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DFB-Trainerausbildung
Mensch statt Laptop

Impulse aus der neu gegründeten DFB-Akademie, ein intensiver Austausch mit den Bundesligavereinen und der Blick auf andere Nationen sollen dazu beitragen, das Niveau der Trainerarbeit in Deutschland anzuheben. Bei den Profis, den Toptalenten und in den Verbänden.

Von Daniel Theweleit | 29.09.2019
Fußballlehrer Marco Rose leitet das Training bei Borussia Mönchengladbach
Fußballlehrer Marco Rose leitet das Training bei Borussia Mönchengladbach (Revierfoto/dpa/picture alliance)
Die Krise des deutschen Fußballs hat viele Facetten. Seit mehr als sechs Jahren stand kein Bundesligaverein mehr in einem Europapokalfinale, das frühe Aus bei der Weltmeisterschaft 2018 und die folgenden Niederlagen in der Nations League waren ein weiteres Symptom. Und in vielen Klubs wird geklagt, dass immer weniger deutsche Talente mit Potenzial für die ganz großen Erfolge in den Nachwuchsleistungszentren auftauchen.
Es wird nach Ursachen geforscht, über Lösungen nachgedacht, aber an einer Stelle im System hat bereits eine kleine Revolution stattgefunden. Fast unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit wurde eine grundlegende Umstrukturierung der Trainerausbildung vorgenommen, erzählt Tobias Haupt, der Leiter der neu geschaffenen Akademie des Deutschen Fußball-Bundes:
"Wir leben in einer sehr digitalen Welt, die sich in einer noch nie da gewesenen Geschwindigkeit weiter entwickelt, verändert. Der gesamte Fußball ist globaler geworden und das Anforderungsprofil an die Trainer hat sich eben in den letzten drei bis fünf Jahren massiv verändert, ist sehr komplex geworden. Und wir haben die letzten elf Jahre im Fußball-Lehrer-Lehrgang relativ wenige inhaltliche Änderungen vorgenommen. Dann war es für uns eine logische Konsequenz zu sagen: Wir müssen den Fußball-Lehrer auf unterschiedlichen Ebenen reformieren."
Tobias Haupt, Leiter der DFB-Akademie
Tobias Haupt, Leiter der DFB-Akademie (imago images / Beautiful Sports)
In den Monaten nach dem WM-Schock 2018 wurde alles hinterfragt. Der langjährige Lehrgangsleiter Frank Wormuth hatte den Deutschen Fußball-Bund schon vor dem Vorrunden-Aus verlassen. Sein Nachfolger Daniel Niedzkowski beließ in seinem ersten Jahr noch vieles beim Alten, aber gemeinsam mit der sportlichen Leitung des DFB initiierte er einen intensiven Austausch mit den Sportdirektoren der Bundesligavereine. Um herauszufinden, was die Trainer besser können sollten. Und er betrieb ein ausgiebiges Studium der Ausbildung in anderen Nationen. Besonders der Blick nach England hat die DFB-Leute beeindruckt, erzählt Niedzkowski.
"In England passiert ja einiges zur Zeit, die haben wahnsinnig viele Talente hervorgebracht, die nicht mit der Trainerausbildung an sich zu tun haben, aber mit dem Gesamtsystem. In England ist es so, dass ein sehr, sehr großer Fokus darauf gelegt wird, Trainer in ihrer alltäglichen Situation auszubilden, wirklich zu sagen: 'Hey, am besten können wir die doch da entwickeln, wo sie tatsächlich arbeiten, also mit ihrer eigenen Mannschaft in ihrem eigenen Umfeld.' Und da sind die Engländer mit sehr viel Geld eingestiegen, haben ein Netzwerk an Ausbildern national aufgebaut, die tief in die Vereine wirken."
DFB-Chefausbilder Daniel Niedzkowski
DFB-Chefausbilder Daniel Niedzkowski (Revierfoto/dpa/picture-alliance)
Im laufenden Jahr absolvieren die angehenden Fußball-Lehrer auch in Deutschland einen Teil ihrer Ausbildung in den Vereinen. Sie erhalten individuell zugeschnittene Aufgabenstellungen, die auf die jeweilige Situation des eigenen Teams abgestimmt sind. Manuel Baum, der ehemalige Coach des FC Augsburg, der derzeit die deutsche U20-Nationalmannschaft trainiert, besucht die Lehrgangsteilnehmer und arbeitet mit ihnen am so genannten Lernort Verein.
25 Prozent Präsenzzeit an der Sportschule Hennef wird dadurch eingespart. Zudem sollen Spezialisierungen schon in der Ausbildung möglich werden: auf den Nachwuchsbereich, auf bestimmte Assistenztrainerpositionen oder die Arbeit in einem Verband. Und nicht zuletzt wird den Anwärtern empfohlen, unbedingt viele Erfahrungen im Amateur- und Jugendfußball zu sammeln, bevor sie sich auf die schillernde Bundesligabühne begeben, erklärt Haupt.
"Wir haben uns die Trainerentwicklungen der letzten 17 Jahre angesehen, also haben untersucht, jeden Trainer, der in letzten 17 Jahren im deutschen Profifußball seinen Einstieg hatte, wie haben die sich entwickelt? Und haben dann gesehen, es gibt einen gravierenden Unterschied zwischen denen, die über sieben bis zehn Jahre Praxiserfahrung im Amateurfußball hatten, im Vergleich zu den ehemaligen internationalen Profis, die direkt als Trainer in den Profibereich gehen. Und haben dann gesagt: Wir müssen die Ausbildung raus aus dem Hörsaal und rein in die Praxis bringen."
Das Zwischenmenschliche als der wichtigste Aspekt
Trockene Lerninhalte aus den Fächern Sportwissenschaft und Medizin können auf einem digitalen Campus erlernt werden, es gibt Feedbackgespräche in Videokonferenzen, Webseminare, und eine Plattform zum Austausch der Teilnehmer untereinander. Neue Generationen dieses Trainertypus, der einmal mit dem Begriff "Laptoptrainer" etikettiert wurde, wollen sie aber auf keinen Fall hervorbringen.
Die Ausbilder haben sich mit einem wiederkehrenden Vorwurf auseinandergesetzt: Die Absolventen des Lehrgangs seien zwar bestens vertraut mit den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, sie können virtuos durch den Datenwust der Analysten navigieren und vier mal pro Partie das System ihres Teams umstellen, zu kurz komme aber die Arbeit mit den Menschen. Technisch-taktisch werde natürlich weiterhin neuestes Wissen vermittelt, berichtet Lehrgangsleiter Niedszkowski, aber
"das was darüber hinaus wichtig wurde, war tatsächlich dieser zwischenmenschliche Aspekt: Wie führe ich ein Gespräch? Wie sind Spieler gestrickt? Wie sind Profis gestrickt? Wir müssen uns ja auch vor Augen halten: Nicht jeder Trainer, der die Lizenz bekommt, hat schon mal im Profibereich gearbeitet oder gespielt. Und diese Erkenntnis, wie funktionieren Profis, wie kann ich mit ihnen umgehen, so dass ich sie überzeuge, dass sie meinem Weg folgen, ist ein ganz, ganz wichtiger Aspekt, der wichtigste würde ich sagen."
"Führungsthemen und ganz viel Kommunikation"
Beim DFB wurde erkannt, dass dauerhaft erfolgreiche Trainer wie Jürgen Klopp, Lucien Favre, Friedhelm Funkel oder Christian Streich in Ihren Klubs und von ihren Spielern immer auch für ihre außergewöhnliche soziale Kompetenz, für ihren Umgang mit den hoch komplexen Prozessen innerhalb ihrer Mannschaften gelobt werden. Dass diese Einsicht erst jetzt unter dem neuen Lehrgangsleiter und dem Einfluss der DFB-Akademie zu Veränderungen führt, zeigt wie langsam vieles in den vergangenen Jahren lief. Und für bereits etablierte Trainer, die ohne diesen Lernschwerpunkt ausgebildet wurden, gibt es neuerdings Fortbildungsseminare. Da gehe es
"nur noch um Führungsthemen, ganz viel Kommunikation, beispielsweise im interkulturellen Kontext: Welche Werte treten in anderen kulturellen Kontexten auf, und wie gehe ich damit um. Das ist eine Möglichkeit, sich als Trainer fortzubilden, das ist aber sicher ein Bereich, in den wir in Zukunft noch stärker reingehen."
sagt Niedzkowski. In England gibt es in vielen Klubs sogar fest angestellte Coaches, die die vielen Trainer in den Nachwuchszentren und rund um die Profimannschaften betreuen, beraten, Feedback geben. So weit ist die Bundesliga noch nicht. Aber offensichtlich wurde auf der Trainerebene Verbesserungspotenzial erkannt. Und womöglich wird hier schon relativ bald sichtbar, dass die Arbeit der DFB-Akademie, deren künftiger Sitz ja gerade erst in Frankfurt gebaut wird, tatsächlich zum sportlichen Erfolg beitragen kann.