Archiv


Eine unbequeme Wahrheit

Auch Wissenschaftler an deutschen Hochschulen unterstützten das mörderische NS-Regime. Als eine der letzten großen ist gerade die Universität Münster dabei, ihre Vergangenheit dieses dunklen Kapitels aufzuarbeiten.

Von Tanja Schodrok |
    "Um das Vermischen verschiedener Rassen mit all seinen üblen Folgen zu verhindern, muss eine Auslese und Ausmerzung durch das Gesetz erfolgen."

    Biologie-Professor an der Uni Münster, 1936.

    "Eine menschenverachtende Aussage; kann man sich gar nicht vorstellen, dass das von einem Professor kommt; unhaltbarer Spruch."

    "Ihre" Hochschule - eine braune Vergangenheit ...? Viele Studierende an der Universität Münster sind geschockt, als sie davon erfahren, einige finden es einfach nur peinlich – doch unberührt, lässt es auch nach über 60 Jahren kaum jemanden. Zwei Jahre lang untersuchte im Auftrag der Uni eine Gruppe von Historikern Archivmaterial und stellt fest: In Münster arbeiteten Wissenschaftler fast aller Fakultäten dem NS-Regime zu. Geschichtsprofessorin Isabel Heinemann begleitet das Projekt:

    "Es sind nicht die Außenseiter oder die gescheiterten Karrieren, sondern der Hauptteil derjenigen sind in der akademischen Zunft etablierte Kollegen, von teilweise internationalem Renommee."

    Zum Beispiel lehrte in Münster der Mediziner und Rassenforscher Otmar von Verschuer. Er war Doktorvater des berüchtigten Auschwitz-Arztes Josef Mengele. Der Biologe Eduard Schratz dagegen plünderte für die Nazis in der Sowjetunion wissenschaftliche Institute:

    "Und hier haben wir den Fall, dass niemand von oben ihm gesagt hat, Schratz wir brauchen dich, sondern das er sich selbst zur Verfügung stellte, um sich wissenschaftliche Materialien zu sichern."

    Doktorand und Projektmitarbeiter Daniel Droste ist manchmal überrascht, was er anhand des Archivmaterials zutage befördert. Noch ein Jahr lang lässt die Uni Münster ihre Vergangenheit weiter durchleuchten. Danach wird ein Sammelband erscheinen. Eine gute Sache, finden die Studenten. Sie fragen sich aber auch, warum erst jetzt recherchiert wird:

    "So was sollte ja eigentlich längst passiert sein; als die alten Professoren noch am Leben waren; lange Zeit hat man das doch verdrängt."

    Ein Vorwurf, den sich auch andere deutsche Hochschulen gefallen lassen müssen. Viele Wissenschaftler, die dem NS-Regime zuarbeiteten, konnten auch nach `45 unbehelligt weiter forschen. Erst in den 90ern setzten sich die meisten Unis intensiver mit ihrer Vergangenheit auseinander:

    "Lange herrschte vor, es habe nur wenige Wissenschaftler gegeben, die dem NS-Regime zu arbeiteten, also eher die Ausnahme waren, damit konnte man sich lange um die unbequeme Wahrheit herum drücken."

    Noch immer fällt der Umgang einiger deutscher Hochschulen mit ihrer braunen Vergangenheit nicht zufriedenstellend aus. So fordern Studierende von der Uni Frankfurt, den Campus Westend umzubenennen. Auf ihm steht ein Gebäude, das früher der IG Farben gehörte. Deren Tochterfirma lieferte den Nazis das Blausäurepräparat Zyklon B. In Greifswald wehren sich Studenten gegen den Namen ihrer Uni. Ernst Moritz Arndt fiel zu Lebzeiten durch antisemitische Äußerungen auf. Auf eine lückenlose Aufarbeitung pochen deshalb auch die Studierende in Münster:

    "Ich denke, das ist schon wichtig; das zeigt ja auch die Größe einer Uni; dass das nicht wieder passiert."