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Die Linke
Im Richtungsstreit

Kraftlos, mutlos, ideenlos - so lautet bereits jetzt die Kritik an der Großen Koalition zwischen Union und SPD - noch bevor sie überhaupt Realität geworden ist. Profitieren könnte von dieser Stimmung "Die Linke". Aber die Partei kämpft um ihren politischen Kurs - mit ungewissem Ausgang.

Von Falk Steiner | 09.02.2018
    Bernd Riexinger, (l-r) Bundesvorsitzender der Partei Die Linke, Katja Kipping, Bundesvorsitzende der Partei Die Linke, und die Spitzenkandidaten Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht am 25.09.2017 in der Bundespressekonferenz in Berlin.
    Die Parteivorsitzenden von "Die Linke" Bernd Riexinger und Katja Kipping neben den Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht (v.l.n.r.) (dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Die Große Koalition steht, wenn die SPD-Mitglieder zustimmen. Doch einige sind unzufrieden mit dem Verhandlungsergebnis, mit der Koalition überhaupt. Werden sie der SPD treu bleiben, sollte die Mehrheit sich für die Koalition entscheiden? Auch bei den Grünen, in den Jamaika-Sondierungen Union und FDP teils weit entgegengekommen, gibt es Enttäuschte. Eine gute Ausgangslage für die Linke in Deutschland?
    "Eine SPD, die auf GroKo-Kurs ist, und vor allen Dingen solch einem Vertrag wie er sich jetzt abzeichnet zustimmt, wie er sich jetzt abzeichnet, macht einen Platz frei, links von der dann übrigen SPD. Und den können wir als Linke besetzen", sagt die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping.
    Die Rolle als Oppositionsführerin im Bundestag hat die Linke verloren, bei der Wahl im September hatten sich viele Mitglieder mehr als 9,2 Prozent der Wählerstimmen erhofft. Aber: Gut vier Millionen Zweitstimmen hat die Partei bekommen, eine halbe Million mehr als 2013. Und: Die Linke wächst wieder, erstmals seit Jahren. 62.300 Mitglieder hat sie zu Jahresbeginn - über 3.000 mehr als im Vorjahr. Die Neuen sind im Schnitt gerade einmal 35 Jahre alt. Die Generation SED, die lange das Rückgrat der Partei bildete, verschwindet - weil sie austritt oder verstirbt. Die Linke verändert sich und streitet darüber, wie diese Veränderung aussehen soll.
    "Wir müssen mehr zur Wirtschaft sagen"
    Eigentlich gehe es der Partei derzeit gut, sagt Bernd Riexinger, der Ko-Vorsitzende: "Aber es ist uns natürlich nicht komplett gelungen, dass die Erosion der Sozialdemokratie, die jetzt inzwischen bei 20 Prozent sind, über die Jahre 10 Millionen Stimmen verloren haben, dass die zu den Linken gekommen sind."
    Die inhaltliche Positionierung der Linken, aber auch die allgemeine Politisierung, das alles hätte zum aktuellen Zulauf beigetragen, sagt Riexinger. Um enttäuschte Sozialdemokraten und Grüne zu gewinnen, will der Parteichef die Linke inhaltlich breiter aufstellen.
    "Wir müssen mehr zur Wirtschaft sagen. Die Linke gilt ganz stark als Partei, die für gerechte Verteilung steht, die für Sozialtransfers steht, das halten wir auch für vollkommen richtig, die für Umverteilung steht. Aber was produziert wird, wie produziert wird, und wie das aussieht mit der Wirtschaft, da haben die Leute ein gewisses Misstrauen uns gegenüber", sagt der Parteivorsitzende.
    "Da haben wir jetzt eine große Chance, weil überall industrielle Umbrüche stattfinden. In der Automobilindustrie, in den traditionellen Industriebereichen. Da könnte Die Linke
    Linken-Parteichef Bernd Riexinger nimmt am 25.11.2017 am Landesparteitag der Linken Baden-Württemberg in Stuttgart-Möhringen (Baden-Württemberg) teil. 
    Parteichef Bernd Riexinger möchte, dass die Linke in Wirtschaftsfragen "eine vorwärtsdenkende Rolle" einnimmt. (dpa / Sebastian Gollnow)
    Auch die Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Sahra Wagenknecht, sieht Chancen für die politische Linke: "Die SPD schafft sich ab. Wenn sie jetzt wirklich diese große Koalition noch einmal in geht, zu so schlechten Bedingungen, dann entsteht da eine riesige politische Leerstelle. Und ich möchte nicht, dass diese Leerstelle von rechts gefüllt wird. Das heißt, wir müssen darüber nachdenken: Wie schaffen wir es, dort tatsächlich eine linke Kraft zu etablieren."
    Angst, das Kernklientel nicht mehr anzusprechen
    Aber ihr Weg dorthin unterscheidet sich von dem des Parteivorsitzenden: "Nur bin ich sehr froh, dass es Die Linke gibt, und dass sie sich bei zehn Prozent zur Zeit so etwa etabliert hat - links von der SPD. Aber wir müssen natürlich auch realistisch sehen: wir müssen sehr viel breiter werden, sehr viel mehr Akzeptanz bekommen, wenn wir tatsächlich auch das gesamte politische Spektrum mal wieder nach links verschieben wollen."
    Was Wagenknecht hier umschreibt: ihr Nachdenken darüber, ob "Die Linke" als Partei das richtige Vehikel für ein Angebot links der politischen Mitte ist. Erst schlug Wagenknechts Mann, der saarländische Linkspartei-Chef und frühere SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine Ende 2017 eine neue, linke Sammlungsbewegung vor. Dann legte Wagenknecht nach, forderte ähnliches.
    Aber wie soll dieses Angebot genau aussehen? Klar ist nur: Sahra Wagenknecht treibt die Angst an, dass "Die Linke" ihre Kernklientel nicht mehr anspricht.
    "Auch, weil sie, ich sag mal, in einigen Positionen eben nicht die Breite der Bevölkerung wirklich erreicht. Also wir hatten ja viele Diskussionen bei der Flüchtlingspolitik. Aber man muss es natürlich auch wollen. Also wenn man linke Volkspartei werden will, muss man natürlich auch eine Ansprache wählen, die einfache Leute verstehen. Wenn man eben zum Beispiel auch viele, die im prekären Bereich arbeiten, auch Arbeitslose, erreicht. Wir hatten mal 2009 eine Situation, da hatten uns 30 Prozent der Arbeitslosen gewählt. Inzwischen sind es nur noch elf."
    Wenn Sahra Wagenknecht von der politischen Ansprache spricht, heißt das bei ihr auch: Kritik an der inhaltlichen Positionierung der eigenen Partei.
    "Das sind in der Regel Menschen, die sind wütend, die sind sauer. Die wollen eigentlich nur der Politik ein Signal geben, wir wollen, dass es sich ändert. Und natürlich gibt es in diesem Land viele soziale Probleme, die sich zugespitzt haben. Die sich auch besonders zugespitzt haben natürlich durch die hohe Zuwanderung. Also, wenn es schon zu wenig Sozialwohnungen gibt, dann ist es natürlich schwierig, wenn die Nachfrage steigt. Und natürlich gibt es auch eine Konkurrenz im Niedriglohnbereich, gerade bei einem so deregulierten Arbeitsmarkt, wie wir den in Deutschland haben. Und diese Menschen, die sich über solche Entwicklungen dann ärgern, und die ja tatsächlich auch darunter zu leiden haben - die sind ja auch davon betroffen, nicht die Wohlhabenden. Die dann in die rechte Ecke zu stellen, das treibt sie ja geradezu in die Arme der AfD."
    Französisches Vorbild
    Sie spreche gern an Universitäten, sagt Sahra Wagenknecht, und freue sich über Zuspruch aus dem akademischen Milieu. Aber das seien eben nicht die Globalisierungsverlierer, für die eine Linke kämpfen müsse. Ihr Vorbild für eine linke Bewegung ist dabei Jean-Luc Mélenchons La France Insoumise, "Unbeugsames Frankreich".
    Jean-Luc Melenchon steht mit einer blau-weiß-roten Schärpe in einer Traube von Menschen, die gemeinsam einen weißen Banner mit der Aufschrift "Coup D'état Social" halten
    Der linke Politiker Jean-Luc Melenchon (Bildmitte) erhielt bei der Präsidentschaftswahl 2017 mit der von ihm gegründeten Partei "La France insoumise" knapp 20 Prozent der Stimmen. (dpa / picture-alliance / Jean-Baptiste Quentin)
    Also wenn man linke Volkspartei werden will, muss man natürlich auch eine Ansprache wählen, die einfache Leute verstehen.
    "Die haben bei der Präsidentschaftswahl etwa 20 Prozent bekommen. Das war ein grandioser Erfolg. Und sie haben auch jetzt erreicht, dass im Grunde die Opposition gegen Macron, das ist Jean-Luc Mélenchon, das ist der Vorsitzende von La France Insoumise. Wäre die nicht entstanden wäre die Gefahr groß, dass Le Pen quasi das Gesicht der Opposition wäre."
    "Frankreich ist insofern interessant, als dass die Bewegung, die von Jean-Luc Mélenchon angeführt wird, die in Wahrheit eine Partei ist "La France Insoumise", ein Auffangbecken ist für Leute aus der sozialistischen Partei, die ja selber nie ihr Bad Godesberg gehabt hat. Das heißt, die sozialistische Partei bestand eigentlich immer aus zwei Grundströmungen. Die eine: eine grundsätzlich sozialistische und antikapitalistische Grundströmung; und eine andere, eine grundsätzlich sozialdemokratische und reformerische", beschreibt der frühere Frankreichkorrespondent der Zeit, Gero von Randow, die Veränderungen im Nachbarland.
    Der sozialdemokratische Teil der französischen Parti Socialiste sei geradezu "verdampft", so von Randow, während die eigentlichen Sozialisten, wie Mélenchon, während der Präsidentschaft Francois Hollandes geflohen seien - in jene neue Bewegung, die Wagenknecht als Vorbild sieht.
    "So etwas wünsche ich mir. Ich meine, wenn die SPD abstürzt - und sie stürzt seit vielen Jahren ab, das geht ja immer weiter - muss dort eine Kraft entstehen, die das wirklich ausfüllen kann. Bisher können wir das nicht, das müssen wir realistisch sehen."
    "Versuchung der Linken, nationalistische Töne zu spucken"
    Lernen von anderen Ländern in Europa? In Griechenland verschwand die Sozialdemokratie beinahe, Syriza wurde stark. In Spanien wurde mit Podemos eine neue Linke relevant.
    Gero von Randow beschreibt deren Organisationsform so: "Wenn wir Podemos nehmen, die sich sicherlich als links bezeichnet, so ist sie doch selber sehr diffus. Und wie viele dieser neuen Bewegungen sehr pyramidal aufgebaut, also konzentriert auf eine Person und ihre Mitstreiter."
    Aber nicht nur organisatorisch, auch inhaltlich sieht von Randow deutliche Unterschiede zwischen Mélenchons Bewegung und der heutigen Linkspartei in Deutschland. So seien zum Beispiel Versprechen für den Ausbau des Sozialstaats natürlich leichter auf nationaler Ebene zu denken und einzulösen. Verführerisch sei das für die Linke, sagt Gero von Randow.
    "Es hat in Deutschland immer wieder diese Versuchung gegeben der Linken, nationale oder auch nationalistische Töne zu spucken, da gibt es viele Beispiele aus der Vergangenheit. Das ist aber beileibe nicht so ausgeprägt wie in Frankreich. Dort ist Politik sehr viel stärker auf die Nation bezogen, also explizit in der Rhetorik."
    Nationalistisch sei die Politik Wagenknechts nicht, soweit man das erkennen könne, meint von Randow. Sie spreche aber gezielt in Zweideutigkeiten, die von unterschiedlichen Zielgruppen unterschiedlich gedeutet werden könnten.
    Wenn sie von Flüchtlingen und sozialen Probleme spricht, stellt sie einen Zusammenhang zwischen beidem her, auch wenn sie niemals die Flüchtlinge selbst zum Problem oder der Ursache erklärt. Nur der Ausdruck einer anderen Ansprache der Wählerschaft? Oder doch einer wirklich anderen Politik?
    Keine Einigkeit bei Wagenknecht und Kipping
    Mit Prominenten, nicht unbedingt mit Politikern, will Wagenknecht ihr Bewegungsprojekt angehen, sagt sie. Ob es am Ende eine neue Partei werden soll, lässt sie derzeit offen. Aber mit der real existierenden Linken hat sie offensichtlich Probleme.
    Das lässt sich vor allem an einer Person festmachen: der Parteivorsitzenden Katja Kipping.
    "Es ist nicht klar, ob es am Ende darum geht, eine Konkurrenz zur Linken aufzubauen oder ob es einfach eine Einladung ist, dass mehr Leute zur Linken kommen. Auch inhaltlich bleibt diese Sache sehr diffus."
    Während Wagenknecht gemeinsam mit Dietmar Bartsch der Bundestagsfraktion vorsitzt, ist Katja Kipping, die zusehends besser mit ihrem Ko-Vorsitzenden Riexinger harmoniert, in der Partei mächtig.
    Die Bundesvorsitzenden Bernd Riexinger (2.v.l.) und Katja Kipping (r) und die Fraktionsvorsitzenden der Partei Die Linke im Bundestag, Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch, haben sich am 17.10.2017 in Potsdam (Brandenburg) zu einer Besprechung bei der Fraktionsklausur der Linken zurückgezogen. Sie sitzen in einem Besprechungsraum hinter einer Scheibe.
    Die Spitzen von Partei und Fraktion der Linken (v.l.n.r.): Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht sitzen Bernd Riexinger und Katja Kipping gegenüber (dpa / Britta Pedersen)
    "Den einzigen konkreten inhaltlichen Punkt, den ich aus den Interviews bisher herauslesen konnte ist, dass die Linke ihre Flüchtlingspolitik korrigieren muss. Aber genau diesen Punkt finde ich inhaltlich nicht überzeugend. Das wär dann eine Sammlungsbewegung, die sich eher, sage ich mal, von links wegbewegt. Und das Dritte ist natürlich das Demokratieverständnis dahinter. Ist das eine Sammlungsbewegung, die sich um zwei, drei Promis sammeln soll, wo dann die Leute nur zu klatschen, also nur die Aufgabe haben zu kommen, um zu klatschen. Oder ist vorgesehen, dass es dort eine lebendige demokratische, kritische Streitkultur gibt."
    "Ich verstehe natürlich, dass einige Angst haben, dass jetzt sozusagen, ohne dass etwas adäquat Neues entsteht die Linke aufs Spiel gesetzt wird. Aber genau das will ich natürlich nicht. Also ich will nicht aufs Spiel setzen, dass es links von der SPD eine relevante Partei gibt, was wir ja sind. Sondern ich will mehr erreichen als das", sagt Sahra Wagenknecht.
    Natürlich habe sie Verständnis dafür, wenn es im Zusammenhang mit ihrem Bewegungsvorschlag Sorgen an der Basis gebe. Und geht dann zum Angriff über.
    "Ein bisschen anders ist es bei gewissen Debatten in den Führungsebenen. Weil ich meine, der Begriff Sammlungsbewegung, vor einiger Zeit, ich glaube im November oder Dezember war es, hat Katja Kipping gesagt, wir brauchen eine linke Sammlungsbewegung. Da hat sich keiner aufgeregt. Wenn ich das sage, ist das der ganz große parteifeindliche Vorstoß. Also es gibt natürlich auch bei einigen, hab ich das Gefühl, egal was ich sage, immer irgendwie ein Erregungsecho, um das dann irgendwo in Grund und Boden zu stampfen. So sollte man Diskussionen nicht führen."
    "Klare Kante gegen rechts geben"
    Geht es um Stil? Organisationsfragen? Oder doch Inhalte? In der Linken ist das eng miteinander verbunden. Und die Partei könnte gerade in ihren Themenfeldern stärker unter Druck kommen. Führungsfiguren rechnen damit, dass die Alternative für Deutschland sich künftig weniger marktliberal positioniert, stattdessen mit nationalen Sozialstaatsversprechen. Doch was heißt das für "Die Linke"?
    Katja Kipping gibt sich kämpferisch: "Fangen wir an, unsere Flüchtlingsposition zu korrigieren? Oder sagen wir Nein? Wir müssen hier Haltung zeigen, klare Kante gegen rechts geben. Und das aber immer wieder deutlich verbinden mit einem Kampf, eine soziale Offensive für alle."
    Auch der zweite Parteichef Bernd Riexinger steht deutlich näher bei seiner Ko-Vorsitzenden als bei Sahra Wagenknecht: "Man hat ja gesehen, wo andere Parteien hinkommen, die Positionen übernehmen, die die AfD praktisch setzt. Das will Sahra Wagenknecht nicht, das darf man ihr nicht unterstellen. Aber es darf auch gar nicht den Anschein haben, dass wir dort in irgendeiner Form unsere Position hinterfragen."
    Und auch in Richtung SPD- und Grünen-Sympathisanten setzt Riexinger auf die Attraktivität seiner Partei: "Wir dürfen nicht an inhaltlicher Schärfe verlieren, unsere Positionen nicht aufweichen. Wir brauchen nicht eine zweite sozialdemokratische Partei in diesem Land."
    Darum gehe es jetzt: Trennschärfe, Standfestigkeit und ein Angebot an enttäuschte Wähler und Parteimitglieder.
    "Das ist zu sehr Selbstbeschäftigung für mich"
    Aber Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine"machen jetzt quasi eine Debatte, ob wir eine neue Sammlungsbewegung oder eine neue Volkspartei oder ob "Die Linke" eine Volkspartei sein soll. Das ist zu sehr Selbstbeschäftigung für mich und zu wenig nach außen gerichtet. Und von dieser Debatte muss man schnell wieder wegkommen."
    Dietmar Bartsch, der Ko-Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, der dem Reformer-Flügel zugerechnet wird, ließ wissen, er halte nichts von abstrakten Diskussionen über eine Sammlungsbewegung, ohne einen gesellschaftlichen Widerhall für entsprechende Vorstöße. Eine kurz angebundene Abfuhr für seine Ko-Fraktionsvorsitzende, mit der ihn sonst eine pragmatische Machtaufteilung verbindet.
    Der Linken-Spitzenkandidat Dietmar Bartsch spricht am 30.06.2017 in Berlin auf einer Veranstaltung der Linken-Bundestagsfraktion zur Bilanz der vergangenen Legislaturperiode.
    Der Co-Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag Dietmar Bartsch wird dem Reformer-Flügel der Partei zugerechnet (picture alliance / dpa / Monika Skolimowska)
    Seit dem Rückzug Gregor Gysis von der Fraktionsspitze im Oktober 2015 hatten die Lager um Wagenknecht und Bartsch sich arrangiert. Gegen den Willen der Parteichefs waren er und Wagenknecht als Spitzenkandidatenduo der Partei in die Bundestagswahl gezogen. Sie beide gebe es nur gemeinsam, so ihre Bedingung damals. Doch Wagenknechts Einzelaktionen scheinen die Machttektonik in der Linken durcheinanderzubringen - genau wie andere Veränderungen in Partei und Fraktion.
    "Junge Gruppe" der Linksfraktion
    Simone Barrientos ist eine von 69 linken Abgeordneten im neuen Bundestag und im Herbst erstmals ins Parlament gewählt worden. Sie fand sich in einer Fraktion wieder, in der in der vergangenen Legislaturperiode heftig gekämpft wurde, darum, wer welche Funktion hat, sogar darum, wer wann reden darf. Für sie und viele der 26 neuen Abgeordneten nicht erstrebenswert.
    "Da war halt eine ganz große Gruppe plötzlich. Und was die unterscheidet von den Alten ist sicherlich, dass die ganz frisch von der Basis kommen. Also von all den Problemen, die da auf der Straße liegen."
    Dass Simone Barrientos nicht lange Zuschauerin bleibt, wird jedem, der sie trifft, sofort klar. Die 54-jährige hat in ihrem Leben, das im Osten begann und über Berlin bis Bayern führte, viel gesehen. Zusammen mit anderen Abgeordneten hat sie die sogenannte "junge Gruppe" der Linksfraktion organisiert.
    "Ich ordne mich keinem Flügel zu, sondern ich orientiere mich inhaltlich. Und dann gibt es mal hier, mal da, mal dort Überschneidungen. Und für mich war dann irritierend, dass die einen mich mal in den Flügel und die anderen in den Flügel einordneten, beziehungsweise hier zog man, da schubste man. Und das war am Anfang gar nicht so durchschaubar, sondern war so subtil da. Und als ich dann dieses Treffen angeregt habe, da habe ich festgestellt, dass es ganz vielen so ging."
    Simone Barrientos war in den vergangenen Jahren in der Flüchtlingshilfe engagiert, der Hauptgrund, für den Bundestag zu kandidieren. Die internen Debatten über Änderungen an der Flüchtlingspolitik der Linken hält sie für gefährlich und überflüssig. Auch einer möglichen, linken Sammlungsbewegung steht Barrientos kritisch gegenüber.
    Simone Barrientos, die sich in Ochsenfurt zusammen mit einem Helferkreis um unbegleitete jugendliche Flüchtlinge kümmert, aufgenommen am 19.07.2016 in Ochsenfurt (Bayern).
    Simones Barrientos hat zusammen mit anderen Abgeordneten die sogenannte "junge Gruppe" der Linksfraktion organisiert (dpa / Karl-Josef Hildenbrand)
    "Wir sitzen hier für diese Partei. Und ich hab auch irgendwann mal in der Debatte gesagt: Ich wünsch mir hier ein bisschen mehr Demut manchmal, weil wir säßen hier alle nicht ohne die Partei. Und was die Partei beschließt, das ist mein Maßstab. Mal unabhängig davon, dass man natürlich auch debattieren kann und muss."
    Wo soll es hingehen?
    Debatten scheut Sahra Wagenknecht nicht: "Natürlich wäre auch ein Weg, klar, dass die Linke sich wieder so aufstellt, dass sie die größere Breite erreicht. Das wäre ein Weg, den ich genauso befürworten würde."
    Aber sie lässt keinen Zweifel daran, dass sie sich das mit der heutigen Führungsmannschaft kaum vorstellen kann.
    "Ich finde nur, man muss für Verschiedenes offen sein und man darf auf jeden Fall nicht sich jetzt mit der Situation abfinden. Weil, sich einzurichten in einer Nische. Und, wie gesagt, es ist gut, dass es uns gibt, da bin ich sehr froh und ich hab dafür gekämpft, dass die Linke mit 9,2 Prozent wieder in den Bundestag kommt. Aber zu sagen: Das reicht uns, dass wir dort unsere Mandate haben, dass wir da unsere Politik machen. Nein, ich möchte gesellschaftlich etwas bewegen. Und ich mache mir große Sorgen, wo es sonst hingeht."
    Wo es hingeht, darüber besteht offensichtlich keine Einigkeit.
    Parteichef Bernd Riexinger sieht "Die Linke" so: "Sie ist nicht nur dagegen, sie hat wirklich ein Rentenkonzept, sie hat ein Steuerkonzept, wo wir sagen können, die Verkäuferin kriegt eben 200 Euro mehr raus. Und unzufriedene Sozialdemokraten können sagen, ok hier hat die Linke uns etwas anzubieten. Wenn wir das erfolgreich machen wollen, dürfen wir uns jetzt nicht in Formationsdebatten über neue Parteien oder sonst irgendwas beschäftigen. Weil das führt nur dazu, dass wir uns berechtigterweise streiten. Das ist ja keine Kleinigkeit, wenn über neue Formationen diskutiert wird. Sondern wir müssen gucken, dass wir die Linke so aufstellen, dass sie quasi die Chance hat von den 10 Prozent auf 12, 14, 16 Prozent zu kommen."
    "Es gibt ja einen Unterschied zwischen einer kometenhaften Bewegung und einer aufsteigenden Bewegung. Kometenhaft heißt, dass was ganz schnell nach oben schießt, aber auch sehr schnell, wie ein Komet verglüht. Und ich arbeite an einer Linken, die eine aufsteigende Linke ist. Das heißt, die kontinuierlich wächst, größer wird und sich auch programmatisch gut aufstellt", sagt Katja Kipping.
    Im Juni wählt Die Linke in Leipzig ihren Vorstand neu. Dann wollen sich auch Bernd Riexinger und Katja Kipping erneut um den Parteivorsitz bewerben. Und zwar ohne Änderungen an der Flüchtlingspolitik.
    "Wer jetzt eine Korrektur will, der muss sich demokratischen Verfahren stellen und muss einen entsprechenden Antrag stellen auf dem Parteitag und da muss er die Delegierten überzeugen. Da reicht es nicht einfach, die Parteivorsitzenden zu beschimpfen."
    Und Sahra Wagenknecht, die Fraktionsvorsitzende? Ihre Vorstellungen einer neuen Linken könnte sie als Parteivorsitzende doch eigentlich besser umsetzen: "Ich bin Fraktionsvorsitzende. Und ich mache das sehr gern."
    Bleiben Partei und Fraktion also dauerhaft zwei Welten in einer Linkspartei? Simone Barrientos, die Abgeordnete aus dem bayerischen Ochsenfurt, kann sich das nicht vorstellen.
    "Wenn es diesen Graben denn gibt, wenn man ihn so nennen möchte zwischen Partei und Fraktion, dann ist der tatsächlich aufzubrechen. Weil in dieser Fraktion der größte Teil das so sieht wie ich, nämlich die Partei ist der Maßstab, an dem wir uns orientieren."