Dienstag, 23. April 2024

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Einwanderungsgesetz
"Die Zuzüge zu uns steuern und regeln"

"Wir werden uns auf ein Einwanderungsgesetz verständigen müssen", sagte der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki im Dlf im Hinblick auf die anstehenden Sondierungsgespräche mit Union und den Grünen. Der Zuzug nach Deutschland müsse endlich geregelt werden. Zahlen spielten dabei keine große Rolle.

Wolfgang Kubicki im Gespräch mit Dirk Müller | 10.10.2017
    Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki
    Findet es "bemerkenswert, dass es der CDU gelungen ist, die CSU endlich Richtung Einwanderungsgesetz zu bewegen": Wolfgang Kubicki (dpa / picture-alliance / Carsten Rehder)
    Dirk Müller: Zwei Jahre erbitterter Streit zwischen CDU und CSU, ein persönlich ausgetragener Streit zwischen Horst Seehofer und Angela Merkel über die Flüchtlingspolitik, über die Zuwanderung. Nun soll das alles gelöst sein, ein Kompromiss. Maximal 200.000 pro Jahr heißt das Zauberwort. Die Zuwanderung soll insgesamt auf 200.000 begrenzt werden, ohne dabei von einer Obergrenze zu sprechen. Die soll es nicht geben. "Regelwerk zur Migration" heißt das Ganze. Richtwerte, davon ist die Rede.
    Guten Morgen, Herr Kubicki!
    Wolfgang Kubicki: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: 200.000 Obergrenze oder Grenze, wie auch immer definiert, ein Richtwert, den die Union gestern vorgelegt hat. Wollen Sie vielleicht den Abzählmeister machen?
    Kubicki: Zunächst einmal bin ich froh, dass wir jetzt endlich zu Sondierungsgesprächen kommen können, dass die innere Befindlichkeit der Union das nicht mehr verhindert. Aber wie das Leben so ist: Es müssen jetzt die vier Parteien miteinander zu einer Lösung kommen. Und was ich an dem Kompromiss zwischen CDU und CSU bemerkenswert finde ist, dass es der CDU gelungen ist, die CSU endlich Richtung Einwanderungsgesetz zu bewegen, denn das ist der Schlüssel. Wir werden uns - das ist die gleiche Position, die Bündnis 90/Die Grünen haben - auf ein Einwanderungsgesetz verständigen müssen, das den Zuzug nach Deutschland endlich regelt, und zwar vernünftig regelt. Da spielen Zahlen dann keine große Rolle.
    "Entscheidend ist, dass wir jetzt in Gespräche gehen können"
    Müller: Aber mehr qualifizierte Einwanderer fallen ja dann auch unter die 200.000. Das heißt, es wird dann weniger Flüchtlinge geben? Habe ich das richtig verstanden?
    Kubicki: Nein, Sie haben mich da nicht richtig verstanden, sondern wir versuchen, jetzt eine Lösung zu finden, mit der alle vier Parteien leben können. Es ist ja nicht so, wie Herr Scheuer es gestern versucht hat zu erklären, dass die Einigung von CDU und CSU nun eins zu eins umgesetzt werden muss. Dann können wir uns Gespräche sparen. Entscheidend ist, dass wir jetzt erst mal in Gespräche gehen können, und ich bin sicher, dass sich herausstellen wird, dass die Lösung, die CDU/CSU jetzt füreinander gefunden haben, nicht die Grundlage sein wird für die gemeinsame Arbeit der nächsten vier Jahre.
    Müller: Haben Sie eine Zahl?
    Kubicki: Zahlen nützen uns nichts, weil ein Rechtsanspruch durch Zahlen nicht begrenzt werden kann. Das einzige, worüber wir uns unterhalten müssen, ist: Wie schätzen wir die Integrationsfähigkeit in Deutschland ein? Wie viele Menschen brauchen wir, die in unseren Arbeitsmarkt zuziehen können? Wie schaffen wir Regeln, nach denen Menschen nicht mehr über das Mittelmeer schwimmen müssen, sondern nach Deutschland oder nach Europa integriert werden können, zuziehen können? Wie schaffen wir es, Verfahren zu entwickeln zur Beschleunigung? Denn was ja nicht sein kann ist, dass Menschen bei uns teilweise bis 18 Monate warten müssen, bis sie einen Bescheid bekommen, ob sie ein Bleiberecht haben ja oder nein.
    Wir können aber auch aus internationalen Verträgen nicht aussteigen. Die Genfer Flüchtlingskonvention verpflichtet uns, Flüchtlinge aufzunehmen und zu versorgen, bis der Krieg zu Ende ist. Dann müssen sie nachhause. Das wird alles Gegenstand jetzt von Gesprächen sein. Aber zunächst einmal bin ich froh, dass wir beginnen können, denn 14 Tage zu warten, war schon ein Treppenwitz der Geschichte.
    Müller: Das war ja auch immer Ihre Position, Wolfgang Kubicki. Ich möchte Sie trotzdem auch noch mal fragen, auch natürlich vor dem Hintergrund des Wahlergebnisses, vor dem Hintergrund des Erstarkens der AfD, der Diskussion in allen Parteien darüber, warum ist das so weit gekommen, hat man die Flüchtlingspolitik vielleicht doch unterschätzt? Wenn Sie keine Zahl nennen und ja auch auf die rechtlichen Aspekte hinweisen, und auch auf die Komplexität, dass sich das ja alles aus verschiedenen Faktoren zusammensetzt, heißt das, die FDP und Sie haben die Haltung, dass das auch unbegrenzt sein kann, dass es keine Begrenzung gibt?
    Kubicki: Unbegrenzt wird es auf keinen Fall werden.
    Müller: Also müssen Sie ja eine Zahl haben.
    Kubicki: Ich muss keine Zahl haben, sondern ich schaffe rechtliche Grundlagen dafür. Denn es gibt natürlich einen Anspruch darauf, auch entsprechend versorgt zu werden. Angela Merkel hat ja betont, wenn jemand an der Grenze steht, wird er nicht zurückgewiesen. Auch die Union hat eigentlich keine Zahl, außer dass die jetzt eine in die Welt gesetzt hat von 200.000, von der wir gar nicht wissen, wie sie die berechnen will, weil niemand von uns weiß, wie viele Menschen im Jahr freiwillig nachhause gehen, wie viele das Land verlassen müssen.
    "Vernünftige, rechtliche Regelungen"
    Müller: Das soll ja gegengerechnet werden.
    Kubicki: Verstehen Sie, ich habe keine Lust, mich über die Einigung von CDU und CSU zu unterhalten. Entscheidend ist, dass wir vernünftige rechtliche Regelungen brauchen. Hätten wir die in der Vergangenheit schon gehabt, wir hätten eine Reihe von Problemen nicht. Und noch einmal: Was mich stört ist, dass wir mittlerweile die AfD so sehr thematisieren, dass die Mitglieder der AfD schon selbst glauben, sie seien bedeutend. 12,6 Prozent - mein Gott, was ist das? Wir haben 10,7 Prozent erreicht, das ist kein großer Unterschied. Wir haben deutlich zugelegt. Die Grünen haben sich zumindest einigermaßen gut gehalten. Die Union ist massiv gerupft worden und den größten Fehler, den sie machen kann, ist jetzt, dass sie auf dieses Rupfen bei den Wählerinnen und Wählern falsch reagiert, indem der Schein erzeugt wird, mit dieser Lösung, die Seehofer und Merkel eine gesichtswahrende Möglichkeit schaffen, sei nun eine Grundlage wirklich dafür gelegt, dass das jetzt eins zu eins umgesetzt wird. Das wird nicht passieren.
    Müller: Wir reden ja mit Ihnen, Wolfgang Kubicki, FDP, erster stellvertretender Bundesvorsitzender der Liberalen. Noch mal die Frage, ich habe das noch nicht ganz verstanden. Das heißt, wenn es ein Einwanderungsgesetz geben soll - da hat Christian Lindner sich für eingesetzt, Sie haben das auch immer wieder getan -, gibt es eine bestimmte Quotierung nach bestimmten Qualifikationskriterien. Hat das tatsächlich dann etwas mit der Zahl und mit dem Zustrom von Flüchtlingen zu tun?
    Kubicki: Selbstverständlich, weil eine Reihe von Flüchtlingen zu uns kommen, die nicht vor Krieg und Gefahr fliehen, sondern die aus wirtschaftlichen Gründen Deutschland erreichen wollen, insbesondere aus den afrikanischen Ländern. Wenn die Menschen wissen, dass es legale Zuzugsmöglichkeiten gibt, nach Kriterien, die wir bestimmen, werden sie sich darauf vorbereiten. Dann ist der Druck aus dem Kessel heraus. Dann machen sich Menschen nicht mehr auf den schwierigen Weg und lassen sich von Schleppern nicht beeinflussen.
    Bildung, Digitalisierung, Rente: "Was passiert in der Zukunft?"
    Müller: Aber sie werden doch an der Grenze nicht abgewiesen, sagen Sie.
    Kubicki: Wir können an der Grenze niemanden abweisen, weil jeder, der an der Grenze bei uns steht und erklärt, er will nach Deutschland herein, ein Recht darauf hat, dass in einem ordnungsgemäßen Verfahren festgestellt wird, ob er die Kriterien erfüllt, beziehungsweise ob er als Flüchtling anerkannt werden muss, beziehungsweise ob er politisch verfolgt wird. Ansonsten müssten wir unsere Verfassung ändern und ich sehe momentan nicht, dass wir eine Zwei-Drittel-Mehrheit hinbekommen, die Verfassung zu ändern.
    Müller: Also bringt das Einwanderungsgesetz lediglich neue Qualifizierungskriterien, wonach Menschen, Flüchtlinge, dann ausgewählt werden?
    Kubicki: Ja, das ist der Sinn der Veranstaltung. Das machen alle anderen Länder auch, die den Zuzug ermöglichen. Das machen Kanada, das macht Australien, das machen die Vereinigten Staaten, das machen neuerdings auch die skandinavischen Länder, das machen die auch. Hätten wir ein Einwanderungsgesetz gehabt, wir hätten den Tag 2015 September fortfolgende nicht erlebt. Wir hätten die Zuzüge zu uns steuern und regeln können. Das ist ja bedauerlicherweise nicht geschehen. Und die Tatsache, dass CDU/CSU über zwei Jahre gebraucht haben, um sich zunächst einmal auf eine Grundlage zu verständigen, um in Gespräche zu gehen, ist schon beeindruckend, wird aber nicht dazu führen, dass die Einigung jetzt eins zu eins umgesetzt wird. Wir sind nicht gewählt worden als Freie Demokraten, einfach nur Mehrheitsbeschaffer für Überlegungen der Union zu sein.
    Müller: Entscheidungszentren, so hieß das gestern. Früher hat man von Aufnahmelagern oder Rückführungslagern gesprochen, wie auch immer. Das soll auch in irgendeiner Form Entlastung bringen, mehr Effizienz. Glauben Sie daran?
    Kubicki: Das wird schwierig sein, weil wenn die Entscheidungszentren vollgelaufen sind, was machen wir dann? Lassen wir die Leute draußen vor der Tür stehen? Wir haben selbstverständlich die Möglichkeit einer zentralen Erfassung, auch in den Ländern. Die ist in Schleswig-Holstein beispielsweise genutzt worden. Wir sind mit dem Flüchtlingsproblem auch vergleichsweise gut fertig geworden, weil das zentral gesteuert worden ist. Aber jetzt ist alles rückwärtsgewandt, was wir momentan tun. Wir müssen uns mal anschauen, was passiert in der Zukunft, wie werden wir in Deutschland mit den Herausforderungen fertig, die die Menschen wirklich interessieren, nämlich Bildung, Digitalisierung, wie erhalten wir unser Wohlstandsniveau, wie sichern wir unsere Rente. All das sind wesentlich wichtigere Themen als die Frage, müssen wir jetzt im Bereich der Flüchtlingskrise, die ja Vergangenheit ist, auf Forderungen der AfD eingehen, ja oder nein.
    "Wenn der Krieg zu Ende ist, gehen die Menschen nach Hause"
    Müller: Das ist aber vielen jetzt neu, wenn Sie sagen, das gehört der Vergangenheit an. Wir hören jeden Tag in den Meldungen, die aus den Krisenregionen kommen, dass sich immer mehr Menschen versuchen aufzumachen, im Moment abgehalten werden, zum Beispiel in der Türkei oder auch in Libyen. Das kann sich ja auch wieder ändern.
    Kubicki: Ja. Das ist ja der Sinn von Politik, dass man versucht, die Probleme zu lösen, dort wo sie entstehen. Wir haben ein EU-Türkei-Abkommen. Wir versuchen, jetzt als Deutsche Abkommen mit nordafrikanischen Ländern zu schließen, um Menschen daran zu hindern, sich selbst auf einen sehr gefährlichen Weg zu machen, um übrigens Flüchtlinge auch in der Nähe ihrer alten Heimat zu halten. Denn die Idee der Genfer Flüchtlingskonvention ist die: Wenn der Krieg zu Ende ist, gehen die Menschen in aller Regel nach Hause und bauen ihr Land wieder auf, und wir werden ihnen dabei helfen, so dass es keinen Sinn macht, sich auf einen langen Weg zu machen. Die meisten Menschen, die zu uns gekommen sind, waren Flüchtlinge aus Kriegsgebieten, aber auch mit der Idee, ein besseres wirtschaftliches Leben zu haben, und eine politische Aufgabe wird darin bestehen, ihnen diese Möglichkeit auch in ihren Heimatländern zu geben.
    Noch einmal: Ich glaube, dass andere Maßnahmen als die, die CDU/CSU jetzt auf den Weg gebracht haben, uns eher dabei helfen, mit der Zuwanderung fertig zu werden, wenn wir sie gesetzlich regeln, was bisher nicht der Fall ist. Hätten wir ein Einwanderungsgesetz gehabt, ich sage Ihnen, wir hätten 2015/2016 nicht diesen Massenzustrom gehabt.
    Müller: Bei uns heute Morgen live im Deutschlandfunk Wolfgang Kubicki, der stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP. Vielen Dank, dass Sie uns noch erreicht haben, dass das geklappt hat. Ihnen einen schönen Tag.
    Kubicki: Danke ebenfalls!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.