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"Die Fortschrittspartei hat alles gemacht, um Brücken abzureißen"

Rechtslastige Parteien erzeugen durch antimuslimische Rhetorik in Norwegen wie auch in Europa ein Klima der Angst, sagt Abid Raja, Politiker der liberalen Partei "Venstre". Der Sohn pakistanischer Einwanderer betont, alle Kulturen und Religionen müssen nun zusammenstehen und sich gegen terroristische Anschläge aussprechen.

Abid Q. Raja im Gespräch mit Jasper Barenberg | 27.07.2011
    Jasper Barenberg: Der mörderische Terror des Todesschützen Anders Behring Breivik war der Angriff auf eine Gesellschaft, die stolz ist auf ihre Liberalität, auf ihre Toleranz und Weltoffenheit, die Zuwanderer willkommen heißt. Hass auf eben diese multikulturelle Gesellschaft hat den Massenmörder angetrieben, in seinem kruden Weltbild sieht er sich auch als Kreuzfahrer gegen den Islam. Getötet hat Breivik allein – aber konnte er nicht auf islamfeindliches Gedankengut zurückgreifen, das stärker verbreitet ist, als uns bewusst war? Ist die Idee einer offenen Gesellschaft in Norwegen ein trügerisches Idyll? Vor der Sendung habe ich darüber mit dem norwegischen Politiker und Juristen Abid Raja gesprochen, Sohn pakistanischer Einwanderer, seit Jahren Kenner der muslimischen Gemeinschaft in seinem Land, Vorsitzender eines Gremiums, vor dem Asylsuchende ihre Rechte einfordern können. Ich habe Abid Raja nach seinem ersten Gedanken gefragt, als er am Freitag von dem Bombenattentat und von der Schießerei im Ferienlager erfuhr.

    Abid Q. Raja: Ich war zutiefst entsetzt, dass es tatsächlich geschehen konnte. Nach den ersten 15 oder 30 Minuten bekam ich schon die ersten Anrufe von Journalisten, die mich fragten: Könnte das ein Moslem gewesen sein? Was würden wir Moslems davon halten? Ich antwortete, es sei noch zu früh, da Stellung zu nehmen, wir wissen noch nicht, wer es sei. Aber sobald die Nachricht eingeschlagen hatte – schon in der ersten Stunde wurde dann berichtet, dass in Norwegen verschiedene Moslems angegriffen worden waren, dass sie geschubst und beleidigt worden waren, wie könnt ihr so etwas machen, wurden sie beschimpft. Und die Antwort lautete dann: Wir haben das nicht gemacht, und selbst wenn wir es gemacht hätten, wenn es ein Moslem gewesen wäre – warum werden wir als Gruppe kollektiv dafür in Haftung genommen? Ist es nicht die Verantwortung eines Einzelnen?

    Barenberg: Jetzt kennen wir den Täter, Anders Behring Breivik, er wird als Wahnsinniger beschrieben, aber auch als der erste antimuslimische Terrorist. Teilen Sie diese Einschätzung?

    Raja: Nun, ich bin nicht sicher, ob er der erste war, aber sicherlich ist er antimuslimisch eingestellt. Ich habe einige Seiten aus seinem 1500 Seiten umfassenden Manifest gelesen, und er ist ganz klar gegen den Islam, gegen die Moslems eingestellt, gegen die multikulturelle Gesellschaft und irgendwie auch gegen die Demokratie. Wir müssen Brücken zwischen den Religionen bauen, und ich glaube, wir können das auch. Wir müssen uns für die Minderheiten aussprechen, um eine offene Gesellschaft zu schaffen, in der wir miteinander fair umgehen, und in der politisches Handeln ohne Angst möglich ist.

    Barenberg: Haben in den letzten Jahren die Vorbehalte oder die Vorurteile gegen Muslime zugenommen?

    Raja: Ja, dem würde ich zustimmen, ich habe das über die letzten wenigen Jahre gesehen. Eine Partei insbesondere, die Fortschrittspartei, die zweitgrößte Partei Norwegens zeichnet sich da aus: Der Führer des Kreisverbandes Oslo hat gesagt, alle Terroristen seien Muslime, die Vorsitzende landesweit sagte, sie befürchte, dass die Scharia über Nacht eingeführt werden könne. All das erzeugt ein Klima der Angst. Es ist dem Bauen von Brücken nicht zuträglich, es erzeugt ein Klima, wo dann Ängste aufkommen. Jener Mensch, der dieses schreckliche terroristische Verbrechen begangen hat, hat in der Tat sehr viel von dieser Logik in seinen Aussagen auch vertreten, die Aussagen gleichen einander. Ich sage nicht, dass die Fortschrittspartei oder ihre Mitglieder solche Anschläge befürworteten. Wahrscheinlich ist kein einziges Mitglied der Fortschrittspartei für solche Anschläge, alle sind wohl dagegen, aber gleichwohl sollten sie überdenken, was sie sagen, etwa bei solchen Aussagen wie, alle Muslime seien Terroristen oder alle Terroristen seien Muslime. Nein, das erzeugt sicherlich ein Klima der Angst, und das ist etwas, was wir bekämpfen sollten.

    Barenberg: Wie geht die muslimische Gemeinschaft in Norwegen mit dem wachsenden Erfolg der Fortschrittspartei um?

    Raja: Nun, sie haben natürlich auch Angst. Die Fortschrittspartei hat alles gemacht, um Brücken abzureißen, Brücken des Verständnisses zwischen den Kulturen und den Religionen. Sie haben keine Gelegenheit ausgelassen, um diese Brücken unpassierbar zu machen. Sie haben dazu beigetragen, dass ein Klima der Feindseligkeit zwischen der Mehrheit und den Minderheiten entstanden ist. Ich sage ja nicht, dass man die Fortschrittspartei anklagen muss oder dass man ihnen die Schuld geben muss, nein, überhaupt nicht, aber sie sollten sich schon überlegen, warum es denn so ist, dass dieser Terrorist viele seiner Ansichten auch in den Ansichten der Fortschrittspartei gespiegelt sieht. Er war ja sogar fünf Jahre lang ein Mitglied dieser Partei. Vieler seiner Aussagen in seinem Manifest klingen so ähnlich wie das, was die Fortschrittspartei sagt. Ich sage wiederum nicht, die Partei sei für den Terrorismus, aber sie sollten überdenken, warum es dazu kommt, dass sich ein solcher Einklang ergeben konnte. Sie sind ja auch gegen die multikulturelle Gesellschaft, gegen die Anwesenheit von Muslimen in Norwegen, er ebenso. Und das sollte uns dazu anspornen, wirklich alle Kräfte einzusetzen, um eine moderne westliche Gesellschaft zu schaffen. Jetzt ist die Zeit gekommen, wo wir klarmachen können, dass auch Muslime Angst vor den Terroristen haben, dass sie auch Opfer von Terrorismus geworden sind. So waren ja einige der Jugendliche bei diesen Anschlägen Moslems. Und wir sollten jetzt wirklich das Schöne in Norwegen unterstützen und zeigen, nämlich, dass alle Kulturen, alle Religionen einmütig zusammenstehen und sich klar gegen solche schrecklichen terroristischen Anschläge aussprechen, einerlei, ob sie nun von Christen oder von Muslims begangen werden.

    Barenberg: Ist das der Weg, um die Idee der offenen Gesellschaft zu verteidigen?

    Raja: Der einzige Weg, eine solche offene Gesellschaft herbeizuführen, ist der beständige Dialog zwischen Kulturen und Religionen. Wir müssen zusammenstehen, um eine solche bessere Gesellschaft herbeizuführen. Viele von uns haben das über die Jahre hinweg auch getan, zugleich aber beobachte ich in ganz Europa Parteien – in den Niederlanden, in Deutschland, in Frankreich –, die mit einem gewissen Gerede gegen dieses Klima der Verständigung arbeiten. Sie nennen sich Fortschrittsparteien oder rechte Parteien, alle sind mehr oder minder rechtslastig, sie sprechen gegen diese Verständigung, und so behindern sie uns darin, dass wir alle gemeinsam für eine bessere Gesellschaft arbeiten.

    Barenberg: Der norwegische Jurist Abid Raja, Politiker der liberalen Partei "Venstre".

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.