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"Die Rentenversicherung wäre ein zweites Sozialamt"

Auch die CSU wolle, dass die Lebensleistung von Menschen im Alter anerkannt werde, sagt CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt. Die von der CDU geplante Vermischung des Systems der Grundsicherung mit dem der Rentenversicherung bedeute aber zusätzlichen bürokratischen Aufwand und sei zu überdenken.

Gerda Hasselfeldt im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: Arbeits- und Sozialministerin von der Leyen bleibt hart. Sie möchte Renten aufstocken, wenn die Betroffenen nach 40 Jahren Beitragszahlung keine Rente herausbekommen, die über der gesetzlichen Grundsicherung liegt. Das war eigentlich auch Beschlusslage in der Koalition, doch über Umsetzung und Organisation will die CSU nun noch einmal nachverhandeln, von der Leyen nicht. Und nun erhält die Bundesarbeitsministerin ausgerechnet Unterstützung von SPD-Chef Sigmar Gabriel.
    Und was Ursula von der Leyen genau will, das hat sie selbst im November so zusammengefasst:

    Ursula von der Leyen: "Wer 40 Jahre eingezahlt hat, muss nicht zum Sozialamt gehen, wenn die eigene Rente nicht reicht, sondern bekommt eine Rente von der Rentenversicherung und zusätzlich kann er oder sie private Vorsorge obendrauf behalten."

    Engels: Die CSU-Landesgruppe schreibt dagegen in einem Positionspapier, dass sie die Vermischung von Versicherungs- und Fürsorgesystem ablehnt. CSU-Fraktionsvize Straubinger sagte der "Süddeutschen Zeitung", das sei eine Absage an die Lebensleistungsrente von Ursula von der Leyen, und er ergänzte im Deutschlandfunk:

    Max Straubinger: "Die Rentenversicherung in ein Fürsorgeamt zu verwandeln, das wollen wir nicht."

    Engels: Am Telefon ist nun die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt. Guten Morgen!

    Gerda Hasselfeldt: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Ist Ihr Positionspapier nun die Absage an die Lebensleistungsrente oder nicht?

    Hasselfeldt: Um jedes Missverständnis gleich am Anfang auszuräumen: Auch wir wollen, dass die Lebensleistung von Menschen im Alter anerkannt wird, von Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, aber wenig verdient, ...

    Engels: Also hat Herr Straubinger Unrecht, Sie stehen dazu?

    Hasselfeldt: ... , Kinder großgezogen haben, auch wir wollen die Anerkennung der gesamten Lebensleistung, auch derjenigen wie gesagt, die weniger verdient haben, aber vorgesorgt haben und Kinder großgezogen haben, Pflegezeiten hinter sich haben und Ähnliches. Das, worüber wir noch reden müssen, das ist die Vermischung von Fürsorgeprinzip und Versicherungsprinzip, das heißt die Vermischung des Systems der Grundsicherung mit dem System der Rentenversicherung.

    Engels: Aber hat Herr Straubinger nun Recht oder Unrecht, wenn er sagt, dass die Lebensleistungsrente eine Absage erfährt?

    Hasselfeldt: Es ist eine verkürzte Darstellung insofern, dass er damit diese Vermischung zwischen Fürsorge- und Versicherungsprinzip gemeint hat. Noch mal: Wir stehen dazu, dass diejenigen Menschen, die sich bemüht haben, ein Leben lang bemüht haben, dass diejenigen im Alter besser stehen als diejenigen, die nicht gearbeitet haben und keine Kinder erzogen haben oder Angehörige gepflegt haben.

    Engels: Im Koalitionsausschuss im November wurde beschlossen, dass Minirenten aus Steuergeldern so aufgestockt werden, dass sie 10 bis 15 Euro über der Grundsicherung liegen. Stimmt die CSU genau dem zu?

    Hasselfeldt: Nun, es hat sich in den Gesprächen der letzten Wochen herausgestellt, dass bei der konkreten Ausgestaltung unlösbare Probleme auftauchen und auch neue Ungerechtigkeiten auftauchen. Das macht sich zum Beispiel da bemerkbar, wenn es darum geht, welche regionale Grundlage nehmen wir. Wir haben ja beispielsweise in entlegenen, in ländlichen Regionen einen anderen Höchstsatz bei der Grundsicherung als in Ballungsgebieten, beispielsweise München oder Düsseldorf. Das ist schon das erste Problem, das nicht gelöst ist, das auch gerecht eigentlich nicht gelöst werden kann. An diesem Beispiel wird deutlich, dass diese Vermischung von Versicherungs- und von Fürsorgeprinzip nicht so richtig funktioniert, und deshalb muss man überlegen, ob man nicht andere Wege finden kann.

    Engels: Die CDU will sich aber nicht bewegen. Stimmen Sie dann unter dem Strich trotzdem zu, weil die CSU vertragstreu ist?

    Hasselfeldt: Die Gespräche sind ja noch nicht abgeschlossen. Wir haben einen Grundsatzbeschluss in der Koalition gefasst, dazu stehen wir auch, ich sage es noch einmal, und wir haben in diesem Koalitionsbeschluss auch verankert, dass geprüft werden soll, welche Möglichkeiten es gibt für die Mütter, die vor 1992 ihre Kinder geboren haben. Hier haben wir ein Gerechtigkeitsproblem, das zu lösen ist, und deshalb laufen die Gespräche noch. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir zu einer guten Lösung kommen.

    Engels: Dann versuchen wir, das Problem doch mal inhaltlich zu erfassen. Sie sagen, bei der Umsetzung gibt es Probleme. Das heißt, bei 10 bis 15 Euro mehr, was diese Minirenten angeht, wollen Sie einen anderen Weg suchen, beispielsweise die Grundsicherung aufstocken, die ja aus Steuermitteln über das Sozialamt bezahlt wird, im Gegensatz zu Frau von der Leyen, die das aus der Rentenkasse nehmen will?

    Hasselfeldt: In der Tat liegt dieser Vorschlag von uns – und zwar nicht erst seit wenigen Tagen – auch mit auf dem Tisch und ist in die Diskussion mit eingebracht worden, ob man nicht im Bereich der Grundsicherung für diejenigen, die lange gearbeitet haben und auch selber vorgesorgt haben, einen Zuschlag zum Beispiel macht. Dann haben wir nicht die Rentenversicherung als zweites Sozialamt, sondern wir hätten das im Bereich der Grundsicherung. Das ist ein Beispiel dafür, dass konstruktive Gespräche geführt werden über Möglichkeiten, diejenigen besserzustellen im Alter, die lange gearbeitet haben und dann auch diese lange Arbeit im Alterseinkommen berücksichtigt haben müssen.

    Engels: Aber der Betroffene müsste dann wiederum zum Sozialamt, wenn er diese erhöhte Grundsicherung will, und genau das wollte Ursula von der Leyen ja den Rentnern ersparen.

    Hasselfeldt: Nun, auch bei dem anderen Vorschlag, das heißt bei der Vermischung von Fürsorge- und Versicherungsprinzip, wäre eine Einkommensanrechnung allerdings dann im System der Rentenversicherung mit angedacht. Das heißt also, auch hier wäre Bedürftigkeitsprüfung mit dabei mit all dem bürokratischen Aufwand, den wir dann zusätzlich in der Rentenversicherung hätten. Das heißt also, die Rentenversicherung wäre ein zweites Sozialamt, und das kann es ja wohl auch nicht sein, ganz abgesehen davon, dass wir bei dieser Anrechnung dann noch Probleme haben, welches Einkommen wird angerechnet, ist es zum Beispiel das des Haushaltsvorstands, oder des anderen Partners. Es tauchen im Detail dann so viele Probleme auf, die nur zusätzlichen bürokratischen Aufwand bedeuten, und deshalb finden wir, dass es richtig ist, das ganze noch mal nicht vom Grundsatz her zu überdenken, sondern vom Weg her zu überdenken.

    Engels: Aber werden Sie da eine Einigung in ein paar Wochen schaffen, also noch vor der Bundestagswahl? Eigentlich soll es ja in diesem Frühjahr geschehen.

    Hasselfeldt: Ich bin zuversichtlich, weil schon in den letzten Wochen ja Gespräche unter den Fachpolitikern stattgefunden haben, die eben auch diese Probleme zutage treten ließen. Diese Gespräche und die Ergebnisse dieser Gespräche müssen jetzt zusammengeführt werden und aufgrund dieser Erkenntnisse wird man dann einen vernünftigen Weg finden, um das Ziel zu erreichen, das völlig unbestritten ist, nämlich das Ziel, dass jeder, der lange arbeitet, auch Lohn für diese lange Arbeit und für die Eigenvorsorge im Alter erhalten soll.

    Engels: Aber wenn Sie die Detailprobleme so gravierend einschätzen, warum haben Sie dann im November überhaupt dem Grundsatzkompromiss zugestimmt?

    Hasselfeldt: Ich sage noch einmal: Zum Grundsatzkompromiss stehen wir nach wie vor. Aber dieser Grundsatzkompromiss hatte eben zur Folge, dass erst noch die konkreten Wege ausgearbeitet werden müssen, und bei dieser Ausgestaltung der konkreten Wege sind eben dann Probleme aufgetaucht, die jetzt zu lösen sind, und ich bin zuversichtlich, dass wir sie lösen.

    Engels: Die FDP hat nun einen anderen Vorschlag. Sie hat vorgeschlagen, schnell zumindest Teile aus dem Reformpaket zur Rente herauszunehmen, zum Beispiel die Hinzuverdienstmöglichkeiten für Rentner unabhängig von der Lebensleistungsrente zu beschließen, also diese Hinzuverdienstmöglichkeiten zu erhöhen. Machen Sie mit?

    Hasselfeldt: Es ist in der Tat so, dass in diesem Gesamtkomplex eine Reihe von Vorschlägen enthalten sind, von Verbesserungen enthalten sind, die unstrittig sind, beispielsweise die Neuregelung der Hinzuverdienstgrenze, oder auch die Anhebung des Reha-Deckels sowie die Verbesserung bei der Erwerbsunfähigkeitsrente. Diese Dinge sind unstrittig, sie sind unseres Erachtens notwendig und sollten deshalb und werden deshalb auch realisiert werden. Unsere weitere Priorität liegt bei der besseren Anerkennung von Erziehungszeiten für die Mütter, die Kinder vor ´92 geboren haben, und dann bleibt eben noch dieser Punkt, den wir gerade diskutiert haben, und es wäre schon wünschenswert, wenn wir alles in einem Paket klären könnten, und ich bin auch zuversichtlich, dass wir das hinkriegen.

    Engels: Aber im Fall der Fälle würden Sie auch die Hinzuverdienstmöglichkeiten für Rentner separat beschließen?

    Hasselfeldt: Von uns aus ist das völlig unstrittig, deshalb hätte ich keine Bedenken dagegen.

    Engels: Da hat aber Frau von der Leyen ein Problem.

    Hasselfeldt: Mir wäre es auch lieber, ich sage es auch ganz deutlich, mir wäre es lieber, wir könnten es mit der anderen noch ungelösten Frage, was aber nicht vom Prinzip her ungelöst ist, sondern vom Weg her noch Diskussionsbedarf besteht, gemeinsam lösen, und ich werde auch alles tun, um hier eine gemeinsame Lösung all der offenen Probleme hinzukriegen, und bin auch zuversichtlich, dass wir es hinkriegen.

    Engels: SPD-Chef Gabriel bietet wiederum heute an, in der Rentenfrage der CDU beizuspringen, wenn es hart auf hart kommt. Wie können Sie denn von der CDU hier Vertragstreue erwarten, nicht mit der SPD an einen Tisch zu gehen, wenn Sie selbst noch so viele Bedenken haben?

    Hasselfeldt: Im Mittelpunkt muss stehen, dass wir eine gute Lösung finden, und das ist auch unser Wählerauftrag. Das erwarten die Menschen von uns zurecht, dass wir uns bemühen, ein Problem nicht nur schnell zu lösen, sondern ein Problem so zu lösen, dass man nicht hernach sagen muss, das hättet ihr aber früher sagen können, oder das hättet ihr früher wissen müssen. Das heißt, wir müssen uns schon anstrengen, wenn ernste und nachvollziehbare Probleme bei der Erarbeitung eines neuen Weges auftauchen, diese auch ernst zu nehmen, abzuwägen und nach Verbesserungen zu suchen. Das ist nun mal Aufgabe der Politik, da kann man nicht einfach sagen, wir wollen eine schnelle Lösung, egal wie sie aussieht.
    Was das Angebot oder die Äußerung der SPD betrifft, da kann ich nur sagen, es ist eine so durchsichtige Wahlkampftaktik, die da an den Tag gelegt wird. Das wird dem Problem nicht gerecht. Wir haben eine Aufgabe zu lösen, die müssen wir ernst nehmen und sollten sie nicht für parteitaktische Spielereien ausnutzen.

    Engels: Die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.

    Hasselfeldt: Danke auch – auf Wiederhören!

    Engels: Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.