Christiane Kaess: In Griechenland laufen zur Stunde die Gespräche über die Bildung einer pro-europäischen Regierung der nationalen Einheit unter Vorsitz der Konservativen. Der Chef der Sozialdemokraten, Evangelos Venizelos, traf heute Morgen mit dem Vorsitzenden der demokratischen Linken zusammen. Die möchten Konservative und Sozialdemokraten gern mit einbinden, um eine größere Stabilität zu erreichen. Die Finanzmärkte treiben die Eurozone weiter vor sich her. Eine globale Antwort könnte dem Hase-und-Igel-Spiel vielleicht ein Ende bereiten, so meinen viele Experten. Aber die führenden Wirtschaftsmächte bleiben beim G-20-Gipfel im mexikanischen Los Cabos in kleinteiligem Streit und Absichtserklärungen stecken.
Am Telefon ist jetzt Gustav Adolf Horn, er ist Leiter des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung. Guten Tag, Herr Horn.
Gustav Adolf Horn: Guten Tag!
Kaess: Herr Horn, angesichts des Wahlsiegs der pro-europäischen Konservativen in Griechenland will die Ratingagentur Fitch die Länder der Eurozone vorerst nicht kollektiv herabstufen. Ist das griechische Wahlergebnis nur eine Verlängerung der Ungewissheit, oder sehen Sie eine echte Chance, dass Griechenland bald nicht mehr das Sorgenkind in der EU sein wird?
Horn: Nun, ich sehe hier schon eine echte Chance, dass man tatsächlich die Krise etwas entschärft. Wenn das von beiden Seiten, dieses Wahlergebnis, genutzt wird, um Verhandlungen aufzunehmen über eine Streckung des Austeritätsprogramms, dann könnte es sein, dass sich die Lage in Griechenland entdramatisiert in den nächsten Wochen und Monaten, und das würde der Eurozone als Ganzes sicherlich nützen. Deshalb haben auch beide Seiten ein Interesse daran, die griechische Regierung braucht Geld und die Eurozone braucht Stabilität. Das lässt sich in Verhandlungen erreichen.
Kaess: Da haben Sie die Änderung des Zeitplans schon angesprochen. Wir hören mal, was auf der einen Seite Evangelos Antonaros von der griechischen Nea Dimokratia und auf der anderen Seite Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken, heute Morgen bei uns im Programm gesagt haben.
O-Ton Evangelos Antonaros: Sagen wir von zwei auf vier Jahre, damit die Auswirkungen auf die Gesellschaft und auf die Wirtschaft milder werden. Es geht nicht um die Ziele, die Ziele wollen wir ganz bestimmt einhalten, wir stehen zu unseren Verpflichtungen.
O-Ton Michael Kemmer: Aber ich glaube, es ist schon sehr, sehr wichtig, dass man auch hier nicht übermäßig Fristen verlängert und sonstige große Zugeständnisse macht, denn es muss auch eine disziplinierende Wirkung ausgehen von dieser Situation, denn die Ansteckungseffekte sind ja unübersehbar.
Kaess: Michael Kemmer vom Bundesverband deutscher Banken und davor haben wir Evangelos Antonaros von der griechischen Nea Dimokratia gehört. – Herr Horn, welche Zeitmaßstäbe sind denn verhandelbar?
Horn: Unterschiedliche Zeitmaßstäbe aus meiner Sicht. Auf der einen Seite: Die Kürzungsprogramme müssen gestreckt werden, da kann man in der Tat über zwei bis vier Jahre reden, damit die griechische Wirtschaft nicht weiter belastet wird, damit die gesamtwirtschaftliche Nachfrage in Griechenland nicht weiter in den Keller sinkt. Auf der anderen Seite müssen institutionelle Reformen eher sogar beschleunigt werden. Griechenland braucht dringend ein funktionsfähiges Steuersystem und eine funktionsfähige Steuerverwaltung, da muss das Tempo eher beschleunigt werden. Man darf jetzt also nicht alles über einen Kamm scheren, sondern es gilt, sozusagen den Weg zu finden, der Griechenland auf der einen Seite umstrukturiert, damit es in Zukunft wettbewerbsfähig ist und der Staat über sichere Einnahmen verfügt, aber auf der anderen Seite die Wirtschaft nicht einfach durch Austerität vor die Wand gefahren wird.
Kaess: Da haben Sie schon das Problem angesprochen, das in Griechenland ja auch nach der Wahl nicht gelöst ist. Wir haben nicht funktionierende staatliche Strukturen und keiner will in Griechenland investieren. Wäre es letztendlich nicht für die Wirtschaft im Land doch besser, wenn man eine Währung wie die Drachme hätte, die auch tatsächlich der wirtschaftlichen Leistung entspricht?
Horn: Nun, die Drachme würde zwar dann eingeführt und es würde zu einer massiven Abwertung kommen, was sicherlich die Wettbewerbsfähigkeit der Exporteure zunächst einmal verbessern würde. Nur gibt es mehrere Dinge zu bedenken. Sämtliche Vermögenswerte, die in Euro sind, wären nicht mehr bedienbar, Griechenland wäre Pleite, und alle die, die Griechenland Geld geliehen haben, wären sicherlich relativ erzürnt darüber und würden dies nicht wieder tun. Das heißt, Griechenland hätte enorme Probleme, überhaupt Geld an den internationalen Kapitalmärkten zu bekommen. Das griechische Bankensystem würde zusammenbrechen, und die Menschen wollen ja eigentlich keine andere Währung als den Euro. Das sollte man bei all dem nicht vergessen. Das heißt, sie würden versuchen, diese neue Währung möglichst schnell gegen Euro einzutauschen. So etwas ist ein Rezept für Chaos und wirtschaftliche Turbolenzen, damit wäre niemandem gedient. Und von den Ansteckungseffekten auf Portugal, Spanien und andere, die dann damit rechnen könnten, eventuell in die gleiche Situation zu kommen, will ich noch gar nicht reden.
Kaess: Aber bleiben wir noch mal bei Griechenland. Sie haben selber schon das nicht funktionierende Steuersystem angesprochen. Woher sollen die Einnahmen denn kommen?
Horn: Nun, man muss eben ein funktionierendes Steuersystem insbesondere auch bei der Einkommenssteuer machen, das eben alle Griechen auch der Besteuerung unterwirft. Es ist ja leider so, dass in Griechenland gerade hohe Einkommen sich der Besteuerung entzogen haben. Da können die übrigen Europäer auch Hilfestellung leisten, indem sie Griechenland helfen, Steuerflüchtlinge zu verfolgen, so dass sie einen schwierigeren Stand innerhalb der EU haben, und können dabei helfen, Steuereinnahmen einzutreiben. Aber man muss in Griechenland natürlich auch erst einmal eine Steuerverwaltung aufbauen, die ihren Namen auch zurecht trägt.
Kaess: Und bisher funktioniert die noch nicht, angesichts dieser Probleme. Kommt das, was Angela Merkel bisher ablehnt, nämlich ein weiteres Hilfspaket für Griechenland?
Horn: Es kommt sicherlich eine Verlängerung der Zeit, in der Griechenland verbilligte Kredite über die europäischen Länder in Anspruch nehmen kann. Man schützt damit Griechenland vor dem Kapitalmarkt, das ist auch sinnvoll so. Wir schenken damit Griechenland kein Geld, sondern wir sichern nur Kredite ab, und wenn wir es schaffen, Griechenland aus der Krise zu führen, werden wir damit belohnt, dass wir überhaupt keinen Cent dort hinschicken müssen. Das müssten wir erst dann, wenn Griechenland Pleite geht, denn dann würden unsere Garantien fällig.
Kaess: Also Sie gehen fest davon aus, dass Griechenland sich in absehbarer Zeit wieder selbst finanzieren kann?
Horn: Wenn die Entscheidungen jetzt richtig gefällt werden, ja. Dann wird in absehbarer Zeit Griechenland an den Kapitalmarkt zurückkehren können. Dazu wäre es allerdings auch nötig, dass im Hintergrund die EZB steht, die eventuelle Panikattacken auf den Märkten bekämpft. Wenn man diese Garantie hätte, sehe ich schon eine Perspektive für Griechenland, in drei, vier Jahren auch selbstständig an den Kapitalmarkt zurückzukehren.
Kaess: Herr Horn, die Europäer wurden auf dem G-20-Gipfel von anderen Wirtschaftsmächten dazu gedrängt, endlich ihre Schuldenkrise zu lösen, und ganz konkret verlangen die USA von Deutschland und China, die Ausgaben zu erhöhen, um der Weltwirtschaft zu helfen. Wann ist die deutsche Kraft erschöpft, noch mehr zu tragen?
Horn: Nun, die Deutschen tragen ja im Grunde genommen jetzt gar keine hohe finanzielle Last, sie tragen nur eine Menge Garantien mit sich herum, falls es schief geht.
Kaess: Es kann ja schief gehen!
Horn: Es kann schief gehen. Dann würden diese Lasten erst fällig. Im Moment werden sie gar nicht fällig, insofern haben die Amerikaner auch Recht. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Garantien fällig werden, könnte man auch dadurch senken, dass man in den Ländern, die Handelsüberschüsse erzielen, einen expansiveren Politikpfad einschlägt. Das ist in begrenztem Umfang auch in Deutschland nötig – ich sage in begrenztem Umfang, weil wir ja die Schuldenbremse haben, uns nicht weiter verschulden können im öffentlichen Sektor -, aber insofern über Steuerfinanzierung expansivere Ausgaben möglich sind, kann man dies machen und damit auch einen anregenden Impuls auf die europäische Wirtschaft ausstrahlen.
Kaess: Dann stelle ich die Frage noch mal anders. Wie viel Garantie mehr kann Deutschland noch geben?
Horn: Nun, Deutschland kann bis dahin Garantien geben, solange es glaubwürdig wird, dass Deutschland auch diese Garantien wird bedienen können im Fall ihrer Fälligkeit.
Kaess: Und da sind wir noch nicht am Limit?
Horn: Da sind wir noch nicht am Limit. Dieses Limit ist auch nicht exakt bestimmbar. Es hängt ja von der Einschätzung der Märkte ab, ob dieses Limit erreicht ist oder nicht. Wenn natürlich ein Bruch des Euroraums absehbar wäre, wenn die Wahrscheinlichkeit immer weiter steigt, dann würden die Märkte natürlich dann auch panisch reagieren und dann würden sie sicherlich auch dazu übergehen, deutsche Staatsanleihen zu verkaufen.
Kaess: Auf dem G-20-Gipfel wurde China auch konkret angesprochen. Braucht Europa tatsächlich Hilfe von außerhalb?
Horn: Eigentlich nicht. Eigentlich können wir unsere Probleme alleine lösen, wenn wir dies nur wollen, denn die Verschuldung der Eurostaaten ist ja in unserer Inlandswährung, dem Euro. Wir haben uns nicht in chinesischer Währung verschuldet, dann bräuchten wir die Chinesen, oder in amerikanischer Währung, dann bräuchten wir die Amerikaner, sondern in unserer eigenen Währung. Und solange wir dies in unserer eigenen Währung tun, können wir die Probleme auch lösen - zum Beispiel dadurch, dass die EZB ankündigt, im Falle von Panikattacken sofort auf den Märkten zu intervenieren. Jeder weiß, dass er gegen die EZB als Herrin der Währung nicht ankommt, als Spekulant oder als Investor, und das würde eine Beruhigung schaffen, die die Zinsen sicherlich in einem gewissen Rahmen hält.
Kaess: Da plädieren Sie dafür, unkontrolliert Geld in den Markt zu pumpen?
Horn: Nein, nicht unkontrolliert, sondern eine Garantie zu geben, dass die Zentralbank das macht, was für eine Zentralbank normal ist zu machen und was man in jedem Lehrbuch auch nachlesen kann, und wenn die Zentralbank dies auch nur ankündigt, braucht sie dies wahrscheinlich gar nicht zu machen, weil jeder im Markt weiß, sie hat die Macht, dies zu tun, und sie kann die Zinsen in dieser Weise beeinflussen.
Kaess: Und das Risiko einer Inflation, dass die dann folgt, sehen Sie nicht?
Horn: Das sehe ich nicht. Sobald Inflationstendenzen sich bilden würden, kann die EZB alle Maßnahmen ganz schnell über Nacht zurücknehmen und Liquidität aus dem Markt entfernen, so dass die Inflation nicht durchwirken kann.
Kaess: Herr Horn, zuletzt noch: Angela Merkel wehrt sich gegen die Kritik auf dem G-20-Gipfel, das Schuldenproblem betreffe nur die Europäer. Sie sagt, es sind genauso gut die anderen Wirtschaftsmächte, die betroffen sind. Inwieweit ist denn die europäische Situation derzeit auch von außerhalb Europa beeinflusst?
Horn: Nun gut, die Weltwirtschaft beeinflusst natürlich das Umfeld, indem zum Beispiel europäische Exporteure aktiv werden, aber das ist sicherlich ein sekundärer Effekt, und natürlich ist die Weltwirtschaft auch von der Schuldenkrise in Europa betroffen, denn Europa ist einer der wichtigsten Märkte und wenn dieser Markt schwach ist, dann leiden darunter auch die Amerikaner und die Chinesen.
Kaess: Und umgekehrt: Inwieweit leiden die Europäer unter den Problemen außerhalb?
Horn: Sie leiden vielleicht unter den Probleme der USA, weil die Amerikaner nicht mehr der Staubsauger der Weltwirtschaft sein können. Sie müssen tatsächlich ihre Außenhandelsbilanz in Ordnung bringen. Und da in China die Wirtschaft auch schwächer ist, leiden wir auch darunter - gerade in Deutschland, denn wir sind sicherlich einer der Hauptexporteure nach China.
Kaess: Gustav Adolf Horn war das, er ist Wirtschaftswissenschaftler bei der Hans-Böckler-Stiftung. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Horn.
Horn: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Am Telefon ist jetzt Gustav Adolf Horn, er ist Leiter des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung. Guten Tag, Herr Horn.
Gustav Adolf Horn: Guten Tag!
Kaess: Herr Horn, angesichts des Wahlsiegs der pro-europäischen Konservativen in Griechenland will die Ratingagentur Fitch die Länder der Eurozone vorerst nicht kollektiv herabstufen. Ist das griechische Wahlergebnis nur eine Verlängerung der Ungewissheit, oder sehen Sie eine echte Chance, dass Griechenland bald nicht mehr das Sorgenkind in der EU sein wird?
Horn: Nun, ich sehe hier schon eine echte Chance, dass man tatsächlich die Krise etwas entschärft. Wenn das von beiden Seiten, dieses Wahlergebnis, genutzt wird, um Verhandlungen aufzunehmen über eine Streckung des Austeritätsprogramms, dann könnte es sein, dass sich die Lage in Griechenland entdramatisiert in den nächsten Wochen und Monaten, und das würde der Eurozone als Ganzes sicherlich nützen. Deshalb haben auch beide Seiten ein Interesse daran, die griechische Regierung braucht Geld und die Eurozone braucht Stabilität. Das lässt sich in Verhandlungen erreichen.
Kaess: Da haben Sie die Änderung des Zeitplans schon angesprochen. Wir hören mal, was auf der einen Seite Evangelos Antonaros von der griechischen Nea Dimokratia und auf der anderen Seite Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken, heute Morgen bei uns im Programm gesagt haben.
O-Ton Evangelos Antonaros: Sagen wir von zwei auf vier Jahre, damit die Auswirkungen auf die Gesellschaft und auf die Wirtschaft milder werden. Es geht nicht um die Ziele, die Ziele wollen wir ganz bestimmt einhalten, wir stehen zu unseren Verpflichtungen.
O-Ton Michael Kemmer: Aber ich glaube, es ist schon sehr, sehr wichtig, dass man auch hier nicht übermäßig Fristen verlängert und sonstige große Zugeständnisse macht, denn es muss auch eine disziplinierende Wirkung ausgehen von dieser Situation, denn die Ansteckungseffekte sind ja unübersehbar.
Kaess: Michael Kemmer vom Bundesverband deutscher Banken und davor haben wir Evangelos Antonaros von der griechischen Nea Dimokratia gehört. – Herr Horn, welche Zeitmaßstäbe sind denn verhandelbar?
Horn: Unterschiedliche Zeitmaßstäbe aus meiner Sicht. Auf der einen Seite: Die Kürzungsprogramme müssen gestreckt werden, da kann man in der Tat über zwei bis vier Jahre reden, damit die griechische Wirtschaft nicht weiter belastet wird, damit die gesamtwirtschaftliche Nachfrage in Griechenland nicht weiter in den Keller sinkt. Auf der anderen Seite müssen institutionelle Reformen eher sogar beschleunigt werden. Griechenland braucht dringend ein funktionsfähiges Steuersystem und eine funktionsfähige Steuerverwaltung, da muss das Tempo eher beschleunigt werden. Man darf jetzt also nicht alles über einen Kamm scheren, sondern es gilt, sozusagen den Weg zu finden, der Griechenland auf der einen Seite umstrukturiert, damit es in Zukunft wettbewerbsfähig ist und der Staat über sichere Einnahmen verfügt, aber auf der anderen Seite die Wirtschaft nicht einfach durch Austerität vor die Wand gefahren wird.
Kaess: Da haben Sie schon das Problem angesprochen, das in Griechenland ja auch nach der Wahl nicht gelöst ist. Wir haben nicht funktionierende staatliche Strukturen und keiner will in Griechenland investieren. Wäre es letztendlich nicht für die Wirtschaft im Land doch besser, wenn man eine Währung wie die Drachme hätte, die auch tatsächlich der wirtschaftlichen Leistung entspricht?
Horn: Nun, die Drachme würde zwar dann eingeführt und es würde zu einer massiven Abwertung kommen, was sicherlich die Wettbewerbsfähigkeit der Exporteure zunächst einmal verbessern würde. Nur gibt es mehrere Dinge zu bedenken. Sämtliche Vermögenswerte, die in Euro sind, wären nicht mehr bedienbar, Griechenland wäre Pleite, und alle die, die Griechenland Geld geliehen haben, wären sicherlich relativ erzürnt darüber und würden dies nicht wieder tun. Das heißt, Griechenland hätte enorme Probleme, überhaupt Geld an den internationalen Kapitalmärkten zu bekommen. Das griechische Bankensystem würde zusammenbrechen, und die Menschen wollen ja eigentlich keine andere Währung als den Euro. Das sollte man bei all dem nicht vergessen. Das heißt, sie würden versuchen, diese neue Währung möglichst schnell gegen Euro einzutauschen. So etwas ist ein Rezept für Chaos und wirtschaftliche Turbolenzen, damit wäre niemandem gedient. Und von den Ansteckungseffekten auf Portugal, Spanien und andere, die dann damit rechnen könnten, eventuell in die gleiche Situation zu kommen, will ich noch gar nicht reden.
Kaess: Aber bleiben wir noch mal bei Griechenland. Sie haben selber schon das nicht funktionierende Steuersystem angesprochen. Woher sollen die Einnahmen denn kommen?
Horn: Nun, man muss eben ein funktionierendes Steuersystem insbesondere auch bei der Einkommenssteuer machen, das eben alle Griechen auch der Besteuerung unterwirft. Es ist ja leider so, dass in Griechenland gerade hohe Einkommen sich der Besteuerung entzogen haben. Da können die übrigen Europäer auch Hilfestellung leisten, indem sie Griechenland helfen, Steuerflüchtlinge zu verfolgen, so dass sie einen schwierigeren Stand innerhalb der EU haben, und können dabei helfen, Steuereinnahmen einzutreiben. Aber man muss in Griechenland natürlich auch erst einmal eine Steuerverwaltung aufbauen, die ihren Namen auch zurecht trägt.
Kaess: Und bisher funktioniert die noch nicht, angesichts dieser Probleme. Kommt das, was Angela Merkel bisher ablehnt, nämlich ein weiteres Hilfspaket für Griechenland?
Horn: Es kommt sicherlich eine Verlängerung der Zeit, in der Griechenland verbilligte Kredite über die europäischen Länder in Anspruch nehmen kann. Man schützt damit Griechenland vor dem Kapitalmarkt, das ist auch sinnvoll so. Wir schenken damit Griechenland kein Geld, sondern wir sichern nur Kredite ab, und wenn wir es schaffen, Griechenland aus der Krise zu führen, werden wir damit belohnt, dass wir überhaupt keinen Cent dort hinschicken müssen. Das müssten wir erst dann, wenn Griechenland Pleite geht, denn dann würden unsere Garantien fällig.
Kaess: Also Sie gehen fest davon aus, dass Griechenland sich in absehbarer Zeit wieder selbst finanzieren kann?
Horn: Wenn die Entscheidungen jetzt richtig gefällt werden, ja. Dann wird in absehbarer Zeit Griechenland an den Kapitalmarkt zurückkehren können. Dazu wäre es allerdings auch nötig, dass im Hintergrund die EZB steht, die eventuelle Panikattacken auf den Märkten bekämpft. Wenn man diese Garantie hätte, sehe ich schon eine Perspektive für Griechenland, in drei, vier Jahren auch selbstständig an den Kapitalmarkt zurückzukehren.
Kaess: Herr Horn, die Europäer wurden auf dem G-20-Gipfel von anderen Wirtschaftsmächten dazu gedrängt, endlich ihre Schuldenkrise zu lösen, und ganz konkret verlangen die USA von Deutschland und China, die Ausgaben zu erhöhen, um der Weltwirtschaft zu helfen. Wann ist die deutsche Kraft erschöpft, noch mehr zu tragen?
Horn: Nun, die Deutschen tragen ja im Grunde genommen jetzt gar keine hohe finanzielle Last, sie tragen nur eine Menge Garantien mit sich herum, falls es schief geht.
Kaess: Es kann ja schief gehen!
Horn: Es kann schief gehen. Dann würden diese Lasten erst fällig. Im Moment werden sie gar nicht fällig, insofern haben die Amerikaner auch Recht. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Garantien fällig werden, könnte man auch dadurch senken, dass man in den Ländern, die Handelsüberschüsse erzielen, einen expansiveren Politikpfad einschlägt. Das ist in begrenztem Umfang auch in Deutschland nötig – ich sage in begrenztem Umfang, weil wir ja die Schuldenbremse haben, uns nicht weiter verschulden können im öffentlichen Sektor -, aber insofern über Steuerfinanzierung expansivere Ausgaben möglich sind, kann man dies machen und damit auch einen anregenden Impuls auf die europäische Wirtschaft ausstrahlen.
Kaess: Dann stelle ich die Frage noch mal anders. Wie viel Garantie mehr kann Deutschland noch geben?
Horn: Nun, Deutschland kann bis dahin Garantien geben, solange es glaubwürdig wird, dass Deutschland auch diese Garantien wird bedienen können im Fall ihrer Fälligkeit.
Kaess: Und da sind wir noch nicht am Limit?
Horn: Da sind wir noch nicht am Limit. Dieses Limit ist auch nicht exakt bestimmbar. Es hängt ja von der Einschätzung der Märkte ab, ob dieses Limit erreicht ist oder nicht. Wenn natürlich ein Bruch des Euroraums absehbar wäre, wenn die Wahrscheinlichkeit immer weiter steigt, dann würden die Märkte natürlich dann auch panisch reagieren und dann würden sie sicherlich auch dazu übergehen, deutsche Staatsanleihen zu verkaufen.
Kaess: Auf dem G-20-Gipfel wurde China auch konkret angesprochen. Braucht Europa tatsächlich Hilfe von außerhalb?
Horn: Eigentlich nicht. Eigentlich können wir unsere Probleme alleine lösen, wenn wir dies nur wollen, denn die Verschuldung der Eurostaaten ist ja in unserer Inlandswährung, dem Euro. Wir haben uns nicht in chinesischer Währung verschuldet, dann bräuchten wir die Chinesen, oder in amerikanischer Währung, dann bräuchten wir die Amerikaner, sondern in unserer eigenen Währung. Und solange wir dies in unserer eigenen Währung tun, können wir die Probleme auch lösen - zum Beispiel dadurch, dass die EZB ankündigt, im Falle von Panikattacken sofort auf den Märkten zu intervenieren. Jeder weiß, dass er gegen die EZB als Herrin der Währung nicht ankommt, als Spekulant oder als Investor, und das würde eine Beruhigung schaffen, die die Zinsen sicherlich in einem gewissen Rahmen hält.
Kaess: Da plädieren Sie dafür, unkontrolliert Geld in den Markt zu pumpen?
Horn: Nein, nicht unkontrolliert, sondern eine Garantie zu geben, dass die Zentralbank das macht, was für eine Zentralbank normal ist zu machen und was man in jedem Lehrbuch auch nachlesen kann, und wenn die Zentralbank dies auch nur ankündigt, braucht sie dies wahrscheinlich gar nicht zu machen, weil jeder im Markt weiß, sie hat die Macht, dies zu tun, und sie kann die Zinsen in dieser Weise beeinflussen.
Kaess: Und das Risiko einer Inflation, dass die dann folgt, sehen Sie nicht?
Horn: Das sehe ich nicht. Sobald Inflationstendenzen sich bilden würden, kann die EZB alle Maßnahmen ganz schnell über Nacht zurücknehmen und Liquidität aus dem Markt entfernen, so dass die Inflation nicht durchwirken kann.
Kaess: Herr Horn, zuletzt noch: Angela Merkel wehrt sich gegen die Kritik auf dem G-20-Gipfel, das Schuldenproblem betreffe nur die Europäer. Sie sagt, es sind genauso gut die anderen Wirtschaftsmächte, die betroffen sind. Inwieweit ist denn die europäische Situation derzeit auch von außerhalb Europa beeinflusst?
Horn: Nun gut, die Weltwirtschaft beeinflusst natürlich das Umfeld, indem zum Beispiel europäische Exporteure aktiv werden, aber das ist sicherlich ein sekundärer Effekt, und natürlich ist die Weltwirtschaft auch von der Schuldenkrise in Europa betroffen, denn Europa ist einer der wichtigsten Märkte und wenn dieser Markt schwach ist, dann leiden darunter auch die Amerikaner und die Chinesen.
Kaess: Und umgekehrt: Inwieweit leiden die Europäer unter den Problemen außerhalb?
Horn: Sie leiden vielleicht unter den Probleme der USA, weil die Amerikaner nicht mehr der Staubsauger der Weltwirtschaft sein können. Sie müssen tatsächlich ihre Außenhandelsbilanz in Ordnung bringen. Und da in China die Wirtschaft auch schwächer ist, leiden wir auch darunter - gerade in Deutschland, denn wir sind sicherlich einer der Hauptexporteure nach China.
Kaess: Gustav Adolf Horn war das, er ist Wirtschaftswissenschaftler bei der Hans-Böckler-Stiftung. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Horn.
Horn: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.