Donnerstag, 25. April 2024

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Die Grünen und der Krieg
Zwischen Pazifismus und Waffenlieferungen

Die Grünen stehen in der Tradition der Friedensbewegung und werben heute für eine feministische Außenpolitik. Als Regierungspartei müssen sie nun aber mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine umgehen. Das ist für die Partei weniger Zerreißprobe, als manche erwartet hatten.

Von Gudula Geuther und Ann-Kathrin Büüsker | 27.04.2022
Bundesaußenministerin Annelena Baerbock (Grüne) und ihr Parteikollege, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, während einer Sitzung des Bundestags.
Noch im Januar sprach sich Bundesaußenministerin Annalena Baerbock gegen Waffenlieferungen an die Ukraine aus - ihr grüner Kabinettskollege Robert Habeck hatte bereits vor der Bundestagswahl für Waffenlieferungen plädiert (picture alliance/dpa/Bernd von Jutrczenka)
„Ich glaube, niemand von uns Bündnisgrünen möchte Krieg. Und niemand freut sich über Änderungen von grüner Politik, vielleicht auch von grünen Grundsätzen.“ - Grüner Treff Leipzig West, an einem Abend kurz vor Ostern ist die örtliche Parteibasis zum Austausch zusammengekommen. Es ist eine großstädtisch-international geprägte Gegend, aus der zwei der drei Landtags-Direktmandate im sonst weniger grünen Sachsen kommen. Nicht alle der 13 Partei-Mitglieder oder -Sympathisanten, die hier im Gemeinschaftsraum eines genossenschaftlichen Wohnprojektes sitzen, kennen sich. Es ist erst der zweite Stammtisch seit Beginn der Pandemie. Leider, sagt eine Frau - gerade in diesen Zeiten.

„Ich denke, das ist etwas, wo es Diskussionen braucht, weswegen es auch schwer ist, dass solche Entscheidungen wie 100 Milliarden Bundeswehr oder Waffenlieferungen eben nicht in langen Diskussionsrunden jetzt auch in Parteitagen und so weiter diskutiert werden können. Und das macht’s für uns als Partei schwer.“

Immerhin ist die Basisdemokratie für das Selbstverständnis der Partei ähnlich wichtig wie die Ökologie. Das ist geblieben von den Anfängen, als die Partei Ende der 70er, Anfang der 80er- Jahre in der Bundesrepublik aus verschiedenen Bewegungen entstand. Damals war eine davon die Friedensbewegung. Zu diesem Teil der grünen Wurzeln allerdings ist das Verhältnis längst komplizierter geworden, nicht erst seit dem russischen Überfall auf die Ukraine.

„Ich dachte, wir wollen hier diskutieren und dass die Friedensfreunde vor allem am Frieden Interessen haben.“

1999: Der Kosovo-Krieg als Zerreißprobe für die Partei

Der Sonderparteitag zum Kosovo 1999 hätte die Partei fast zerrissen. Es war der Parteitag, auf dem Joschka Fischer als Außenminister der noch jungen rot-grünen Bundesregierung den ersten deutschen Kriegseinsatz nach dem zweiten Weltkrieg rechtfertigte. Ein Einsatz ohne UN-Mandat, im Rahmen einer NATO-Mission gegen Serbien, um ein Massaker im Kosovo abzuwenden: „Ja, jetzt kommt, ich hab nur drauf gewartet. Kriegshetzer. Hier spricht ein Kriegshetzer und Herrn Milosevic schlagt ihr demnächst für den Friedensnobelpreis vor. Ne wahr?“
Von einem Farbbeutel getroffen, fasst sich der damalige Bundesaußenminister Joschka Fischer am 13.05.1999 auf dem Sonderparteitag der Grünen in Bielefeld erschrocken ans Ohr.
Von einem Farbbeutel getroffen, fasst sich der damalige Bundesaußenminister Joschka Fischer am 13.05.1999 auf dem Sonderparteitag der Grünen in Bielefeld erschrocken ans Ohr. (picture alliance / Gero Breloer | Gero Breloer)

„Tatsächlich sind die Grünen keine pazifistische Partei mehr. Die richtigen Pazifisten haben die Grünen damals schon verlassen“, so sagt es eine Frau beim Grünen-Stammtisch im Leipziger Westen. Einige Tage später wird Vizekanzler Robert Habeck den Pazifismus als fernen Traum bezeichnen. Nur - was daraus folgt, ist deshalb noch lange nicht selbstverständlich.

Aber was klar ist: Die Ukraine braucht weiteres militärisches Material, vor allem auch schwere Waffen.

Annalena Baerbock
„Die Haltung der deutschen Bundesregierung mit Blick auf Waffenlieferungen, und zwar mit Blick auf eine restriktive Rüstungsexportpolitik, die ist ja nicht nur bekannt, sondern sie ist auch in unserer Geschichte begründet", Annalena Baerbock, grüne Außenministerin und damit Nachfolgerin von Joschka Fischer, im Januar in Kiew. Damals begründete sie das Nein zu Waffenlieferungen an die Ukraine noch mit historischer Verantwortung. Ihr grüner Kabinettskollege Robert Habeck hingegen hatte schon im vergangenen Jahr, noch vor der Bundestagswahl, für Waffenlieferungen plädiert.
Seit dem russischen Angriffskrieg hat allerdings auch Baerbock ihre Haltung verändert. Beim Treffen der EU-Außenminister Mitte April in Brüssel sagte sie: „Aber was klar ist: Die Ukraine braucht weiteres militärisches Material, vor allem auch schwere Waffen. Und jetzt ist keine Zeit für Ausreden, sondern jetzt ist Zeit für Kreativität und Pragmatismus.“

An der Leipziger Grünen-Basis stimmen dem nicht alle zu. Eine Frau aus Venezuela sagt, dort sei noch nie Gutes vom Militär gekommen, sie sei enttäuscht von Annalena, wie die Außenministerin hier alle nennen. Dabei sei sie ihretwegen und wegen der feministischen Außenpolitik in die Partei eingetreten: „Das kommt für mich wirklich nicht zusammen, weil sie ja wirklich über die Frauen und die Kinder gesprochen hat, dass sie geschützt werden. Und ich kann mir einfach mit meinem ganz normalen Menschenverstand nicht vorstellen, wie das zusammenkommt.“

Im Leipziger Westen allerdings steht sie damit allein. Die Situation sei mit dem Vorgehen Serbiens im Kosovo vergleichbar, meint diejenige, die die Grüne Zäsur von 1999 angesprochen hatte: „Ungefähr das Gleiche ist jetzt wieder der Fall, denke ich. Man sieht ein Land, das von einem stärkeren Nachbarland überfallen wird. Und dann ist die Frage: Wie kann man am besten helfen?“

Kritik am Sondervermögen für die Bundeswehr

Auch wenn sich viele bei den Grünen an die Konflikte und die Situation von 1999 erinnern - selbstverständlich findet diese Akzeptanz auch Katharina Dröge nicht:
„Als wir am Anfang gemeinsam als Partei-, Fraktions- und Regierungsspitze entschieden haben, wir werden die Ukraine jetzt auch mit Waffenlieferungen unterstützen, hatte ich diese Frage auch, ob das etwas ist, was zu kontroversen Diskussionen führen würde,“ sagt die Co-Fraktionsvorsitzende im Bundestag. “Wir haben dann aber eine sehr breite, sehr, sehr breite Unterstützung in der Fraktion bekommen für diesen Schritt. Und wir haben seitdem auch immer wieder in der Fraktion und auch mit unserer Parteibasis über diese Fragen diskutiert und hören da eigentlich sehr einhellig, dass unsere Leute das total richtig finden, die Ukraine jetzt mit allen Mitteln zu unterstützen, die möglich sind.“

Solange Deutschland nicht Kriegspartei werde. Der Blick auf Deutschland und die Bundeswehr allerdings ist auch in Leipzig kritischer, als wenn es um Waffen für die Ukraine geht. Keiner hier ist gegen die Bundeswehr oder deren angemessene Ausstattung. Aber was ist angemessen?
„Also ich sehe die 100 Milliarden auch kritisch“, sagt die Frau, die die Grünen an sich nicht mehr als Pazifisten sieht, zu dem Sondervermögen, das vor allem für die Bundeswehr eingerichtet werden soll. „Ich denke, das Geld wäre besser angelegt in der Energiewende zum Beispiel oder Hilfe für die Ukraine. Zum Beispiel Zivilschutz ist auch ganz schlecht aufgestellt in der Bundesrepublik, oder Hochwasserschutz. All diese Themen sind dringender.“
Diese Sorgen teilen viele Abgeordnete der Bundestagsfraktion. Sarah Nanni ist sicherheitspolitische Sprecherin der grünen Fraktion, auch sie sieht ihre Partei tief durch die Kosovo-Entscheidungen geprägt. Damals seien zwar viele Mitglieder aus-, aber auch andere eingetreten:

„Darüber hinaus war es politisch natürlich so, dass uns die Situation damals als Partei gezwungen hat, uns mit Fragen von Krieg und Frieden, mit Fragen von legitimer und illegitimer Gewalt sehr intensiv auseinanderzusetzen und das hat dann auch einige Jahre später angefangen. Und hat sehr lange auch gedauert und ich würde sagen: dauert weiterhin an. Wenngleich ich auch sagen würde, dass wir da ein gefestigtes Koordinatensystem als Partei zurzeit haben.“

Die feministische Außenpolitik

In diesem Koordinatensystem spielt die feministische Außenpolitik eine Rolle. Wobei damit nicht unbedingt eine Politik für Frauen gemeint ist, sondern eine, in der zum Beispiel Sicherheit weniger als diejenige von Staaten definiert wird, sondern mehr als Sicherheit der einzelnen Menschen. Und ein weiterer Sicherheitsbegriff, freut sich Grünen-Politikerin Nanni, liege nun auch den Einigungen der Koalition auf die Verwendung der 100 Milliarden Euro zugrunde. Es gehe darum, die Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit zu steigern.
„Es klingt insofern klassisch militärisch, als dass einige Dinge, die im NATO-Bereich durch das Militär angegangen werden bei anderen Nationen, bei uns im Bereich der Innenpolitik sind. Also wenn ich an den Bereich Cybersicherheit denke - wir haben in Deutschland das Gebot, dass die Bundeswehr keine Einsätze im Inneren macht. Das unterscheidet uns stark von anderen NATO-Nationen. Deshalb ist da auch so eine kleine Verschiebung an der Stelle drin.“

An sich meinen die Grünen mit einem weiten Sicherheitsbegriff sehr viel mehr als das. Der Kompromiss ist auch nicht alles, was sich Nanni gewünscht hätte. Sie sieht außerdem ebenso wie die Co-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge noch viel Arbeit für die Grünen, wenn es etwa um Etatverhandlungen für die Entwicklungspolitik geht, die bei den Grünen im weiteren Sicherheitsbegriff auch eine große Bedeutung hat.
Aber sie könne mit den bisherigen Kompromissen leben, sagt Nanni. Wenn es um das Verhältnis der Grünen zu Krieg und Frieden geht, das nicht mehr im strengen Sinn pazifistisch ist, so ist ihr doch wichtig: „Man darf nicht in die Situation kommen, dass man verächtlich macht, dass man sich den Frieden wünscht. Sondern wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dahin zu kommen.“

In Leipzig beim Grünen Basis-Stammtisch spielen diese Fragen von Krieg und Frieden auch deshalb eine große Rolle, weil die Reporterin danach fragt. Vor allem geht es ihnen hier aber um grüne Kernthemen: Ökologie, Klimaschutz. „Wir haben lange darum gekämpft, dass wir in der Regierung sind, haben lange von Natur, Umweltschutz gesprochen, alles richtig, aber jetzt sollten wir’s dann auch wirklich tun.“

Die Folgen des Kriegs für die Parteiziele Ökologie und Klimaschutz

Insgesamt sind die meisten hier sehr zufrieden mit der Regierungsbeteiligung ihrer Partei. Doch das Ziel einer an Ökologie und Klimaschutz ausgerichteten Regierungspolitik gerät durch den Krieg ebenfalls unter Druck – und das in vielen Bereichen. Die Agrarwende etwa steht angesichts der ausfallenden Getreidelieferungen aus Russland und der Ukraine zur Diskussion. Kann Deutschland es sich leisten, Böden zum Schutz der Biodiversität brachliegen zu lassen, wenn weltweit Hunger droht?
Noch drastischer trifft es die grüne Klimapolitik. Robert Habeck ist nicht mehr nur Wirtschaftsminister – er ist auch Klimaminister. Und doch ist sein Ministerium seit Kriegsbeginn damit beschäftigt, fossile Energieträger aus aller Welt zu beschaffen, um Deutschland aus der Abhängigkeit von Russland zu lösen. Das Klima muss erstmal warten, machte Habeck Anfang März im Deutschlandfunk deutlich: „Kurzfristig kann es sein, dass wir vorsichtshalber, um vorbereitet zu sein für das Schlimmste, Kohlekraftwerke in der Reserve halten müssen, vielleicht sogar laufen lassen müssen. Da muss der Pragmatismus jede politische Festlegung schlagen. Die Versorgungssicherheit muss gewährleistet sein und das werde ich auch tun.“

Habeck reiste nach Katar, verneigte sich vor dem Emir, um neue Bezugsquellen für Erdgas zu gewinnen. Er forciert den Bau von LNG-Terminals in Deutschland. Noch zu Beginn des Jahres stellte sich der grüne Landesverband in Schleswig-Holstein gegen ein solches Flüssigerdgasterminal in Brunsbüttel – nun beteiligt sich der Bund über die Förderbank KfW zu 50 Prozent. Auch der Landesverband steht nun dahinter. Weitere drei Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt fließen in die kurzfristige Anschaffung von schwimmenden LNG-Terminals. All das, um den Bezug fossiler Energieträger zu gewährleisten.
„Das schmerzt“, sagt Michael Bloss, grüner Abgeordneter im Europaparlament, vor allem mit Blick auf die stärkere Nutzung der Kohle. „Aber der Deal muss ja eigentlich sein, dass wir jetzt viel schneller bei den Erneuerbaren sind. Das heißt, dort eben auch in einen Notfallmodus reinkommen, das heißt, die Genehmigungen müssen viel schneller erteilt werden. Wenn wir es schaffen, dass wir dadurch die Erneuerbaren viel schneller in die Fläche bekommen, dann sparen wir am Ende mehr Co2 ein. Weil Gas war bisher immer eine Brückentechnologie, die bis weit über 2030 hätte reichen sollen und wenn diese Brückentechnologie jetzt wegfällt, dann verbrennen wir vielleicht ein, zwei Jahre ein bisschen mehr Kohle, aber danach können wir viel schneller in die Erneuerbaren rein und dann wäre es eigentlich ein guter Deal.“

Tatsächlich waren die Grünen nie sonderlich überzeugt davon, Gas als Brückentechnologie zu nutzen. Und doch: Mehr Kohlestrom bedeutet kurzfristig mehr Treibhausgasemissionen. Und das, obwohl der Weltklimarat in seinen jüngsten Berichten auf die Notwendigkeit sofortiger Emissionsminderungen drängt. Und doch: Der Pragmatismus der Parteiführung wird auch im Leipziger Westen geteilt: „Das ist bitter, weil das nicht der Weg ist, den wir wollen. Aber auf der anderen Seite ist, was macht Robert Habeck und auch andere grüne Minister*innen ja auch in den Ländern, um eben endlich auf den Weg zu kommen, diese Unabhängigkeit zu erreichen.“

Bitte drehen Sie Ihre Heizung runter, jetzt schon. Damit können Sie wirklich massiv helfen.

Katharina Dröge, Co-Fraktionsvorsitzende der Grünen
Grundsätzlich sind hier viele froh, dass sie gerade jetzt - in dieser schwierigen Situation - das Regierungshandeln gestalten können: „Wir sind ja nun noch nicht so lange in der Regierung, aber mein Eindruck ist auch, dass Robert so ein bissl der heimliche Kanzler ist oder dazu wird.“ Auch wenn die Basis-Grünen hier in Leipzig weitgehend hinter ihren Ministerinnen und Ministern stehen, wünschen sie sich noch mehr.
Die Parteispitze scheut derzeit ein Energieembargo gegen Russland. Aufgrund der hohen Abhängigkeit, gerade von Gas, wären die Folgen vor allem für die Wirtschaft enorm und auch viele private Haushalte wären bei Heizung und Warmwasser betroffen. Entsprechende Appelle zur Sparsamkeit kommen zwar durchaus von den Grünen – etwa der Co-Fraktionsvorsitzenden Katharina Dröge: „Bitte drehen Sie Ihre Heizung runter, jetzt schon. Damit können Sie wirklich massiv helfen. Ich habe das formuliert mit Blick auf Russland, aber das hat natürlich auch eine klimapolitische Komponente beim Thema Gasverbrauch.“

Eine groß angelegte Kampagne gibt es bisher jedoch nicht. Die Klimabewegung geht wesentlich weiter als die grüne Partei – Fridays for Future etwa fordern ein sofortiges Embargo für Energie-Importe aus Russland. Wirtschaftsminister Robert Habeck wird in diesen Tagen jedoch nicht müde zu betonen, wie drastisch die Folgen eines solchen Schrittes für die deutsche Wirtschaft wären.

„Der Unwille eines Wohlstandslandes wie Deutschland, zu verzichten“, heißt es dazu an der Basis im Leipziger Westen. Sei es, weniger Fleisch zu essen, um so die Folgen der Getreidekrise abzumildern – immerhin landet das meiste Getreide in Deutschland in der Tiermast. Oder eben die Wohnung etwas weniger zu heizen.

„Und so kann man doch auch sagen in einer Notsituation, wo zum Beispiel in einem Winter in Deutschland eine Gasknappheit herrscht, dann muss man eben auch gewisse individuelle Freiheiten einstellen. Das kann vielleicht auch sein, dass man die Heizung vielleicht nicht so hochstellt, dass man im T-Shirt sich zuhause aufhalten kann.“ Nur – weniger zu heizen lässt sich gesetzlich nicht verordnen, stellt die Co-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge klar.
An der Basis in Leipzig gibt es aber noch eine andere Idee, die sich auf jeden Fall staatlich regeln ließe: „Also, ich denke da konkret ans Tempolimit. Also das wäre eine Maßnahme, die Sicherheit schafft und zum Beispiel den Ölverbrauch verringert.“ Nun ist ein Tempolimit eine alte grüne Forderung, die schon im Koalitionsvertrag mit den Partnern SPD und FDP nicht durchzusetzen war. Laut Umweltbundesamt könnte eine Reduzierung der Geschwindigkeit auf Autobahnen auf maximal 100 km/h und auf 80 km/h auf Straßen außerorts, rund 2,1 Milliarden Liter Kraftstoff einsparen.
Warum ein Tempolimit trotzdem nicht kommt? An den Grünen liegt es nicht, macht die Co-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge deutlich: „Also, ich würde dem Eindruck widersprechen, dass wir es nicht aufgebracht haben. Wir haben uns nicht darauf verständigt. So rum würde ich es eher formulieren.“

Heißt: Es war mit den Koalitionspartnern auch weiterhin nicht zu machen. Doch Dröge räumt auch ein, dass die Grünen im Koalitionsausschuss andere Prioritäten hatten, als das bei der Basis so beliebte Tempolimit: „Ja, wir haben uns mit Blick auf den letzten Koalitionsausschuss allerdings darauf konzentriert, beim Thema Gasausstieg voranzukommen. Weil wir als Grüne eben auch wussten, am Ende werden wir nicht alles durchsetzen können. Und bei Gas sahen wir einfach das größere Problem. Und da brauchten wir einen Hebel für und wir wollten uns nicht verzetteln. Und die Reformen, die wir da jetzt schaffen, die werden strukturell noch wichtiger sein und deswegen müssen sich Grüne manchmal entscheiden und an der Stelle haben wir uns dafür entschieden.“

Vernachlässigung der Wärmewende verfestigt Gas-Abhängigkeit von Russland


Die Grünen fokussieren sich damit auf ein weniger symbolträchtiges und eher mittelfristig wirkendes Thema – mit entscheidender Bedeutung auch für den Klimaschutz. Die Wärmewende, also die Transformation weg von fossil betriebenen Heizungssystemen, wurde in den vergangenen Jahren kaum forciert. Entsprechend groß ist hier die Abhängigkeit von Erdgas – und entsprechend hat der Gebäudesektor in den vergangenen Jahren stets seine Klimaziele verfehlt. Insofern sind Maßnahmen, die hier weg von fossilen Energien führen, aus grüner Perspektive gleichsam sicherheitspolitisch wie auch klimapolitisch wirksam.
So sehr im Moment die fossile Versorgungssicherheit im Mittelpunkt steht – mit seinem sogenannten Osterpaket hat Wirtschaftsminister Habeck entscheidende Weichen gestellt, um den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu forcieren – so wie er es bereits wenige Tage nach Kriegsbeginn im Deutschlandfunk angekündigt hatte: „Das einzige, was niemandem gehört, ist der Wind und ist die Sonne. Und deswegen sind wir gut beraten diesen Weg zu gehen. Und es kommt eben dazu, dass diese Energien auch beispiellos günstig sind, wenn sie erst einmal aufgebaut sind.“

Die kurzfristigen Zumutungen in der Krise können damit im Idealfall aus grüner Sicht als Beschleuniger für eine ökologische Transformation dienen. Das ist jedenfalls auch die Hoffnung an der Basis, die einiges erträglicher macht: „Dann muss es halt so sein.“