Dirk-Oliver Heckmann: Alexis Tsipras, der Chef der linken Sammlungsbewegung SYRIZA, die bei den Wahlen am vergangenen Sonntag zweitstärkste Kraft geworden ist, er war der Erste, mit dem der konservative Antonis Samaras das Gespräch suchte, wobei schon vorher klar war, die SYRIZA würde einer Koalition, die die Sparpolitik fortsetzt, nicht beitreten. Jetzt läuft alles auf eine Zusammenarbeit zwischen Nea Dimokratia und den Sozialdemokraten von der Pasok hinaus, gestern Abend wurden entsprechende Gespräche geführt.
Mein Kollege Jürgen Liminski hatte die Gelegenheit, mit Alexander Graf Lambsdorff zu sprechen. Er ist erster stellvertretender Vorsitzender der Liberalen-Fraktion im Europäischen Parlament. Und seine erste Frage an ihn: Kann, soll Brüssel das Griechenland-Paket nachverhandeln?
Alexander Graf Lambsdorff: Also ich glaube, es wird ganz entscheidend sein, dass das Sparprogramm, so wie es vereinbart ist, auch eingehalten wird. Ich sage nicht, dass man nicht über einzelne Details reden kann, aber im Grundsatz gilt, dass nicht nachverhandelt wird. Da würde das Europäische Parlament sicher auch dagegen sein, das muss man ganz klar sagen. Ich bin aber der Meinung, dass die Griechen die Maßnahmen, die sie zugesagt haben, jetzt umsetzen müssen. Vieles ist ja bereits angestoßen worden, aber es mangelt oft auch noch an der Umsetzung bereits zugesagter Maßnahmen.
Jürgen Liminski: Gibt es denn einen Plan B, wenn Athen einfach auf Verhandlungen beharrt?
Graf Lambsdorff: Wenn Athen wirklich auf Verhandlungen beharrt – das ist ja die Linie von SYRIZA gewesen, von Tsipras gewesen -, dann hätten wir eine neue Lage. Das ist in gewisser Weise spekulativ, aber ich bin ganz sicher, dass die anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und der Eurozone sich das nicht gefallen lassen würden. In dem Fall müsste sich Griechenland dann wirklich fragen, ob man die Eurozone verlassen will.
Liminski: Auch in Frankreich wurde gewählt und Präsident Hollande verfügt nun über eine Machtfülle wie kein Präsident vor ihm in der fünften Republik. Kann, wird er die in Europa ausspielen, oder nutzt ihm das nur innenpolitisch?
Graf Lambsdorff: Ein französischer Präsident, der ein so starkes Mandat im Rücken hat, wie Francois Hollande das gelungen ist, der wird natürlich gestärkt auch auf der europäischen Bühne auftreten. Alles andere wäre erstaunlich. Auf der anderen Seite: Der französische Präsident spielt traditionell eigentlich immer eine relativ starke Rolle. Mit einer der Gründe für Hollandes Wahlsieg ist ja, dass das bei Präsident Sarkozy nicht in der Form der Fall war, wie die Franzosen das gerne wollten. Also ich glaube, mit Hollande ist zu rechnen, aber das ist auch normal.
Liminski: Es gibt Spekulationen darüber, Herr Lambsdorff, dass Hollande die Bundeskanzlerin überzeugen, auf die Linie von Eurobonds bringen will. Sehen Sie in absehbarer Zukunft eine Fiskal-, Wirtschafts- und Bankenunion?
Graf Lambsdorff: Man muss auf diesen Feldern arbeiten. Ich sage für die FDP ganz deutlich, wir sind strikt gegen Eurobonds. Die Vergemeinschaftung von Schuldenmacherei in der Zukunft, ohne jede Grenze nach oben und nach vorne, auf der Zeitschiene auch völlig offen, das nimmt jeden Anreiz dazu, solide seinen Haushalt in Ordnung zu bringen, das wäre ganz verkehrt.
Ich glaube aber, dass es Maßnahmen gibt, die nicht Eurobonds heißen, die dazu geeignet wären, eine glaubwürdige Schutzmauer um Spanien und Italien zu bauen, um diese Länder geht es wirklich, und hier, glaube ich, müssen wir in Deutschland noch diskutieren, insbesondere das Modell des Sachverständigenrates, den Schuldentilgungspakt, verbunden mit einem Insolvenzrecht für Staaten. Das sind die Linien, auf denen man reden sollte. Eurobonds sollte man allerdings gleich wieder vergessen.
Liminski: Das wirft die Frage nach der Solidarität auf. Solidarität ist schon innerhalb der Einzelstaaten eine ziemlich schwierige Sache, Stichwort Länderfinanzausgleich. Aber immerhin hat man in den Ländern ein Wir-Gefühl, zur Zeit der Europameisterschaft erst recht. Besteht nicht die Gefahr, dass Europa sich überdehnt oder ein Anti-Europa-Reflex gestärkt wird, wenn man bedingungslose Solidarität für Griechenland fordert?
Graf Lambsdorff: Sie haben völlig Recht, Herr Liminski. Man kann natürlich es mit der Solidarität auch übertreiben, zumal – und das sage ich meinen europäischen Partnern in Brüssel ja auch immer – die Deutschen sind ja solidarisch. Es ist ja nicht so, als ob wir nicht helfen würden. Wir haben Griechenland geholfen, obwohl es da nicht um Solidarität nach einem Erdbeben oder einem Vulkanausbruch ging, sondern um Solidarität angesichts völlig zerrütteter Staatsfinanzen. Das ist sicher noch mal etwas anderes.
Trotzdem hilft Deutschland, trotzdem stabilisiert Deutschland, das werden wir auch weiterhin tun als gute Europäer. Deswegen: Niemand sollte den Bogen überspannen. Wir müssen prüfen, welche Maßnahmen wirklich wirksam sind, reicht das aus, was wir getan haben, brauchen wir sinnvolle neue Maßnahmen, und die andere Seite muss sich fragen, wie viel sollte man wirklich erbitten, ohne den Bogen zu überspannen.
Liminski: Herr Lambsdorff, wie weit kann Solidarität mit einem Krisenland gehen – also jetzt nicht nur Griechenland, vielleicht auch Italien, Spanien -, wenn die Sozialsysteme so ungleich sind, also wenn in dem Solidaritätsgeberland bis 67 Jahre gearbeitet wird und man im Empfängerland keine strukturellen Änderungen bei Rente und im Sozialsystem insgesamt vornehmen will?
Graf Lambsdorff: Ja das ist etwas ganz Wichtiges und ich glaube, hier spielt die Europäische Kommission in Zukunft eine ganz starke Rolle, die als Hüterin des gesamteuropäischen Interesses auch darauf achten muss, dass die Diskrepanzen, die Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten, nicht zu groß werden. Ich kann beispielsweise nicht nachvollziehen, warum Präsident Hollande das Renteneintrittsalter gleich am Anfang von 62 Jahre wieder auf 60 Jahre reduziert für einen Teil der Bevölkerung. Das passt nicht zur demografischen Entwicklung, das passt nicht zur Solidarität in Europa.
Ich glaube, es wird darauf ankommen, dass die Europäische Kommission hier zumindest Leitlinien machen kann, Korridore entwerfen, an denen sich dann die nationalen Regierungen zu orientieren haben. Ich hielte das für hilfreich, denn ansonsten: Wenn der Bogen überspannt wird – ich habe es eben schon mal gesagt -, dann ist es mit der Solidarität nicht weit her, dann führt das zu Verstimmungen, und das kann in Europa niemand brauchen.
Liminski: Sie glauben also, dass die Griechenland-Wahl auch in diesem Sinn zu weiterem Nachdenken in Europa führen wird?
Graf Lambsdorff: Ganz sicher. Die Griechenland-Krise – und das ist ja eines der Ergebnisse – hat natürlich zu einem gesamteuropäischen Denken über diese Fragen der Sozialpolitik, der Sozialsysteme, der demografischen Entwicklung geführt. Man vergleicht sich miteinander. Wann hat es das schon mal gegeben, dass wir in Deutschland so intensiv Wahlen in anderen europäischen Ländern verfolgt haben? Das ist auch ein Ergebnis der Krise. Hier entsteht, durch die Krise ja, aber es entsteht auch ein bisschen eine europäische Öffentlichkeit, in der man bestimmte Dinge miteinander vergleicht, und das finde ich für sich genommen jedenfalls gar nicht mal so schlecht.
Heckmann: Alexander Graf Lambsdorff war das, der erste stellvertretende Vorsitzende der Liberalen-Fraktion im Europäischen Parlament. Die Fragen stellte mein Kollege Jürgen Liminski.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mein Kollege Jürgen Liminski hatte die Gelegenheit, mit Alexander Graf Lambsdorff zu sprechen. Er ist erster stellvertretender Vorsitzender der Liberalen-Fraktion im Europäischen Parlament. Und seine erste Frage an ihn: Kann, soll Brüssel das Griechenland-Paket nachverhandeln?
Alexander Graf Lambsdorff: Also ich glaube, es wird ganz entscheidend sein, dass das Sparprogramm, so wie es vereinbart ist, auch eingehalten wird. Ich sage nicht, dass man nicht über einzelne Details reden kann, aber im Grundsatz gilt, dass nicht nachverhandelt wird. Da würde das Europäische Parlament sicher auch dagegen sein, das muss man ganz klar sagen. Ich bin aber der Meinung, dass die Griechen die Maßnahmen, die sie zugesagt haben, jetzt umsetzen müssen. Vieles ist ja bereits angestoßen worden, aber es mangelt oft auch noch an der Umsetzung bereits zugesagter Maßnahmen.
Jürgen Liminski: Gibt es denn einen Plan B, wenn Athen einfach auf Verhandlungen beharrt?
Graf Lambsdorff: Wenn Athen wirklich auf Verhandlungen beharrt – das ist ja die Linie von SYRIZA gewesen, von Tsipras gewesen -, dann hätten wir eine neue Lage. Das ist in gewisser Weise spekulativ, aber ich bin ganz sicher, dass die anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und der Eurozone sich das nicht gefallen lassen würden. In dem Fall müsste sich Griechenland dann wirklich fragen, ob man die Eurozone verlassen will.
Liminski: Auch in Frankreich wurde gewählt und Präsident Hollande verfügt nun über eine Machtfülle wie kein Präsident vor ihm in der fünften Republik. Kann, wird er die in Europa ausspielen, oder nutzt ihm das nur innenpolitisch?
Graf Lambsdorff: Ein französischer Präsident, der ein so starkes Mandat im Rücken hat, wie Francois Hollande das gelungen ist, der wird natürlich gestärkt auch auf der europäischen Bühne auftreten. Alles andere wäre erstaunlich. Auf der anderen Seite: Der französische Präsident spielt traditionell eigentlich immer eine relativ starke Rolle. Mit einer der Gründe für Hollandes Wahlsieg ist ja, dass das bei Präsident Sarkozy nicht in der Form der Fall war, wie die Franzosen das gerne wollten. Also ich glaube, mit Hollande ist zu rechnen, aber das ist auch normal.
Liminski: Es gibt Spekulationen darüber, Herr Lambsdorff, dass Hollande die Bundeskanzlerin überzeugen, auf die Linie von Eurobonds bringen will. Sehen Sie in absehbarer Zukunft eine Fiskal-, Wirtschafts- und Bankenunion?
Graf Lambsdorff: Man muss auf diesen Feldern arbeiten. Ich sage für die FDP ganz deutlich, wir sind strikt gegen Eurobonds. Die Vergemeinschaftung von Schuldenmacherei in der Zukunft, ohne jede Grenze nach oben und nach vorne, auf der Zeitschiene auch völlig offen, das nimmt jeden Anreiz dazu, solide seinen Haushalt in Ordnung zu bringen, das wäre ganz verkehrt.
Ich glaube aber, dass es Maßnahmen gibt, die nicht Eurobonds heißen, die dazu geeignet wären, eine glaubwürdige Schutzmauer um Spanien und Italien zu bauen, um diese Länder geht es wirklich, und hier, glaube ich, müssen wir in Deutschland noch diskutieren, insbesondere das Modell des Sachverständigenrates, den Schuldentilgungspakt, verbunden mit einem Insolvenzrecht für Staaten. Das sind die Linien, auf denen man reden sollte. Eurobonds sollte man allerdings gleich wieder vergessen.
Liminski: Das wirft die Frage nach der Solidarität auf. Solidarität ist schon innerhalb der Einzelstaaten eine ziemlich schwierige Sache, Stichwort Länderfinanzausgleich. Aber immerhin hat man in den Ländern ein Wir-Gefühl, zur Zeit der Europameisterschaft erst recht. Besteht nicht die Gefahr, dass Europa sich überdehnt oder ein Anti-Europa-Reflex gestärkt wird, wenn man bedingungslose Solidarität für Griechenland fordert?
Graf Lambsdorff: Sie haben völlig Recht, Herr Liminski. Man kann natürlich es mit der Solidarität auch übertreiben, zumal – und das sage ich meinen europäischen Partnern in Brüssel ja auch immer – die Deutschen sind ja solidarisch. Es ist ja nicht so, als ob wir nicht helfen würden. Wir haben Griechenland geholfen, obwohl es da nicht um Solidarität nach einem Erdbeben oder einem Vulkanausbruch ging, sondern um Solidarität angesichts völlig zerrütteter Staatsfinanzen. Das ist sicher noch mal etwas anderes.
Trotzdem hilft Deutschland, trotzdem stabilisiert Deutschland, das werden wir auch weiterhin tun als gute Europäer. Deswegen: Niemand sollte den Bogen überspannen. Wir müssen prüfen, welche Maßnahmen wirklich wirksam sind, reicht das aus, was wir getan haben, brauchen wir sinnvolle neue Maßnahmen, und die andere Seite muss sich fragen, wie viel sollte man wirklich erbitten, ohne den Bogen zu überspannen.
Liminski: Herr Lambsdorff, wie weit kann Solidarität mit einem Krisenland gehen – also jetzt nicht nur Griechenland, vielleicht auch Italien, Spanien -, wenn die Sozialsysteme so ungleich sind, also wenn in dem Solidaritätsgeberland bis 67 Jahre gearbeitet wird und man im Empfängerland keine strukturellen Änderungen bei Rente und im Sozialsystem insgesamt vornehmen will?
Graf Lambsdorff: Ja das ist etwas ganz Wichtiges und ich glaube, hier spielt die Europäische Kommission in Zukunft eine ganz starke Rolle, die als Hüterin des gesamteuropäischen Interesses auch darauf achten muss, dass die Diskrepanzen, die Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten, nicht zu groß werden. Ich kann beispielsweise nicht nachvollziehen, warum Präsident Hollande das Renteneintrittsalter gleich am Anfang von 62 Jahre wieder auf 60 Jahre reduziert für einen Teil der Bevölkerung. Das passt nicht zur demografischen Entwicklung, das passt nicht zur Solidarität in Europa.
Ich glaube, es wird darauf ankommen, dass die Europäische Kommission hier zumindest Leitlinien machen kann, Korridore entwerfen, an denen sich dann die nationalen Regierungen zu orientieren haben. Ich hielte das für hilfreich, denn ansonsten: Wenn der Bogen überspannt wird – ich habe es eben schon mal gesagt -, dann ist es mit der Solidarität nicht weit her, dann führt das zu Verstimmungen, und das kann in Europa niemand brauchen.
Liminski: Sie glauben also, dass die Griechenland-Wahl auch in diesem Sinn zu weiterem Nachdenken in Europa führen wird?
Graf Lambsdorff: Ganz sicher. Die Griechenland-Krise – und das ist ja eines der Ergebnisse – hat natürlich zu einem gesamteuropäischen Denken über diese Fragen der Sozialpolitik, der Sozialsysteme, der demografischen Entwicklung geführt. Man vergleicht sich miteinander. Wann hat es das schon mal gegeben, dass wir in Deutschland so intensiv Wahlen in anderen europäischen Ländern verfolgt haben? Das ist auch ein Ergebnis der Krise. Hier entsteht, durch die Krise ja, aber es entsteht auch ein bisschen eine europäische Öffentlichkeit, in der man bestimmte Dinge miteinander vergleicht, und das finde ich für sich genommen jedenfalls gar nicht mal so schlecht.
Heckmann: Alexander Graf Lambsdorff war das, der erste stellvertretende Vorsitzende der Liberalen-Fraktion im Europäischen Parlament. Die Fragen stellte mein Kollege Jürgen Liminski.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.