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Einwanderungsdebatte
"Verdrängung deutscher Bewerber findet nicht statt"

Nach Ansicht von Hans Peter Wollseifer braucht Deutschland eine qualifizierte Zuwanderung. Flüchtling sei nun mal kein Beruf, sagte der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks im Deutschlandfunk. Kritische Stimmen, die auf die Arbeitslosigkeit in Deutschland verwiesen, ließ er nicht gelten.

Hans Peter Wollseifer im Gespräch mit Doris Simon |
    Der Präsident des Zentralverbandes Deutsches Handwerk, Hans Peter Wollseifer, spricht bei einer Pressekonferenz.
    20.000 nicht besetzte Ausbildungskräfte allein im letzten Jahr: Der Präsident des Zentralverbandes Deutsches Handwerk, Hans Peter Wollseifer, fordert qualifizierte Zuwanderung. (pa/dpa/Pedersen)
    Das deutsche Handwerk drängt auf Erleichterungen bei der Einwanderung nach Deutschland. Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer sagte im Deutschlandfunk, die Wirtschaft brauche qualifizierte Zuwanderung, damit der Wohlstand erhalten bleibe. Nötig seien aber eine rasche Vermittlung der deutschen Sprache und ein sicherer Rechtsrahmen für die Betriebe hinsichtlich des Aufenthaltsstatus von Flüchtlingen oder Einwanderern. Dazu gehöre natürlich auch, dass sie zum Beispiel Praktika machen können. "Flüchtling ist kein Beruf."
    Wollseifer sprach sich für ein "Profiling" aus. Bei Menschen, die nach Deutschland kämen, müsse als erstes geprüft werden, wo sie herkommen oder welchen Bildungsstand sie haben. "Wir müssen die Menschen integrieren, damit sie auch in unsere Sozialsysteme einzahlen."
    Kritikern hielt er entgegen, im vergangenen Jahre habe man allein im Handwerk 20.000 Ausbildungsplätze nicht besetzen können: "Eine Verdrängung deutscher Bewerber findet nicht statt." Man bemühe sich seit Längerem darum, junge Menschen in Deutschland in Ausbildung zu bringen. Wollseifer verwies auf die sogenannte assistierte Ausbildung.

    Das Gespräch in voller Länge:

    Doris Simon: Die wachsende Zahl von Flüchtlingen in Deutschland hat in der Diskussion um Asyl und Zuwanderung einiges in Bewegung gebracht. Bei den Möglichkeiten und den Grenzen der Aufnahme, bei der Bereitschaft dafür und dem Protest dagegen.
    Viel stärker als früher wird aber auch debattiert über die Chancen der Zuwanderung mit Blick auch auf die alternde deutsche Gesellschaft. Für Arbeitsministerin Nahles ist der Schlüssel zum Arbeitsmarkt auch der Schlüssel zur Integration. Und gestern hat das Bundeskabinett in diesem Sinne die Hürde für den Zugang von jungen Asylbewerbern zum deutschen Arbeitsmarkt abgesenkt.
    Das heißt, wer Aussicht hat, länger in Deutschland bleiben zu können, sei es, weil er hier Asyl bekommen hat oder etwa eine Duldung als Kriegsflüchtling, der kann bald schneller und einfacher bei uns arbeiten. Am Telefon ist jetzt Hans Peter Wollseifer, der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks ZDH, guten Morgen!
    Hans Peter Wollseifer: Ja, guten Morgen, Frau Simon!
    "Deutschland braucht in jedem Fall qualifizierte Zuwanderung"
    Simon: Herr Wollseifer, ein schnellerer Zugang zum deutschen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ist sicher gut für die Migranten. Aber bringt dieser schnelle Zugang auch den Unternehmen, dem Handwerk, uns etwas? Denn die meisten der Neuankömmlinge können ja noch nicht mal richtig Deutsch!
    Wollseifer: Ja, wir sollten uns über eines zunächst einmal im Klaren sein: Deutschland braucht in jedem Fall qualifizierte Zuwanderung, damit die Wirtschaft auch in Zukunft weiterläuft, damit der Wohlstand erhalten bleibt und auch erarbeitet werden kann. Dafür brauchen wir natürlich auch die entsprechenden Fachkräfte. Und wir tun viel dafür im deutschen Handwerk, um Fachkräfte anzuwerben, und wir bringen uns auch in die Flüchtlingsdiskussion ein und bieten Ausbildung und Beschäftigung im Handwerk an. Und dafür braucht man natürlich die nötigen Grundlagen und eine dafür ist die, die Frau Nahles gestern mit ihren Beschlüssen im Kabinett dann auch erbracht hat.
    Simon: Aber noch mal nachgefragt: Wenn jemand nicht ordentlich Deutsch spricht, wie wollen Sie und Ihre Kollegen Handwerkermeister dem denn das Handwerk beibringen?
    Wollseifer: Ja, das ist genau der Punkt. Wir müssen natürlich diesen Flüchtlingen, diesen jungen Leuten, ich sage, die schutzbedürftig sind, aus Krisenländern kommen, aus Kriegsgebieten kommen, die müssen wir relativ schnell integrieren. Und zu dieser Integration gehört natürlich, wenn die ankommen in den Flüchtlingsunterkünften, dass wir zunächst ein Profiling durchführen, dass wir zunächst einmal eruieren, wo kommen sie her, was haben sie bisher gemacht, aus welchem Umfeld kommen sie, welchen Bildungsstand haben sie.
    "Selektieren, wer für einzelne Berufe geeignet ist"
    Und dann müssen wir natürlich relativ schnell die deutsche Sprache vermitteln. Weil, die deutsche Sprache ist der Zugang, um sich in den Betrieben verständlich zu machen und zu integrieren und überhaupt dann auch arbeiten zu können. Und danach kommt natürlich der sichere Rechtsrahmen für die Betriebe und auch den brauchen wir.
    Simon: Herr Wollseifer, wenn Sie davon sprechen, dass Sie Profiling machen müssen und mal gucken, woher die kommen, was die können, das klingt so danach, dass Sie natürlich nicht alle gebrauchen können für den deutschen Arbeitsmarkt, auch wenn Sie da Nachschub fordern.
    Wollseifer: Natürlich müssen wir selektieren, wer ist für die einzelnen Berufe geeignet. Wir haben in der deutschen Wirtschaft 350 Berufe, wir haben allein im Handwerk 130 Berufe, da müsste eigentlich für jedes Talent etwas dabei sein. Und das müssen wir selektieren, das müssen wir dann auch feststellen und identifizieren.
    "Flüchtling ist kein Beruf - wir müssen die Leute integrieren und in Arbeit bringen"
    Simon: Das mag ja sein bei jungen Menschen. Was machen wir denn in Deutschland mit den Menschen, die zu uns kommen, die nichts gelernt haben, was Industrie, Handwerk oder Dienstleister hier brauchen können?
    Wollseifer: Ja, ich glaube, wir sollten auch versuchen, die in Arbeit zu bringen. Weil, schauen Sie, wir sagen im Handwerk, Flüchtling ist kein Beruf. Wir müssen die Leute integrieren und wir sollten sie in Arbeit bringen, damit sie also auch in unsere Sozialsysteme einzahlen können und nicht davon leben müssen.
    Und da gehört natürlich dazu, dass wir ihnen Praktika verschaffen, dass wir sie dann in Ausbildung bringen oder aber, wenn sie vielleicht schon älter sind und nicht mehr für eine Ausbildung geeignet sind, in Arbeit bringen. Es gibt viele Möglichkeiten dazu und es besteht auch Bedarf in der deutschen Wirtschaft.
    Simon: Würden Sie das auch in Ihrem Malerbetrieb machen?
    Wollseifer: Auch, ja sicher, natürlich!
    "Flüchtlinge aus Kriegsgebieten sollten wir ausbilden"
    Simon: Also, ich verstehe Sie so: Es gibt überhaupt keine Grenzen, auch bei der Zahl der Flüchtlinge, die gerade kommen, eine Integration durch Arbeit? Also genug Arbeit für alle, die kommen?
    Wollseifer: Frau Simon, wir müssen natürlich selektieren. Es kommen einmal Menschen aus sicheren EU-Staaten zu uns und die haben nun mal das Recht, hier zu leben und zu arbeiten. Und die bringen auch Qualifikationen oder Teilqualifikationen mit, die in der hiesigen Wirtschaft gebraucht werden.
    Dann kommen die Schutzbedürftigen, wenn wir sie so nennen wollen, das sind Flüchtlinge aus Kriegsgebieten, denen wir humanitäre Hilfe leisten und sie dann auch ausbilden sollten und in Arbeit bringen sollten und in die Gesellschaft integrieren sollten.
    Dann haben wir aber auch Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen, also nicht wegen Krieg, Vertreibung, Verfolgung, aus Drittstaaten kommen die zu uns und die haben überhaupt keine Chance auf Asylgewährung. Und die müssen in ihren Herkunftsländern bleiben oder auch dorthin zurückgebracht werden.
    Simon: Es gibt ja nun in Deutschland eine ganze Menge Leute, die bezweifeln, dass wir überhaupt so viel Zuwanderung und auch so viel Arbeitskräfte von woanders brauchen, selbst wenn wir – wie Sie gerade gesagt haben – da einige zurückschicken würden. In diesem Tenor hat sich vorgestern in dieser Sendung auch Wolfgang Bosbach geäußert, der Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestages.
    O-Ton Wolfgang Bosbach: Wir haben 70 Beschäftigtengruppen, wo ohne Vorrangprüfung eingewandert werden kann. 70 Beschäftigtengruppen! Dazu gibt es noch Beschäftigtengruppen mit Vorrangprüfung, wir haben auch in Deutschland drei Millionen Arbeitslose. Und mir jedenfalls kann keiner erzählen, dass sich darunter überhaupt keine Fachkräfte befinden!
    "Es ist für alle zumindest im Handwerk Bedarf da"
    Simon: Das war Wolfgang Bosbach. Herr Wollseifer, müssen die Handwerksbetriebe vielleicht wirklich stärker im deutschen Arbeitsmarkt suchen, bevor sie Zuwanderer einstellen?
    Wollseifer: Ja, das ist das Stichwort, Verdrängung deutscher Bewerber. Aber Frau Simon, das findet nicht statt. Ich möchte dagegenhalten. Im letzten Jahr konnten wir 20.000 Ausbildungsplätze allein im Handwerk nicht besetzen, in der Wirtschaft waren es über 60.000 Ausbildungsplätze.
    Simon: Haben Sie nicht genug hingeguckt vielleicht bei denen, die da sind?
    Wollseifer: Wir tun sehr viel für die, die da sind. Also, von ganz oben – das heißt, von Studienabbrechern – bis zu den geringer Qualifizierten bringen wir, glaube ich, doch eine Menge an Engagement auf, um alle in Arbeit zu bringen, in Ausbildung zu bringen. Wir haben ja auch im letzten Jahr die assistierte Ausbildung beschlossen mit den Gewerkschaften, mit den Ministerien, dort helfen wir 10.000 jungen Leuten, die vielleicht aus schwierigen Familien kommen, durch die Ausbildung, wir helfen auch den Betrieben und wollen sie zum Ausbildungsziel bringen.
    Also, es wird eine ganze Menge getan, gerade in den klein strukturierten Betrieben des Handwerks ist das so, dass sich also die Meister und auch die Beschäftigten ganz intensiv um die jungen Leute kümmern, weil man einfach in einem Team zusammenarbeitet. Und ich möchte noch mal darauf zurückkommen, 20.000 Ausbildungsplätze konnten wir nicht besetzen im Handwerk, im Jahr vorher waren es 17.000, in diesem Jahr werden es mindestens so viele sein.
    Also, es ist für alle zumindest im Handwerk Bedarf da, unsere Betriebe wollen ausbilden, wir wissen, dass wir ausbilden müssen, um auch in Zukunft genügend Fachkräfte zu haben. Und Fachkräftemangel haben wir schon in vielen technischen Bereichen im Handwerk.
    "Keine direkte Notwendigkeit für ein neues Einwanderungsgesetz"
    Simon: Herr Wollseifer, wenn Sie auf die aktuelle Debatte um Regeln bei deutschen Einwanderungen im Asylrecht schauen und das Einwanderungsgesetz, über das auch geredet wird: Was muss denn aus Ihrer Sicht verändert oder vereinfacht werden?
    Wollseifer: Ja, schauen Sie, Frau Simon, bisher haben ja die Zuwanderungsregelungen in Deutschland ganz gut funktioniert und wir sind ja nicht ohne Grund an zweiter Stelle als Einwanderungsland hinter den USA. Doch ich glaube auch, dass angesichts des hohen Fachkräfte- oder Arbeitskräftebedarfs in vielen Bereichen der deutschen Wirtschaft, aber auch natürlich angesichts und insbesondere angesichts des hohen Zuwanderungsdrucks aus Drittstaaten das vielleicht in Zukunft infrage gestellt werden kann.
    Ich habe also meine Zweifel, ob das auch in Zukunft weiter so funktioniert, weil sich einfach die Parameter ändern. Und ich glaube, dieses Bewusstsein kehrt auch so langsam in der Politik ein. Und das Handwerk, das versteht natürlich durchaus den Wunsch, die bisherigen Regelungen zusammenzufassen. Aber ob es jetzt eine direkte Notwendigkeit gibt, ein ganz neues System, ein ganz neues Gesetz zu schaffen, das sehe ich zurzeit noch nicht.
    Simon: Also für Sie kein Gesetz mit Mehrwert?
    Wollseifer: Im Moment nicht.
    Simon: Die Einschätzung von Hans Peter Wollseifer, dem Präsidenten des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Herr Wollseifer, vielen Dank!
    Wollseifer: Ja, danke auch, Frau Simon!
    Simon: Wiederhören!
    Wollseifer: Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.