Silvia Engels: Der Umgangston im Bundestag war gestern einmal mehr rüde. Die Affäre um Plagiate in seiner Doktorarbeit lässt Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg noch nicht los und SPD-Parteichef Gabriel holte den ganz großen Hammer.
O-Ton Sigmar Gabriel: "Das ist doch das Problem! Jeder weiß, dass wir es mit einem politischen Hochstapler zu tun haben."
Engels: Politischer Hochstapler, das ist ein hartes Wort. Das Regierung und Opposition in ihrer Bewertung von Affären gegensätzliche Aussagen treffen, das ist normal. Ungewöhnlich ist, wenn in den Medien ein stark gespaltenes Bild vorliegt, das zum Teil mit der Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung auch nicht übereinstimmt, und wir beobachten genau das. In vielen Zeitungen wie der FAZ oder der Süddeutschen wurde der Fall Guttenberg überwiegend kritisch kommentiert. Das Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap veröffentlichte dagegen eine Umfrage, wonach 72 Prozent der Befragten trotz der neuen Erkenntnisse gegen einen Rücktritt Guttenbergs seien. – Im Studio begrüße ich Stephan Detjen. Er ist der Chefredakteur des Deutschlandfunks. Herr Detjen, können Sie sich an einen Fall erinnern, in dem öffentliche Meinung und veröffentlichte Meinung derart auseinanderklaffte?
Stephan Detjen: Ja, Frau Engels, das ist in der Tat ein außergewöhnlicher Vorgang, den wir da in der Woche erlebt haben. Mich erinnert es am ehesten an die Lewinsky-Affäre von Bill Clinton in den Vereinigten Staaten. Auch damals ging es ja nicht um eine dienstliche Verfehlung des US-Präsidenten, sondern um persönliche Ehre, um Glaubwürdigkeit, und der Fall hat die amerikanische Öffentlichkeit damals ganz ähnlich mobilisiert und gespalten, wie heute der Fall Guttenberg die deutsche Öffentlichkeit. Der Unterschied ist natürlich, Clinton wurde damals zum Held des liberalen Medien-Establishments und der Bildungseliten, die sich in Deutschland jetzt – Sie haben das ja auch erwähnt – fast geschlossen von Guttenberg abgewendet haben. Dann gibt es aber noch eine interessante Parallele. In beiden Fällen hat sich so etwas wie eine Gegenöffentlichkeit auch formuliert. Das war damals in den USA gegen Clinton, in Deutschland jetzt eine Gegenöffentlichkeit für zu Guttenberg, also eine Öffentlichkeit gegen das, was man dann so als Mainstream-Medien bezeichnet, die angeblich nicht die Stimmung in der Bevölkerungsmehrheit wiedergeben. In Amerika ist daraus ja dann auch eine richtige veritable konservative politische Bewegung entstanden.
Engels: Die Bundeskanzlerin verteidigte ihren Minister, indem sie zwischen dem guten Politiker Guttenberg und dem Wissenschaftler Guttenberg unterscheidet, und der letztere würde sie nicht interessieren. Wie ist es zu erklären, dass diese Erklärung offenbar in weiten Teilen der Bevölkerung auf Akzeptanz stößt?
Detjen: Das ist natürlich klar. Viele Menschen – und das sehen wir auch in der Flut von Hörermails und Hörerpost, die uns in den letzten Tagen erreicht hat hier im Deutschlandfunk – meinen, es gehe bei der Kritik an zu Guttenberg sprichwörtlich nur um Fußnoten. Guttenberg greift das ja auch selber auf, indem er zum Beispiel die drei toten Soldaten in Afghanistan ganz gezielt gegen die Kritik an ihm selbst als Argument einführt. Eines ist ganz klar: In Deutschland geht am Ende dieser Woche Karl-Theodor zu Guttenberg als ein ganz neuartiger Polit-Popstar aus diesem Meinungsstreit hervor. Man kann das ablesen im Internet, seine Fan-Page auf Facebook hat jetzt heute Morgen knapp 300.000 Fans, die ihn da unterstützen auf dieser Seite, seine eigene persönliche Seite, Guttenberg-Seite, hat mehr als 100.000 Follower, um mal die Dimensionen klar zu machen.
Im vergangenen Jahr, als wir viel berichtet haben über die Facebook-Mobilisierung für den Präsidentschaftskandidaten Joachim Gauck, hat der gerade mal 1.000 Follower gehabt. Also Guttenberg ist eigentlich jetzt am Ende dieser Woche das geworden, was Guido Westerwelle vor zehn Jahren mal werden wollte, nämlich ein Polit-Popstar. Bei Westerwelle, den wir vorhin im Programm gehört haben, war das natürlich so: Man hat ihm immer angesehen und angemerkt, dass er ein Repräsentant und ein Produkt des politischen Establishments ist. Bei Guttenberg ist das von der Voraussetzung her schon ganz anders, der ist ja wie aus einem anderen Orbit in die Politik hineingeschossen und an allen Karrierefarben vorbei an die Spitze der Politik gelangt.
Engels: Wir müssen mit dem Blick auf die Medien auch auf die Bildzeitung eingehen. Die hatte ja in dieser Affäre von Beginn an eine besondere Rolle als Verteidiger Guttenbergs. Hat sie nun die öffentliche Meinung mitgestaltet, oder folgt sie der Mehrheitsmeinung der eigenen Leser, wie ja die Verantwortlichen der Bildzeitung das selbst sagen?
Detjen: Das ist bei der Bildzeitung wie immer das eine wie auch das andere. Die Bildzeitung greift Stimmungslagen in der Bevölkerung auf, macht sie sich zueigen und verstärkt sie dann. Das ist bei Guttenberg jetzt nicht erst in diesen Tagen so gewesen, sondern da ist ja über lange Zeit so eine Art symbiotische Beziehung zwischen einem Massenmedium und einem Spitzenpolitiker einschließlich seiner Frau entstanden, und das gibt sich auch in dieser Arbeitssymbiose gegenseitig die Hand. Guttenberg in seinem Glamour, in seinem Star-Status treibt der Bildzeitung Leser zu, die Bildzeitung generiert und mobilisiert politische Unterstützung für ihn.
Engels: Politisch haben sich nun die Reihen hinter Guttenberg geschlossen in der Union. Ist es da Zufall, dass Finanzminister Schäuble gestern dem Verteidigungsminister ein Jahr mehr Zeit gegeben hat, die Sparvorgaben für den Wehretat umzusetzen? Schäuble hatte das ja wochenlang gemieden. Das heißt, ist da jetzt das Teil der Kampflinie?
Detjen: Das ist ganz bestimmt so, dass die Union, dass auch die Regierung, namentlich Angela Merkel, sich jetzt sozusagen auch in die Hand von Karl-Theodor zu Guttenberg begeben hat. Sie hat sich mit ihm verbunden, der Erhalt im Amt ist mit dem Projekt der Bundeswehrreform verknüpft, die darf jetzt nicht scheitern und deshalb muss in der Politik alles getan werden dafür, dass dieser Politiker jetzt auch in der Sache erfolgreich ist.
Engels: Vielen Dank für diese Einschätzungen an den Chefredakteur des Deutschlandfunks, an Stephan Detjen.
O-Ton Sigmar Gabriel: "Das ist doch das Problem! Jeder weiß, dass wir es mit einem politischen Hochstapler zu tun haben."
Engels: Politischer Hochstapler, das ist ein hartes Wort. Das Regierung und Opposition in ihrer Bewertung von Affären gegensätzliche Aussagen treffen, das ist normal. Ungewöhnlich ist, wenn in den Medien ein stark gespaltenes Bild vorliegt, das zum Teil mit der Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung auch nicht übereinstimmt, und wir beobachten genau das. In vielen Zeitungen wie der FAZ oder der Süddeutschen wurde der Fall Guttenberg überwiegend kritisch kommentiert. Das Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap veröffentlichte dagegen eine Umfrage, wonach 72 Prozent der Befragten trotz der neuen Erkenntnisse gegen einen Rücktritt Guttenbergs seien. – Im Studio begrüße ich Stephan Detjen. Er ist der Chefredakteur des Deutschlandfunks. Herr Detjen, können Sie sich an einen Fall erinnern, in dem öffentliche Meinung und veröffentlichte Meinung derart auseinanderklaffte?
Stephan Detjen: Ja, Frau Engels, das ist in der Tat ein außergewöhnlicher Vorgang, den wir da in der Woche erlebt haben. Mich erinnert es am ehesten an die Lewinsky-Affäre von Bill Clinton in den Vereinigten Staaten. Auch damals ging es ja nicht um eine dienstliche Verfehlung des US-Präsidenten, sondern um persönliche Ehre, um Glaubwürdigkeit, und der Fall hat die amerikanische Öffentlichkeit damals ganz ähnlich mobilisiert und gespalten, wie heute der Fall Guttenberg die deutsche Öffentlichkeit. Der Unterschied ist natürlich, Clinton wurde damals zum Held des liberalen Medien-Establishments und der Bildungseliten, die sich in Deutschland jetzt – Sie haben das ja auch erwähnt – fast geschlossen von Guttenberg abgewendet haben. Dann gibt es aber noch eine interessante Parallele. In beiden Fällen hat sich so etwas wie eine Gegenöffentlichkeit auch formuliert. Das war damals in den USA gegen Clinton, in Deutschland jetzt eine Gegenöffentlichkeit für zu Guttenberg, also eine Öffentlichkeit gegen das, was man dann so als Mainstream-Medien bezeichnet, die angeblich nicht die Stimmung in der Bevölkerungsmehrheit wiedergeben. In Amerika ist daraus ja dann auch eine richtige veritable konservative politische Bewegung entstanden.
Engels: Die Bundeskanzlerin verteidigte ihren Minister, indem sie zwischen dem guten Politiker Guttenberg und dem Wissenschaftler Guttenberg unterscheidet, und der letztere würde sie nicht interessieren. Wie ist es zu erklären, dass diese Erklärung offenbar in weiten Teilen der Bevölkerung auf Akzeptanz stößt?
Detjen: Das ist natürlich klar. Viele Menschen – und das sehen wir auch in der Flut von Hörermails und Hörerpost, die uns in den letzten Tagen erreicht hat hier im Deutschlandfunk – meinen, es gehe bei der Kritik an zu Guttenberg sprichwörtlich nur um Fußnoten. Guttenberg greift das ja auch selber auf, indem er zum Beispiel die drei toten Soldaten in Afghanistan ganz gezielt gegen die Kritik an ihm selbst als Argument einführt. Eines ist ganz klar: In Deutschland geht am Ende dieser Woche Karl-Theodor zu Guttenberg als ein ganz neuartiger Polit-Popstar aus diesem Meinungsstreit hervor. Man kann das ablesen im Internet, seine Fan-Page auf Facebook hat jetzt heute Morgen knapp 300.000 Fans, die ihn da unterstützen auf dieser Seite, seine eigene persönliche Seite, Guttenberg-Seite, hat mehr als 100.000 Follower, um mal die Dimensionen klar zu machen.
Im vergangenen Jahr, als wir viel berichtet haben über die Facebook-Mobilisierung für den Präsidentschaftskandidaten Joachim Gauck, hat der gerade mal 1.000 Follower gehabt. Also Guttenberg ist eigentlich jetzt am Ende dieser Woche das geworden, was Guido Westerwelle vor zehn Jahren mal werden wollte, nämlich ein Polit-Popstar. Bei Westerwelle, den wir vorhin im Programm gehört haben, war das natürlich so: Man hat ihm immer angesehen und angemerkt, dass er ein Repräsentant und ein Produkt des politischen Establishments ist. Bei Guttenberg ist das von der Voraussetzung her schon ganz anders, der ist ja wie aus einem anderen Orbit in die Politik hineingeschossen und an allen Karrierefarben vorbei an die Spitze der Politik gelangt.
Engels: Wir müssen mit dem Blick auf die Medien auch auf die Bildzeitung eingehen. Die hatte ja in dieser Affäre von Beginn an eine besondere Rolle als Verteidiger Guttenbergs. Hat sie nun die öffentliche Meinung mitgestaltet, oder folgt sie der Mehrheitsmeinung der eigenen Leser, wie ja die Verantwortlichen der Bildzeitung das selbst sagen?
Detjen: Das ist bei der Bildzeitung wie immer das eine wie auch das andere. Die Bildzeitung greift Stimmungslagen in der Bevölkerung auf, macht sie sich zueigen und verstärkt sie dann. Das ist bei Guttenberg jetzt nicht erst in diesen Tagen so gewesen, sondern da ist ja über lange Zeit so eine Art symbiotische Beziehung zwischen einem Massenmedium und einem Spitzenpolitiker einschließlich seiner Frau entstanden, und das gibt sich auch in dieser Arbeitssymbiose gegenseitig die Hand. Guttenberg in seinem Glamour, in seinem Star-Status treibt der Bildzeitung Leser zu, die Bildzeitung generiert und mobilisiert politische Unterstützung für ihn.
Engels: Politisch haben sich nun die Reihen hinter Guttenberg geschlossen in der Union. Ist es da Zufall, dass Finanzminister Schäuble gestern dem Verteidigungsminister ein Jahr mehr Zeit gegeben hat, die Sparvorgaben für den Wehretat umzusetzen? Schäuble hatte das ja wochenlang gemieden. Das heißt, ist da jetzt das Teil der Kampflinie?
Detjen: Das ist ganz bestimmt so, dass die Union, dass auch die Regierung, namentlich Angela Merkel, sich jetzt sozusagen auch in die Hand von Karl-Theodor zu Guttenberg begeben hat. Sie hat sich mit ihm verbunden, der Erhalt im Amt ist mit dem Projekt der Bundeswehrreform verknüpft, die darf jetzt nicht scheitern und deshalb muss in der Politik alles getan werden dafür, dass dieser Politiker jetzt auch in der Sache erfolgreich ist.
Engels: Vielen Dank für diese Einschätzungen an den Chefredakteur des Deutschlandfunks, an Stephan Detjen.