Es sind nicht viele Vereine, die zu Beginn der Saison mit einer Regenbogenbinde ein Zeichen setzen: Lediglich die Kapitäne aus Wolfsburg, Freiburg, St. Pauli und Heidenheim tragen sie. Ansonsten scheint von der Debatte während der Europameisterschaft optisch nur wenig übrig geblieben zu sein.
Sven Kistner überrascht das nicht: "Wir haben schon damit gerechnet. dass das Thema nicht so oben bleiben wird."
"Ein großes Stück vorangekommen"
Kistner ist Vorsitzender der Queer Football Fanclubs, einer Vereinigung von Fußballfans, die sich aktiv für die sexuelle und geschlechtliche Vielfalt einsetzen. Er wünscht sich, dass die Vereine dauerhaft zumindest kleine Zeichen für Vielfalt setzen. Großflächige Regenbögen muss er aber nicht immer sehen, denn das Zeichen…
"nutzt sich aus unserer Sicht auch ein bisschen ab. Das heißt, es wird dann weniger relevant. Und auf der anderen Seite ist es natürlich auch so, dass es unter Umständen auch Menschen, die dem Thema gegenüber offen sind, mit der Zeit ein bisschen auf den Nerv geht und das vielleicht auch einfach ein bisschen zu viel wird, wenn es nur noch um dieses Thema gehen würde."
Insgesamt befindet sich die Bundesliga in Sachen Vielfalt auf einem guten Weg, findet Jörg Litwinschuh-Bartel. Er ist Vorsitzender der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, die sich bundesweit gegen die Diskriminierung sexueller und geschlechtlicher Minderheiten einsetzt. Vor acht Jahren hat er erreicht, dass die Vereine in der Bundesliga die "Berliner Erklärung" gegen Diskriminierung unterschreiben. Eine Selbstverpflichtung, sich für die sexuelle Vielfalt im Sport einzusetzen.
"Erstmal glaube ich, dass der gesamte Fußballsport mit Deutschland ein großes Stück vorangekommen ist in den letzten zehn Jahren. Und das begründet ich hauptsächlich dadurch, dass man sagen kann, dass das Tabu ist gebrochen worden, dass man wirklich über Schwulsein, Lesbischsein, Trans-Sein spricht. Das an sich ist schon ein riesiger Erfolg."
"In den Statuten festschreiben"
Tatsächlich treten die Klubs der ersten und zweiten Bundesliga immer wieder gegen Homo-Feindlichkeit ein. Auf Nachfrage verweisen sie auf Aktionswochen, wie zum Beispiel im Mai, als einige Vereine sogar Trikots in Regenbogen-Optik getragen haben. Oder auf lokale Demonstrationen zum Christopher-Street-Day, wo etliche Teams präsent seien.
Auch die Deutsche Fußball Liga betont, dass man sich sehr für die sexuelle Vielfalt einsetze, etwa mit der Berliner Erklärung oder der finanziellen Unterstützung von Fanprojekten.
Marcus Urban wünscht sich aber, dass die Klubs das Thema dauerhaft hochhalten. Er ist Sprecher der Initiative Gay Players Unite und meint, dass die sexuelle und geschlechtliche Vielfalt noch keine Normalität ist:
"Sie würden es daran erkennen, dass das Vielfalts-Konzept, Diversity-Konzept in einem Verein völlig normal verankert ist und nicht wieder hinten abfällt, wenn der Geschäftsführer neu da ist oder der Präsident gewechselt hat und sich das Thema plötzlich wieder ändert. Also sprich, wenn das Thema Vielfaltsarbeit fest verankert ist in den Statuten der Vereine und Verbände und nicht mit dem Personal wechselt."
Ein Blick in die Vereinssatzungen der Bundesliga-Vereine zeigt: Hier wäre in einigen Fällen Luft nach oben. Zwar haben sich viele Vereine eine Charta oder ein Leitbild gegeben, in denen sie auf das Thema eingehen. Aber nur rund die Hälfte der Klubs hat das Thema in ihrer Satzung verankert, meist indem sie schreiben, dass sie sich pauschal gegen Diskriminierung jeglicher Art einsetzen.
Konsequenzen für Verstöße festschreiben
"Also ich denke nicht nur die sexuelle Vielfalt, sondern alle Arten von Diskriminierung, die man sich vorstellen kann, sollten da wirklich auch beim Namen genannt werden. Denn in indem man es so allgemein hält, weicht man es natürlich auch ein bisschen auf",
sagt Sven Kistner von den Queer Football Fanclubs. Er fordert außerdem, das Thema fest in den Stadienordnungen zu verankern:
"Dass da eben ganz klar beschrieben ist, auch was passiert, wenn es, wenn es zu "Verstößen" gegen diese Grundsätze kommt. Das wäre sicher noch ganz wichtig, dass das alle Vereine auch tatsächlich auf dem Zettel haben."
Immerhin: fast die Hälfte der Bundesligaklubs verbietet in den Stadionordnungen explizit die Diskriminierung sexueller und geschlechtlicher Minderheiten.
Auch bei Sponsoren genauer hinsehen
Die Mentalität in den Vereinen, von Funktionären, Spielern und Fans mag sich in den letzten Jahren geändert haben. Gleichzeitig setzen einige Klubs aber auch auf Millionen von Sponsorengeldern aus Ländern wie Russland oder Katar, wo sexuelle Minderheiten unterdrückt und diskriminiert werden. Sven Kistner fordert hier mehr Sensibilität:
"Da würden wir uns wünschen, dass es da zu einem anderen Bewusstsein kommt. Wenn man an die Sponsorenauswahl denkt und das Ganze vielleicht nicht in erster Linie nur über irgendwelche Summen geregelt wird, die da gezahlt werden."
Ein Detail, dass der selbst propagierten Vielfalt widerspricht. Und auch ein Grund, warum Marcus Urban bei der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt in der Bundesliga Nachholbedarf sieht:
"Auf einer Skala von eins bis zehn, wo eins das schlechteste und 10 das Beste ist, sind wir bei einer drei. Vielleicht auch bei einer 3,5."
Und auch Jörg-Lithwinschuh Barthel ist sich sicher: "Der Fußball kann noch mehr tun, und er muss auch noch mehr tun."