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EKD-Präses: Kirche muss auf Lebenswirklichkeit antworten

Die Evangelische Kirche müsse sich der Lebensrealität der Menschen stellen, fordert die neu gewählte Präses der EKD-Synode, Irmgard Schwaetzer. Dazu gehöre die vollständige Anerkennung homosexueller Paare. Auch eine Diskussion über die staatliche Finanzierung der Kirche sei richtig.

Irmgard Schwaetzer im Gespräch mit Bettina Klein | 13.11.2013
    Bettina Klein: Sie war unter anderem Bundesbauministerin, sie war eine profilierte Stimme in ihrer Partei, der FDP, und nun hat sie für eine Überraschung gesorgt mit ihrer Wahl zur Präses der EKD-Synode. Kurzfristig entschied sich Irmgard Schwaetzer zu kandidieren, nachdem unter anderem Günther Beckstein keine Mehrheit bekam. Irmgard Schwaetzer folgt auf Katrin Göring-Eckardt, die aus dem Amt geschieden war, um sich ganz auf ihre politische Arbeit als Fraktionsvorsitzende zu konzentrieren. Es war spannend, denn bis fast zuletzt hatte niemand diese Kandidatur auf dem Schirm. – Frau Schwaetzer, in welchem Moment haben Sie sich gedacht, ach, ich mach’ es doch?

    Irmgard Schwaetzer: Ich bin gebeten worden. Nachdem die beiden Wahlgänge nicht zu einem Erfolg geführt hatten, haben verschiedene Synodale, leitende Bischöfe mich angesprochen, und daraus hatte ich den Eindruck, dass ich in einer etwas schwierigen Situation einen Beitrag dazu leisten könnte, die Synode wieder in eine Art ruhiges Fahrwasser zu bringen. Das ist mir alles schwergefallen, weil ich eigentlich andere Vorstellungen von meinem Leben hatte.

    Klein: Was hat denn dagegen gesprochen, dass Sie kandidieren?

    Schwaetzer: Ich hatte private Gründe, weshalb ich zunächst auch gezögert habe, da mein Herz über die Hürde zu werfen. Aber im Endeffekt habe ich gesagt, das ist jetzt eine Situation: Wenn ich dazu beitragen kann, die Synode wieder in ruhiges Fahrwasser zu bringen, dann mache ich das.

    Klein: Wir haben eine interessante Kombination in Ihrer Persönlichkeit vereint: eine ehemalige FDP-Politikerin, die nun Präses der EKD-Synode sein wird. Geben Sie uns ein Beispiel, was mit Ihnen ganz anders werden wird für die Evangelische Kirche?

    Schwaetzer: Warum muss alles ganz anders werden? In der Tat haben wir eine ganze Menge Probleme, an denen ich mit Sicherheit auch als Synoden-Präses weiterarbeiten werde. Das sind zum Teil interne Probleme, die aber auch gelöst werden müssen, damit man in der Welt wirksam werden kann. Das ist eine Frage einmal einer bestimmten Form der Kommunikation zwischen Rat und Synode, das ist die Frage der Information der Synodalen, dann des Mitspracherechtes, da muss ein bisschen was geglättet werden. Aber das Wichtigste ist natürlich, die Themen weiter zu bearbeiten, die hier auf dieser Synode in den Mittelpunkt gestellt worden sind. Das ist zum einen das Schwerpunktthema: "Es ist genug für alle da" – ein Motto, was auch hier sehr diskutiert worden ist, ob das richtig ist, was aber dann auch in den Konsequenzen natürlich bearbeitet werden muss. Da geht es um Nahrungsmittelanbau, aber auch, die Nahrungsmittelverschwendung einzudämmen.

    Klein: Frau Schwaetzer, schauen wir auf einen Konfliktpunkt, der zuletzt auch in der Öffentlichkeit für viel Aufmerksamkeit gesorgt hat: das jüngste Papier zu Ehe und Familie hatte ja für Diskussionen gesorgt. Die EKD bescheinigte darin Partnerschaften verschiedener Art den gleichen Stellenwert wie der Ehe. Das haben nicht alle verstanden in der Evangelischen Kirche. Werden Sie davon wieder abgehen?

    Schwaetzer: Es ist ja vom Rat bereits ein Auftrag an die theologische Kammer gegeben worden, an der theologischen Grundierung dieses Papiers weiterzuarbeiten. Es ist auch überhaupt nicht richtig, dass in dem Papier von dem Leitbild der Ehe abgerückt worden wäre. Es ist vielleicht nicht so deutlich gewesen. Aber ich stehe ganz eindeutig hinter der Intention dieses Papiers, nämlich als evangelische Christen stärker auf die Realität zu antworten, in der Menschen in unserer Gesellschaft heute leben. Und das ist eben nicht nur die klassische Ehe und die klassische Familie, sondern das sind Eineltern-Familien, in denen auch Liebe, Vertrauen, Zuneigung gelebt wird und für die wir deshalb auch da sein müssen. Aber das sind eben auch gleichgeschlechtliche Paare.

    Klein: Können Sie mal ein Beispiel geben, inwiefern Sie da auf die Kritiker dieser neuen Leitlinie zugehen wollen?

    Schwaetzer: Ich denke, dass diese Diskussion weitergeht, die angestoßen worden ist, und ein solches Papier – das ist übrigens auch nie gedacht gewesen – ist eben nicht unbedingt sofort zu Ende geschrieben. Das haben wir hier und deswegen muss jetzt erst mal das Votum der theologischen Kammer mit in die Diskussion einfließen. Ich hoffe, dass wir da möglichst schnell die nächste Runde auch der Diskussion einleiten können.

    Klein: Sie haben angedeutet, die Evangelische Kirche muss sich auch der Lebensrealität öffnen und sie stärker akzeptieren. Wie stark Ihrer Meinung nach sind denn die Gegner einer solchen Position?

    Schwaetzer: Das Ende muss doch sein, dass wir uns zusammenfinden unter dem Wort Gottes und einer Auslegung, die von möglichst vielen in der Evangelischen Kirche, aber natürlich auch in der Gesellschaft getragen wird. Wenn ich die beiden Dinge so nebeneinanderstelle, ist für mich auch ganz klar: Die Evangelische Kirche muss mitten in der Gesellschaft sein. Das ist sie aber weitgehend auch heute schon. Es sind nach wie vor über 60 Prozent der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland Mitglied einer christlichen Kirche, die Hälfte davon ungefähr in der Evangelischen Kirche. Wir haben schon noch eine sehr breite Basis in der Öffentlichkeit. Darauf können wir aufbauen, das ist längst nicht alles gut, aber wir können aufbauen auf eine solche stabile Basis und mit denen wollen wir natürlich auch über die moderne Welt diskutieren und dazu gehören auch neue Lebensformen, dazu gehört die Lebenswirklichkeit.

    Übrigens, wenn ich das noch anfügen darf: Das Thema der nächsten Synode in Dresden wird auch eines sein, das mitten aus der modernen Welt kommt, nämlich Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Welt. Das wird uns vor große Herausforderungen stellen, nämlich erst mal uns mit der Frage zu beschäftigen, ob das geht, und wenn ja, in welcher Form.

    Klein: Was meinen Sie damit, Kommunikation in der digitalen Welt, speziell für die Evangelische Kirche?

    Schwaetzer: Jetzt nicht speziell für die Evangelische Kirche, sondern Kommunikation des Evangeliums: Ist das möglich über moderne soziale Medien, ist das möglich über die neuen Formen der Darstellung im Netz?

    Klein: Auch Twitter zu nutzen zum Beispiel oder Facebook oder was auch immer?

    Schwaetzer: Selbstverständlich!

    Klein: Frau Schwaetzer, auch die Evangelische Kirche hat sich ja mit dem Problem des Mitgliederschwundes, der zunehmenden Austritte zu beschäftigen. Was über das, was Sie gerade genannt haben, hinaus ist denn notwendig, um die Menschen wieder zur Kirche zurückzuführen, Ihrer Meinung nach?

    Schwaetzer: Die Frage des Geldes steht bei ganz vielen Menschen im Mittelpunkt. Wir haben uns als Synode schon seit einer sehr langen Zeit darum bemüht, Aufstellung des Haushalts, aber genauso gut die Verwendung der Mittel so transparent zu gestalten, dass auch jemand, der jetzt nicht täglich in der Kirche arbeitet, sieht, wofür die Mittel verwendet werden und dass das gut ist und einem vernünftigen Zweck dient. Das wird aber alleine nicht reichen, das spüren wir sehr deutlich. Also wird sich auch die Evangelische Kirche überlegen müssen, in welcher Weise sie die Themen anspricht und weiterbearbeitet, die jetzt auf dem Tisch liegen.

    Klein: Wie soll da die Transparenz hergestellt werden?

    Schwaetzer: Zum Beispiel, dass wir hier in der Synode in aller Öffentlichkeit unsere Zahlen offenlegen, darüber diskutieren, wo das Geld herkommt, darüber diskutieren, wie wir es verwenden, und ich denke, dass das der wichtigste Punkt ist, der sichergestellt sein muss, damit nicht die Fragen entstehen, wieso konnte jetzt dieses, das und jenes finanziert werden.

    Klein: Im Zusammenhang mit den Vorfällen im Bistum Limburg, also bei der Katholischen Kirche, ist ja auch ein Punkt zur Diskussion gestellt worden, nämlich die Staatsleistungen für die Kirche. Das war ja vielen bis dahin gar nicht so sehr bewusst, dass natürlich auch der Staat wegen einer sehr, sehr alten Regelung die Kirchen auch mitfinanziert, über die Kirchensteuer hinaus. Sehen Sie da in absehbarer Zeit eine Änderung des Rechts, das es ja geben muss?

    Schwaetzer: Da liegt der Ball nicht bei der Evangelischen Kirche oder bei der Katholischen Kirche, sondern da liegt der Ball ganz eindeutig auf der politischen Ebene. Die Forderung, über die Ablösung der Staatsleistungen zu reden, steht im Grundgesetz, ist übernommen worden aus der Reichsverfassung. Das heißt, hier wäre Politik am Zuge. Die hat aber bisher nicht gehandelt und es ist auch nicht absehbar für uns, dass sie handelt.

    Klein: Würden Sie es denn für wünschenswert halten, oder rufen Sie Politiker auf, da eine andere Regelung zu finden, oder sagen Sie im Eigeninteresse, wir können nicht dafür stimmen, dass uns der Geldhahn zugedreht wird?

    Schwaetzer: Ich gehe nicht davon aus, dass mit einer solchen Ablöseregelung der Geldhahn zugedreht würde. Aber natürlich könnten schwierige Situationen entstehen. Da gibt es bisher noch keine Überlegungen und ich kann hier nicht als der völlige Newcomer in diesen Führungsgremien sagen, so und so muss das jetzt sein, sondern es ist klar: Wir reden darüber und das muss auch in der Öffentlichkeit thematisiert werden, denn es ist ein wichtiges Thema.

    Klein: Irmgard Schwaetzer, die neu gewählte Präses der Synode der EKD, bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Das Gespräch haben wir heute Morgen aufgezeichnet.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.