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Ein Jahr Diesel-Gipfel
"Es ist nicht einzusehen, dass man die Autoindustrie schont"

Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) hat der Bundesregierung vorgeworfen, nicht genügend Druck auf die Automobilindustrie auszuüben. Die Berliner Politik sei in der Angelegenheit zu zögerlich und zeige zu viel Verständnis, sagte er im Dlf. Er plädierte für Diesel-Fahrverbote.

Winfried Hermann im Gespräch mit Dirk Müller | 02.08.2018
    Winfried Hermann (Bündnis 90/Die Grünen), Verkehrsminister von Baden-Württemberg, spricht bei einer Pressekonferenz in ein Mikrofon und gestikuliert mit beiden Händen.
    Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann. (picture alliance / dpa / Sebastian Gollnow)
    Dirk Müller: Ich begrüße nun den grünen Verkehrsminister von Baden-Württemberg, Winfried Hermann. Guten Morgen!
    Winfried Hermann: Guten Morgen!
    Müller: Herr Hermann, brauchen wir diese Rechtsgrundlage, um Nachrüstungen in der Politik durchzusetzen?
    Hermann: Wenn wir eine Rechtsgrundlage hätten, wäre es natürlich einfacher, aber es gibt natürlich auch andere Wege. Wenn man der Automobilindustrie nicht immer auf den Leim geht und nicht immer mehr Verständnis für die Automobilindustrie hätte als für die Bürger und für eine saubere Luft, dann würde man auch zu Maßnahmen kommen. Beispielsweise, wenn wir mit all den Maßnahmen, die wir gemacht haben – wir haben sehr viele gemacht - kommen wir einfach nicht unter den erlaubten Wert, dann müssen wir eben auch Fahrbeschränkungen machen für dreckige ältere Dieselfahrzeuge. In dem Moment, wo Dieselfahrverbote in den wichtigen Städten stattfinden, kommt die Automobilindustrie ganz automatisch unter Druck und wird dafür die Voraussetzungen schaffen. Und sie muss natürlich auch von der Politik, vor allem von der Berliner Politik, von der großen Koalition endlich unter Druck genommen werden. Man hat ja den Eindruck, man ist in Berlin zögerlich, und großes Verständnis hat man für die Automobilindustrie, und man macht keinen Druck, obwohl die Situation jetzt wirklich günstig ist.
    Müller: Jetzt haben das viele so verstanden mit Blick auf Baden-Württemberg, Winfried Hermann, da sind Sie ja verantwortlicher Minister, dass das sehr lange gedauert hat und es eines Gerichtsurteils bedurfte, um die Politik zum Handeln zu bewegen. Erste Fahrverbote in Stuttgart mit großer Wahrscheinlichkeit ab Januar. Ist das so?
    "Die älteren Dieselfahrzeuge sind zu dreckig"
    Hermann: Ja, die ersten Fahrverbote im Januar werden sehr wahrscheinlich kommen oder sehr sicher kommen. Die sind für die Euro-4-Fahrzeuge.
    Müller: Also für die ganz alten Diesel.
    Hermann: Nein, es sind nicht die ganz alten. Die Euro-4 und älteren sind dann insgesamt die ganz alten, ja. Also noch nicht Euro-5. Das liegt daran, dass die CDU darauf bestanden hat, dass wir das nicht machen, sondern erst mal Euro-4 machen. Und nur, wenn es überhaupt nicht anders geht, dann Euro-5. Und an diesem Streitpunkt ist ja auch, glaube ich, in dem Gespräch mit Herrn Bilger deutlich geworden, dass man die CDU drängen und schieben muss, dass sich was bewegt, und dass wir Grüne schon sehr bedauern, dass uns Gerichte zwingen müssen, das zu tun, wofür eigentlich die Politik da ist, dass man die eigenen Gesetze, die eigenen Grenzwerte – die sind ja von der Politik geschaffen worden –, dass die eingehalten werden. Das ist eigentlich die vornehmste Aufgabe einer Regierung, und ich kämpfe seit Jahren dafür. Wir machen viele Maßnahmen, wir haben allein jetzt ein Paket von 450 Millionen zur Förderung von ÖPNV, von Umweltverbund, von Radverkehr, von Elektrifizierung. Wir haben vieles angestoßen, aber der Hauptpunkt ist halt, die älteren Dieselfahrzeuge sind zu dreckig, und man muss die sauber machen durch Nachrüstung, und zwar Software und Hardware aufrüsten auf Kosten der Automobilindustrie.
    Müller: Sie haben ja also trotz grüner Landesregierung immer noch nicht diese Zielwerte erreicht. Sie sagen es gerade, das Stichwort, das hatte ich mit Herrn Bilger ja eben auch diskutiert, Herr Hermann. Also Sie sind dafür, die Autoindustrie zu zwingen, die Hardware, Software – Entschuldigung, die Hardware zu installieren und diese dann auch auf eigene Rechnung zu bezahlen.
    Hermann: Ja selbstverständlich, denn die Automobilindustrie hat eine Schlechtleistung geboten, sie hat schlechte Fahrzeuge angeboten, die schlechtere Luft hinten rauslassen, als sie in Papieren und in der Werbung angeben. Und jeder Handwerker, der eine Schlechtleistung abgibt, muss nachbessern und muss das selber zahlen, und nicht derjenige, der ihn beauftragt hat. Und es ist eigentlich nicht einsehbar, dass ausgerechnet die Autoindustrie, die so viel Geld verdient und die millionenfach die Verbraucher und die Umwelt betrogen hat, dass man die auch noch schont.
    "CDU in Baden-Württemberg ist sehr stark in die Verantwortung gegangen"
    Müller: Wie hat denn Herr Zetsche, Chef von Daimler, reagiert, als Sie ihm das gesagt haben?
    Hermann: Herr Zetsche hat genau gleich argumentiert wie Herr Bilger. Das wäre zu aufwendig, man müsse in die Zukunft investieren, es würde sich nicht lohnen und so weiter, und es wäre ganz schwierig. Natürlich ist es nicht einfach, das wissen wir auch. Aber wenn man seit zwei Jahren über die Probleme redet und sie nicht lösen will, dann wird natürlich auch keine Lösung zustande kommen. Das ist doch das eigentliche Drama in dieser Geschichte, dass man vor allem in Berlin, die erste große Koalition hat keine Lösung zustande gebracht. Dann gab es monatelang das Nichtstun während der Regierungsverhandlungen, und anschließend ist wieder nichts geschehen. Ich will schon noch einmal sagen, die Verantwortung hat eigentlich durchgängig die Bundeskanzlerin gehabt. Sie hätte den Konflikt, den es offenkundig zwischen dem Umweltministerium und dem Verkehrsministerium seit Monaten und seit Jahren gibt – das Umweltministerium will die Nachrüstung, will das auch zulasten der Industrie, und das Verkehrsministerium und die Kanzlerin offenbar nicht.
    Müller: Sie sagen ja, das liegt an der CDU beziehungsweise hier an der Kanzlerin, an der Union, in Baden-Württemberg auch an der CDU, das ist der Koalitionspartner. Ist das eine Koalitionsfrage für Sie, wenn das nicht weitergeht, ist die Frage für Sie so wichtig, das Sie sagen, das geht nicht mehr?
    Hermann: Ich muss schon mal sagen, da haben Sie mich falsch interpretiert. Wir haben einige Schwierigkeiten gehabt mit der CDU, das ist ja nicht bestreitbar und das ist auch unübersehbar gewesen, aber wir haben es jetzt doch geschafft, einen gemeinsamen Weg zu finden, nämlich Fahrverbote für Euro-4, und konditioniert, falls das nicht wirkt, dann auch zu Euro-5. Also insofern ist die CDU in Baden-Württemberg und in der Landesregierung sehr stark in die Verantwortung gegangen. Sie ist auch übrigens zusammen mit den Grünen jetzt bereit, im September einen Antrag im Bundesrat einzubringen, der Software- und Hardwarenachrüstungen fordert. Da ist die CDU in der Regierung sehr viel weiter als manche auf Bundesebene.
    Müller: Mit der Kostenfrage verbunden?
    Hermann: Die Kostenfrage ist nicht ganz eindeutig geklärt, aber …
    Müller: In dem Antrag von Ihnen.
    Hermann: Ja. Zunehmend ist man in der CDU auch der Meinung, dass es eigentlich zulasten der Automobilindustrie gehen muss, die tatsächlich viel Geld verdient hat und eben auch betrogen hat.
    Müller: Bei uns heute Morgen der grüne Verkehrsminister von Baden-Württemberg, Winfried Hermann. Danke, dass Sie für uns Zeit gefunden haben. Wir haben Sie im Urlaub unterbrochen. Danke dafür, und Ihnen einen schönen Tag, einen schönen Urlaub noch!
    Hermann: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.