Dienstag, 16. April 2024

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Digitalisierung in der Pflege
"Robotik ist ein Instrument, das Unterstützung leisten kann"

Roboter sollen in der Pflege eine größere Rolle spielen. Sie könnten aber nicht das Problem des Fachkräftemangels lösen, betonte der Pflegebeauftragte der Bundesregierung Andreas Westerfellhaus im Dlf. Robotik sollte vielmehr eine qualifizierte und professionelle Versorgung unterstützen.

Andreas Westerfellhaus im Gespräch mit Sina Fröhndrich | 23.10.2018
    Roboter "Emma" steht am 11.05.2017 in Kiel in einer Demenz-Wohngruppe der Diakonie Altholstein. Alle zwei Wochen bringt der Roboter Schwung in die Wohngruppe. Der Roboter spricht, spielt auf Wunsch Musik und macht bei Bedarf sogar Fotos von den Bewohnern.
    Wie kann man qualifizierte professionelle Versorgung sicherstellen? Robotik könnte dabei helfen, meint Andreas Westerfellhaus, Pflegebeauftragter der Bundesregierung. (dpa/Carsten Rehder)
    Sina Fröhndrich: Kollege Roboter – er wird wohl künftig auch in Pflegeheimen zum Einsatz kommen. Das glaubt zumindest eine Mehrheit der Deutschen. Was aber sollen die digitalen Helfer machen? Wie sollen sie eingesetzt werden? – Patientenschützer fordern, es brauche eine ethische Debatte über diese Fragen, und wir sprechen darüber mit Andreas Westerfellhaus, dem Pflegebeauftragten der Bundesregierung. Schönen guten Tag!
    Andreas Westerfellhaus: Schönen guten Tag, Frau Fröhndrich.
    Fröhndrich: Herr Westerfellhaus, Sie sind jetzt selbst Anfang 60. Angenommen Sie sind darauf angewiesen, wie stellen Sie sich den Einsatz von Robotern in der Pflege vor? Dürfte der Ihnen Pillen reichen, mit Ihnen singen oder Sie aus dem Bett heben?
    Westerfellhaus: Na ja, ich denke mal, zu Beginn muss man ja sicherlich sagen: Was soll ein Roboter in welchem Umfang leisten. Wir verbinden ja gleich einen Roboter aus anderen Erfahrungen genau mit dieser Situation. Ich glaube, dass da Hilfestellung und Unterstützung, die ich persönlich steuern kann, die ich persönlich in Anspruch nehmen kann, wo ich sagen kann, in welchem Bereich, wenn ich diese Möglichkeit habe, würde ich gerne darauf zurückgreifen, ja. Wenn ich nicht zu meinem Schrank greifen kann und ich kann selbständig Wasser trinken, wenn das mit einem Roboter geht, dann ist mir aus heutiger Sicht das willkommen.
    "Pflege ist eine Beziehung, eine hohe Kompetenz"
    Fröhndrich: Gibt es da so eine rote Linie, die Sie sehen? Beispielsweise Mensch zu Mensch Betreuung, das sollte auf jeden Fall erhalten bleiben?
    Westerfellhaus: Ja, ich denke und ich weiß, Pflege ist eine Beziehung, eine hohe Kompetenz, die zwischen zwei Menschen stattfindet – hoch professionell, kommunikativ. Sie ist auf Beobachtung, auf Wahrnehmung aller Sinne ausgerichtet. Das kann kein Computer, das kann kein Roboter. Ich denke, man muss die Grenze darauf beschränken zu erkennen, dass Robotik letztendlich ein Instrument ist, ein Instrument, was Unterstützung leisten kann, nicht mehr und nicht weniger.
    Fröhndrich: Jetzt gibt es auch ethische Fragen. Zumindest sagen Patientenschützer, dass das eine ethische Debatte brauche. Welche ethischen Fragen stellen sich denn da?
    Westerfellhaus: Na ja, es geht natürlich schon los, wenn ich Diskussionen höre, wir haben einen Fachkräftemangel und einem Fachkräftemangel kann man damit möglicherweise begegnen, indem da, wo keine Menschen da sind, Robotik die Arbeit übernimmt. Das kann nicht sein.
    Wir müssen in erster Linie uns danach ausrichten, wie können wir eine qualifizierte professionelle Versorgung letztendlich sicherstellen. Und immer da, wo unterstützende Maßnahmen auch übrigens für Pflegekräfte und dann für mich des Nachts, wenn mir die Bettdecke wegfällt und ich brauche aus irgendeinem Grund meiner Einschränkung die Möglichkeit, dass ich mir auch bei kleinen alltäglichen Unterstützungen Hilfe holen kann über Robotik, finde ich das in Ordnung. Aber bitte niemals eine Diskussion anzuzetteln, Fachkräftemangel – Lösung ist der Roboter.
    Fröhndrich: Das heißt, wir brauchen auf der einen Seite schon aber eine Debatte darüber, wie können Roboter eingesetzt werden, und auf der anderen Seite aber sollten wir schon noch weiterhin darüber sprechen, welche Art von Pflege wollen wir und wieviel ist uns Pflege am Ende auch wert?
    Professionelle Versorgung muss sichergestellt werden
    Westerfellhaus: Ja, beides ist unabdingbar miteinander verbunden. Das eine ist diese Diskussion, für die trete ich schon lange ein, was ist uns Pflege in dieser Gesellschaft wert, was erwarten wir in welcher Präsenz, mit welcher Kompetenz und in welcher Ausprägung.
    Die andere Sache ist ja die: Ob einem die Diskussion um Robotik gefällt oder nicht – Robotik bestimmt doch schon in vielen Bereichen unseres Lebens, ob ich ein Auto fahre oder andere Leistungen in Anspruch nehme, unseren Alltag. Zu glauben, er wird in der Gesundheitsversorgung, wo er ja auch sinnstiftend wirken kann, wenn mitgestaltet wird und man nicht die Industrie alleine lässt, eine Antwort darauf zu finden, was kann man hier machen. – Ich glaube, man muss dafür eintreten, dass die Beteiligung der Profession Pflege und letztendlich auch die der Politik dringend notwendig ist, damit nicht Entwicklungen stattfinden, die an den Bedürfnissen der Menschen vorbeigehen.
    Fröhndrich: Jetzt haben Sie die Politik gerade angesprochen. Eugen Brysch von der Stiftung Patientenschutz hat eine Kommission angeregt, hat auch schon den Namen dazu genannt, Ethik und Automatisierungstechnik in der Pflege. Ist so was angedacht?
    Westerfellhaus: Nein, es ist im Moment nicht angedacht. Ich denke, wir stehen zwar mitten drin in der Diskussion um die Chance von Digitalisierung und Robotik. Ich erfahre aber zurzeit, dass noch nicht mal geklärt ist, was wir unter den unterschiedlichen Strukturen eigentlich meinen. Ich weiß von vielen Modellen, die jetzt gerade am Anfang der Erprobung sind. Wir sind hier in Deutschland sicherlich noch weit hinter der Entwicklung zurück, wie zum Beispiel in Asien oder in Japan, wenn ich die Wahrnehmung höre. Klar! In dem Moment, wo diese Entwicklungen denn dann stattfinden, brauchen wir eine breit angelegte Diskussion, weil sie greift ja tatsächlich in die unterstützende Funktion der professionellen Pflege ein, und sie geht dann letztendlich mit Menschen um, die Ängste haben, die Sorge haben, und darauf muss man vorbereiten.
    Dokumentation ist zu papierlastig
    Fröhndrich: Eine Frage, die sich ja auch stellt, ist: Wer soll es bezahlen. Wer soll denn solche Roboter, oder wenn wir vielleicht mal einen Schritt zurückgehen und sagen, ein iPad könnte ja einer Pflegekraft auch bei der Dokumentation schon gewisse Hilfe geben, wer soll das bezahlen? Wie könnte man die Heime da unterstützen?
    Westerfellhaus: Na ja, ich bin sehr dankbar, dass Sie auch mal die Basics ansprechen. Ich glaube, gerade im Rahmen der Dokumentation, in der heute noch vieles papierlastig ausgestattet ist, bedarf es einer dringenden Weiterentwicklung. Hier gibt es einen immensen Reformstau. Ich kann doch nicht sagen, dass ich die Rahmenbedingungen für Pflegende verbessern will, Arbeitsstrukturen vereinfachen, wenn ich sie alles drei- oder viermal aufschreiben lasse. Und ich muss sagen, die Bundesregierung hat ja in ihrem Rahmen der Unterstützung im Sofortprogramm Pflege bereits den ersten Schritt dort getan. Es wird ja für den Anschub für Digitalisierungsprojekte Geld als Ergänzung zu den Investitionen von Einrichtungen zur Verfügung gestellt.
    Fröhndrich: Helfen Sie mir noch mal auf die Sprünge. Wieviel Geld ist das?
    Westerfellhaus: Na ja, das ist 12.500 Euro zunächst einmal für eine Einrichtung, aber als Zuschuss. Dann wird natürlich gleich jemand sagen, das ist ja viel zu wenig. Wie soll man ein umfassendes System damit aufbauen. Die Entscheidung ist, dass ich hier ein Einstieg in eine Diskussion schaffe, dass ich Unterstützung für die Dokumentation leiste, die allerdings vernetzt sein muss und in der letztendlich Unternehmen auch in die Lage versetzt werden müssen, dann genau diese Strukturen vernetzt auch mit anderen Rechensystemen, mit anderen Dokumentationssystemen kompatibel zu machen. Da geht es ganz klar um Arbeitsvereinfachung und Entlastung. Da sind sowohl Arbeitgeber gefragt wie letztendlich auch wir jetzt im Rahmen der Regierung über Anschubfinanzierung, darüber letztendlich nachzudenken. Und ich glaube, je nach Ausprägung und Inanspruchnahme werden diese Produkte, die sicherlich heute immer noch ein hohes Investment fordern, dann, wenn sie in die Fläche gehen, auch sehr viel kostengünstiger.
    Fröhndrich: Schauen wir noch auf einen anderen Bereich für die Digitalisierung: in den Bereich der häuslichen Pflege. Da sind ja zum Beispiel Seniorenwohnungen auch denkbar, Böden mit einem Sensor, die dann melden, wenn ein Mensch stürzt. Welche Einsatzmöglichkeiten sehen Sie da beziehungsweise wie weit sind wir da schon?
    Westerfellhaus: Ich glaube, dass von den angesprochenen Varianten der Sicherheit, wenn jemand aus dem Bett stürzt, einen Alarm abzusetzen – man kann sich schon vorstellen, dass man Sauerstoffgehalt misst im Körper, dass man eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr dann misst. Alle diese Dinge sind denkbar. Aber auch hier gilt: Es ist ein Ersatz, es ist eine Unterstützung. Es dient der Sicherheit des Pflegebedürftigen. Sie sollte immer geleitet davon sein, von einer Idee: Die Menschen wollen so lange wie möglich selbstbestimmt zuhause bleiben, in ihrem eigenen Umfeld, und sie wollen sich sicher fühlen. Wenn ich durch diese unterstützenden Maßnahmen dazu beitragen kann, dass genau dieses eintritt, tun wir den Menschen, die es benötigen, einen großen Gefallen und letztendlich auch im Rahmen des Systems, der ergänzenden Maßnahmen, der Verhinderung von Einweisungen in eine stationäre Einrichtung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.