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"Die Politik hat hier auch Handlungsfähigkeit gezeigt"

Die in Brüssel beschlossenen Maßnahmen zum Euro-Rettungsschirm reichen aus, um das Vertrauen in den Euro wieder herzustellen, glaubt Michael Kemmer. Planspiele bezüglich Euro-Anleihen dürften dennoch nicht ausgeschlossen werden, sagt der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken.

Michael Kemmer im Gespräch mit Friedbert Meurer | 17.12.2010
    Friedbert Meurer: In Brüssel hat gestern Abend der Gipfel der Staats- und Regierungschefs begonnen. Wichtigstes Thema bildete natürlich der Euro. Das war Gesprächsgegenstand und Verhandlungsgegenstand beim gemeinsamen Abendessen. Da hatte ja schon Bundeskanzlerin Angela Merkel im Vorfeld gesagt, was alles nicht infrage käme, nämlich Euro-Anleihen, Euro-Bonds nicht, da müssen dann Deutschland zu viel Geld für bezahlen, und der aktuelle Rettungsschirm soll nicht ausgeweitet werden. Aber tatenlos ist man dann doch nicht geblieben.
    Mitgehört hat Michael Kemmer. Er ist der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Banken. Guten Morgen nach Berlin, Herr Kemmer.

    Michael Kemmer: Schönen guten Morgen!

    Meurer: Um den letzten Punkt aufzugreifen: Sind Sie froh, dass die Banken da weitgehend ungeschoren davon kommen?

    Kemmer: So kann man das nicht sagen. Wir haben ja immer deutlich gemacht, dass wir der Meinung sind, dass es hier keine Vollkasko-Mentalität geben kann. Auf der anderen Seite geht das ja auch nicht auf Knopfdruck, da gibt es auch ein paar rechtliche Bedingungen zu erfüllen, in diese Anleihen müssen spezielle Bedingungen aufgenommen werden, sogenannte collectiv action clauses. Das will man tun für Anleihen ab 2013.

    Meurer: Und das heißt was, action clauses?

    Kemmer: Das heißt letztendlich eine Vereinbarung, denn es ist ja eine Rechtsbeziehung zwischen dem Emittenten und dem Käufer der Anleihe, und da ist dann eine Klausel, wenn Sie so wollen, in den Bedingungen drin, dass in den von Ihrer Korrespondentin geschilderten sehr restriktiven Fällen Verhandlungen aufgenommen werden und möglicherweise dann eben auch ein Beitrag der privaten Gläubiger zu leisten ist. Wir halten das für vernünftig.

    Meurer: Aber bleibt es dabei: Das Risiko für die Banken ist eigentlich relativ überschaubar, wenn sie Staatsanleihen kaufen?

    Kemmer: Das können Sie heute so nicht sagen. Ich meine, das hängt immer davon ab, wie die Märkte sich weiterentwickeln. Natürlich ist es Gott sei Dank so, dass der Stabilitätsmechanismus jetzt greift. Keiner von uns will ja, dass Anleihen aus Euro-Staaten tatsächlich mal ausfallen oder reduziert werden, und ich glaube, die Politik hat hier auch Handlungsfähigkeit gezeigt. Deshalb ist es natürlich im allgemeinen Interesse, dass die Gefahr, dass hier Gläubiger tatsächlich bluten müssen, relativ gering ist. Aber sagen wir mal so: Wir haben ja in der Finanzkrise schon vieles gesehen, was wir vorher nicht für möglich gehalten hätten, und es ist richtig, dass man letztlich für so einen Extremfall auch eine Beteiligung der privaten Gläubiger vorsieht. Wie hoch das Risiko dann auch immer ist, das kann heute niemand absehen. Im Moment ist das Gott sei Dank aufgrund der Handlung der Politik relativ gering.

    Meurer: Die EZB, die Europäische Zentralbank, hat ja gestern ihr Grundkapital in etwa verdoppelt und man sagt, das tut die EZB deswegen, weil sie es für möglich hält, dass Staatsanleihen nicht zurückbezahlt werden. Also doch ein nennenswertes Risiko?

    Kemmer: Na gut, das ist bei der EZB wahrscheinlich so wie bei jeder anderen Bank, wie bei jedem anderen Unternehmen, dass sie die Anleihen, die sie kauft, irgendwo auch zum Marktwert ansetzen muss, und in dem Moment, wo die Marktwerte runtergehen, ist auch ein höherer Kapitalpuffer notwendig. Das ist noch nicht ein Beweis dafür, dass es tatsächlich zu Ausfällen kommen kann. Wir alle wissen aber natürlich, dass die Marktwerte dieser Anleihen unter Druck sind. Also es ist eine ernste Situation, aber es gibt noch keinen Beleg dafür, dass es tatsächlich Ausfälle gibt.

    Meurer: Gibt es irgendeinen EU-Staat, irgendeinen Euro-Staat, um den deutsche Banken im Moment einen Bogen machen und wo Sie sagen würden, bitte kauft keine Staatsanleihen?

    Kemmer: Solche Hinweise geben wir als Verband sowieso nicht. Das wäre eine Einmischung in die Geschäftspolitik der einzelnen Banken. Das ist nicht erforderlich, das können die einzelnen Banken sehr viel besser beurteilen als wir. Ich kann auch nicht beurteilen, wie die individuelle Geschäftspolitik ist, welche Staaten welche Banken als besonders riskant ansehen. Mir ist nichts bekannt, dass es einen bestimmten Staat geben könnte, worum die Banken einen Bogen machen.

    Meurer: Zu dem europäischen Stabilitätsmechanismus, der gestern Abend in Brüssel beschlossen worden ist, Herr Kemmer. Der gilt also ab 2013, verlängert den Euro-Rettungsschirm. Reicht das, was gestern Abend beschlossen wurde, aus, um das Vertrauen wieder herzustellen in den Euro?

    Kemmer: Ich glaube, ja. Ich glaube, dass es kluge Beschlüsse waren, die getroffen worden sind. Zum einen ist diese Ergänzung des EU-Vertrages sinnvoll, insbesondere der zweite Satz, der darauf hinweist – und das hat Ihre Korrespondentin ja völlig zurecht schon erwähnt -, dass es nur unter ganz, ganz strikten Auflagen zu so einer Regelung kommen kann. Ich glaube auch, dass es klug war, den Euro-Rettungsschirm jetzt nicht auszuweiten. Er ist mit 750 Milliarden Euro sehr gut dotiert. Bisher ist nur Irland druntergeschlüpft. Bisher ist er auch nur in einem geringen Umfang ausgeschöpft. Ich glaube, es zeigt, dass die Politik hier auch an eine gewisse Stabilität glaubt, und das ist ein gutes Signal an die Märkte, denn wenn man jetzt angefangen hätte, das noch auszuweiten, dann hätte das ja auch letztlich an die Märkte das Signal einer gewissen Unsicherheit gegeben.

    Meurer: Das hätte aber vielleicht das Signal gegeben, Spekulanten, lasst die Finger weg vom Euro, ihr habt keine Chance.

    Kemmer: Ja. Ich glaube, dieses Signal ist mit der jetzigen Handlung besser gegeben worden, als wenn man hier in Hektik noch mal die Beträge nach oben geschraubt hätte. Die Politik hat hier mit relativ ruhiger Hand agiert und ich glaube, das war insgesamt schon ein guter Schritt, den sie gemacht hat.

    Meurer: Kein Thema, offiziell jedenfalls, Herr Kemmer, waren in Brüssel die Euro-Anleihen, die Euro-Bonds. Sind Sie da genauso ein radikaler Gegner wie die Bundeskanzlerin?

    Kemmer: Ich glaube, die Bundeskanzlerin ist hier absolut auf dem richtigen Weg, denn diese Euro-Anleihen wären ja ein Weg in eine Transferunion. Das wäre ein ganz, ganz schwieriger Schritt, solange ja noch keine echte wirtschaftliche und fiskalische Union besteht. Deshalb sind wir hier der festen Überzeugung, dass Merkel den richtigen Standpunkt vertritt.
    Auf der anderen Seite hat die Finanzkrise gezeigt, nichts Undenkbares ist undenkbar, also es gibt nichts, was nicht auch irgendwann mal eintreten kann. Das heißt, wir tun alle, glaube ich, auch sehr gut daran, darüber nachzudenken, was denn wäre, wenn man solche Anleihen irgendwann einmal doch tatsächlich brauchen könnte.

    Meurer: Also Denken ist erlaubt, aber man darf nicht darüber reden?

    Kemmer: Sie merken ja, dass ich darüber rede.

    Meurer: Aber die Bundeskanzlerin nicht.

    Kemmer: Ja, das ist auch richtig. Sie hat ja hier auch eine klare Linie vorgegeben und es ist sehr, sehr gut, dass sie an dieser klaren Linie festhält. Umgekehrt ist es, glaube ich, richtig, dass man Planspiele macht im Sinne von was wäre wenn, und hier, wenn dieser theoretische Fall eintreten würde, ist es natürlich ganz, ganz dringend oder wäre es ganz, ganz dringend notwendig, so etwas an sehr, sehr enge Bedingungen zu knüpfen, auch die betroffenen Staaten hier ja schon irgendwo zu drücken, auch einen gewissen Souveränitätsverzicht von ihnen abzuverlangen, um hier die Messlatte extrem hoch zu legen. Aber im Moment ist das nicht abzusehen.

    Meurer: Was wäre für Sie die entscheidende Bedingung dafür, für Anleihen, für Euro-Anleihen?

    Kemmer: Ich glaube, das kann man heute noch nicht sagen. Das hinge dann auch vom Einzelfall ab. Aber auf jeden Fall müssten sehr, sehr scharfe Stabilitätskriterien von dem betroffenen Land eingehalten werden und es müsste die Gemeinschaft insgesamt hier erheblichen Druck aufbauen. Aber ich betone noch mal: Das ist im Moment Gott sei Dank ein sehr theoretisches Modell. Aber wie Sie richtig gesagt haben: Denken ist hier erlaubt.

    Meurer: Michael Kemmer, der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Banken, bei uns hier im Deutschlandfunk zu den Ergebnissen des EU-Gipfels der Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Herr Kemmer, schönen Dank und auf Wiederhören.

    Kemmer: Auf Wiederhören.