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Investorendeal der Bundesliga
Warum die DFL-Abstimmung kontrovers gesehen wird

Hat eine Aushöhlung der 50+1-Regel erst den Investoren-Deal der Deutschen Fußball-Liga DFL besiegelt? Im Nachgang der denkbar knappsten Entscheidung für den Geldgeber-Einstieg ist eine Debatte entbrannt, die Fans und Profifußball weiter entzweien.

Von Thorsten Poppe |
Blick auf ein Hinweisschild zur DFL-Mitgliederversammlung.
Bei der DFL-Mitgliederversammlung hat eine einzige Stimme bei der geheimen Abstimmung letztendlich den Ausschlag gegeben, dass die Entscheidung zugunsten eines externen Investoren ausgefallen ist. Doch an der Rechtmäßigkeit des Abstimmungsergebnisses gibt es Zweifel. (picture alliance / dpa / Jürgen Kessler)
Mit 24 Ja-Stimmen ist am Montag (11.12.2023) die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit für den Einstieg eines externen Geldgebers bei der Deutschen Fußball Liga (DFL) exakt erreicht worden. Nur eine Stimme weniger und der Deal wäre gescheitert. Der Investoren-Deal der DFL also das knappste Ergebnis erzielt, was überhaupt möglich gewesen ist.
"Deswegen ist die Zweidrittelmehrheit mit 24 Ja-Stimmen, zwei Enthaltungen und zehn Stimmen dagegen per se erst mal eine sehr gute Grundlage, um handeln zu können", erklärte danach DFL-Geschäftsführer Marc Lenz.

Bekenntnisse anderer Klubs rücken Martin Kind in den Fokus

Die Tage darauf haben der VfL Osnabrück und der FC Augsburg bestätigt, sich bei der Abstimmung enthalten zu haben. Darüber hinaus haben sich mehrere Klubs öffentlich zu ihrer Ablehnung bekannt. Neun davon gelten offiziell als bestätigt. Der 1. FC Kaiserslautern als vermuteter zehnter Klub hat zwar nicht offiziell bestätigt, dass er gegen den Deal gestimmt hat, aber mindestens indirekt. Denn es sei ja jetzt sowieso schon überall zu lesen, wie sie abgestimmt hätten, so kommentierte das FCK-Geschäftsführer Thomas Hengen.
Deshalb rückt seit Tagen das Abstimmungsverhalten von Martin Kind bei der DFL-Mitgliederversammlung für Hannover 96 in den Fokus. Er ist Geschäftsführer der ausgegliederten 96-Profi-Gesellschaft, die schon länger im Streit mit dem Stammverein liegt. Kind ist jedoch weisungsgebunden gegenüber dem Vorstand des eingetragenen Vereins. Und dieser hat im Vorfeld der Abstimmung klipp und klar deutlich gemacht, dass Kind eine "Nein"-Stimme abgeben müsse.
Martin Kind, Geschäftsführer der ausgegliederten Profifußball-Abteilung von Hannover 96
Martin Kind ist Geschäftsführer der ausgegliederten Profi-Abteilung von Hannover 96. Der Stammverein hat ihn angewiesen, gegen den Investorendeal der DFL zu stimmen. Nun wird gerätselt, ob er sich dieser Weisung widersetzt hat. (picture alliance / dpa / Moritz Frankenberg)
Das scheint aber nicht der Fall gewesen zu sein: "Das Problem liegt jetzt eindeutig bei der Deutschen Fußball-Liga, die die geheime Abstimmung durchgeführt hat", so Carsten Linke, ehemaliger 96-Profi und heutiger Aufsichtsrat, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.

Hat Kind die Weisung des Stammvereins missachtet?

Denn laut 50+1-Regel sei der Vorstand eben dem 96-Geschäftsführer gegenüber weisungsbefugt. Somit hätte von Kind nur ein "Nein" kommen dürfen. Ob das tatsächlich so war, ist jetzt die große Frage. Linke sieht die DFL in der Pflicht: "Sie wurde ja darüber informiert, um genau dies Szenario, was wir jetzt haben, zu verhindern. Und wenn man dann trotzdem eine geheime Abstimmung macht, um eine Stimmenmehrheit für den Deal zu bekommen, ist das aus unserer Sicht ein bösgläubiges Verhalten!"
Die DFL zeigt sich bei der Pressekonferenz nach der Abstimmung erst einmal unbeeindruckt. "In dem Fall ist Herr Kind als Geschäftsführer erst mal außenvertretungsberechtigt auf der Mitgliederversammlung der DFL. Was dann etwaige Weisungen im Innenverhältnis betrifft, sofern sie denn vorliegen, das betrifft erst mal aus unserer Sicht das Binnenverhältnis eines Klubs", so sieht es der zweite DFL-Geschäftsführer, Steffen Merkel.
Auf eine weitere Anfrage des Deutschlandfunks macht die DFL noch einmal deutlich, dass der Beschluss der Mitgliederversammlung rechtssicher gefasst sei und alles andere nur das Innenverhältnis des Klubs betreffe.

Hannover wurde vom Ligaverband letztes Jahr ermahnt

Dabei hatte der Ligaverband schon letztes Jahr Hannover 96 und deren ausgegliederte Kapitalgesellschaft, in der die Profis untergebracht sind, schriftlich ermahnt. Das Schreiben liegt dem Deutschlandfunk vor. Darin heißt es, dass sozusagen der eingetragene Verein über den Vorstand ein uneingeschränktes Weisungsrecht gegenüber dem Geschäftsführer Martin Kind besitze. Ansonsten würde die 50+1-Regel keine Anwendung finden, was zu Auflagen seitens des Ligaverbandes führen könnte.
Für Carsten Linke ist deshalb das jetzige Verhalten der DFL nicht nachvollziehbar: "Wenn man dann aber eine Weisung ausspricht, wird sie von der Deutschen Fußball-Liga nicht umgesetzt. Man missachtet also die eigene Lizenzordnung, und das sehr plakativ in dem Fall. Was uns sehr verärgert."
Die ausgegliederte 96-Profi-Gesellschaft, die Kind leitet, gibt auf Nachfrage an, dass sie sich bisher nicht zu ihrem Abstimmungsverhalten geäußert habe und dies auch nicht tun würde. Weiter heißt es wörtlich: "Es handelte sich um eine geheime Wahl. Wir beteiligen uns auch nicht an Spekulationen."
Das Problem mit der Weisung unter der 50+1-Regel ist in Hannover nicht neu. Mit der Abstimmung bei der DFL-Mitgliederversammlung hat es jetzt allerdings eine neue Dimension erreicht, weil die Entscheidung gravierende Auswirkungen auf alle Bundesligisten hat.

"Unsere Kurve" kritisiert Aushöhlung von 50+1

Das intransparente Abstimmungsverfahren sorgt für viel Ärger, vor allem bei den Fans. Die hatten schon im Vorfeld in den Kurven mobil gemacht und an den letzten Bundesliga-Spieltagen gegen einen Investoreneinstieg protestiert. Sie befürchten mit dem Einstieg eines Private-Equity-Fonds Entwicklungen, die nicht fanfreundlich sind. Wie zum Beispiel eine weitere Zersplitterung des Spieltags mit noch mehr unterschiedlichen Anstoßzeiten.
Mit der Entscheidung pro Investor sei eine der zentralen Regelungen im deutschen Fußball, die 50+1-Regel, missachtet worden – das findet Thomas Kessen von der Fanvereinigung "Unsere Kurve".

Der Präzedenzfall Hannover 96, die anhaltenden Diskussionen über das Abstimmungsverhalten von Martin Kind, womöglich, wahrscheinlich entgegen der Weisung des Vereins, zeigt, dass Aufsichtsgremien in den Vereinen letztlich mit einer geheimen Abstimmung wie dieser, ihrem Auftrag, nämlich die Geschäftsführung zu beaufsichtigen, nicht nachkommen können. Und dann ist natürlich die Frage, was macht das mit 50+1? Nach unserem Dafürhalten wird 50+1 dadurch ausgehöhlt.

Thomas Kessen, Vertreter der Fanvereinigung "Unsere Kurve"
Fest steht: Die vielleicht wichtigste Frage im deutschen Profifußball, jene zum Einstieg eines Investors bei der DFL, ist in geheimer Abstimmung – und damit auch intransparent – entschieden worden. Ob die entscheidende und letzte "Ja"-Stimme dabei von Martin Kind und Hannover 96 ordnungsgemäß abgegeben wurde, entzweit – wieder einmal – den Profifußball und seine Fans.