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Mieko Kawakami: "Brüste und Eier"
Ein Körperroman ohne Erotik

Makiko will sich die Brüste vergrößern lassen, Natsuko will ein Kind ohne vorherigen Sex. Mieko Kawakami hat mit „Brüste und Eier“ einen Roman über japanische Frauen geschrieben, die hart an ihren Körpern arbeiten. Für Männer und Erotik interessieren sie sich dabei allerdings eher wenig.

Von Katharina Borchardt |
Die japanische Schriftstellerin Mieko Kawakami und ihr Buch „Brüste und Eier“
„Brüste und Eier“ von Mieko Kawakami beschreibt, wie hart die Arbeit am eigenen Körper sein kann. Eine wahre Lebensaufgabe. (Foto Kawakami: Yuto Kudo, Buchcover: DuMont Verlag)
Frausein macht Arbeit. Die Arbeit am eigenen Körper hört einfach nicht auf. Zumal in diesen Zeiten, in denen – neben Schminken, Färben, Fasten – auch manch ein operativer Eingriff möglich ist. Der Frauenkörper als Lebensaufgabe – darum geht es in Mieko Kawakamis Roman "Brüste und Eier". Erzählt wird die Geschichte von Natsuko.
Natsuko ist dreißig, jobbt in Tokio und schreibt an ihrem ersten Roman. Freunde hat sie kaum, doch ein gutes Verhältnis zu ihrer im heimischen Osaka wohnenden älteren Schwester Makiko. Makiko arbeitet als Hostess in einer Bar, worunter man sich eine Mischung aus Getränkeausschank, Gesellschaft und Gesprächstherapie für einsam trinkende Männer vorstellen kann. Dafür muss die Enddreißigerin einigermaßen aussehen, zumal immer mehr jüngere Kolleginnen nachrücken. Deshalb will sie sich die Brüste aufpolstern lassen. Zusammen mit ihrer pubertierenden Tochter Midoriko quartiert sich die alleinerziehende Makiko bei Natsuko ein.
"Soweit ich weiß, hat Midoriko ihren Vater nie kennengelernt. Sie ist groß geworden, ohne auch nur das Geringste von ihm zu wissen. Warum Makiko sich von ihrem Mann getrennt hat, weiß ich immer noch nicht. Ich erinnere mich, dass wir damals häufig über die Scheidung und ihren Exmann sprachen, ich erinnere mich sogar, dass ich dachte, ogottogott, aber worauf sich dieses Ogottogott konkret bezog, daran erinnere ich mich nicht."
Männer als Nebenrollen
Männer sind in diesem Roman in der Tat ziemlich ogottogott. Es reicht daher völlig aus, dass sie Nebenrollen bekleiden. Hier geht es allein um Frauen. Die arbeiten meist hart, verdienen wenig, bringen aber trotzdem ihre Familien durch. Dafür müssen ihre Körper konkurrenzfähig bleiben. Darin wird Mieko Kawakami so deutlich, dass männliche Politiker in Japan ihren Roman ‚unerträglich' nannten. Geheime Zufluchtsorte, esoterische Anwandlungen oder übernatürliche Hoffnungsmomente – wie sie andere japanische Autorinnen und Autoren gerne in ihre Bücher einbauen – haben Kawakamis Figuren nicht. Sie sind stark äußerlich orientiert und rechnen jede Lebensentscheidung in Yen um. Sie trinken viel und haben passagenweise einen recht rauen Witz. Makiko zum Beispiel hat zur Platzierung der Silikonkissen in ihren Brüsten eine klare Meinung:
"Entweder unter den Brustmuskel, die Brust hat ja auch einen Muskel – also unter das Fett –, dann fällt’s nicht so auf, oder nicht ganz so tief, nur unter das Drüsengewebe. Das ist weniger aufwendig und schonender für den Körper, aber für so dünne Frauen wie mich meist ungeeignet. Hier, es gibt doch Frauen, die so aussehen, als hätten sie Saugglocken auf der Brust., du weißt schon, diese Dinger, mit denen man den Abfluss wieder freikriegt. Hast du die schon mal gesehen? Nein? Noch nie? Frauen, an denen praktisch nichts dran ist, außer diesen zwei Glocken. Also nee, das kommt nicht infrage. Wenn nichts drumrum ist, sieht man ja gleich, dass die künstlich sind. Also, ich lass mir die Dinger unter den Muskel setzen. So viel steht fest."
Mieko Kawakami ist nichts peinlich. Allerdings ufern ihre Erwägungen – verpackt in lange Dialoge – oft ganz schön aus. Ein Gespräch zwischen Natsuko und ihrer Schwester Makiko über das Bleichen von Brustwarzen etwa umfasst acht volle Buchseiten. Und auch die Einlassungen des zwar bockig stummen, aber dafür umso schreibfreudigeren Teenagers Midoriko sind länglich. Ihre Gedanken zu ihrem sich verändernden Körper dokumentiert sie in einem Tagebuch, das wir in separaten Passagen mitlesen können. Leider fallen diese aber zu elaboriert und daher unglaubwürdig aus; so schreibt einfach kein Teenager.
Kein inniges Verhältnis zum Körper
Was Midorikos Notizen aber zeigen: den Ekel eines jungen Mädchens angesichts der eigenen Reifung. Natsuko hat übrigens ebenfalls kein besonders inniges Verhältnis zu ihrem eigenen Körper. Das ändert sich auch im zweiten Teil dieses Doppelromans nicht, der etwa ein Jahrzehnt nach Makikos und Midorikos Besuch in Tokio spielt. Natsuko ist inzwischen 39 Jahre alt. Sie hat ihren ersten Roman veröffentlicht und arbeitet am zweiten. Nach wie vor ist sie ledig, doch sie sehnt sich nach einem Kind. Nachts liest sie die Blogs verheirateter Frauen mit Kinderwunsch und kommentiert sie wütend, frisch und sehr rhythmisch übersetzt von Katja Busson:
"All diese Frauen, die sich hier beschwerten, die sich hier ausweinten, hatten es de facto noch gut. Sie konnten sich behandeln lassen. Sie konnten etwas tun. Es gab einen Weg. Einen anerkannten Weg. Selbst homosexuelle Paare, die sich ein Kind wünschten, hatten es vergleichsweise gut. Sie hatten einen Partner. Sie konnten sich gemeinsam ein Kind wünschen und die Sache gemeinsam bewältigen. Für die gab es bestimmt genug Verständnis, genügend Netzwerke, genug bereitwillige Helfer. Immer ging es nur um Paare. In Büchern, im Netz, überall. Was ist mit denen, die keinen Partner haben und auch nie einen haben werden? Was ist mit denen? Haben die kein Recht auf Kinder? Nur weil ich allein und asexuell bin, soll ich keins kriegen, oder was?"
Null Erotik
Natsuko hatte zwar mal einen Freund, doch der Sex mit ihm hat keinen Spaß gemacht. Deswegen nennt sie sich jetzt (womöglich etwas vorschnell, aber doch sehr entschieden) asexuell. Wie Kawakamis Roman überhaupt komplett unsinnlich ist, obwohl er von der ersten bis zur letzten Zeile von Brüsten und Eiern handelt. Null Erotik in einem Körperroman – das ist schon eine Kunst und sicherlich ein realemotionaler Trend sowohl in Japan als auch in anderen modernen Gesellschaften.
In diesem Sinne ist "Brüste und Eier" ein hochinteressantes Romanphänomen. Allerdings liest sich die Geschichte passagenweise äußerst mühsam, weil Mieko Kawakami ihre Themen allzu breit ausdiskutiert. Im Verlauf der Geschichte trifft die Erzählerin Natsuko auf etliche Figuren mit je eigenen, teils dramatischen Problemlagen. Mit ihnen bespricht sie etwa das Thema künstliche Befruchtung immer wieder neu und unter Hinzunahme weiterer Aspekte. Diese Passagen geraten eher essayistisch, und man merkt ihnen Kawakamis Recherche an. Insbesondere im zweiten, längeren Romanteil fehlt deshalb der Spannungsbogen. So ist die Lektüre dieses Romans zwiespältig: Er ist frech und direkt erzählt und bebildert ein interessantes Sozialphänomen. Erzählerisch aber hat er einige Schwächen.
Mieko Kawakami: "Brüste und Eier"
aus dem Japanischen von Katja Busson
DuMont Verlag, Köln. 496 Seiten, 24 Euro.