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"Die Festspiele können nicht ohne Führung bleiben"

Der Vorsitzende der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth, Karl Gerhard Schmidt, geht fest davon aus, dass am nächsten Montag bei der Sitzung des Stiftungsrates eine Entscheidung über die Nachfolge Wolfgang Wagners als Festspielleiter fallen wird. Nach Gesprächen mit anderen Gesellschaftsmitgliedern sei eine Wahl zugunsten von Katharina und Eva Wagner dabei nicht unwahrscheinlich.

Karl Gerhard Schmidt im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Damit wir wissen, worüber wir gleich reden: Klaus Umbach, der ehemalige Musikkritiker des "Spiegel", hat Richard Wagners Werk gestern in dieser Sendung folgendermaßen beschrieben.

    Klaus Umbach: Ich glaube, einer der Großen, Thomas Mann oder wie, hat mal gesagt, es ist eigentlich Falschgold. Es ist, wenn sie es musikalisch sehen, fabelhaft gemacht. Er war sicher einer der Größten, der je sich Töne, Klänge, Harmonien ausgedacht hat, ganz abgesehen von seinem dramatischen oder dramaturgischen Können, das sich in seinen großen Opern ausspielt. Aber irgendwo hat diese Musik etwas zugleich Vernichtendes und Anhimmelndes. Man kann das auch nicht vereinheitlichen. Das Werk Wagners unterscheidet sich ja. Die Frühwerke sind noch relativ nicht simpel gestrickt, aber konventionell gemacht, während die späten, vor allen Dingen Tristan, der Ring und auch Parzival, natürlich weit in die Zukunft weisen und Harmonien haben, die dann später bei Schönberg, gar bei Stockhausen wiederkommen.

    Heinemann: Der Musikjournalist Klaus Umbach über Richard Wagner. - Der Kulturbetrieb verzeichnet in diesen Tagen eine Grüne Woche mit Blick auf den Richard-Wagner-Hügel in Bayreuth. Donnerstag letzter Vorhang für Wolfgang Wagner, den Enkel des Gesamtkünstlers, der die Bayreuther Festspiele nach 57 Jahren abgibt. Das war gestern Abend. Heute endet die Bewerbungsfrist für Nachfolger(innen). Wolfgangs Töchter, die Halbschwestern Katharina und Eva, galten bislang als Favoritinnen, bis Kusine Nike gemeinsam mit dem Opernintendanten Gérard Mortier den Hut in den Ring oder bei Wagner könnte man auch sagen auf den Ring geworfen haben. Morgen feiert Wolfgang Wagner seinen 89. Geburtstag. Am Sonntag endet formal seine Amtszeit als Festival-Leiter und Montag kommt der Stiftungsrat zusammen, der über die Nachfolge befinden soll, aber nicht unbedingt am Montag entscheiden muss. Wir blicken zurück und nach vorn mit der Hilfe von Karl Gerhard Schmidt. Er ist der Vorsitzende der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth. Guten Morgen!

    Karl Gerhard Schmidt: Guten Morgen!

    Heinemann: Herr Schmidt, Sie haben eine sehr kurze Nacht hinter sich. Danke schön, dass Sie trotzdem für uns am Telefon sind. Sie haben gestern den Parzival gesehen und Wolfgang Wagner verabschiedet. Wie war dem Enkel Richards zumute, wohl oder wehe?

    Schmidt: Mehr wohl als wehe. Es war am Vormittag um elf Uhr auf einer der Probebühnen die Verabschiedung. Ich glaube, wir waren 800 oder 1000 Menschen dort. Es wurden sehr, sehr viele Freunde eingeladen aus Nah und Fern. Ich habe noch nie eine Veranstaltung erlebt, bei der so viel Beifall war, so viel geklatscht wurde. Wolfgang Wagner saß im Sessel auf einer Bühne und die Menschen kamen überhaupt nicht mehr zur Ruhe. Wir klatschten und er musste immer wieder aufstehen. Thielemann hat dann ein kurzes, sehr schmissiges Musikstück dirigiert und der Pressesprecher der Festspiele Emmerich hat die Laudatio auf Herrn Wagner gehalten und hat das sehr, sehr gut gemacht. Er hat uns verschont, dass wir nicht zu sehr in Rührung ausbrachen, und Herr Wagner hat das sehr genossen. Er war ganz, ganz glücklich.

    Heinemann: Wolfgang hat die Richard-Wagner-Festspiele mehr als ein halbes Jahrhundert lang geleitet. Ich habe es eben gesagt. Welche entscheidenden Veränderungen und Verbesserungen sind ihm in dieser Zeit gelungen?

    Schmidt: Herr Wagner hat nach dem Tod seines Bruders Wieland nicht mehr das Prinzip verfolgt, das vorher Neu-Bayreuth verfolgt hatte, nämlich dass nur Wieland Wagner und er inszenieren. Er hat also sehr, sehr wichtige Regisseure nach Bayreuth geholt. Gestern Abend war zum Beispiel auch zum Abschiednehmen Patrice Chéreau da, der 1976 den so genannten Jahrhundert-Ring inszeniert hatte. Das war eine der ganz großen Taten von Wolfgang Wagner. Er hat sich damals immer hinter Chéreau gestellt, denn es gab ja viel, viel Krach in Bayreuth damals, dass ausgerechnet ein Franzose und dann noch ein französischer Dirigent den Jubiläums-Ring produzieren. Aber Herr Wagner hat das durchgesetzt. Wir von den Freunden Bayreuths waren an seiner Seite. - Andere, die er nach Bayreuth geholt hat - ich denke an Harry Kupfer, ich denke an Heiner Müller -, das ist ein Teil seiner Größe.

    Heinemann: Sie haben gesagt, der Jahrhundert-Ring ist von 1976 und es gab gelegentlich die Kritik, dass danach doch nicht mehr sehr viel Innovatives in Bayreuth zu Stande gekommen ist. Hätte sich Wolfgang vielleicht doch etwas früher vom Grünen Hügel verabschieden sollen?

    Schmidt: Darüber kann man natürlich diskutieren und das hat er auch schon überlegt, ob er nicht zum Beispiel 2001 zurücktritt.

    Heinemann: Warum hat er es nicht gemacht?

    Schmidt: So ganz genau weiß ich das nicht. Aber wenn Sie sagen, die Kreativität hat nachgelassen, dann möchte ich doch zwei Gegenbeispiele sagen. Wolfgang Wagner hat Christoph Schlingensief auf den Hügel geholt.

    Heinemann: Mit dem Parzival.

    Schmidt: Mit dem Parzival. Das war eine unglaublich gute Produktion. Christoph Schlingensief hat den Parzival völlig umgekrempelt, aber mit ganz, ganz großem Respekt. Es war sehr gut, was er gemacht hat. Dieses Jahr hat Wolfgang Wagner den jungen Norweger Herhan als Regisseur für den Parzival geholt und das war auch exzellent, genau der Gegenpol von Schlingensief.

    Heinemann: Und im vergangenen Jahr hat Katharina Wagner ihr Debüt als Regisseurin auf dem Grünen Hügel mit den Meistersingern gegeben. Das galt so als der Ritterschlag für die Nachfolge. Jetzt gibt es eine weitere Bewerbung. Nike Wagner und Gérard Mortier haben den Hut in den Ring geworfen. Hat Sie diese Kandidatur überrascht?

    Schmidt: Ja, sie hat mich überrascht.

    Heinemann: Sie haben aber kein lautes "Wagala weia!" angestimmt?

    Schmidt: Ich kenne von Mortier nur einen relativ kurzen Bewerbungsbrief und kann insofern zu der Bewerbung gar nicht so viel sagen. Ich nehme an, dass Herr Mortier seine Vorschläge am Montag noch mal mündlich darlegt.

    Heinemann: Und dann werden Sie aufgrund dieser mündlichen Bewerbung entscheiden?

    Schmidt: Das wäre zu wenig, nur auf einer mündlichen Bewerbung hin zu entscheiden. Die Konzepte, die vorliegen, so weit ich sie kenne, sind sich ja sehr ähnlich, denn die Satzungsvorschriften, die es hier um Bayreuth herum, um die Festspiele herum gibt, sagen ganz deutlich, dass im Festspielhaus es um die festliche Aufführung der Werke Richard Wagners geht. Die Werke Richard Wagners in dem Sinne gehen mit dem Holländer los. Diesen Grundsatz respektieren alle Bewerber. Alles was darum herum vorgeschlagen wird, kann zunächst dann immer im Festspielhaus aufgeführt werden oder veranstaltet werden und ist für meinen Begriff sekundär. Zu allererst muss im Mittelpunkt stehen die festliche Aufführung, also die ganz hohe Qualität, die Bayreuth haben muss, und soweit sie sie partiell verloren hat, wiedererringen muss. Das ist genug Aufgabe.

    Heinemann: Herr Schmidt, rechnen Sie damit, dass am Montag bei der Sitzung des Stiftungsrates weißer Rauch aufsteigen wird?

    Schmidt: Ja! Ich werde alles tun, dass am Montag eine Entscheidung fällt, wie auch immer. Denn die Festspiele können nicht ohne Führung bleiben.

    Heinemann: Was heißt das jetzt? Sie sagten eben, dass die Bewerbung von Gérard Mortier doch noch ergänzungsbedürftig wäre. Heißt das, dass die Tendenz doch eher zu Katharina und zu Eva geht?

    Schmidt: Ich weiß das nicht, aber man spricht ja doch untereinander da und dort und ich habe den Eindruck, dass sich das schon abzeichnet, die Wahl für Eva und Katharina. Aber ich weiß es nicht.

    Heinemann: Herr Schmidt, mit Geld können die Wagners auch in dritter Generation nicht so richtig gut umgehen. Das ist aber Familientradition, muss man insofern nicht groß kritisieren. Der Grüne Hügel schreibt ja rote Zahlen. Oft mussten Sie, das heißt die Freunde von Bayreuth, einspringen. Über welche kaufmännischen Fähigkeiten sollte die künftige Leiterin oder der künftige Leiter der Festspiele verfügen?

    Schmidt: Ich muss Ihnen bei aller Höflichkeit, die wir haben, sehr, sehr deutlich widersprechen. Wolfgang Wagner hat im Gegensatz zu seinem Großvater eine außerordentliche finanzielle Begabung. Er ist ein sparsamer Haushalter gewesen. Die Festspiele haben im Gegensatz zu anderen Opernhäusern immer mehr als die Hälfte der Kosten eingespielt. Andere Opernhäuser haben vielleicht 20 oder 10 Prozent Einspielergebnis. Die Festspiele spielen mehr als die Hälfte ihrer Kosten ein. Die kleinere Hälfte, die als Zuschüsse notwendig sind, die werden vom Bund, vom Freistaat, von der Gesellschaft der Freunde, von der Stadt Bayreuth und anderen getragen.

    Heinemann: Sind Sie mit der finanziellen Situation der Festspiele jetzt einverstanden?

    Schmidt: Ich bin absolut einverstanden und ich bin absolut entspannt. Dieses Defizit hat mit angeblicher Misswirtschaft überhaupt nichts zu tun. Dieses Defizit hing damit zusammen, dass die öffentlichen Zuschussgeber seit 2004 ihre Zuschüsse eingefroren haben und dass man zu sparsam budgetiert hat. So sind in der 57-jährigen Intendanz von Herrn Wagner die beiden letzten Jahre mit einem Defizit beendet worden. Das haben wir ausgeglichen, wie sich das gehört, und wir sind gerade dabei, mit der Festspielleitung das Budget für 2009 und später zu erarbeiten, das im Übrigen am Montag dann auch vorgelegt werden wird. Hier ist kein Anlass zu irgendeiner Besorgnis.

    Heinemann: Herr Schmidt, gehen wir mal ganz weit wieder zurück zur Musik von Richard Wagner und zur Tradition. Es sind inzwischen mehrere Generationen in Deutschland aufgewachsen, die kaum noch einen Bezug zur so genannten ernsten Musik, also von Barock bis Moderne, haben. Wenn Sie als bekennender Wagnerianer Eltern oder Musiklehrer beraten sollten, wie kann man die Musik Richard Wagners jungen Menschen - gerade solchen auch ohne entsprechende Vorbildung - näher bringen?

    Schmidt: Ich meine, dass die Generation der Erwachsenen die jungen Leute da schon heranführen muss. Da gibt es ja verschiedene Wege. Die Katharina Wagner und ihre Schwester Eva haben da auch Gedanken, wie jüngere Leute an Bayreuth herangeführt werden können. Wir haben jetzt seit Sommer in unserer Gesellschaft der Freunde von Bayreuth eine Jugendmitgliedschaft eingerichtet. Wir haben dort mehr als 100 Mitglieder jetzt gleich aus dem Stand heraus. Und wir haben zum Beispiel diese jungen Mitglieder an einer Arbeitsprobe teilnehmen lassen. Die konnten mit dem Dramaturgen diskutieren, die konnten Fragen stellen und durften auch in die Generalprobe hinein gehen. Ich glaube, Katharina Wagner hat vor, Kinder an Richard Wagner heranzuführen. Da gibt es Beispiele auch an anderen Opernhäusern. Also man muss sich da Mühe geben. Mein Vater hat mich mit 16 in Proben nach Bayreuth mitgeschleppt und seit der Zeit bin ich von diesem Bazillus befallen.

    Heinemann: Dann wollen wir hoffen, dass das so bleibt. In den "Informationen am Morgen" sprachen wir im Deutschlandfunk mit Karl Gerhard Schmidt, den Vorsitzenden der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!