Christoph Heinemann: In Ost und West wurde sie gelesen und verehrt: Christa Wolf, eine der bedeutendsten deutschsprachigen Autorinnen der Gegenwart ist tot. Die Schriftstellerin starb gestern im Alter von 82 Jahren nach langer Krankheit. Für viele Menschen in der DDR galt sie als moralische Instanz, auch wenn sie einige Jahre IM der sogenannten Staatssicherheit war. Sie wurde unter anderem mit dem Büchner-Preis und dem Thomas-Mann-Preis ausgezeichnet. Meine Kollegin Silvia Engels hat den Schriftsteller Günter Kunert gefragt, was ihm beim Gedanken an Christa Wolf als Erstes durch den Kopf geht.
Günter Kunert: Ja, ein großes Bedauern, und zwar erstens natürlich über ihr Ende, über ihren Tod - das ist ja ein Verlust für die deutsche Literatur –, und als zweites ein Bedauern, dass eigentlich ich in den letzten langen Jahren überhaupt keinen Kontakt mehr zu ihr hatte beziehungsweise sie nicht zu mir. Es war leider so, dass zu DDR-Zeiten, also als ich noch in der DDR war, kritische Geister unter den Autoren ja Kontakt zueinander hatten, mehr oder minder eng, und dass man sich sozusagen fast wortlos verstand und in seinen Meinungen sehr ähnlich war.
Engels: Dann knüpfen wir direkt da an, denn Sie waren ja – das ist das bekannteste, was wahrscheinlich auch vielen in Erinnerung sein wird – einer, gemeinsam mit Christa Wolf, der den Protestbrief an die DDR-Führung formulierten, als Protest 1976 nach der Ausbürgerung von Wolf Biermann. Damals haben sich zahlreiche namhafte Kulturschaffende der DDR angeschlossen, ein Manifest, eine sehr machtvolle Demonstration damals. Wie haben Sie vielleicht in dieser Situation und in der Entwicklung dorthin Christa Wolf erlebt?
Kunert: Wir waren eingeladen von Stephan Hermlin. Er war der Organisator, was man nicht vergessen sollte, dieser sogenannten Petition. Und wir trafen uns in seinem Haus, und es formulierten diese Petition Hermlin und Stefan Heym. Und wir, die wir das unterschrieben, waren natürlich alle etwas ängstlich und besorgt. Christa Wolf, ohnehin eine enorm ängstliche Person, meinte, jetzt kommen wir alle in den Knast. Sie war sehr empfindlich in dieser Hinsicht und ich glaube, es hat sie eine große Überwindung gekostet, diese Petition zu unterschreiben.
Engels: Sie selbst sind im selben Jahr geboren wie Christa Wolf, Sie sind ebenfalls wie sie 1949 in die SED eingetreten. Aber Ihr Bruch, Herr Kunert, mit der DDR-Führung erfolgte schneller, der von Christa Wolf ja erst viel später, auch wenn sie schon früh Kritik äußerte. Wissen Sie, wo sich da Ihre Wege unterschieden haben?
Kunert: Ja es gab zum Beispiel dieses Verfahren gegen die Parteimitglieder, die die Petition unterschrieben hatten, und ihr Mann hatte ja diese Petition auch unterschrieben, Gerhard Wolf, und bei dieser inquisitorischen Verhandlung wurde Gerhard Wolf aus der Partei ausgeschlossen. Ich wurde gestrichen, habe dann immer gesagt, ich bin frisch gestrichen. Und Christa Wolf erhielt eine Rüge, und das fand ich eigentlich bedrückend, denn wenn zum Beispiel ich in ihrer Lage gewesen wäre, meine Frau wäre aus der Partei ausgeschlossen worden, ich aber nicht und ich wäre mit einer Rüge davon gekommen, hätte ich natürlich eher Solidarität mit meiner Frau geübt als mit der Partei. Das war für mich eigentlich eine Enttäuschung, muss ich gestehen, und das hat vielleicht auch dann auf eine mögliche Nähe entsprechend negativ eingewirkt.
Engels: Christa Wolf ist dann 1989 aus der SED ausgetreten, engagierte sich in der Reformbewegung, war also letztlich auch eine führende Figur symbolisch beim Umbruch. Christa Wolf wurde in beiden Teilen Deutschlands dann lange als moralische Instanz gesehen. In den 90er-Jahren wurde bekannt, dass sie auch eine Zeit lang als Inoffizielle Mitarbeiterin der Stasi gearbeitet hatte. Sie reagierte dann wiederum mit der Gesamtveröffentlichung ihrer Stasiakte. Wie haben Sie, Herr Kunert, das alles wahrgenommen?
Kunert: Ja, das hat mich auch ein bisschen verblüfft, muss ich gestehen. Aber zu dieser Zeit war ich ja schon lange weg aus der DDR. Das war für mich bereits ein anderer Planet geworden. Und ich war der DDR nie so verbunden wie Christa Wolf. Wir hatten ja ganz andere, unterschiedliche Herkünfte. "Kindheitsmuster", dieses Buch über ihre Kindheit, zeigt eine Kindheit, die im Grunde konform mit der Nazizeit verlief – meine genau gegenteilig. Und insofern war ich nie sehr eng mit System, Gesellschaften und ähnlichen Institutionen verbunden wie Christa Wolf, und ich habe auch nie diese Illusion gehegt – zu Anfang ja, nach dem Kriege, aber später nicht mehr -, dass dieses System, dieses Land sich reformieren lassen könnte. Daran hat Christa Wolf ja noch zur Wende geglaubt. Sie erinnern sich an die große Rede auf dem Alexanderplatz. Aber das war für mich alles längst Geschichte, vorbei und gewesen.
Heinemann: Der Schriftsteller Günter Kunert im Gespräch mit meiner Kollegin Silvia Engels.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Günter Kunert: Ja, ein großes Bedauern, und zwar erstens natürlich über ihr Ende, über ihren Tod - das ist ja ein Verlust für die deutsche Literatur –, und als zweites ein Bedauern, dass eigentlich ich in den letzten langen Jahren überhaupt keinen Kontakt mehr zu ihr hatte beziehungsweise sie nicht zu mir. Es war leider so, dass zu DDR-Zeiten, also als ich noch in der DDR war, kritische Geister unter den Autoren ja Kontakt zueinander hatten, mehr oder minder eng, und dass man sich sozusagen fast wortlos verstand und in seinen Meinungen sehr ähnlich war.
Engels: Dann knüpfen wir direkt da an, denn Sie waren ja – das ist das bekannteste, was wahrscheinlich auch vielen in Erinnerung sein wird – einer, gemeinsam mit Christa Wolf, der den Protestbrief an die DDR-Führung formulierten, als Protest 1976 nach der Ausbürgerung von Wolf Biermann. Damals haben sich zahlreiche namhafte Kulturschaffende der DDR angeschlossen, ein Manifest, eine sehr machtvolle Demonstration damals. Wie haben Sie vielleicht in dieser Situation und in der Entwicklung dorthin Christa Wolf erlebt?
Kunert: Wir waren eingeladen von Stephan Hermlin. Er war der Organisator, was man nicht vergessen sollte, dieser sogenannten Petition. Und wir trafen uns in seinem Haus, und es formulierten diese Petition Hermlin und Stefan Heym. Und wir, die wir das unterschrieben, waren natürlich alle etwas ängstlich und besorgt. Christa Wolf, ohnehin eine enorm ängstliche Person, meinte, jetzt kommen wir alle in den Knast. Sie war sehr empfindlich in dieser Hinsicht und ich glaube, es hat sie eine große Überwindung gekostet, diese Petition zu unterschreiben.
Engels: Sie selbst sind im selben Jahr geboren wie Christa Wolf, Sie sind ebenfalls wie sie 1949 in die SED eingetreten. Aber Ihr Bruch, Herr Kunert, mit der DDR-Führung erfolgte schneller, der von Christa Wolf ja erst viel später, auch wenn sie schon früh Kritik äußerte. Wissen Sie, wo sich da Ihre Wege unterschieden haben?
Kunert: Ja es gab zum Beispiel dieses Verfahren gegen die Parteimitglieder, die die Petition unterschrieben hatten, und ihr Mann hatte ja diese Petition auch unterschrieben, Gerhard Wolf, und bei dieser inquisitorischen Verhandlung wurde Gerhard Wolf aus der Partei ausgeschlossen. Ich wurde gestrichen, habe dann immer gesagt, ich bin frisch gestrichen. Und Christa Wolf erhielt eine Rüge, und das fand ich eigentlich bedrückend, denn wenn zum Beispiel ich in ihrer Lage gewesen wäre, meine Frau wäre aus der Partei ausgeschlossen worden, ich aber nicht und ich wäre mit einer Rüge davon gekommen, hätte ich natürlich eher Solidarität mit meiner Frau geübt als mit der Partei. Das war für mich eigentlich eine Enttäuschung, muss ich gestehen, und das hat vielleicht auch dann auf eine mögliche Nähe entsprechend negativ eingewirkt.
Engels: Christa Wolf ist dann 1989 aus der SED ausgetreten, engagierte sich in der Reformbewegung, war also letztlich auch eine führende Figur symbolisch beim Umbruch. Christa Wolf wurde in beiden Teilen Deutschlands dann lange als moralische Instanz gesehen. In den 90er-Jahren wurde bekannt, dass sie auch eine Zeit lang als Inoffizielle Mitarbeiterin der Stasi gearbeitet hatte. Sie reagierte dann wiederum mit der Gesamtveröffentlichung ihrer Stasiakte. Wie haben Sie, Herr Kunert, das alles wahrgenommen?
Kunert: Ja, das hat mich auch ein bisschen verblüfft, muss ich gestehen. Aber zu dieser Zeit war ich ja schon lange weg aus der DDR. Das war für mich bereits ein anderer Planet geworden. Und ich war der DDR nie so verbunden wie Christa Wolf. Wir hatten ja ganz andere, unterschiedliche Herkünfte. "Kindheitsmuster", dieses Buch über ihre Kindheit, zeigt eine Kindheit, die im Grunde konform mit der Nazizeit verlief – meine genau gegenteilig. Und insofern war ich nie sehr eng mit System, Gesellschaften und ähnlichen Institutionen verbunden wie Christa Wolf, und ich habe auch nie diese Illusion gehegt – zu Anfang ja, nach dem Kriege, aber später nicht mehr -, dass dieses System, dieses Land sich reformieren lassen könnte. Daran hat Christa Wolf ja noch zur Wende geglaubt. Sie erinnern sich an die große Rede auf dem Alexanderplatz. Aber das war für mich alles längst Geschichte, vorbei und gewesen.
Heinemann: Der Schriftsteller Günter Kunert im Gespräch mit meiner Kollegin Silvia Engels.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.