Donnerstag, 28. März 2024

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Digitaler Unterricht in der Coronakrise
Bildungsexpertin fordert Listen mit Plattformen, die Schulen nutzen dürfen

Bildungsexpertin Verena Pausder hat die Maßnahmen für verbesserten Digitalunterricht an deutschen Schulen kritisiert. Zwar habe es Fortschritte bezüglich der Ausstattung gegeben, sagte sie im im Dlf. Darüber hinaus gebe es vor allem Verbote, welche Online-Plattformen Schulen nicht nutzen dürften.

Verena Pausder im Gespräch mit Sandra Schulz | 18.11.2020
28.09.2020, Baden-Württemberg, Leutenbach: Verena Pausder, Buchautorin, aufgenommen anlässlich eines Besuchs der Gemeinschaftsschule Leutenbach.
Bildungsexpertin Verena Pausder: "Noch mehr Schutz an den Schulen nötig" (dpa /Marijan Murat)
Bisher wollen die Kultusministerinnen und -minister den Präsenzbetrieb an den deutschen Schulen nach Möglichkeit aufrecht erhalten. Aber der Gegenwind aus der Lehrerschaft und auch aus Teilen von Schülern und Elternschaft ist heftig. Darum könnte jetzt zumindest partielles Homeschooling wieder näherrücken, also sogenannte hybride Unterrichtsformen, bei denen Präsenzunterricht durch Digitalunterricht für Schülerinnen und Schüler zu Hause ergänzt wird.
Dafür sieht Verena Pausder, Digitalunternehmerin und Vorstand und Gründerin des Vereins "Digitale Bildung für alle e.V.", die deutschen Schulen aber nur bedingt gerüstet. Vor allem bei den Plattformen, die für diesen digitalen Unterricht notwendig sind, gebe es zu hohe Beschränkungen. Zwingend notwendig sei eine höhere Entscheidungsfreiheit für die Schulen. Es müsse mehr Positivlisten geben, was im Digitalunterricht nutzbar ist. Das gelte sowohl für das Homeschoolling als auch für den Präsenzunterricht, sagte Verena Pausder.
Informatikunterricht an einer Schule in Tübingen in Baden-Württemberg
Schleppende Digitalisierung - Schulen brauchen IT-Mitarbeiter
Schul-IT ist eine komplexe Aufgabe. Derzeit übernehmen diese oft Lehrkräfte nebenher – ein Grund, warum der digitale Unterricht nicht vom Fleck kommt. Gebraucht werden Mitarbeiter, die sich Vollzeit um die IT kümmern.
Sandra Schulz: Im Frühjahr war die Ernüchterung ja recht groß über die Erkenntnis, was vor allem alles nicht funktioniert im Digitalunterricht. Sind die Schulen jetzt besser vorbereitet?
Verena Pausder: Da hat sich in Bezug auf Hygienekonzepte natürlich einiges getan. Aber in Bezug auf digitale Konzepte, wie würden wir es jetzt machen, wenn so wie im Frühjahr alle wieder zu Hause wären, sind wir noch nicht viel weitergekommen. Denn wir haben eher auch jetzt über den Sommer verboten, was benutzt werden darf, Plattformen, die vielleicht nicht auf unserem Datenschutz laufen, und das hat die Schulen eher jetzt wieder eingeschränkt, als ihnen mehr Möglichkeiten zu geben.
"Es ist eher klar, was man nicht nutzen darf"
Schulz: Aber die Kultusministerien, die zeichnen ja das Bild, dass es jetzt Abfragen gegeben hat, dass Laptops, dass Endgeräte verteilt wurden. Also müsste man fairerweise sagen, dass es zumindest kleine Fortschritte gegeben hat.
Pausder: Absolut! In Bezug auf Geräte und Laptops ja. Nur welche Inhalte über diese Geräte transportiert werden sollen und wie die Lehrkräfte dafür ausgebildet wurden, das sind zwei große Knackpunkte. Bei den Plattformen, die wir nutzen, da brauchen wir jetzt sogenannte Positivlisten an den Schulen, wo draufsteht, diese Plattform dürft ihr nutzen, liebe Schule, um die Inhalte von der Schule nach Hause zu transportieren, sollte es jetzt wieder zu Hybridunterricht kommen. Die fehlen weiterhin. Es ist eher klar, was man nicht nutzen darf - nicht, was man nutzen darf.
Schulz: Wir wussten vor dem Rückstand ehrlicherweise, auch schon vor der Coronakrise, auch da hat es ja schon diesen Digitalpakt für Schulen gegeben, diese fünf Milliarden Euro, die zusätzlich fließen sollten, von denen wir aber auch wissen, das ist ziemlich zäh gelaufen, was den Abruf dieser Gelder betrifft. Jetzt hat es ja relativ schnelle Reaktionen auch schon im Frühjahr gegeben. Da wurde eine halbe Milliarde Euro zur Verfügung gestellt als Sofortmittel für Geräte, dass die angeschafft werden, und da gibt es jetzt nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" auch die Entwicklung, dass tatsächlich fünf Bundesländer das schon komplett abgerufen haben. Sie würden jetzt sagen, nur fünf Bundesländer?
Pausder: Ich finde es gut, dass es fünf Bundesländer sind, denn ich bin ja genauso Bürgerin dieses Landes wie wir alle, und es muss ja in unserem Interesse sein, dass wir uns an den Positivbeispielen ein Beispiel nehmen und hingucken, warum waren die jetzt so schnell, wie haben die das gemacht. Denn was uns über den Winter jetzt bevorsteht ist: Natürlich sollen die Schulen offenbleiben, aber jetzt sind schon über 200.000 Schüler und Schülerinnen in Quarantäne. Da werden noch mehr dazukommen. Es wird Lehrkräfte geben, die sich krankschreiben lassen, weil sie vielleicht auch Angst haben, dass sie den Virus in die Familie zuhause tragen. Das heißt, wir brauchen die Voraussetzung für hybriden Unterricht. Und wenn er in fünf Bundesländern schon gegeben ist, dann dürfen ja nicht die Menschen, die dort wohnen, bevorzugt sein und bei anderen kommt wieder gar kein Lernen an.
In einer Kindertageseinrichtung sitzen drei Kleinkinder auf einer Stufe
"Kitas und Schulen sollten so lange wie möglich offen bleiben"
Die Zahl der Neuinfektionen liegt immer noch auf hohem Niveau. Es mehren sich die Rufe nach Kita- und Schulschließungen. Das hält der Kinder-Infektiologe Johannes Hübner für falsch.
"Brauchen FFP2-Masken an den Schulen"
Schulz: Wenn Sie jetzt die Blaupause schreiben sollten für diesen Hybridunterricht, der ja wie gesagt möglicherweise vor der Tür steht, wie würde diese Blaupause bitte ohne Werbung für Privatunternehmen aussehen?
Pausder: Zum einen brauchen wir FFP2-Masken an den Schulen, denn das ist ja jetzt auch die Hausaufgabe aus der Konferenz am Montag, in den Schulen noch für mehr Schutz zu sorgen. Und wir müssen höhere Entscheidungsfreiheit den Schulen geben für diesen Hybridunterricht. Die kennen ihr Kollegium und ihre Schülerinnen und Schüler am besten. Die wissen, wie viele Klassen in Quarantäne sind und wie groß der Handlungsbedarf ist. Und da dann einfach zu sagen, wir vertrauen euch, hier ist die Liste, was ihr nutzen dürft, und wenn Kinder kein Gerät haben, dann sollten die bevorzugt in der Schule bleiben, oder wenn die Eltern systemrelevant sind oder zu Hause die Betreuung nicht leisten können, dann ebenfalls, scheint mir jetzt der pragmatischste Weg für die nächsten Monate zu sein.
Schulz: Aber kann man das noch konkreter machen? Kann man sagen, Mathe und Deutsche, das muss über eine Plattform gelernt und geübt werden, aber andere Formate, die müssen in der Schule stattfinden?
Pausder: Ich glaube, man kann es konkreter machen, wenn man sich die Altersklassen der Kinder anguckt. Die ersten bis sechsten Klassen haben sich deutlich schwerer getan mit dem Homeschooling oder Hybridunterricht als die älteren. Die älteren nachhause schicken und dort lernen lassen, sofern da eine Ausstattung vorhanden ist, und die jüngeren in den Schulen lassen und auf mehr Klassenräume verteilen, ist, glaube ich, der bessere Weg, als jetzt auf Fächerbasis zu entscheiden, was kann man leichter zuhause lernen und was nicht.
Schulz: Die Grundschüler, kann man die überhaupt sinnvollerweise vor einen Rechner setzen?
Pausder: Natürlich kann man das, wenn es entsprechende Videokonferenz-Tools gibt, der Lehrer oder die Lehrerin morgens um 8:30 Uhr oder um neun die Klasse digital begrüßt, schaut, dass alle da sind, mit ihnen gemeinsam den Tag bespricht, dann immer wieder Check ins organisiert. Aber diese Infrastruktur ist an den wenigsten Schulen in der Form vorhanden und insofern sollten wir bei den Grundschülern wirklich so lange wie möglich Präsenzunterricht möglich machen und dann auch Flure nutzen, Turnhallen. Gestern habe ich die Idee gehört, warum kooperiert man nicht jetzt auch mit Museen, Theatern, Event Locations in Hotels, die sind eh alle gerade leer, bevor man die Schüler flächendeckend wieder nachhause schickt, könnte auch dort Unterricht abgehalten werden.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
"Schnelles Internet immer noch rares Gut"
Schulz: Es hat sich auch als ein Engpass erwiesen, dass die Schulen teilweise wirklich keine guten Netze haben, weder WLAN noch überhaupt gute und leistungsfähige Server. Ist das inzwischen besser?
Pausder: Das ist ja ein Großprojekt zum Teil. Für Glasfaser muss die Straße aufgestemmt werden. Wir brauchen auch überhaupt die Menschen oder die Gewerke, die das an den Schulen umsetzen. Schnelles Internet – es gibt da leider keine aktuelle Erhebung – ist immer noch ein rares Gut an Deutschlands Schulen, und das ist insofern ein Problem, als dass ja die Lehrerinnen und Lehrer im Lockdown im Frühjahr zuhause saßen und da vielleicht einen privaten Datentarif hatten, über den sie mit den Schülern kommuniziert haben. Wenn sie jetzt in der Schule sind, weil da ja noch ein Großteil der Schüler sind, und sie sollen mit denen zuhause sprechen, und die Schule ist nicht entsprechend ausgerüstet, dann wird das sehr schwierig.
Schulz: Wir haben gelernt, dass es in anderen Ländern durchaus leichter und schneller gelungen ist, tatsächlich digitale Klassenzimmer aufzuspannen. Was waren denn da die anderen Voraussetzungen, oder was genau waren da die Unterschiede?
Pausder: In Dänemark zum Beispiel ist jetzt entschieden worden, gerade noch mal auch in der Corona-Zeit, dass der Staat sich an allen Inhalten pauschal mit 50 Prozent beteiligt, die angeschafft werden oder die genutzt werden. Die andere Hälfte kam dann von den Kommunen. Diese unbürokratische Förderung von den Sachen, die wir jetzt brauchen, die ist ganz wichtig, denn auch wenn wir 500 Millionen Extrageld bereitgestellt haben für Lehrergeräte jetzt gerade, die müssen erst mal angeschafft werden, die haben Lieferzeiten. Das heißt, wenn es schon vorne in dem Abrufen der Gelder so lange dauert, dann verlieren wir hinten so viel Zeit. Das heißt: Jetzt zu sagen, was braucht jede Schule, und sie kriegt ein Budget, eine Art Corona-Budget, um jetzt mobile Hotspots, Geräte, Inhalte, Plattformen bezahlen zu können, die sie jetzt besonders in diesen nächsten Monaten braucht, das ist, glaube ich, der Weg nach vorne.
"Nicht die Zeit für eine große Reform"
Schulz: Und was ist mit den Schulen, die das überfordert?
Pausder: Bei den Schulen, die es überfordert, da kann man natürlich jetzt in der Krise nur versuchen, es ein bisschen besser zu machen. Wir haben jetzt nicht die Zeit gerade für eine große Reform oder uns jede einzelne Schule anzugucken. Deswegen ist da die Ausstattung mit Masken schon mal ein riesen Hebel, denn das können wir an jeder Schule gewährleisten. Dann schützen wir zumindest die Menschen, die in den Schulen sind. Und das Verteilen der Schüler auf mehr Raum ist die andere Option, die wir gerade haben. Alles andere, Ausstattung, Weiterbildung der Lehrkräfte, wo das noch nicht angefangen hat, werden wir das in den nächsten drei Monaten auch nicht leisten können.
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