mehr so heftig. Warum dann dieser Super-Sparpreis dauerhaft?
    Lutz: Na, der Fernbus hat sich als Markt-Player etabliert. Das ist auch, glaube ich, völlig in Ordnung so. Es ist in der Tat richtig, dass nach der Marktkonsolidierung das Netz jetzt ein bisschen kleiner geworden ist und die Preise ein bisschen gestiegen sind, übrigens viel, viel stärker als das, was wir da an Preisen gerade diskutiert haben. Ich glaube aber trotzdem, dass es gut ist, dass auch ein Produkt wie die Bahn und der Fernverkehr einen unteren Eckpreis hat für das preissensitive Publikum. Und mit diesen 19,90 Euro haben wir, glaube ich, auch einen attraktiven Eckpreis gesetzt und der wird auch fester Bestandteil in unserem Preisgefüge bleiben.
    Kindermann: Die Lokführergewerkschaft fordert kräftige Lohnerhöhungen von 7,5 Prozent. Verhandelt werden soll ab Mitte Oktober. Viele Bahnreisende haben noch eine ziemlich anstrengende Zeit in Erinnerung, als die Lokführer das letzte Mal streikten. Was sagen Sie den Bahnreisenden? Müssen wir uns gefasst machen auf neue Schwierigkeiten Richtung Weihnachten?
    Lutz: Also, wir werden das machen, was wir auch in den letzten Tarifrunden und Tarifverhandlungen gemacht haben. Wir werden uns in Ruhe auch mit unseren beiden Gewerkschaften zusammensetzen und da versuchen, nicht vor den Kulissen und in Interviews, sondern hinter den Kulissen … und im gemeinsamen Ringen um das, was wir alle wollen, nämlich wachsen, investieren und auch Beschäftigung, schaffen für ganz, ganz, ganz viele Mitarbeiter … da auch vernünftige Gespräche suchen und auch gute Kompromisse finden. Da bin ich mir sicher.
    Kindermann: Apropos "finden": Finden Sie eigentlich noch genügend Lokführer?
    Lutz: Ja, ich hatte es vorhin ja mal erwähnt. Dieses Jahr wollen wir 19.000 neue Kolleginnen und Kollegen gewinnen. Wir sind da auf sehr, sehr gutem Weg. Wir haben schon fast 15.000 Verträge unterschrieben. Es sind schon etwa 13.000 Kolleginnen/Kollegen schon an Bord. Und da gehören auch Lokführer dazu. Es ist richtig, dass wir Lokführer suchen, allerdings auch Lokführer - Gott sei Dank - finden, die mit viel Spaß in das Unternehmen kommen, weil sie eben sehen, dass es ein bunter Laden ist, wo nicht alles perfekt funktioniert, wo sie aber mithelfen können, einen wichtigen Verkehrsträger, nämlich die Schiene nach vorne zu bringen.
    Klare Strategie und klarer Plan
    Kindermann: Herr Lutz, letzte Frage. Sie sind Schachspieler, waren einer der besten Nachwuchsschachspieler Deutschlands. Es gibt ja große Schachspieler, die eher auf Verteidigung setzen, auf Absicherung, wie Anatoli Karpow oder welche, die richtig aufspielen und auch mal ein Mordsrisiko eingehen, wie der amtierende Weltmeister Magnus Carlsen. Wie würden Sie sich denn als Vorstandschef der Bahn einordnen – eher Karpow oder eher Carlsen?
    Lutz: Also, ich glaube, es ist richtig, wenn man Verantwortung für einen so großen Konzern trägt, der auch so eine wichtige Funktion in der Gesellschaft hat, dass man etwas näher bei Anatoli Karpow – den ich übrigens mal das Glück hatte kennenzulernen – ist und ein Stück weit natürlich auch links und rechts guckt, auch immer versucht, eine klare Strategie und einen klaren Plan im Kopf zu haben, auch mal vorbereitet zu sein für die eine oder andere Überraschung, auch mal damit zu leben, dass man Fehler macht und dann eben auch mal sagt, okay, jetzt müssen wir auch verteidigen und müssen wir mal kämpfen, aber trotzdem immer einen guten Blick nach vorne hat und immer auch den Glauben ans Gelingen und die Zuversicht, dass dann, wenn man aufmerksam ist und die Energie und den Fokus auf die richtigen Dinge lenkt, auch am Schluss gewinnen kann. Das treibt mich um und – das sage ich mal ganz leise – das hat die Schachspielerei mir durchaus an Einstellung mitgegeben. Man spielt nicht freiwillig auf Verlust. Und das gehört sich auch in einem Unternehmen: Blick nach vorne. Und, wenn man mal auf die Schnauze fällt, dann Krone richten, aufstehen und weiterkämpfen.
    Kindermann: Herr Lutz, vielen Dank für das Gespräch.
    Lutz: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.