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Diesel-Skandal im Bundeskabinett
Befreiungsschlag oder Hängepartie?

Gleich zwei Ministerien präsentieren an diesem Mittwoch Gesetzesvorschläge, mit denen Fahrverbote in deutschen Städten abgewendet und die Verunsicherung der Verbraucher beendet werden sollen. Doch die Pläne könnten scheitern - am Europarecht und den Autoherstellern. Experten warnen vor einer Hängepartie.

Von Nadine Lindner | 06.11.2018
    02.10.2018, Berlin: Andreas Scheuer (CSU), Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, spricht neben Svenja Schulze (SPD), Bundesumweltministerin, bei einer Pressekonferenz zum Dieselkonzept der Koalition
    Nicht nur das Umweltministerium (Umweltministerin Svenja Schulze, SPD, re) wird im Kabinett Ergebnisse liefern müssen, auch das Verkehrsministerium von Andreas Scheuer (CSU, li) hatte Hausaufgaben zu erledigen (dpa / Michael Kappeler)
    Drei Jahre Diesel-Skandal und immer noch kein Ende in Sicht. Auf mehreren Ebenen - in der Bundesregierung, auf der Straße und in Gerichtssälen wird weiterhin um die schlechten Luftwerte und die Zukunft des Diesels gerungen. Die zentrale Ebene ist am Mittwoch dieser Woche das Bundeskabinett. Dort legen gleich zwei Ministerien Gesetzesvorschläge auf den Tisch - es sind die Hausaufgaben, die sie nach dem Koalitionsausschuss Anfang Oktober zu erledigen hatten.
    Ein Vorschlag soll Fahrverbote in gering belasteten Städten weniger wahrscheinlich machen, der andere Vorschlag wird die Regeln für technische Nachrüstungen von Diesel-PKW auf den Weg bringen.
    Weiter Ungewissheit oder ein Befreiungsschlag? Das fragen sich Millionen Dieselfahrer, Tausende Beschäftigte in der deutschen Automobilindustrie – und von Stickoxid-belasteter Luft geplagte Stadtbewohner.
    Die politische Ebene
    "Guten Tag, meine sehr verehrten Damen und Herren, das Bundeskabinett hat heute Eckwerte für saubere Luft beschlossen." - Das Bundeskanzleramt in Berlin Ende Oktober, wenige Tage vor der Hessenwahl. Kanzleramtsminister Helge Braun von der CDU tritt nach der Kabinettssitzung spontan vor die Presse. Es ist ein durchaus ungewöhnlicher Auftritt, denn nur wenige Minuten später beginnt die Regierungspressekonferenz, die eigentlich der Ort ist, wo Fragen zur Regierungsarbeit beantwortet werden.
    An diesem Tag sollte es eine etwas größere Bühne sein – nämlich das Kanzleramt. Fahrverbote vermeiden – auch hier das Mantra: "Dafür werden wir Vorsorge im Bundesimmissionsschutzgesetz treffen. Wir glauben insbesondere, dass Fahrverbote in dem Abschnitt von 40 Milligramm, der der Grenzwert der Europäischen Union ist, und nur einer geringfügigen Überschreitung nicht verhältnismäßig sind."
    Fahrverbote per Gesetz vermeiden
    Der Plan laut Helge Braun: Fahrverbote per Gesetz vermeiden. Die Strategie dahinter: Städte mit geringer Grenzwertüberschreitung schreiben keine Fahrverbote in ihre Luftreinhaltepläne, sondern setzen auf andere Maßnahmen. Zum Beispiel auf die Nachrüstung der alten Bussen des öffentlichen Personennahverkehrs. Das Signal vor der hessischen Landtagswahl sollte lauten: Die Große Koalition kann auch Sacharbeit. Noch einmal Kanzleramtschef Helge Braun: "Wir werden dann um das Thema Hardware-Nachrüstungen zu unterstützen, technische Vorschriften erlassen."

    Das soll Hoffnung vermitteln, die die gebeutelten Besitzer alter Diesel-Fahrzeuge nach drei Jahren Krise gut gebrauchen könnten. Denn die Verunsicherung ist flächendeckend. Laut Kraftfahrtbundesamt ist jedes dritte Auto auf deutschen Straßen derzeit ein Diesel, insgesamt sind es über 15 Millionen. Darunter gibt es über zehn Millionen Diesel-Pkw mit der Schadstoffklasse 5 und schlechter, für die künftig in den Innenstädten Fahrverbote gelten könnten.
    Kanzleramtsminister Helge Braun, CDU
    Kanzleramtsminister Helge Brauns: Fahrverbote per Gesetz vermeiden (dpa/Michael Kappeler)
    Umweltverbände: Plan der Regierung ist europarechtswidrig
    Doch ob die Änderung des Bundesimmissionsschutzgesetzes so wirkt, wie von der Regierung gewünscht, das steht auf wackeligen Beinen. Denn es gibt mehrere Probleme: Denn über die Luftreinhaltung wacht nicht der Bund, sondern Kommunen und Länder. Außerdem ist unklar, ob sich Verwaltungsgerichte durch den Hinweis auf Verhältnismäßigkeit der Regierung beeindrucken lassen und davon absehen, per Urteil Fahrverbote zu verhängen. Der Liberale Oliver Luksic, verkehrspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, hat Zweifel: "Die Verhältnismäßigkeitsprüfung ist etwas, was Gerichte tun. Und in diese Kern-Kompetenz eines Gerichtes einzugreifen durch ein Gesetz, das wird wahrscheinlich doppelt schwierig."
    Umweltverbände wie die Deutsche Umwelthilfe bezeichnen den Plan der Regierung zudem als europarechtswidrig, weil nationale Gesetze EU-Grenzwerte nicht aushebeln dürfen. Der grüne Fraktionsvize Oliver Krischer ist aufgebracht:
    "Dass eine Bundesregierung auf die Idee kommt, das Gesetz zu ändern und Grenzwerte, dann wenn sie konkret werden, dann wenn sie die Wirkung entfalten sollten, in der Art und Weise aufzuweichen - wo soll das enden? Wozu brauchen wir dann noch Grenzwerte?" Die Kanzlerin verteidigt sich. Angela Merkel im Hessischen Rundfunk: "Wir schrauben an keinem Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft rum! Der gilt. Das ist europäisches Recht."
    Kritik kommt aus der Opposition auch von der AfD, wenn auch aus anderem Grund. Die Rechtspopulisten beklagen, die Stickoxid-Grenzwerte generell seien grüne Ideologie. Zu diesen Änderungen im Bundesimmissionsschutzgesetz kommt noch ein interessantes Detail: Aus dem Gesetzentwurf, der aus dem Umweltministerium zur Anhörung an die betroffenen Verbände geschickt wurde, geht hervor, dass im Bundesimmissionsschutzgesetz künftig nicht nur der Grenzwert für die Verhältnismäßigkeit von Fahrverboten angehoben werden soll. Sondern, dass qua Gesetz die moderneren Euro-6-Diesel-Fahrzeuge von Fahrverboten ausgenommen werden sollen. Das wäre neu.
    Persilschein für den Euro-6-Diesel
    Soll also mit der Gesetzesänderung dem Euro-6-Diesel ein Persilschein ausgestellt werden? Damit die Verunsicherung bei deren Besitzern nicht noch größer wird? Der Verdacht liegt nahe, denn mit dieser Regelung könnte es zu einer absurden Konstellation kommen. Aus Messungen des ADAC und des Umweltbundesamtes geht hervor, dass manche Euro-6-Modelle beim Stickoxid schmutziger sind als Euro-5-Modelle. Aber nach dem Willen der Bundesregierung dürften sie trotzdem weiter in die Fahrverbotszonen einfahren - und zwar nur aufgrund einer politischen Entscheidung. Der Sprecher des Umweltministeriums, das die Gesetzesänderung vorbereitet hat, beantwortet Journalistennachfragen dann auch nur schmallippig: "Diesen Schluss haben Sie so gezogen, ja."

    Schon in anderen Pressegesprächen mit Vertretern der Bundesregierung zum Thema Euro 6 Diesel wurde klar, wie groß die Nervosität ist, dass auch das Vertrauen auch in den Euro 6 Diesel schwindet. Aus Kreisen der beteiligten Ministerien heißt es gegenüber dem Deutschlandfunk, dass man mit der gesetzlichen Fahrverbots-Ausnahme für Euro-6-Fahrzeuge auch ein politisches Signal setzen wolle. Ein Signal zur Rettung der Diesel-Technologie. Die Hoffnungen der Automobilindustrie ruhen jetzt also auf dieser kleinen Ausnahme im Bundesimmissionsschutzgesetz.
    Eine blaue Plakette mit der Zahl 6 klebt auf einer Windschutzscheibe.
    Manche Euro-6-Modelle sind beim Stickoxid schmutziger als Euro-5-Modelle (dpa/Rolf Vennenbernd)
    Risiko für den Auto-Kunden bleibt
    Doch das könnte mittelfristig zum Risiko für Auto-Kunden werden. Denn die älteren Ausführungen Euro 6 a bis c mit teils schlechten Stickoxid-Werten, werden zurzeit noch verkauft – auch als Teil der Umtauschprämien der Autohersteller. Es sind Fahrzeuge, die ab dem Jahr 2022 von Fahrverboten betroffen sein könnten, warnt Matthias Roeser, Fachjournalist beim Verkehrsbrief, einer Online-Publikation für Verkehrspolitik:
    "Es gibt so ein paar Problemstädte, wo bisher nicht erkennbar ist, wie die bis 2022 unter die Luftbelastungsgrenzwerte der EU rutschen werden. München an erster Stelle, dann Stuttgart, möglicherweise auch Köln und ein paar kleinere Städte. Dort gehen Käufer, die sich einen Euro 6 a bis c anschaffen dann eben das Risiko ein, dass sie mit einem Haufen Altmetall vor der Tür dastehen."
    Dazu passt, dass das Land Berlin diese Fahrzeuge bereits ins Visier genommen hat. In einem Urteil des Verwaltungsgerichts blieb offen, ob neben Dieselfahrzeugen bis Schadstoffklasse 5 auch solche der Euro-6-Norm ausgesperrt werden müssen. Dies liege im Ermessen der Behörden. Und die prüfen zumindest Szenarien.
    Die Nachrüstung
    Am Mittwochvormittag wird im Kabinett nicht nur das Umweltministerium Ergebnisse präsentieren müssen, auch das Bundesverkehrsministerium von Andreas Scheuer hatte Hausaufgaben zu erledigen. Dessen Beamte mussten konkret ausformulieren, wie Diesel-Pkw technisch nachgerüstet werden müssen, um durch das Kraftfahrbundesamt für den Straßenverkehr zugelassen zu werden.
    Der Kernpunkt ist: Alle Autos - also auch die nachgerüsteten, die in Fahrverbotszonen unterwegs sind - dürfen pro Kilometer nicht mehr als 270 Milligramm Stickoxid im realen Fahrbetrieb, also auf der Straße ausstoßen. 270 ist eine von der Politik gesetzte Zahl, die zwar über dem gesetzlichen Grenzwert von 180 Milligramm Stickoxid pro Kilometer für Euro-5-Fahrzeuge liegt, die aber vertretbar ist, weil damit bereits eine deutliche Verbesserung der Luftqualität möglich ist.

    Es wird auch Zeit, dass diese Regelung endlich kommt, findet der Koalitionspartner SPD. Der Verkehrsminister der CSU könne jetzt nicht mehr länger auf Zeit spielen. Sören Bartol, Fraktionsvize und Verkehrspolitiker bei der SPD-Bundestagsfraktion, drängt das Verkehrsministerium zur Eile:
    "Deswegen ist es wichtig, dass das, was da jetzt beschlossen wird, auch ganz, ganz schnell erarbeitet wird. Weil sie zum Beispiel ein Nachrüstset unter ein Auto machen wollen, dann müssen sie vorher definieren, was muss es denn erfüllen. Das KBA muss sagen, was braucht es dafür. Das muss jetzt schnell passieren. Es bringt ja nichts, wenn man erst 2020 die rechtlichen Vorgaben fertig hat, dann haben sich die Menschen schon anderweitig beholfen. Und wir wollen ja – und das ist das oberste Ziel - Fahrverbote vermeiden."
    Ein Nachrüstsatz er Twintec Baumot Group für Dieselfahrzeuge.
    Wer soll das bezahlen? - Nachrüstsatz für Dieselfahrzeuge (imago / Hartenfelser)
    Kostenfrage weiter ungeklärt
    Der Autofahrerverband ADAC, der rund 20 Millionen Autofahrer in Deutschland vertritt, begrüßt, dass es jetzt endlich mal voran geht bei den Nachrüstungen. Der ADAC versteht aber auch nicht, warum drei Jahre lang nichts geschehen ist. Markus Schäpe ist der Leiter der juristischen Abteilung beim ADAC: "Das Thema ist jetzt nicht ganz neu, und die Frage ist durchaus berechtigt, warum das so lange dauert."
    Doch was bringen die gesetzlichen Regeln zur Hardware-Nachrüstung, wenn nach wie vor nicht geklärt ist, wer dafür bezahlt? Um die 3.000 Euro kostet der nachträgliche Einbau eines SCR-Kats. Kosten, auf denen der Autobesitzer droht teilweise sitzen zu bleiben. Denn die Autohersteller sind zögerlich. Auf Anfrage des Deutschlandfunks äußert sich Daimler schriftlich: "Daimler steht zu der Aussage, sich finanziell mit bis zu 2.400 Euro für eine zertifizierte und zugelassene Hardware-Nachrüstung zu beteiligen, die Halter von Mercedes-Benz-Fahrzeugen durch einen Drittanbieter durchführen lassen."
    BMW hat die Anfrage des Deutschlandfunks nicht beantwortet. Und Volkswagen teilt in einer Email mit: "Volkswagen ist bereit, bei Konzern-Fahrzeugen bis zu 80 Prozent der Kosten zu tragen." Allerdings mit einer wichtigen Einschränkung: "Der Volkswagen Konzern wird für Hardware Umrüstung keinerlei Garantie oder Haftung übernehmen."
    VW spielt auf Zeit
    Die Haftung aber ist eine wichtige Frage für Verbraucher, wenn zum Beispiel nach dem Umbau Motorschäden auftreten. Darauf weist auch FDP-Verkehrspolitiker Oliver Luksic hin: "Dass der Vorschlag, das Werkvertragsrecht hier nur eine begrenzte Haftung für die Nachrüster bedeutet, was das Abgassystem angeht. Aber wenn es zu Schäden dadurch am Motor kommt, dass der Hersteller die weiterhin nicht übernimmt. Wir sind der Meinung, es kann nicht sein, dass am Schluss der Kunde der Dumme ist."
    Volkswagen - der Autokonzern war vor drei Jahren Auslöser der Dieselkrise - spielt also nach wie vor auf Zeit - nach Monaten des politischen Ringens. Ende Oktober trat VW-Chef Herbert Diess in der ZDF-Sendung Maybritt Illner auf und zeigte kein großes Interesse an Hardware-Nachrüstungen: "Und wenn man auf Hardware-Nachrüstungen setzen - wir haben ein großes Interesse daran, die Fahrverbote zu vermeiden - dann dauert das lange, ist sehr, sehr aufwendig und wir sollten andere Dinge machen, weil es viele Dinge gibt, die schneller gehen."
    Rechtlich können die Konzerne - das ist weithin bekannt - nicht gezwungen werden, die Kosten zu übernehmen. Es gibt lediglich eine moralische Verpflichtung. Wohl auch deshalb müssen die Autobosse am Donnerstag nochmals ins Bundesverkehrsministerium kommen. Die Lage ist sogar so verfahren, dass die FDP Steuergeld fordert, um einen Nachrüstungs-Fonds aufzulegen. Der liberale Verkehrspolitiker Oliver Luksic: "Das wird meines Erachtens unvermeidbar sein, weil es - wie gesagt - keine rechtliche Verpflichtung der Hersteller gibt."
    Die Umtauschprämie
    Auf deutschen Straßen sind Millionen Dieselfahrer unterwegs und wer nicht ein modernes Auto mit der neuesten Abgas-Norm Euro 6 d temp fährt, der ärgert sich. Denn Fahrverbote drohen und der Wiederverkaufswert für das Fahrzeug sinkt.
    Eine Tankstelle im Berliner Norden, an einem kühlen Samstagnachmittag im November. Die Tankkunden reagieren auf das Thema Diesel mit einer Mischung aus Unverständnis und Missmut: "Erst mal müsste die Autoindustrie zur Rechenschaft gezogen werden. Die haben uns betrogen letztendlich und haben die Werte verfälscht." - "Politik war nicht ehrlich und jetzt kommen sie aus der Sache nicht mehr raus." - "Wenn ihr uns bestraft, müssen wir Arbeitsplätze abbauen – das wird immer so als Schutzbehauptung genommen. Ich bin trotzdem dafür, dass die Autoindustrie zur Rechenschaft gezogen wird. Und dass man endlich mal auch andere Sachen anschaut, Elektromobilität und was. Da sind uns andere Länder weit voraus."
    Dieselbesitzer zahlen darauf
    Die Hersteller, nicht die Kunden sollen zahlen, darauf können sich alle an der Tankstelle Befragten einigen. Doch genau das könnte den Besitzern von Dieselfahrzeugen blühen. Sie zahlen drauf. Auch dann, wenn sie die sogenannte Umtauschprämie in Anspruch nehmen. Eine Wortkonstruktion, die fein verschleiern soll, was sich dahinter eigentlich verbirgt: ein Kauf-Rabatt. Wenn der Kunde anstelle seines alten Diesels ein anderes Auto will, muss er Geld auf den Tisch legen, nur vielleicht ein bisschen weniger als sonst. 3.000, 5.000, 10.000 Euro können es sein, je nach Modell und Konzern. Ein Problem dabei: Jeder Hersteller hat sein eigenes Konzept für die Rabatte. Manche gelten nur für Kunden in den 15 am meisten belasteten Städten.
    Blick auf den Tankdeckel eines Diesel-PKW, aufgenommen am Donnerstag (14.06.2012) in Leipzig. Forscher der Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben nachgewiesen, dass Dieselabgase das Krebsrisiko erhöhen. Foto: Hendrik Schmidt dpa
    Umtauschprämie für Neuwagen - die Zeche zahlt in jedem Fall der Verbraucher (dpa, picture-alliance, Hendrik Schmidt)
    Der Jurist des ADAC, Markus Schäpe, rät ziemlich unverblümt davon ab: "Ruhe bewahren. Es macht jetzt überhaupt keinen Sinn, einen Euro-5-Diesel für einen Dumping-Preis zu verkaufen - weit unter Wert. Wo man gar nicht weiß, was passieren wird. Ob es die Möglichkeit von Hardware-Nachrüstungen geben wird. Ob in meiner Stadt überhaupt ein Fahrverbot zum Tragen kommt oder nicht. Insofern ist maximale Verunsicherung da."
    "Umtauschprämien ein totaler Witz"
    Klaus Müller, Chef der Verbraucherzentrale Bundesverband, ist ebenfalls alles andere als glücklich mit diesem Konstrukt: "Sind die 'Rabatte' eigentlich alter Wein in neuen Schläuchen? Kein Autokäufer zahlt den Listenpreis, dann hätte er sehr, sehr schlecht verhandelt. Ist das wirklich ein neuer Kaufanreiz? Oder nichts anderes als ein großes Konjunkturprogramm für die Autoindustrie, die uns das ja eingebrockt hat?" Durchgefallen sind sie auch beim Liberalen Oliver Luksic: "Also ich halte die Umtauschprämien wirklich für einen totalen Witz."
    Ein weiteres Problem: Die meisten Hersteller geben nicht an, wie lange sie die sogenannten Umtauschprämien anbieten werden. Wie gut oder wie schlecht diese angenommen werden, wie viele Kunden in einen anderen Wagen investieren oder wie viele lieber auf die Nachrüstungen warten, lässt sich derzeit nicht verlässlich sagen. Die Konzerne nennen noch keine Zahlen. Auf Anfrage des Deutschlandfunks heißt es von Volkswagen und Daimler, dass die Aktionen noch zu frisch seien, also noch nicht genügend Daten vorlägen.
    Die Musterfeststellungsklage
    "Wir kommen jetzt zum Einzelplan für Justiz und Verbraucherschutz…" - Mitte September im Bundestag. Ans Rednerpult tritt die Bundesjustizministerin Katharina Barley. Die Sozialdemokratin nutzt die Gelegenheit, um für eines ihrer Kernanliegen zu werben: die Musterfeststellungsklage: "Dort wird sich also zeigen, dass wir für die Geschädigten einen Rechtsweg eröffnet haben, den sie bisher nicht hatten. Kostenfrei, risikofrei und hoffentlich auch schnell und effizient."

    Das Gesetz mit dem sperrigen Namen ist seit dem 1. November in Kraft. Die Bundesregierung hatte sich für die Einführung der Klage einen engen Zeitplan gesetzt, damit mögliche Ansprüche von Dieselbesitzern gegenüber VW nicht verjähren – das würden sie nämlich Ende des Jahres tun. ADAC und der Verbraucherzentrale Bundesverband haben deshalb bereits am frühen Morgen des ersten Geltungstages ihre Klage eingereicht. VZBV-Chef Klaus Müller im Interview der Woche mit dem Deutschlandfunk: "Wir wollen erreichen, dass das Gericht feststellt - wahrscheinlich erst höchstrichterlich -, dass Volkswagen betrogen hat. Und dass deshalb eine Entschädigung fällig ist."
    Sammlung von Aktenordnern mit Anklageschriften verschiedener Landgerichte Deutschlands zum Dieselskandal
    Sammlung von Aktenordnern mit Anklageschriften verschiedener Landgerichte Deutschlands zum Dieselskandal (imago stock&people)
    Hoffnungsschimmer für geschädigte Dieselkunden
    Bei der Musterfeststellungsklage klagen Verbände stellvertretend für potenziell geschädigte Verbraucher gegen ein Unternehmen. Deshalb wird sie auch manchmal - weniger sperrig - als "Eine-für-Alle-Klage" bezeichnet. Damit es zu einer solchen Klage kommen kann, müssen sich mindestens 50 potenziell Geschädigte innerhalb von zwei Monaten in ein sogenanntes Klageregister eintragen.
    Im konkreten Fall der Klage gegen VW heißt das: Wer ein Fahrzeug der Marken Audi, Seat, Skoda oder Volkswagen mit einem verbauten Dieselmotor EA 189 besitzt - ein Fahrzeug, für das ein offizieller Rückruf vorliegt -, der kann sich dieser Klage anschließen. Doch auch wenn die Musterfeststellungsklage erfolgreich sein sollte, müssen die Entschädigungsforderungen noch einzeln eingeklagt werden. Was dann aber viel einfacher ist, weil es einen Referenzfall gibt. Für geschädigte Dieselkunden ein Hoffnungsschimmer.
    Doch Volkswagen zeigt sich in einer Mail an den Deutschlandfunk wenig beeindruckt: "Das Instrument der Musterfeststellungsklage ändert nichts an unserer Position: Es gibt keine Rechtsgrundlage für kundenseitige Klagen im Zusammenhang mit der Diesel-Thematik in Deutschland." Volkswagen sehe auch "keinen Grund, über einen Vergleich nachzudenken". Der Stuttgarter Autokonzern Daimler schreibt knapp: "Unsere Juristen begegnen jedem Verfahren mit größter Sorgfalt. Darüber hinaus äußern wir uns nicht."
    Weitere Fahrverbote drohen
    Hinzu kommt auf der juristischen Ebene: Der Klagedruck durch die Deutsche Umwelthilfe bleibt hoch. Allein in diesem Jahr stehen noch sechs Verhandlungen an unterschiedlichen Verwaltungsgerichten an. Es könnte also vor Weihnachten noch Urteile in Punkto Fahrverbot in Köln, Bonn, Essen, Gelsenkirchen, Darmstadt und Wiesbaden gesprochen werden.

    Auch Staatsanwaltschaften machen Druck auf die deutsche Autobranche: Vor dem Oberlandesgericht Braunschweig läuft ein Kapitalanleger-Musterverfahren gegen Volkswagen. Vorher hatte VW zudem ein Bußgeld in Höhe von einer Milliarde Euro akzeptiert wegen "Aufsichtspflichtverletzungen". Auch Audi hat kürzlich ein Bußgeld in Höhe von 800 Millionen Euro akzeptiert. Gegen Ex-Audi-Chef Rupert Stadler laufen Ermittlungen wegen Betrug. BMW droht ein Bußgeld. Und gegen Daimler laufen Ermittlungen wegen Betrug und strafbarer Werbung.
    Rheinland-Pfalz, Mainz: Die Messstation in der Parcusstraße (aufgenommen mit Zoomeffekt). Am 24. Oktober verhandelt das Mainzer Verwaltungsgericht über ein mögliches Diesel-Fahrverbot in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt.
    In mehreren Städten drohen weitere Fahrverbote - Beispielsweise in Mainz (Andreas Arnold/dpa)
    Warnung vor "immensem Vertrauensverlust der Bevölkerung"
    Doch in allen Fällen ziehen sich die Verfahren. Drei Jahre nachdem der Diesel-Betrug aufgeflogen ist, verfestigt sich in der Öffentlichkeit deshalb der Eindruck, dass die Automobil-Industrie weitgehend ungeschoren davon kommen könnte. Sogar der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, warnte im Bayrischen Rundfunk schon vor den Folgen: "Wenn die Durchsetzung dieses Rechts vernachlässigt wird, dann führt das zu einem immensen Vertrauensverlust der Bevölkerung. Und das endet in weiteren Prozessen der grundsätzlichen Politikverdrossenheit, ja der Ablehnung des demokratischen rechtsstaatlichen Systems insgesamt."
    Viele Fragen sind nach wie vor offen. Und den ultimativen Befreiungsschlag wird das Kabinett mit der Änderung des Bundesimmissionsschutzgesetzes und der Richtlinie für technische Nachrüstungen nicht liefern können. Im Gegenteil: "Ich fürchte, dass wir weiter eine Hängepartie, ein Aussitzen erleben werden." - "Wer jetzt einen Diesel hat, hat Pech – sagen wir mal so."