Donnerstag, 18. April 2024

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Deutsche Korrespondenten aus Türkei ausgereist
"Türkei will Einfluss auf Berichterstattung nehmen"

22 Jahre lang arbeitete Thomas Seibert als Korrespondent in der Türkei - gestern musste er ausreisen, weil das Land seine Arbeitserlaubnis nicht verlängerte. Im Gespräch erklärt Tagesspiegel-Journalist warum.

Thomas Seibert im Gespräch mit Manfred Götzke | 11.03.2019
Der Korrespondent des Tagesspiegels während einer Pressekonferenz in Istanbul, im Studio des ZDF am 10. März 2019 vor seiner Ausreise
Thomas Seibert auf einer Pressekonferenz in Istanbul am 10. März kurz vor seiner Ausreise (AFP/Ozan Kose)
Manfred Götzke: Herr Seibert, war es für Sie eine Ausreise oder ein Rauswurf?
Thomas Seibert: Irgendwo dazwischen, es war keine ausdrückliche Ausweisung, es gab keine Ausweisungsverfügung gegen mich, aber es war faktisch ein Rauswurf, weil mir keine andere Wahl blieb. Meine Aufenthaltsgenehmigung ist an die Pressekarte gebunden - insofern ein indirekter Rauswurf.
Götzke: Sie haben 22 Jahre lang in der Türkei gelebt und als Journalist gearbeitet - nicht nur ein paar Monate oder Jahre wie andere Journalisten, die das Land verlassen mussten. Sind Sie enttäuscht, dass das jetzt passiert ist?
Seibert: Natürlich bin ich enttäuscht, ich bin traurig darüber, dass ich dieses Land verlassen musste. Allerdings bin ich vor allen Dingen Journalist. Und wenn ich in einem Land nicht mehr anständig arbeiten kann, dann muss ich halt gehen, das ist zum Teil auch Berufsrisiko.
Eskalation auf vielen Feldern
Götzke: Wie erklären Sie sich denn, dass Sie die Presseakkreditierung jetzt nicht mehr bekommen haben?
Seibert: Offiziell wurden nie Gründe genannt, weder bei mir noch bei Herrn Brase vom ZDF oder Herrn Gülbeyaz vom NDR. Ich glaube, wir haben es hier mit einem grundsätzlichen Perspektivwechsel der türkischen Politik zu tun, in der Sichtweise auf den Westen. Türkische Regierungspolitiker sind überzeugt, dass der Westen den Aufstieg der Türkei zu einer Großmacht verhindern will, und Ankara sagt jetzt, wir machen das nicht mehr mit, wir halten dagegen, wir zahlen mit gleicher Münze heim. Und deswegen sieht man jetzt fast zeitgleich Eskalation und Spannungen auf allen möglichen Feldern. Die Korrespondenten-Frage eben, die eben angesprochene Drohung gegen Türkei-Urlauber, aber auch ein sich neu anbahnender Krach zwischen der Türkei und den USA. Das geht alles auf diese Wurzel zurück.
Götzke: Aber bei Ihnen gab es nicht den einen Artikel, der kritischer war, als der von Kollegen? Es scheint ja ziemlich willkürlich zu sein…
Seibert: Es hat nichts mit der journalistischen Arbeit von uns dreien zu tun. Ich glaube, dass die Türkei hier ein Exempel statuieren wollte an Medien, die eben sehr sichtbar sind. Der Tagesspiegel als eine der größten Zeitungen in der deutschen Bundeshauptstadt. Das ZDF als eine der größten Fernsehanstalten Deutschlands. Da wollte man Einfluss nehmen auf die Berichterstattung.
"Korrespondenten werden im Schwebzustand gehalten"
Götzke: Ist das eine Nachricht an die Journalisten, die noch im Land sind: Passt auf, es kann im Grunde jeden Treffen der nicht im Sinne der Regierung berichtet?
Seibert: Natürlich werden die Kollegen in der Türkei im Schwebezustand gehalten. Es gibt eine ganze Menge von Korrespondenten - nicht nur deutsche - die seit Monaten nichts gehört haben von ihrem Antrag auf Verlängerung der Presseakkreditierung. Das ist sehr ungewöhnlich, dass so viele Leute hingehalten werden. Theoretisch also könnte es weitere Fälle geben.
Götzke: Wie erklären sie sich den aktuellen Kurs der Türkei insgesamt, erst Tauwetter jetzt wieder Konfrontation?
Seibert: Es ist dadurch erklärbar, in dem man sich die Weltsicht der handelnden Personen ansieht. Da geht es weniger um außenpolitische Strategie und Verlässlichkeit. Da geht es mehr um ein Gefühl der eigenen Stärke dem Westen gegenüber, das jetzt gezeigt werden soll. Der Wahlkampf in der Türkei, der Kommunalwahlkampf spielt natürlich auch eine Rolle, aber eher oberflächlich. Insgesamt hat man es hier mit einem grundsätzlichen Trend in der türkischen Politik zu tun, bei dem traditionelle Rücksichtnahmen, wie etwa auf Deutschland oder die USA, eine untergeordnete Rolle spielen und andere Prioritäten höher gehangen werden - wie etwa dieses türkische Selbstbewusstsein als Regionalmacht.
Ein Versuch, Einfluss zu nehmen
Götzke: Dem Tagesspiegel wurde von der türkischen Botschaft angeboten, Sie gegen einen anderen Journalisten auszutauschen. Wie hat das Haus darauf reagiert?
Seibert: Es hat das mit Abscheu und Entsetzen natürlich zurückgewiesen, als Eingriff in die Pressefreiheit. Ein ähnliches Angebot ging auch ans ZDF und auch da wurde das zurückgewiesen. Es war der offene Versuch, auf die Berichterstattung Einfluss zu nehmen und das haben die beiden Häuser klar und deutlich zurückgewiesen.
Götzke: Werden sie jetzt aus Berlin weiter über die Türkei berichten?
Seibert: Ich werde auf jeden Fall weiter über die Türkei berichten, Gott sei Dank steht meine Zeitung, der Tagesspiegel, hinter mir. Wir werden in den kommenden Tagen darüber reden, wie es weiter gehen soll. Aber dass es weiter gehen wird, steht fest.