
Am Freitag hatte der Bundestag die Abstimmungen über drei neu zu besetzende Richterposten am Bundesverfassungsgericht vertagt. Grund dafür war Unmut in den Reihen der Union über die von der SPD nominierte Kandidatin Brosius-Gersdorf. Zuvor hatten die Koalitionsspitzen das gemeinsame Personaltableau bereits gebilligt. Wann die Abstimmung nachgeholt wird, ist offen.
"Ich glaube, wenn man einen Blick in die Zeitungen vom Wochenende wirft, dann lernt man sofort, die Koalition hat sich jedenfalls selbst beschädigt", sagte Steinmeier zu dem Vorgang im ZDF. Es sei keine Kleinigkeit, um die es gehe: "Es geht um die Autorität und Funktionsfähigkeit eines Verfassungsorgans, das zugleich unser höchstes Gericht ist".
Merz bezeichnet Abstimmungsverhalten der Unionsfraktion als "undramatisch"
Bundeskanzler Merz sieht die schwarz-rote Regierungskoalition durch den Streit um Nachbesetzungen am Bundesverfassungsgericht nicht geschwächt. Die gescheiterte Wahl der von der SPD aufgestellten Richterkandidatin Brosius-Gersdorf sei "undramatisch" und "kein Beinbruch", sagte Merz im ARD-Fernsehen. Frei gewählte Abgeordnete seien auch in Personalfragen nur ihrem Gewissen unterworfen. Merz räumte ein, dass man den Unmut über die Nominierung Brosius-Gersdorfs in der eigenen Fraktion zu spät erkannt habe. Dies ändere jedoch nichts an seinem Vertrauen in die Arbeit des Fraktionsvorsitzenden Spahn. Nun gehe es darum, innerhalb der Koalition den zweiten Versuch einer Richterwahl vorzubereiten und mögliche Vorbehalte zu besprechen.
Deutliche Kritik an Unionsfraktionschef Spahn
Auf Unionsseite steht vor allem Fraktionschef Spahn (CDU) in der Kritik. Ihm wird vorgeworfen, es nicht geschafft zu haben, die zugesagte Zustimmung seiner Fraktion zu Brosius-Gersdorf sicherzustellen. Der frühere Verfassungsrichter und Ex-CDU-Politiker Müller sagte der "Süddeutschen Zeitung", der Vorgang zeige ein eklatantes Führungsversagen der Union. So etwas dürfe nicht passieren.
Die SPD will an der von ihr vorgeschlagenen Richterkandidatin Brosius-Gersdorf festhalten und machte deutlich, dass sie von der Union erwartet, wie zugesagt im Bundestag für die Juristin zu stimmen. Sie bot der Unionsfraktion eine persönliche Vorstellung der Kandidatin an, gegen die es dort Vorbehalte gibt - wegen Plagiatsvorwürfen, die allerdings als konstruiert kritisiert werden, und wegen Äußerungen zum Abtreibungsrecht, die als zu liberal kritisiert wurden. Ein direktes Gespräch mit Brosius-Gersdorf mit der Unionsfraktion sei ein Vorschlag, den man schlecht ausschlagen könne, sagte SPD-Fraktionsvize Eichwede bei Welt TV. Eine offizielle Reaktion der Unionsfraktion auf die Einladung stand noch aus.
In der SPD wurde über die Verlässlichkeit des Koalitionspartners diskutiert. "Für die Zukunft der Zusammenarbeit ist es unerlässlich, dass die Unionsfraktion geeint ist", sagte SPD-Parlamentsgeschäftsführer Wiese dem "Handelsblatt". Man müsse sich auf gemeinsame Absprachen verlassen können. Der SPD-Abgeordnete Stegner sagte der Zeitung: "Wenn schon in einer solchen Frage die Handlungsfähigkeit der Koalition in Zweifel steht, kommt das Regierungsschiff reichlich früh in schwere See."
Kritik auch von CDU-Politikern
Auch innerhalb der CDU gab es Kritik an der Handhabung der Richterwahl. Brandenburgs CDU-Vorsitzender Redmann sagte der "Bild": "Bei der Wahl der Verfassungsrichter hat sich niemand mit Ruhm bekleckert - und das gilt ausdrücklich auch für meine Partei." Der Chef des CDU-Sozialflügels, Radtke, sagte der "Welt am Sonntag", was die Regierungsparteien in den vergangenen zwei Wochen geboten hätten, sei "ein Autounfall in Zeitlupe". Der CDU-Bundestagsabgeordnete Bareiß sagte dem "Tagesspiegel", er hätte sich von seiner Partei und der Fraktionsführung in der Frage der Plagiatsvorwürfe gegen Brosius-Gersdorf "etwas mehr Zurückhaltung" gewünscht. "Die plötzlich auftauchenden Plagiatsvorwürfe lösten bei mir ein ganz ungutes Störgefühl aus."
Diese Nachricht wurde am 13.07.2025 im Programm Deutschlandfunk gesendet.