Mittwoch, 15. Mai 2024

Die zweite Bahnreform
Wie Deutschlands Schiene gemeinwohlorientiert werden soll

Zum 1. Januar 2024 soll die Deutsche Bahn umgebaut werden. Das deutsche Schienennetz und die Bahnhöfe sollen von einer neuen Infrastruktur-Gesellschaft gemeinwohlorientiert betrieben. Reicht das, um den Staatskonzern endlich aus der Krise zu bringen?

15.10.2023
Eine Lok der Deutschen Bahn in Nahaufnahme.
Die Reform soll richten, was in den letzten Jahren bei der Bahn vernachlässigt wurde: Pünktlichkeit, Sauberkeit, Zuverlässigkeit. (picture alliance / pressefoto_korb / Micha Korb)
33.000 Kilometer Schiene muss die Deutsche Bahn in Deutschland instand halten. In den vergangenen Jahren wurde daran zu viel gespart, das ist Konsens unter Bahnexperten. Eine Struktur-Reform soll nun die Weichen neu stellen.

Übersicht

Die Deutsche Bahn wird umgebaut - was ist geplant?

In der Bahn gibt es bisher mehrere Infrastruktureinheiten, DB Netz, DB Station und Service, sie sollen in einer neuen Infrastruktursparte zusammengelegt werden. Und diese Sparte soll dann gemeinwohlorientiert arbeiten. So hatte es die Ampel-Regierung im Koalitionsvertrag geplant und so wird es nun umgesetzt. Der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn hat der Fusion der Konzernsparten bereits zugestimmt.
Die neue Gesellschaft wird zukünftig den Namen InfraGO tragen, wobei das GO für die Gemeinwohlorientierung des Netzes stehen soll. Denn mit der Reform ändert sich auch die grundlegende Ausrichtung: Die deutsche Bahninfrastruktur soll von 2024 an gemeinwohlorientiert betrieben werden – und nicht mehr wie zuvor profitorientiert.
Klimaschutz, Zuverlässigkeit, Kundenfreundlichkeit und Pünktlichkeit - diese Aspekte sollen bei Entscheidungen über das Schienennetz zukünftig die entscheidende Rolle spielen. Dafür sollen mögliche Gewinne aus der Infrastruktursparte über den Bund zurück ins Netz fließen; außerdem werden die öffentlichen Mittel für die Sanierung des Netzes deutlich erhöht.

Welche Ziele verfolgt der Umbau?

Mit dem strukturellen Umbau des Bahn-Konzerns sind große verkehrspolitische Ziele verknüpft: Die Bundesregierung möchte, dass die Personenkilometer, also die pro Person zurückgelegte Strecke im deutschen Schienenverkehr, bis 2030 verdoppelt werden im Vergleich zu 2019. Im Güterverkehr soll der Marktanteil von derzeit etwa 20 auf 25 Prozent wachsen. Um diese Ziele erreichen zu können, braucht es als Basis eine entsprechende Infrastruktur. Und um den Ausbau und die Pflege soll sich die neue InfraGO kümmern.
Die Gründung der InfraGO ist aus Sicht von Berthold Huber, Infrastruktur-Vorstand bei der Deutschen Bahn, allerdings nur einer der nötigen Schritte. Huber hebt ebenso den Entwurf des Bundesschienenwegeausbaugesetzes hervor, dieser sei ein „riesiger Schritt in die richtige Richtung.

Konzept für eine Generalsanierung

Man wolle erreichen, dass defekte Streckenabschnitte in einem Guss saniert werden können. Dafür haben Politik und Bahn das Konzept der sogenannten „Generalsanierung“ vor allem der Hochleistungskorridore entwickelt – also einer Modernisierung aller Komponenten der Bahninfrastruktur von Gleisen über Oberleitungen bis hin zu den Stationen selbst. Aktuell werden solche Arbeiten oft nacheinander angegangen, wodurch es auch zu mehr Sperrungen kommt.
Bis 2030 sollen 40 Strecken nach und nach für jeweils mehrere Monate vollständig gesperrt und grundlegend saniert werden. Losgehen soll es im kommenden Jahr mit der Verbindung Frankfurt – Mannheim, einer der meistbefahrenen Bahnstrecken des Landes.

Was sind die aktuellen Probleme der Bahn, wo liegen die Ursachen?

Nach der ersten Bahnreform von 1994 wurde zu viel an der Infrastruktur gespart, das ist heute Konsens unter Bahnexperten. Damals wurden die westdeutsche Bundesbahn und die ostdeutsche Reichsbahn in eine privatrechtlich organisierte Aktiengesellschaft im alleinigen Besitz des Bundes umgewandelt. Abstellgleise wurden ebenso abgebaut wie Überholweichen oder Heizungen, die die Weichen im Winter vor dem Einfrieren bewahren sollten. Zudem war im Haushalt regelmäßig viel zu wenig Geld für die Instandhaltung vorgesehen. Die Infrastruktur wurde auf Verschleiß gefahren, kam in die Jahre und ist nun immer mehr überlastet.
Es fehlte aber nicht nur an Geld. Viele nötige Maßnahmen zum Erhalt und zur Erneuerung der Infrastruktur waren früher nicht förderfähig, Baumaßnahmen wurden daher oft nicht gemeinsam, sondern nacheinander angegangen.
Bahn-Manager Berthold Huber beschreibt diesen Zusatzaufwand am Beispiel der Sanierung einer Mietwohnung, in der man erst die Wasserleitungen austauscht und dann ein Jahr später die Wände erneut aufreißt, um dann die Stromleitungen zu tauschen. So ähnlich gehe man bei Sanierungen der Schienensysteme vor und produziere vermeidbare Strecken-Sperrungen.

Kann der Umbau die Probleme lösen?

Die Gründung der gemeinwohlorientierten InfraGO war ein politischer Kompromiss der Regierungsparteien: Während sich FDP und Grüne eigentlich eine Herauslösung der Infrastruktur aus dem DB-Konzern gewünscht hätten, bestand die SPD auf einer Fusion innerhalb des Unternehmens – und setzte sich durch.
Die InfraGO sei ein wichtiger Schritt, um die Probleme anzupacken, sagt Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene. Entscheidend sei nun, welche Kennzahlen der Bund der InfraGO vorgebe. Auf welche gemeinwohlorientierten Ziele soll die Gesellschaft genau hinarbeiten? Diese Frage müsse die Bundesregierung noch beantworten.
Der Bund hat auch mit der InfraGO weiter keinen direkten Durchgriff auf die Bahn-Infrastruktur, merkt Peter Westenberger kritisch an. Er ist Geschäftsführer des Verbandes der privaten Unternehmen im Schienengüterverkehr. Der Bund müsse seinen Einfluss weiter über den Konzernvorstand ausüben, könne aber auch diesen nicht anweisen, weil das aktienrechtlich nicht möglich sei.

Gemeinnützigkeit sollte für alle Bereiche der Bahn gelten

Auch im Bündnis „Bahn für alle“ ist man skeptisch, ob eine gemeinwohlorientierte Infrastruktur-Gesellschaft einen Durchbruch bringen kann. Sprecher Carl Waßmuth begrüßt zwar den Gedanken der Gemeinnützigkeit, dieser müsse aber auf die gesamte Bahn ausgeweitet werden, um wirklich wirkungsvoll zu sein.
Ob die Reform den erhofften Erfolg hat, wird auch davon abhängen, wie Entscheidungsträger im DB-Konzern mit ihr umgehen. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete und Bahnexperte Matthias Gastel warnt deshalb: „Wer bremst, riskiert in der nächsten Legislatur eine neue Strukturdebatte, und die wird dann aber in die Richtung von Trennung laufen.

Wäre es besser, Schienen und Bahnhöfe ganz aus dem Konzern zu nehmen?

Kritiker befürchten, dass sich grundlegende Probleme nicht lösen lassen, wenn die Infrastruktursparte weiter in der Hand der Deutschen Bahn AG verbleibt: Zu lange habe der Konzern Probleme einfach ausgesessen. Auch die Monopolkommission, ein unabhängiges Gremium, das die Bundesregierung in Wettbewerbsfragen berät, sowie der Bundesrechnungshof hatten eine konsequente Abspaltung gefordert.
Auch die oppositionelle Unionsfraktion im Bundestag hatte eine komplette Herauslösung der Infrastruktur aus dem DB-Konzern gefordert. Die Union hatte für den Übergang in eine bundeseigene und damit auch weisungsgebundene Schieneninfrastruktur GmbH geworben.

SPD und Gewerkschaft gegen eine Zerschlagung

Die SPD hatte sich jedoch deutlich gegen eine Zerschlagung gestellt. Auch die einflussreiche Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG mit ihren fast 200.000 Mitgliedern hat die Herauslösung abgelehnt.
Dem EVG-Vorsitzenden Martin Burkert geht es dabei vor allem um die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. In Folge einer Zerschlagung hätte man europaweit ausschreiben lassen müssen, argumentiert Burkert, das hätte dann zulasten von Sozial- und Tarifstandards gehen können.

pto