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"Die Amerikaner müssen sparen"

Im internationalen Währungskrieg müsse man neben China auch auf Amerika mit seinen "riesigen Staatsschulden" schauen, sagt Hans Eichel (SPD), ehemaliger Bundesfinanzminister. Gleichwohl glaubt er im Zusammenhang mit aus dem Fugen geratenen Welthandel an die Verantwortung und das Zusammenwirken der Beteiligten.

Hans Eichel im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank. Das klingt nach Stoff für Kenner und Liebhaber der Finanzpolitik und der Theorie, ist es zumindest aber in diesem Jahr nicht. Das Wort vom Währungskrieg macht die Runde. Dabei stand ursprünglich anderes auf der Tagesordnung.
    Am Telefon ist der frühere Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD). Guten Morgen!

    Hans Eichel: Guten Morgen, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Eichel, wir haben es im Bericht von Eva Bahner gehört: Teamgeist vorerst Pustekuchen. Was folgt aus dem Währungskrieg für die europäische Wirtschaft und für die gerade mühsam geretteten Arbeitsplätze in Deutschland?

    Eichel: Na ja, die Analyse war richtig, aber sie war etwas unvollständig. Alle zeigen mit dem Finger auf China, das ist nur die eine Richtung. Man muss mit dem Finger insbesondere auch auf Amerika zeigen mit seinen riesigen Staatsschulden und seiner Privatverschuldung. Das ist nämlich genau die andere Seite derselben Medaille. Wenn also der Welthandel aus dem Gleichgewicht geraten ist, dann ist er das schon seit langem, wegen des doppelten Defizits der Vereinigten Staaten genauso wie wegen des horrenden Überschusses in China. Im Übrigen: Deutschland hat den auch, nur ist der nicht so dramatisch, weil vieles davon sich in der Europäischen Union abspielt. Also ich kann mir noch nicht vorstellen, dass das wirklich aus den Fugen gerät, weil ich glaube, dass die Beteiligten am Schluss genügend Verantwortung haben werden zusammenzuwirken, so wie das während der Weltwirtschaftskrise mit den gemeinsamen Konjunkturprogrammen erfolgreich ja auch passiert ist.

    Heinemann: Also Arbeitsplätze in Deutschland vorerst nicht gefährdet?

    Eichel: Doch. Wenn das so weitergeht und wenn der Euro irgendwann oben durch die Decke schießen sollte, dann natürlich auch Arbeitsplätze in Deutschland, zuvor aber Arbeitsplätze in Südeuropa, denn den starken Euro kann die deutsche Wirtschaft besser verkraften als die italienische, die spanische oder gar die griechische. Deswegen haben auch wir kein Interesse daran, deswegen muss die Welt ein gemeinsames Interesse daran haben, abrupte Veränderungen bei den Wechselkursen zu verhindern und nach und nach eine Aufwertung der chinesischen Währung, was die Chinesen prinzipiell auch zu machen bereit sind. Man muss das nur nicht mit öffentlichem Druck organisieren, das gelingt nicht, sondern man muss es vernünftig mit den Chinesen hinter verschlossenen Türen beraten. Dann, glaube ich, gibt es dafür auch Lösungen. Und die Amerikaner - es tut mir leid - müssen sparen, werden damit aber auch als Nachfragenation für die Weltwirtschaft ein ganzes Stück weniger Bedeutung haben in der Zukunft.

    Heinemann: Herr Eichel, ein Dollar kostet im Moment 71,88 Eurocent, ein Euro umgekehrt 1,3912 Dollar. Wo ist die Schmerzgrenze für den Euro?

    Eichel: Schwer zu sagen. Wir waren ja schon bis ans 1,60, wenn wir uns daran noch mal kurz erinnern, und das war allerdings wohl für die deutsche Wirtschaft entschieden die Grenze. Die Kaufkraftparität liegt etwa bei 1,17. Da sieht man schon, jetzt ist der Euro deutlich wieder eigentlich zu hoch bewertet im Vergleich zum Dollar.

    Heinemann: Kann sich die Euro-Zone dagegen schützen?

    Eichel: Sie kann den Abwertungswettlauf natürlich mitmachen und sagen, wir tun das auch, aber das würde ich im Moment - so sind die Dinge noch nicht - nicht empfehlen, sondern ich würde dringend empfehlen, dass die Finanzminister und vor allen Dingen die Notenbank-Gouverneure, also die der Vereinigten Staaten, von China, Japan und der Euro-Zone, sich hinter verschlossenen Türen an einen Tisch setzen und versuchen, das Problem zu lösen. Ich denke, es ist lösbar, aber wir brauchen auch ein neues weltweites Wechselkurs-Regime. Man kann das nicht dem freien Spiel überlassen.

    Heinemann: Wie sollte das aussehen?

    Eichel: Das kann nur so aussehen, dass die Notenbanken und die Regierungen sich auf Kriterien verständigen, dass sie den Wechselkurs in Bandbreiten nur schwanken lassen und sonst intervenieren, aber das müssen verabredete Bandbreiten sein zwischen den großen Wirtschaftsnationen.

    Heinemann: Benötigt der IWF darüber hinaus Sanktionsmöglichkeiten, etwa gegen Staaten, die hemmungslos Schulden machen? Muss man denen nicht die Ohren langziehen können?

    Eichel: Das würde ich im Moment für eine Illusion halten, das werden sie nicht durchsetzen. Aber ich glaube, auch wenn sie die Geschichte der Finanz- und Wirtschaftskrise ansehen, so sehen sie: die Finanzkrise war eine zwischen Amerika und Europa, nicht der ganzen Welt. Deswegen waren die Chinesen und andere daran gar nicht so interessiert. Aber die Wirtschaftskrise war eine globale und dort haben auch alle gemeinsam gehandelt und es treffen sich die G20 ja in kurzem wieder in Südkorea. Das, glaube ich, schafft ein gemeinsames Grundverständnis, vor dessen Hintergrund dann auch ein gemeinsames Währungsregime der großen Wirtschaftsmächte dieser Erde möglich ist. Ich halte es für möglich, ich bin der Optimist.

    Heinemann: Herr Eichel, wieso sollte das mit den Sanktionsmöglichkeiten nicht funktionieren? In der Euro-Zone klappt es doch auch gerade.

    Eichel: Das ist ganz einfach: weil es keiner akzeptieren wird. Die Chinesen werden keine automatischen Sanktionsmöglichkeiten akzeptieren, die Amerikaner schon überhaupt nicht, und wenn die beiden ganz großen das nicht akzeptieren, dann macht das ganze schon keinen Sinn.

    Heinemann: Das hat man von den Griechen und den Italienern aber vor der Krise auch gesagt.

    Eichel: Aber die Amerikaner mit Verlaub sind keine Griechen und keine Italiener, ...

    Heinemann: Das ist richtig.

    Eichel: ... sondern sie sind die Supermacht dieser Erde. Und zu glauben, man könnte die Amerikaner sanktionieren, und zu glauben, dass das in Amerika durchsetzbar wäre - wir sind (das ist eines der großen Probleme) in Amerika im Wahlkampf und wir haben dort ein Land vor uns, das innenpolitisch so extrem polarisiert ist. Das ist eine der großen Sorgen, die man haben muss: ist Amerika überhaupt handlungsfähig. Wenn Obama die Mehrheit in beiden Häusern verliert und die Republikaner, wie sie es zurzeit tun, derart fundamentalistisch gegen alles sind, was Obama vorschlägt, dann ist Amerika nicht handlungsfähig, und das ist in der Tat eine Besorgnis erregende Perspektive für die Welt.

    Heinemann: Also Sie rechnen mit "weiter so"?

    Eichel: Nein. Ich hoffe am Schluss auf Vernunft. Sie wird aber wahrscheinlich nicht vor den amerikanischen Wahlen einkehren, weil bis dahin die amerikanische Politik nicht handlungsfähig ist. Danach kann ich nur hoffen, dass die Einsicht sich durchsetzt und dass die Republikaner nicht, wie sie das gegenwärtig tun, eigentlich rein fundamentalistisch nein sagen zu allem und dass in Amerika - das ist die größte Gefahr - sich eine Welle des Protektionismus durchsetzt.

    Heinemann: Rechnen Sie damit?

    Eichel: Ich halte es nicht für ausgeschlossen, aber ich hoffe noch immer, dass man sieht - das war ja richtig in Ihrem Beitrag vorhin -, dass das in den 30er-Jahren ins Verderben geführt hat.

    Heinemann: Herr Eichel, ich möchte kurz zurückkommen auf das, was Sie eben kurz angerissen haben. Möglicherweise war das Musik in französischen Ohren. Übertreiben wir es mit unserer Stabilitätspolitik? Sollten wir den Euro schwächen, um mithalten zu können?

    Eichel: Das sind ja ganz verschiedene Dinge. Wir haben ja Preisstabilität, es geht gar nicht darum, den Euro zu schwächen, sondern man muss einfach sehen: Ab einer bestimmten Größenordnung haben wir es mit einer Überbewertung zu tun und dann sind das keine fairen Handelsbedingungen mehr. Das ist die Wirklichkeit und da geht es nicht um Schwächung, sondern es geht darum, wenn die Kaufkraftparität zwischen Dollar und Euro bei 1,17 liegt und der Euro weit darüber hinausschießt, dann ist es an der Zeit, dass in dem Fall die Notenbankpräsidenten aus Amerika und Europa sich an einen Tisch setzen und sagen, wie gehen wir damit um, das macht keinen Sinn. Da kriegt nur der eine kurzfristig vielleicht ein paar Vorteile, aber die Amerikaner - es tut mir leid, das sagen zu müssen - können auch mit einem schwachen Dollar offenkundig im Welthandel nicht erfolgreich sein. Das heißt, sie haben andere Probleme, ihre Produkte sind nicht so wettbewerbsfähig. Unsere sind Gott sei Dank sehr wettbewerbsfähig und deswegen kommen wir sogar mit einem überbewerteten Euro noch zurecht.

    Heinemann: Herr Eichel, vor einigen Monaten wetteten Spekulanten gegen den Euro und einige Euro-Länder. Mit Sorge beobachteten die Regierungen den fallenden Euro-Kurs. Heute bereitet der niedrige Dollar- und Yuan-Kurs Kopfschmerzen. Wir haben das jetzt alles erklärt. Wie können sich oder können sich exportabhängige Unternehmen gegen solche Achterbahnfahrten wappnen?

    Eichel: Gut, sie tun es ja, indem sie sich dagegen versichern. Das ist ja das, was man Hedgen nennt, nämlich sich gegen Währungsschwankungen bis zu einer bestimmten Größenordnung abzusichern. Das geschieht. Aber wenn die Schwankungen größer werden, dann ist diese Absicherung auch dahin. Deswegen sage ich, es geht nichts über ein vernünftiges Währungsmanagement, und das heißt, es ist an der Zeit, dass wir ein neues Bretton Woods bekommen, dass wir also gemanagte, und zwar von den Notenbanken dieser Erde gemanagte Wechselkursveränderungen bekommen.

    Heinemann: Davor werden wir aber vermutlich noch mehrere Interviews führen müssen. Im Deutschlandfunk sprachen wir mit dem früheren Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD). Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Eichel: Auf Wiederhören, Herr Heinemann.