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Deutschlands Rolle in Namibia
Impfen zur Versöhnung?

Momentan sterben in Namibia an oder mit dem Corona-Virus wichtige Ansprechpartner für Deutschland rund um das Versöhnungsabkommen. Das Deutsche Reich beging dort als Kolonialmacht Völkermord. Jetzt brauche es Verantwortung für die Gegenwart – durch Hilfe mit Impfstoff und Sauerstoff, kommentiert Christiane Habermalz.

Ein Kommentar von Christiane Habermalz |
Die Gesundheitsminsterin von Namibia sitzt in einem gelben Kleid auf einem Stuhl und wird von einem Arzt geimpft
Die namibische Gesundheitsministerin Esther Utjiua Muinjangue wurde bereits geimpft (imago-images.de/ Xinhua)
Wie wichtig es ist, in der Erinnerungspolitik den Blick nicht nur in die Vergangenheit zu richten, sondern auch in die Gegenwart, hat die jüngst eröffnete Ausstellung im Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung gezeigt.
Zweiter Weltkrieg / Kriegsende und Nachkriegszeit 1945: Flüchtlinge an einem Güterzug
Neues Dokumentationszentrum über Vertreibung
Lange wurde über Idee und Umsetzung gestritten, nun hat das Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung in Berlin eröffnet. Es zeigt das Schicksal deutscher Vertriebener eingebettet in historische Kontexte.

Die Vertriebenengeschichte der Deutschen und des Zweiten Weltkriegs kann nicht erzählt werden, ohne das Leid der jetzigen Flüchtlingsströme mit einzubeziehen.
Jetzt droht dem Aussöhnungsprozess mit Namibia das gleiche Dilemma. Das Abkommen könnte eine historische Zäsur werden für die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte. Doch der Prozess könnte scheitern. Mitten in der ohnehin schon schwierigen, innernamibischen Debatte um die Akzeptanz des Abkommens bedroht jetzt auch noch eine schwere Corona-Welle den Aussöhnungsprozess.
Denkmal zur Erinnerung an den von deutschen Kolonialtruppen begangenen Völkermord an den Herero und Nama (etwa 1904-1907) im Zentrum der namibischen Hauptstadt Windhoek. Die Inschrift laut übersetzt etwa: „Ihr Blut nährt unsere Freiheit“.
Das Versöhnungsabkommen mit Namibia
Mehr als 100 Jahre nach den Verbrechen der deutschen Kolonialmacht im heutigen Namibia erkennt die Bundesregierung die Gräueltaten an den Herero und Nama als Völkermord an. Das historische Abkommen wird allerdings auch kritisch bewertet. Ein Überblick.
Die Pandemie nimmt in Namibia katastrophale Ausmaße an. Die Infektionsraten sind mit die höchsten in Afrika, das Gesundheitssystem ist hoffnungslos überlastet. Für die Bevölkerung steht kaum Impfstoff zur Verfügung.

Noch kein Impfstoff aus Deutschland da

Die wenigen Impfdosen, die nach Namibia geliefert wurden, stammen aus Indien und China. Europa – und auch Deutschland – macht sich bislang einen schlanken Fuß. Die Herero- und Nama-Communitys sind stark betroffen. Die wichtigen Abstimmungsprozesse der Verhandlungsergebnisse mit den Communitys auf dem Land können wegen der Pandemie nicht stattfinden.

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Gerade die Ältesten, als Träger und Vermittler von Traditionen und Geschichte von großer Bedeutung, sterben. Gestern ist der Verhandlungsführer der namibischen Regierung, Zed Ngavirue, an Covid-19 gestorben – ein immenser Verlust, denn er war nicht nur eine integre und hochangesehene Herero-Persönlichkeit, sondern auch einer der wichtigsten Fürsprecher für die Aussöhnung mit Deutschland.

Verhandlungsführer stirbt an Covid-19

Vor einer Woche erlagen mit dem Paramount-Chief der Herero, Vekuii Rukoro, und Gaob Eduard Afrikaner von der Nama Traditional Leaders Association auch zwei der schärfsten Kritiker des Abkommens der Krankheit.
Während man sich in der Bundesrepublik längst anderen Themen der Tagespolitik zugewendet hat, sterben ihr in Namibia die Protagonisten für die Aussöhnung weg. Auch im Kulturbereich sind zahlreiche wichtige Akteure aus namibischen Museen und Archiven schwer an Corona erkrankt. Als zentrale Ansprechpartner für die deutschen Museen spielen sie eine Schlüsselrolle für die Fragen von wissenschaftlicher Kooperation und Restitution.
Das Foto zeigt einen Helfer mit AstraZeneca-Impfstoff für die COVAX-Initiative am Ivato International Airport in Antananarivo, Madagaskar.
Erfolge und Probleme der weltweiten Impfstoffverteilung
Viele ärmere Länder warten bis heute auf die begehrten Corona-Impfstoffe. Die Covax-Initiative sollte für eine gerechtere Verteilung sorgen - doch eine weltweite Teilhabe ist noch weit entfernt. Ein Überblick.

Auch Sauerstoffgeräte nötig

Wenn es Deutschland ernst ist mit der vielzitierten historisch-politischen Verantwortung, die aus dem Völkermord erwächst, dann muss es jetzt schnell handeln: Durch die Lieferung von Impfstoff und Sauerstoffgeräten nach Namibia und die rasche Bereitstellung von medizinischer Hilfe.
Damit würde es auch im eigenen Interesse agieren. Denn dass so viele Herero und Nama der Aussöhnung mit Deutschland so skeptisch gegenüberstehen, hat auch mit einem lange gewachsenen Misstrauen zu tun, dass Deutschland es wieder nicht ehrlich meinen könnte mit der Versöhnung. Jetzt haben wir die Chance, das Gegenteil zu beweisen.
Aufarbeitung von historischem Unrecht bedeutet nicht nur, die Wunden der Vergangenheit zu heilen, sondern auch, Zeichen in der Gegenwart zu setzen. Erinnern, schreibt die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann, ist Arbeit an der Zukunft. Wir sollten das endlich ernst nehmen – bevor es zu spät ist.
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Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)