Der 77-jährige Hamburger bekam die Diagnose Lungenkrebs. Er möchte nicht, dass sein richtiger Name genannt wird; wir nennen ihn hier Hajo Schäfer: "Ich bin damals panisch gewesen, weil, was man so lesen kann, ist die Lebensdauer nach der eindeutigen Diagnose etwa vier Monate bis zwölf Monate. Ich habe sofort überlegt, was ist die Konsequenz dieser Diagnose? Die war für mich sofort, das machst du bis zum Endstadium nicht mit."
Hajo Schäfer hat sich an den Hamburger "Verein Sterbehilfe" gewandt. Als Mitglied hat er dort die Option eines assistierten Suizids beantragt. Daraufhin hat er einen Fragebogen ausgefüllt, ein Gespräch mit einer Mitarbeiterin des Vereins sowie mit einem Arzt geführt, der dann auch ein Gutachten erstellt hat: ein Gutachten, das Hajo Schäfer den selbstbestimmten Willen bescheinigt, einen assistierten Suizid in Anspruch nehmen zu wollen.
"Man glaubt, es wieder in der Hand zu haben"
Danach hat der 77-Jährige die Zusage des Vereins erhalten, dass er gegebenenfalls das Gift bekommt, um seinem Leben ein Ende zu setzen: "Ich war gelassener, es war so, dass man glaubt, es wieder in der Hand zu haben. Ob das alles so funktionieren wird, weiß man nicht."
Die Diagnose liegt bei Hajo Schäfer nun ein Jahr zurück. Eigentlich hatte ihm der Onkologe nicht mehr als ein Jahr gegeben, aber der Tumor wächst offenbar nur sehr langsam. Doch Schäfer will vorbereitet sein, falls die Schmerzen am Ende zu stark sein sollten."Was nützt das, wenn man jetzt den Tod noch einige Wochen verschieben kann? Was ist das für ein Leben, wer hat etwas davon? Meine engste Umgebung: Meine Frau hat nichts davon in dem Zustand, meine Kinder auch nicht, der eine hatte selber schwarzen Hautkrebs gehabt. Die würden auch niemals was dagegen haben. Und deswegen stelle ich mir vor, dass ich gefasst bin, wenn ich das mache, dass ich das trinke, ich mich noch von meiner Frau verabschiede und dann einschlafe."
Der Wunsch nach einem assistierten Suizid ist bei Hajo Schäfer geprägt von der Krankengeschichte in seiner Familie: "Beide Eltern waren an Krebs erkrankt. Mein Vater verstarb dann 1982, meine Mutter, auch schon krebskrank, und wir haben dieses Leiden natürlich ganz eng erlebt. Mein Vater hatte Knochenkrebs, eine ganz schlimme Erkrankung." Die Mutter starb dann unmittelbar nach einer Operation. Die Erfahrungen von damals sind für Hajo Schäfer ein Grund, einen assistierten Suizid zu erwägen.
"Heute ist es eine andere Situation"
Das findet Gabriele Kahl dagegen, "ein bisschen schade in der Debatte um den assistierten Suizid: Die Menschen, die in die Öffentlichkeit gehen, bringen oft Erfahrungswerte mit sagen: Vor 40 Jahren habe ich das und das erlebt." Gabriele Kahl ist seit 20 Jahren Krankenschwester in einem evangelischen Hospiz: "Und da muss ich klar sagen: Das war vor 40 Jahren so, aber kommen Sie mal heute zu uns: Das ist eine andere Situation. "
Doch Hajo Schäfer verweist auch auf Erfahrungen, die er vor vier Jahren beim Tod seiner ersten Frau machen musste. Sie starb an den Folgen eines Hirntumors:
"Als es darum ging, palliativ einzusetzen, war das ein Weg dahin, bis das funktionierte. Dann hat sie die Versorgung bekommen, aber sehr zögerlich. Dann haben sie die Dosis erhöht, im Grund ist es dann eine Sterbedosis, aber sie hat noch 15 Tage da gelebt, und das ist etwas, das hat mich sehr geschockt. Das möchte ich nicht haben."
Der Palliativmediziner Winfried Hardinghaus betont dagegen, dass heute sterbenskranke Krebspatienten medikamentös so eingestellt werden könnten, dass sie am Lebensende in der Regel nicht leiden müssen: "Wenn die normalen Mittel einer guten Palliativversorgung ausgeschöpft sind, das kommt selten vor, dann hat man immer noch die Möglichkeit, eine so genannte palliative Sedierung einzusetzen; das heißt den Patienten überwiegend schlafen zu legen, also in eine Trance zu versetzen."
Selbstbestimmung des Sterbewilligen
Bei allen Fortschritten der Palliativmedizin – nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts kann jeder – nicht nur ein Todkranker - die Unterstützung von Sterbehilfevereinen in Anspruch nehmen. Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben legt Wert darauf, nicht als Sterbehilfeverein bezeichnet zu werden; aber auch sie unterstützt Menschen beim Sterben. Die DGHS vermittelt Mediziner und Juristen, die Menschen beim Suizid assistieren. Im vergangenen Jahr waren es rund 50 Menschen, die so starben. Entscheidend ist für Robert Roßbruch, Präsident der Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben, die Selbstbestimmung des Sterbewilligen:
"Die Freiverantwortlichkeit ist gegeben, wenn der Betroffene noch urteils- und entscheidungsfähig ist, seine Entscheidung wohl erwogen ist, eine gewisse Konstanz hat und eben unbeeinflusst ist von dritten, also auch eine Autonomie gegeben ist."
Relevant ist für Roßbruch also die freie Selbstbestimmung und nicht etwa die Erwartung eines vielleicht quälenden Lebensendes. Unterstützt würden bei ihrem Todeswunsch auch ältere Menschen: "die keine schwere Grunderkrankung hatten, aber lebenssatt waren. Diese sind auch vermittelt worden; und da hat es auch Freitodbegleitungen gegeben."
"Das halte ich für realitätsfern"
Dass das Bundesverfassungsgerichts den assistierten Suizid auch für Menschen ermöglicht, die einfach des Lebens müde sind, ist für die evangelische Theologin Stephanie Schardien nur schwer zu ertragen: "Ich verstehe Freiheit viel mehr auch in Eingebundenheit in die Gemeinschaft, als Wechselspiel aus Beziehungen eingebettet in Kommunikation; das gehört meines Erachtens ganz besonders zum Freiheitsbegriff dazu. Und die Vorstellung, der Mensch würde, wie in so einer abgeschlossenen schwarzen Box, plötzlich über sich selbst bestimmen, ohne dass er von irgendwas beeinflusst wird, das halte ich für realitätsfern."
Wie schwierig die Umsetzung des Wunsches nach einem assistierten Suizid sein kann, weiß auch Robert Roßbruch. Zum Beispiel, wenn die Familie des Sterbewilligen den Wunsch nicht unterstützt: "Es gibt Angehörige, die nicht loslassen wollen, die es nicht respektieren, die gibt es auch. Aber für uns entscheidend ist nicht der Wille von irgendwelchen Angehörigen, sondern alleine der Wille von Betroffenen selbst."
Mit der möglichen Konsequenz: "Wir haben auch Fälle gehabt, wo für die Freitodwilligen von Anfang an klar war, dass sie das mit den Angehörigen nicht besprechen können. Insbesondere bei älteren Menschen, wo der Ehepartner verstorben ist, mit den Kindern. Das ist dann die Entscheidung des Freitodwilligen und dann findet die Freitodbegleitung ohne Information der Angehörigen statt und ohne deren Anwesenheit."
Bewusstlos dahinsiechen?
Kritiker dieser Position, aber auch Sterbehelfer bezeichnen besonders den assistierten Suizid bei Menschen mit Demenz als problematisch. Die zweite Frau des an Lungenkrebs erkrankten und sterbewilligen Hajo Schäfer ist an Demenz erkrankt und erwägt ebenfalls diesen Suizid.
Hajo Schäfer: "Sie hat eine Mutter, die auch dement war, die zehn oder zwölf Jahre darunter gelitten hat, sehr schleichend am Ende, die die letzten drei bis fünf Jahre auch in einem Heim verbracht hat. Und sie hat das alles erlebt. Sie hat gesagt: Das möchte ich nicht. Ich möchte nicht dasitzen, vor mich hinstarren, eigentlich bewusstlos sein und dahinsiechen, das möchte ich nicht. "
Ein Problem für die Sterbehilfevereine räumt Sagt Meike Hoffmanns vom Hamburger "Verein Sterbehilfe" ein: Menschen mit Demenz können nicht mehr selbstbestimmt entscheiden. "Das müsste schon eine frühe Demenz sein, eine beginnende Demenz. Demenz ist ein schwieriges Thema, weil der Grad halt schwierig ist. Dafür haben wir zum Glück auch Ärzte, die auch sehr geschult sind da drin. Und da kann es auch bei einer Demenz sein, dass das grüne Licht erteilt wird, aber unter Vorbehalt für einen gewissen Zeitrahmen. Bei Demenzen müsste man im Grunde genommen Sterbehilfe in Anspruch nehmen, solange es noch schön ist."
Teures Sterben
Eine Sterbehilfe, die auch nicht billig ist. So muss man als Mitglied des Hamburger "Verein Sterbehilfe" zunächst einmal 2.000 Euro zahlen. Und wenn man diese Sterbehilfe in Anspruch nimmt, kostet das im ersten Jahr der Mitgliedschaft noch einmal 7.000 Euro; im zweiten Jahr wären 6.000, im dritten Jahr 5.000 Euro fällig. Auch bei der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben müsste der Sterbewillige für Mediziner und Juristen ca. 5.000 Euro bezahlen.
Der Bundestag will noch bis zum Sommer die Beihilfe zum Suizid neu regeln. Die Theologin Stefanie Schardien erhofft sich klare Prioritäten der Parlamentarier: "Die Aufgabe, die der Gesetzgeber jetzt hat, ist zu zeigen, dass er den Vorrang des Lebens vor dem Tod irgendwie beibehält, dass er deutlich macht, wir wollen zuerst ermöglichen, das Leben erträglicher zu machen und alles andere ist die zweite Frage. Das wird der Lackmustest sein, an dem man dieses Gesetz dann messen kann. "