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Die Malerin Helene Funke
Eigensinnig, emanzipatorisch, erfolgreich

Lange war die Malerin Helene Funke vergessen, obwohl sie unter Zeitgenossen bekannt war und in ganz Europa ausstellte. Heute erkennt man in der eigensinnigen Künstlerin eine selbstbewusste Vertreterin der Moderne. Vor 150 Jahren wurde sie in Chemnitz geboren.

Von Anja Reinhardt | 03.09.2019
    Die Bilder «In der Loge» und «Träume» von Helene Funke sowie «Die Schwester im Atelier» von Jeanne Mammen sind in einer Ausstellung zu sehen
    Die Bilder «In der Loge» und «Träume» von Helene Funke sowie «Die Schwester im Atelier» von Jeanne Mammen sind in einer Ausstellung zu sehen (dpa / Friso Gentsch)
    "Von einer Tochter aus gutbürgerlichem Haus erwartete die Gesellschaft, dass sie heiratete und – bei völliger finanzieller und juristischer Abhängigkeit von ihrem Ehemann – ihren Pflichten als Ehefrau nachkam. Malen wurde nur als Hobby geduldet und als durchweg dilettantisch eingeschätzt."
    Als Helene Funke mit 29 Jahren aus Chemnitz, wo sie am 3. September 1869 geboren wurde, nach München aufbricht, ist das ein gewagter, fast unerhörter Schritt für eine Frau, wie ihr Neffe Peter Funke ein Jahrhundert später schreibt.
    "Ein unabhängiges Leben als selbstständige Malerin war gesellschaftlich völlig inakzeptabel, denn es widersprach dem gesellschaftlichen Bild von der Rolle einer Frau."
    Staatliche Akademie blieb Frauen verwehrt
    Was dieser Entscheidung vorausging, liegt im Dunkeln, denn über Helene Funkes Zeit in Chemnitz, Ende des 19. Jahrhunderts boomende Industriestadt, ist so gut wie nichts bekannt. Sie wächst mit vier Brüdern in einer großbürgerlichen und durchaus kunstsinnigen Familie auf. In Chemnitz und Dresden, wo die Eltern nun wenige Jahre nach Helenes Umzug leben, wird sie mehrfach ausstellen, was die Familie vielleicht besänftigt, denn vermutlich sind Helenes eigensinnige und emanzipatorische Entscheidungen nicht begrüßt worden.
    "Ab nach München!" Schreibt auch die Künstlerin Gabriele Münter, mit der Helene Funke zwei Jahre zusammen an der Damen-Akademie Malerei studiert – die staatliche Akademie war Frauen noch verwehrt.
    Beeinflusst von Gertrude Stein
    Aber Funke ist es in München irgendwann doch zu provinziell. Den Abschluss hat sie seit vier Jahren in der Tasche, als es sie 1906 nach Paris zieht, wortwörtlich ins Zentrum der künstlerischen Avantgarde. Zusammen mit der Malerin Martha Hofrichter wohnt sie in der Rue de Fleurus 27 – dort, wo Gertrude Stein ihren berühmten Salon betreibt, in dem Picasso, Matisse, Cézanne, Renoir ein- und ausgehen. Stein hält später in einer ihrer Vorlesungen fest:
    "Das Anliegen von Kunst ist, in der aktuellen Gegenwart zu leben, das heißt, in der vollständigen aktuellen Gegenwart, und jene vollständige aktuelle Gegenwart vollständig auszudrücken."
    Unter Steins Einfluss und dem der Künstler ihres Salons verändert sich Helene Funkes Stil grundlegend: In der Münchner Zeit sind ihre Bilder durch impressionistische Nachahmung gekennzeichnet, sie malt brave, handwerklich meisterhafte Landschaften. Jetzt aber ist sie "aktuell gegenwärtig": explosive Farben, ein entschiedener Strich, dick aufgetragen.
    Künstlerische und private Freiheit
    Ihr beliebtestes Sujet: die Frau. Modern und selbstbestimmt und oft nackt. Zu ihren schönsten Bildern gehört "Im Boudoir", drei nackte, lachende Frauen, weder ätherisch noch lasziv, sondern ausgelassen fröhlich, widmen sich der Körperpflege, mit breitem Pinsel gemalt, expressiv und selbstbewusst, wie das Bildpersonal. Helene Funke stellt in den Avantgarde-Salons aus und genießt in Paris eine künstlerische und private Freiheit, die sie aus Deutschland nicht kennt. Sie unternimmt Reisen in die Bretagne und nach Südfrankreich. Trotzdem siedelt sie 1913 nach Wien über – für immer.
    Verehrt und verachtet
    Helene Funke schlägt als Avantgarde-Komet in Wien ein, sie nimmt nach dem Ersten Weltkrieg an großen Ausstellungen wie der Wiener Secession teil, aber Männer wie der Kunstkritiker Arthur Roessler ätzen:
    "[D]ie Frau [kann] auch als Künstlerin nie zeugen, sondern nur gebären. […] Die Frau hat keine Kunst."
    "Gestern Nachmittag war ich bei Helene Funke, einer Malerin, die ich sehr liebe und verehre. Sie ist ein einsamer Mensch, nicht mehr jung, ganz arm durch die Inflation in Deutschland geworden und malt herrliche Bilder. Es tut mir so leid, daß sie als Mensch so schwach ist, sie, die doch viel stärker ist als andere, weil sie selbst Welt erschaffen kann", urteilt dagegen Ninon Dolbin, die spätere Ehefrau von Hermann Hesse.
    Helene Funke verarmt trotz Anerkennung – sie bekommt 1928 den österreichischen Staatspreis - zusehends, sie liebäugelt mit den Nationalsozialisten, viele Künstlerfreunde wenden sich von ihr ab. Nach dem Zweiten Weltkrieg kann sie nur noch mit staatlicher Unterstützung überleben. Im Juli 1957 stirbt diese eigensinnige Vertreterin der Moderne - notleidend und völlig vergessen.