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Deutsche Stiftung Patientenschutz
Vordrängeln beim Impfen muss „wenigstens eine Ordnungswidrigkeit sein“

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sehe dem Treiben von Impfvordränglern zu, kritisierte Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz im Dlf. In der Verordnung zur Impfpriorisierung sei nicht festgeschrieben, wie Verstöße geahndet werden sollten. Dabei sei ein Verstoß "keine Bagatelle".

Eugen Brysch im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz vor blauem Hintergrund bei der Bundespressekonferenz
Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, kritisierte im Dlf auch, dass es nach einem Jahr Pandemie noch immer kein festes Konzept zur digitalen Nachverfolgung gebe (imago / Metodi Popow)
Derzeit seien die Todeszahlen weit höher als noch während des ersten Lockdowns im vergangenen Frühjahr, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch im Dlf, trotzdem werde über Öffnungen diskutiert. Daran merke man, dass die Menschen offenbar abstumpften. Die hohen Todeszahlen zeigten, dass der Schutz von Hochrisikogruppen bislang nicht gelungen sei. Mit Blick auf die Altenpflegeheime seien dringend Nachbesserungen erforderlich, betonte Brysch. So müsse es etwa ein tägliches Monitoring geben, um das Infektionsgeschehen besser nachverfolgen zu können. Zudem seien mehr Tests und schnellere Impfungen erforderlich, damit auch Hochbetagte mit dem Virus leben könnten.
33D-Modell des Coronavirus SARS-CoV2
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Zudem forderte er, das Vordrängeln bei Corona-Impfungen zu sanktionieren. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) habe es versäumt, in seiner Verordnung eine klare Aussage zu Verstößen zu treffen, sagte Brysch im Deutschlandfunk. In Sachsen-Anhalt gebe es Über-80-Jährige in Pflegeheimen, die noch auf einen Impftermin warten, während ein Oberbürgermeister schon mal drankomme. "Das muss doch mindestens eine Ordnungswidrigkeit sein", forderte Brysch. Die Folge dieser Verstöße seien das Gefühl von Ungerechtigkeit und Frust in der Bevölkerung.

Lesen Sie hier das vollständige Interview.

Heckmann: Herr Brysch, der Lockdown wird verlängert. Schulen und Kitas dürfen früher öffnen, auch die Friseure. Wie bewerten Sie die Ergebnisse des gestrigen Abends?
Brysch: Die Diskussion begleitet uns ja mit dem Lockdown schon seit einem Jahr. Ich habe mal nachgeschaut. Als wir in den ersten Lockdown Ende März letzten Jahres gingen, hatten wir 47 Tote, Menschen, die mit und an Covid-19 verstorben sind.
Jetzt diskutieren wir die Öffnungen und haben aktuell heute gemeldet 666. Da merkt man, die Menschen scheinen abzustumpfen, wenn es darum geht, ein Konzept der Zukunft zu formulieren und trotzdem den Schutz in den Blick zu nehmen.

"Der Schutz der Hochrisikogruppe ist uns nicht gelungen"

Heckmann: Das heißt, Ihnen gehen diese Diskussionen um Öffnungen zu weit?
Brysch: Nein! Wir, glaube ich, müssen beides tun. Aber wir müssen auch überlegen, mit dem Virus zu leben, und da blicke ich natürlich insbesondere mit Sorge zur Hochrisikogruppe. Nach meinen Informationen war ja all das, was wir jetzt zwölf Monate tun, sinnhaft, weil wir die Hochrisikogruppe schützen wollten. Die hohen Todesraten, die nicht entscheidend heruntergehen, machen uns deutlich: Selbstbestimmung, Teilhabe, Schutz dieser Gruppe ist nicht gelungen.
Vergessen wir nicht: Im Januar diesen Jahres – das muss man sich vorstellen – haben wir eine Übersterblichkeit gehabt bei den über 80jährigen von 30 Prozent. 30 Prozent sind mehr gestorben in dieser Gruppe als in den letzten vier Jahren davor. Das macht deutlich, wie können wir Teilhabe organisieren, gelingt es uns, mit Schnelltests, mit PCR-Tests, mit Impfungen tatsächlich die Menschen zu erreichen, und wie schaffen wir es und wie ist es eigentlich gekommen, dass genau diese Menschen, die wir eigentlich retten wollten, mittlerweile unsere Krankenhäuser gar nicht mehr erreichen, was geschieht da eigentlich, dass wir hier nicht Teilhabe und medizinische Versorgung möglich machen.

"Wir haben kein festes Konzept"

Heckmann: Dabei hieß es ja seit Beginn des letzten Jahres, seit Beginn der Pandemie, wir müssen die vulnerablen Gruppen schützen, unter anderem die Pflege- und die Altersheime. Und die Bundesregierung sagt ja auch, da ist eine Menge geschehen. Die Schutzausrüstung ist mittlerweile da, Tests werden eingesetzt, die Bundeswehr hilft, die Menschen über 80, die Menschen mit Vorerkrankungen gehören zu den priorisierten Gruppen beim Impfen. Das alles reicht aus Ihrer Sicht nicht?
Beim Drive-In in der Kölner Lanxess Arena können Menschen sich per Schnelltest auf das Coronavirus testen lassen.
Leiter des Kölner Gesundheitsamtes - "Wir können uns auf keinen Fall eine höhere Inzidenz leisten"
Der Leiter des Kölner Gesundheitsamtes sieht seine Behörde in der Lage, auch bei hohen Inzidenzwerten die Nachverfolgung sicherzustellen. Er plädierte aber dafür, die Zahlen weiter zu drücken, sagte Johannes Nießen im Dlf.
Brysch: Wir haben kein festes Konzept, quasi ein Versprechen, beispielsweise endlich eine digitale Nachverfolgung zu organisieren, wie das in diesem Jahrhundert zu erwarten ist.
Schauen Sie sich den Beschluss an. Da ist man jetzt soweit zu überlegen, ob man die Vernetzung zwischen den entscheidenden Systemen – das eine SORMAS, das andere DEMIS – bis Ende Februar hinbekommen soll. Wir diskutieren etwas, was wir eigentlich schon seit über einem Jahr brauchen, und wir diskutieren es deshalb, Nachverfolgung ist nämlich wichtig, um mit dem Virus zu leben.
Ebenso – das sehen wir auch konsequenterweise, so erleben wir das jedenfalls – kein Monitoring dort in der Gruppe, wo eigentlich wir genau hinschauen müssen, nicht so sehr auf die Krankenhäuser. Nein! Wir müssen ja versuchen, ein Monitoring gerade in den Altenpflegeheimen zu organisieren. Wer ist infiziert? Sind es Pflegebedürftige, sind es Mitarbeiter? Kommen diese in die Krankenhäuser? Wie werden die versorgt? Sterben die in den Einrichtungen? – Wenn ich heute danach frage, bin ich genauso weit wie im März letzten Jahres.
Diese tägliche Information, dieses Monitoring nachzusteuern, welche Konzepte brauchen wir, tägliche Tests, zweimal in der Woche PCR-Tests, zusätzlich Trennung von Infizieren und Nichtinfizierten, freie Betten in den Pflegeheimen finanziert, das sind alles Stichwörter. Die diskutieren wir überhaupt nicht an und überlegen nicht, wie können wir mit dem Virus leben. Denn eins ist doch klar: Selbst eine Impfung – das muss doch jetzt dem Letzten klar sein -, selbst eine Impfung wird uns nicht in die Immunität bringen und sie wird uns auf alle Fälle nicht davor schützen, dass ein Geimpfter einen anderen anstecken kann. Das erleben wir ja zurzeit in den Pflegeheimen in Niedersachsen, in Schleswig-Holstein.
All das macht deutlich, wir werden damit leben müssen, aber eine Impfung – und darum geht es, Herr Heckmann – ist wichtig, weil das ist auch eine entscheidende Maßnahme, dass Menschen mit diesem Virus auch als Hochbetagte leben können.

"Warum hat der Gesundheitsminister nicht auch Verstöße unter Strafe gestellt?"

Heckmann: Die Impfung ist wichtig, sagen Sie. Der Impfstoff ist äußerst knapp in Europa, auch in Deutschland weiterhin. Deswegen ja die Priorisierung nach dem Motto, Alte und Verwundbare zuerst.
Jetzt, Herr Brysch, häufen sich die Meldungen, dass es einige nicht abwarten können und sich vordrängeln. Da gibt es Kommunalpolitiker, Verwaltungsangestellte in Krankenhäusern, bei der Feuerwehr, aber auch Angehörige von Ärztinnen und Ärzten. Was halten Sie von diesen Leuten?
Brysch: Es geht nicht so sehr um die Frage nur der moralischen Diskussion. Ich frage mich, warum hat der Gesetzgeber, in dem Fall warum hat der Normengeber – und das ist der Bundesgesundheitsminister – nicht auch Verstöße unter Strafe gestellt. Da findet sich nämlich gar nichts. Am Montag dieser Woche hat er das sogar noch mit schönen sibyllinischen Formulierungen eröffnet.
Zwei behandschuhte Finger halten eine kleine Ampulle mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer in der Luft
Die Wirksamkeit der verschiedenen Impfstoffe
Weltweit läuft der Kampf gegen das Coronavirus mit mehreren Impfstoffen. Nun gibt es Fälle von Menschen, die sich trotz Impfung mit einer neuen Variante des Virus angesteckt haben. Was bewirken also die Corona-Impfungen?
Aber es geht doch um die Frage, was ist bei einem unberechtigten Beziehen eines Impfstoffes. Da hat man zwei Gruppen im Blick: Diejenigen, die das in Anspruch nehmen, ist da Betrug im Spiel, Vorteilsnahme, Urkundenfälschung. All das muss ja geprüft werden und ganz viele Staatsanwälte rufen mich an und sagen, Herr Brysch, das Instrument dafür reicht gar nicht aus, dem hinterherzukommen, weil es gibt immer Schlupfklauseln, und einen Betrug nachzuweisen, das ist ein außerordentlich schwieriges Unterfangen.
Da fragt man sich: Wenn es darum geht, dass es eine gerechte Lösung geben soll, warum hat dann der Bundesgesundheitsminister in seiner Norm, nämlich der Priorisierung der Impfung, nicht klar festgeschrieben, was geschieht mit demjenigen, der sich nicht daran hält.
Auf der anderen Seite haben wir bei Impfteams und natürlich insbesondere auch in den Impfzentren Rückmeldungen, die sind unglaublich, unvorstellbar, und es wird immer wieder gesagt, wir schmeißen doch auch kein Brot weg. Dabei ist es zunächst erst mal eine organisatorische Verantwortung.

"Über 80-Jährige in Pflegeeinrichtungen haben immer noch keinen Impftermin"

Heckmann: Ich wollte gerade sagen. Die Begründung ist oft, der Impfstoff war übrig und es sei unethisch, den wegzuschmeißen.
Brysch: Das kennen Sie doch immer. Das ist dann immer, wenn man unfähig ist, Dinge zu organisieren, mit Wartelisten, die noch nebenbei geführt werden mit einem Pool-System, mit auch der Chance, dass man über Tage versucht, ein Atmen dieses Systems der Impfung mit aufzubauen. All das, wenn man dieses Unvermögen akzeptieren, dann kommt das zustande.
Aber wir geben doch Milliarden Euro aus, um ein intelligentes Impfsystem zu organisieren, und das jetzt besonders in unseren Impfzentren, aber ich kann Ihnen sagen, in Sachsen-Anhalt warten in den Pflegeeinrichtungen Menschen über 80 Jahre, die geimpft werden sollen, und haben immer noch keinen Impftermin. Zwischendurch gibt es dann schon mal einen Oberbürgermeister, einen Bischof oder auch andere, die wissen, wie man dran kommt, und das muss doch wenigstens eine Ordnungswidrigkeit sein. Das ist doch keine Bagatelle. Fragen Sie mal den Bundesgesundheitsminister, was er da vorhat. Er sieht diesem Treiben zu und die Ungerechtigkeit kommt bei der Bevölkerung an. Frust macht sich breit und das ist doch keine Lösung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.