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"Die innere Sicherheit liegt in den Händen der Polizei"

Eine "sehr stark belastete" Polizei, die nicht alle Terrorgefahren abdecken kann: Thomas Oppermann fordert eine bessere personelle Ausstattung der Beamten - und hält nur bedingt etwas von Unterstützung durch die Bundeswehr.

Stefan Heinlein im Gespräch mit Thomas Oppermann |
    Stefan Heinlein: BKA, BND, MAD und Verfassungsschutz – die Sicherheit in Deutschland ruht auf vielen Schultern. Schon lange wird deshalb von manchen Seiten geklagt über Kompetenzstreitigkeiten und Reibungsverluste. In Zeiten der gestiegenen Terrorgefahr beschleunigt sich diese Debatte. Verschiedene Pläne werden offen diskutiert, die Sicherheitsbehörden sollen zusammengelegt werden, um die Effektivität zu steigern. Alles Spekulation, so heißt es bisher aus dem zuständigen Bundesinnenministerium. Erst Ende des Jahres sollen die Ergebnisse einer Expertenkommission vorgelegt werden.
    Mitgehört hat der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann. Guten Morgen!

    Thomas Oppermann: Guten Morgen, Herr Heinlein.

    Heinlein: Herr Oppermann, fühlen Sie sich noch sicher in Berlin?

    Oppermann: Ich fühle mich sicher. Die Terrorwarnungen müssen ernst genommen werden. Aber ich habe den Eindruck, dass die Polizeikräfte, dass die Sicherheitsbehörden uns gut beschützen, dass wir auch gut vorbereitet sind gegen mögliche Angriffe. Das Wichtigste ist ja, dass man von solchen Angriffen, von der Möglichkeit solcher Angriffe weiß und sich dann entsprechend darauf einstellen kann.

    Heinlein: Also sind die verschärften Sicherheitskontrollen in Berlin, gerade um den Reichstag, nicht nur lästig, sondern aus Ihrer Sicht auch notwendig?

    Oppermann: Ja, denn wir müssen die Terrorwarnungen ernst nehmen. Sie kommen aus einem Umfeld, von dem man annehmen muss, dass es gefährlich ist, und natürlich kann es auch reine Propaganda sein, es können auch Trittbrettfahrer dabei sein, die uns in Angst und Schrecken versetzen wollen, ohne dass sich dahinter konkrete Gefahren verbergen, aber solange das nicht sicher ist, müssen wir die Warnungen ernst nehmen, wir müssen die Sicherheit der Bevölkerung schützen, aber wir müssen natürlich auch Bahnhöfe, Flughäfen und öffentliche Plätze, aber auch eben Parlamente, die Zentren der demokratischen Willensbildung in unserer parlamentarischen Demokratie ausreichend schützen. Ich finde, das ist angemessen, was im Augenblick geschieht, und ich hoffe sehr, dass wir bald zu einer entspannteren Sicherheitslage kommen.

    Heinlein: Sie fühlen sich sicher in Berlin, Herr Oppermann, und von der Polizei gut beschützt. Wie gut sind denn insgesamt die Sicherheitsbehörden aufgestellt in Zeiten gestiegener Terrorgefahr, denn darüber wird ja gerade intensiv diskutiert?

    Oppermann: Also da muss man unterscheiden. Zum einen haben wir im Augenblick natürlich eine sehr stark belastete Polizei. Die Bundespolizei, aber auch die Polizeien der Länder, die jetzt ein erhöhtes Maß an Polizeipräsenz gewährleisten müssen, haben eine knappe Personaldecke. Die Bundespolizei muss jedes Jahr 1,5 Prozent der Stellen abgeben. Auch der Haushalt, den wir in dieser Woche beschließen, sieht das für die nächsten Jahre vor. Das halte ich für falsch. Ich glaube, dass die enorme Polizeipräsenz, wie wir sie im Augenblick brauchen und haben, nicht lange durchzuhalten sein wird unter diesen Voraussetzungen, und deshalb fordern wir die Bundesregierung an dieser Stelle auf, noch in dieser Woche auf Antrag der SPD in einer namentlichen Abstimmung die Entscheidung zu korrigieren und den Sparerlass für die Bundespolizei aufzuheben.

    Heinlein: Können Sie das noch drastischer formulieren, oder muss man das vielleicht noch drastischer formulieren, Herr Oppermann? Spart die Bundesregierung auf Kosten der Sicherheit?

    Oppermann: Ja. Jedenfalls spart sie bei der Bundespolizei und sie spart auch beim Bundeskriminalamt und es gibt drastische Einschnitte bei den Geheimdiensten, das ausgerechnet in einer verschärften Bedrohungslage. Ich finde, das passt nicht zusammen. Hier muss die Bundesregierung jetzt endlich mal einsehen, dass das nicht so geht. Das sind falsche Signale. Aber wir vernachlässigen auch die notwendigen personellen Ressourcen, die man für eine erfolgreiche Terrorismusabwehr braucht. Nach dem 11. September wäre niemand auf die Idee gekommen, jetzt bei den Sicherheitskräften Personal einzusparen, und deshalb sollten wir das alles noch einmal überdenken. Da ist ein wenig Sorglosigkeit in den letzten Jahren eingeschlichen, hat sich breitgemacht. Jetzt ist plötzlich die verschärfte Bedrohungslage da, und dann muss auch umgedacht werden.

    Heinlein: Muss umgedacht werden, wenn man aber auch an die Strukturen der Sicherheitsbehörden denkt? Wir haben ja – ich habe es erwähnt – BKA, BND, MAD, Verfassungsschutz und viele jammern ja, beklagen Reibungsverluste. Ist es nicht höchste Zeit, diese Kräfte zu bündeln, Stichwort Synergie?

    Oppermann: Natürlich. Da war ja eben in dem Vorbericht vom MAD die Rede, und wenn jetzt die Bundeswehr drastisch verkleinert wird, muss natürlich die Frage gestellt werden, ob der Militärische Abschirmdienst auch umstrukturiert werden muss. Das gehört natürlich zusammen, da sind wir auch für Diskussionen offen. Man muss natürlich sehen: Der Militärische Abschirmdienst macht nicht nur Spionageabwehr, er führt zum Beispiel auch die ganzen Sicherheitsüberprüfungen durch, von denen immer mehr gefordert werden. Die Aufgaben entfallen nicht alle, die diese Behörden im Augenblick durchführen, sodass die Synergieeffekte natürlich auch überschaubar sind. Wir sind dafür, auch hier die Sicherheitsarchitektur zu überdenken, aber was im Augenblick passiert, halte ich nicht für klug, dass hier inmitten von Terrorwarnungen, in einer angespannten Sicherheitslage jetzt von der Koalition eine Debatte angezettelt wird über den Totalumbau der Sicherheitsarchitektur. Wir müssen doch sehen, dass unsere Sicherheitsbehörden bisher sehr gute Arbeit geleistet haben. Deutschland ist von Terroranschlägen bisher verschont worden. Das verdanken wir der Wachsamkeit, der Professionalität und der hohen Einsatzbereitschaft unserer Gefahrenabwehrbehörden, unserer Polizeibehörden, auch unserer Nachrichtendienste. Und jetzt inmitten der kritischen Situation alle miteinander zu verunsichern und jetzt die Konzentration von den Sicherheitsfragen abzulenken auf politische Reformen, halte ich für problematisch. Dazu müssen wir uns einen besseren Zeitpunkt suchen und ich rate dringend dazu, jetzt erst mal das Gutachten abzuwarten, das die Werthebach-Kommission Ende des Jahres vorlegen will, und auf der Basis kann man dann ganz in Ruhe diskutieren und Entscheidungen treffen.

    Heinlein: Herr Oppermann, Sie haben eingangs unseres Gespräches die Überlastung der Polizei in diesen Zeiten gestiegener Terrorgefahr beklagt. Warum können denn nicht ganz praktisch, ganz simpel Soldaten, Feldjäger in etwa, vor Botschaften oder Ministerien Wache schieben? Dafür sind ja gerade Feldjäger durchaus ausgebildet und die Polizei hätte dann mehr Zeit und Raum für andere Aufgaben.

    Oppermann: Das ist so eine Debatte, da kann man fast die Uhr nach stellen. Dann kommt immer der niedersächsische Innenminister Schünemann und fordert den Einsatz der Bundeswehr inklusive Feldjäger im Innern. Das Grundgesetz spricht eine klare Sprache. Die Bundeswehr ist aufgestellt als Verteidigungsarmee, sie garantiert die äußere Sicherheit. Die innere Sicherheit liegt in den Händen der Polizei, das wird sich auch nicht ändern. Wir lehnen eine Verfassungsänderung ab. Aber vor allen Dingen finde ich es unerträglich, wenn ein Landesinnenminister, der Polizeistellen in Niedersachsen abgebaut hat, jetzt quasi als Ausgleich den Einsatz der Bundeswehr fordert, weil er nicht in der Lage ist, seine Hausaufgaben zu machen. Auf dem Niveau dürfen wir nicht über Verfassungsänderungen und über die grundsätzliche Einordnung unserer Streitkräfte als Verteidigungsarmee reden.

    Heinlein: Sie argumentieren, Herr Oppermann, mit dem Grundgesetz unter dem Arm. Aber können wir uns denn angesichts dieser gestiegenen Terrorgefahr, die Sie ja auch erkennen, diese verfassungspolitische, diese politische, diese Debatte über den Bundeswehreinsatz im Innern überhaupt noch erlauben?

    Oppermann: Ja. Wir sollten Prinzipien wie die Verteidigungsarmee, wie die Aufrechterhaltung der Pressefreiheit auch in schwierigen Situationen, die sollten wir immer führen. Wir sollten unsere Prinzipien nicht aufgeben, und ich weise auch darauf hin: Die Bundeswehr befindet sich in einer umfassenden Reform, sie soll drastisch verkleinert werden auf 185.000 Soldaten. Wir haben internationale Verantwortung, wir haben Missionen der Vereinten Nationen durchzuführen mit deutscher Beteiligung. Die Bundeswehr ist mit dem, was sie dort zu tun hat, voll ausgelastet, es gibt keine großen Reserven bei der Bundeswehr, die sind überhaupt nicht vorhanden. Wenn natürlich die Bundeswehr verkleinert wird, dann ist es denkbar, dass militärisch ausgebildetes Personal oder auch polizeilich ausgebildetes Personal bei den Feldjägern etwa dann in die Polizeibehörden eingegliedert wird, aber so weit sind wir noch nicht.

    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.

    Oppermann: Ich bedanke mich auch!