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Die größte Eismaschine der Welt

In "Die Reise der Pinguine" konnte man sie im Kino hautnah erleben - die Unwirklichkeit der antarktischen Eiswüste und ihre prominentesten Bewohner. Kreuzfahrtschiffe wie die norwegische "Fram" ermöglichen es Touristen nun auch, den Südpol direkt zu entdecken.

Von Wilfried Kochner | 20.03.2011
    Man stelle sich ein Land vor, größer als Australien und Europa zusammen, sonniger als Kalifornien und kälter als das Gefrierfach eines Eisschrankes, trockener als Arabien, höher als die Schweiz und leerer als die Sahara. Es gibt nur einen Ort, auf den diese Beschreibung zutrifft: die Antarktis, jenen fremdartigen Kontinent am untersten Rand der Erde.

    Gerade mal zweihundert Jahre ist es her, dass dieses Stück Erde entdeckt wurde und nur rund hundert Jahre, dass ein Mensch es betreten hat. Die Naturgewalten machten es den Seefahrern und Abenteurern schwer, viele mussten ihren Wissensdurst und ihre Ruhmessucht mit dem Leben bezahlen. Heute ist es sehr viel leichter, die Antarktis zu entdecken, zum Beispiel mit einem Kreuzfahrtschiff. Ich entschied mich für die "MS Fram" von Hurtigruten. Das Schiff fährt unter norwegischer Flagge und ist bestens ausgerüstet. Kein Smoking, kein Disco-Rummel, keine Animation, stattdessen zwanglose Atmosphäre eine hervorragende Mannschaft und eine exzellente wissenschaftliche Begleitung. Dieses Expeditionsteam begleitet die Passagiere bei den Landausflügen und versorgt sie täglich mit Fakten und Geschichten über die Antarktis.

    Ausgangshafen der "Fram" ist Ushuaja, eine argentinische Stadt auf Feuerland an der Südspitze Südamerikas. Von hier geht es dann circa zwei Tage und Nächte durch die Drakestraße bis das Eis in Form riesiger Tafeleisberge in Sicht kommt. Die "Fram" nimmt diesmal nicht Kurs auf die westlich der antarktischen Halbinsel gelegenen Südshetlandinseln, sondern sie fährt östlich an der antarktischen Halbinsel vorbei in die Weddell-See. Dorthin fährt das Schiff zum ersten Mal. Frederike Bronny, Diplomgeografin und Mitglied des Expeditionsteams:

    "Zum einen ist es wirklich eine richtige Expedition, weil wir mit der "Fram" im Bereich des Weddell-Meeres noch nicht gekreuzt sind, viele Anlandungsstellen kennen noch nicht alle, für den Kapitän und das Schiff ist es wirklich ein Neuland, wir freuen uns den Passagieren ganz neue Anlandestellen zu zeigen."

    Landausflüge sind das nicht eigentlich Besichtigungsausflüge? Und wo legt man da an? Gibt es überhaupt Land? Das Schiff ankert draußen und wir steigen jeweils zu acht Personen warm eingepackt und mit Schwimmweste ausgerüstet in kleine Landungsboote, die vorher aus dem Bauch des Schiffes zu Wasser gelassen werden, um. Die Regeln sind streng. Betreten werden darf nur ein genau festgelegtes Gebiet, es darf nichts zurückgelassen werden und auch nichts mitgenommen werden. Und die Tiere der Antarktis haben immer Vorfahrt allen voran die Pinguine:

    Sie sind die Stars in dieser unwirtlichen Gegend, und sie scheinen das zu wissen. Auf den wenigen eisfreien Stellen im antarktischen Sommer paaren und brüten unzählige Pinguinkolonien, aber ein Verwechseln der Partnerin, des Partners oder des Nachwuchses ist nicht möglich, Frederike Bronny:

    "Wenn sie sich zum ersten Mal einen Partner suchen, muss die Kopfzeichnung übereinstimmen, ein Kehlstreifenpinguin sucht sich nur einen Kehlstreifenpinguin oder ein Eselspinguin sucht sich nur einen Eselspinguin und wenn sie sich dann im nächsten Jahr wiederfinden, erkennen sie sich am Ton. Und auch die Jungvögel werden am Ton wieder erkannt. Man erkennt sich am Klang der Stimme."

    Doch trotz vielbeschworener Einehe bei den Pinguinen wird auch schon mal am Baum der Versuchung genascht.

    "Bis hin zur Prostitution. Man hat festgestellt, dass Pinguindamen für kleine Steinchen relativ viel tun. Es ist wichtig, dass sie kleine Steinchen haben, um die Nester zu bauen, und Steinchen sind Mangelware, und da ist eine Pinguindame, um kleine Steinchen zu haben bereit, relativ viel zu tun. Steine sind wichtig für die Drainage, wenn es regnet oder schneit, damit das Ei trocken bleibt. Und da es nur wenige Steinchen gibt, ist es halt immer wichtig, dass man genügend hat. Und so werden unaufhörlich, die Steine vom anderen Nest gestohlen und zum eigenen Nest gebracht, aber während der Stein vom anderen Nest kommt, hat schon auf der anderen Seite ein anderer Pinguin einen Stein weggenommen, den er dann zu seinem Nest bringt."

    Touristen werden von den Tieren eher beiläufig zur Kenntnis genommen, wie eine Studie aus dem Jahr 1992 herausfand.

    "Man hat Passagiere ganz gezielt an die Nester herangeführt, man hat Elektroden den Pinguinen ins Nest gelegt, damit man den Herzschlag überprüfen konnte, also wie nah muss ein Mensch herantreten, damit sich die Herzfrequenz eines Pinguins erhöht. Und man hat festgestellt, dass ein Mensch ins Nest treten muss, damit die Herzfrequenz hoch geht. Aber wenn eine Raubmöve übers Nest flog, dann ging die Herzfrequenz sofort hoch. Pinguine kennen an Land keine Raubtiere, die ihnen gefährlich werden können, deshalb haben sie auch keinerlei Angst vor dem Menschen."

    Die Zeit für die Aufzucht der Jungen drängt, der antarktische Sommer ist kurz, und da es nichts Verwertbares an Land gibt, muss die gesamte Nahrung aus dem Meer geholt werden. Das ist viel Arbeit, die Tiere sind unterwegs zwischen der Kolonie und dem Küstenstreifen, durch schwieriges, teilweise steiles und vereistes Gelände, durch tückische Brandung. Stundenlang suchen sie Nahrung im offenen Meer. Mancher kehrt nicht zurück oder er ist schwer gezeichnet, blutend, dem Angriff eines Seeleoparden gerade noch entronnen. Spätestens jetzt wird dem Betrachter bewusst, dass das kein Zoo ist, keine Idylle, der Kampf ums Überleben ist allgegenwärtig. Und auch die Klimaveränderung hat die Pinguine in der Antarktis erreicht.

    "Es gibt vermehrt Jahre, in denen sie zu spät anfangen zu brüten, und da sie nur einen gewissen Zeitraum haben bis März für die Aufzucht der Jungen werden sie es immer häufiger nicht schaffen, und das bedeutet, dass die Population an manchen Stellen zurückgeht."

    Doch noch ist die antarktische Welt weitgehend in Ordnung, wie Christoph Höllger promovierter Historiker und Mitglied des Expeditionsteams, bei einen Landausflug schildert.

    "Ein Bild, das vollkommen unwirklich ist, wir sind hier in einem Gebiet, wo wir aufs Wasser raufschauen, das mit Eisbergen geradezu übersäht ist, und auf diesen Eisbergen sind dann jede Menge Pinguine, sieht aus wie kleine Mohnstreußel auf einem Kuchen. Das Wasser ist spiegelglatt, dahinter liegt die "Fram", ein wunderschönes Schiff und dann hier an Land Tausende von Pinguinen, insgesamt schätzt man, dass auf dieser kleinen Insel, die nicht größer als vier Hektar ist, ungefähr 400.000 Tiere leben, Kormorane, Pinguine."

    Wieder auf See ertönt der Ruf, "Wale voraus". Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Meldung auf dem Schiff und versetzt alle in helle Aufregung. Wale zu sichten und sie ein Stück ihres Weges zu begleiten, gehört zu den beeindruckendsten Erlebnissen einer Antarktisreise.

    "Da haben wir ja Unmengen von Zwergwalen gesehen, und das war richtig schön für die Passagiere, Zwergwale zu beobachten, wie sie mit dem Maul herauskamen, die Fluke gezeigt haben, das war schon ausgesprochen schön."

    <im_65140>ACHTUNG: Nur einmalig für Sonntagsspaziergang zu verwenden</im_65140>Und ausgesprochen schön sind auch die Robbenarten. Ob Krabbenfresserrobbe, Weddellrobbe, Seeleopard, Pelzrobbe oder Rossrobbe: Faul liegen sie auf dem Eis und genießen den kurzen antarktischen Sommer. Ihre Bestände haben sich inzwischen wieder erholt, nachdem sie und die Wale bis Mitte des 20. Jahrhunderts von den Menschen fast ausgerottet waren. Doch die Wal- und Robbenschlächter sind weg, nun kommen die Touristen und die meisten von Ihnen mit Kreuzfahrtschiffen.

    "Die interessantesten Stellen sind eigentlich an der antarktischen Halbinsel, weil die Antarktis so mit einem Eispanzer bedeckt ist, der nur ein bis zwei Prozent der Antarktis eisfrei lässt, und an diesen eisfreien Bereichen tummelt sich das Tierleben. Und daran sind die Passagiere interessiert, und das ist hauptsächlich an der antarktischen Halbinsel, und die meisten Stationen sind auch an der antarktischen Halbinsel"

    Die Antarktis, die größte Eismaschine der Welt, vermittelt Eindrücke, die einfach überwältigend sind. Aber es gibt auch kaum einen zweiten Ort, an dem für Besucher die Zerbrechlichkeit eines ganzen Naturraumes unmittelbarer zu erleben ist. Das Leben hier ist abhängig von einem intakten ökologischen System. Noch können wir mit dazu beitragen, dass es so bleibt.