Freitag, 29. März 2024

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Ende des Steinkohle-Bergbaus
Von "Schicht im Schacht" zu "Deckel drauf"

Ende 2018 schloss in Bottrop die letzte deutsche Steinkohlen-Zeche. Es war das Ende einer Industriegeschichte. Doch wie geht Schicht im Schacht im Ruhrgebiet? Wie werden Anlagen zurückgebaut und Gruben verschlossen? Ein Besuch auf der ehemaligen Zeche Prosper Haniel in Bottrop.

Von Moritz Küpper | 06.11.2019
Bagger auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Prosper Haniel
Die alten Schächte werden mit Sand gefüllt (Deutschlandradio / Moritz Küpper)
Es ist die Stille, die Ruhe, die irritiert.
Friedlich liegt die riesige Rohkohlenmischhalle, im Schatten eines Förderturms von Prosper Haniel. Hier, wo sonst über Jahrzehnte die Kohle vom Berg, also vom Gestein, getrennt wurde, wo es laut und staubig war, liegt jetzt alles friedlich dar. Die letzten Steine knirschen unter den Füssen, sogar die Vögel sind nun zu hören: Das Gezwitscher kleiner Singvögel, das Krächzen der Raben, die zwischen den brachliegenden Gebäuden umherfliegen.
Ganz vereinzelt läuft in der Ferne ein Kumpel. Die Zeche Prosper Haniel in Bottrop war der Ort, an dem sich im Dezember letzten Jahres ein über 200-jähriges Kapitel Industriegeschichte schloss:
"Für manche ist es ein Stück Kohle, für sie soll es ein Symbol für einen bedeutenden Teil deutscher Industriegeschichte sein."
Applaus, Tränen, Worte vom Bundespräsidenten.
"Das ist in der Tat mehr als ein Stück Kohle, das ist Geschichte."
Schicht im Schacht – und dann?
"Ja, Schicht im Schacht ist uns in diesem Jahr so richtig bewusst geworden. Schicht im Schacht heißt Zeche wirklich zu machen: Deckel drauf."
Michael Sagenschneider sitzt in einer leeren Kaue, jenen Räumen, in den sich sonst die Kumpel umzogen.
"… und man sieht ja hier schon: Die Einsamkeit in der Kaue, wo früher, ich sag mal, der Bär tobte, wo früher hunderte von Menschen sich mittags umzogen und wo wir heute wir heute, wenn wir hier rein sprechen, unseren Hall hören in diesen Hallen."
Er blickt sich um: Fliesen an den Wänden, ein einzelner Drahtkorb, in dem sonst die Klamotten der Bergmänner gelagert wurden, baumelt noch an der Decke…
"Denke mal ‚Deckel drauf‘ ist das richtige Wort dazu, nämlich: Schächte verfüllen, übertägige Anlagen zurückbauen, untertägige Anlagen zurückbauen, Stromversorgung zurückbauen, Wasserleitungen kappen, Material aus der Grube nach über Tage bringen, Sand anliefern für Schächte, Kauen zurückbauen. Schachtgerüste abreißen."
Der ganze Schacht wird mit Sand-Zement-Gemisch verfüllt
Im vergangenen Jahr hat Sagenschneider, selbst seit 1976 im Bergbau tätig, einst stellvertretender Reviersteiger, noch Hunderte Grubenfahrten organisiert, Fernsehsender unter Tage gebracht, internationale Medien versorgt."
"Der Schacht hat jetzt keinen Korb mehr, keine Möglichkeit mehr, nach unter Tage zu kommen. Da werden wir jetzt kurzerhand mit den Verfüllarbeiten jetzt auch beginnen, sobald alle Sand-Tonnagen vor dem Schacht liegen."
Tonnenweise wird dafür seit Wochen eben Sand herangekarrt: Auf den leergeräumten Flächen rund um die Schächte neun und zehn, die nun verfüllt werden, türmen sich die meterhohen Sandberge auf. Gerade kommt wieder ein Fahrer vorgefahren, kippt seine Ladung ab:
Wuchtig schlägt die Klappe am Ende auf den nun leeren Laster
"26,4 Tonnen waren das."
Der Fahrer schaut aus dem Führerhaus des Lkws. Tag für Tag kommt er - mehrfach - vorbei:
"Ich sag mal im Schnitt zwölf."
Der Bedarf ist gigantisch: 33.000 Tonnen Sand müssen zu Schacht zehn, 55.000 Tonnen hierhin, zu Schacht neun. Überschlagen sind das 3.300 Fahrten. Bei den rund 50 am Tag, sind das über 13 Wochen. Der LKW-Fahrer zuckt mit den Achseln:
"Jaja, nun, wenn ein Schacht verfüllt wird, ne? Da geht ja einiges rein."
Ehemalige Zeche Prosper Haniel
Ehemalige Zeche Prosper Haniel (Deutschlandradio / Moritz Küpper)
Und der Zement kommt auch. Im Dezember soll es damit losgehen, erklärt Sagenschneider. Zwei Wege gibt es. Die Vollverfüllung, sprich: Der ganze Schacht wird mit dem Sand-Zement-Gemisch verfüllt. Wochenlang, rund um die Uhr, wird dann gepumpt:
"Ein kontinuierlicher Prozess muss da stattfinden, dass die Betonsäule auch hinterher in einem Guss gegossen ist, ansonsten wird sie nichts taugen. Die zweite Variante ist, den Schacht teilzuverfüllen. Das machen wir an Schacht zehn zum Beispiel. Da haben wir im Bereich von 540 Metern eine Bühne gebaut, eine Stahlkonstruktion. Darüber kommt ein Block von gut 50 Meter hochfestem Beton, also eine andere Beton-Art, die nochmal mehr Festigkeit hat und darüber verfüllen wir das Sand-Zement-Gemisch."
Dabei war auch Klaus Kukovic, ein großgewachsener Mann, grüner Helm, blauer Pullover, Warnweste. Er steigt in das Spezialfahrzeug, mit dem er die schweren Betonrohre durch den schrägen Förderschacht unter Tage fahren kann….
Ursprünglich kommt Kukovic aus der Logistik, von einer Bergbauspezialfirma:
"Wir wurden halt im Oktober hierhin verlegt, um halt die vorhandenen Mitarbeiter zu unterstützen. Wir haben halt damit begonnen, die Bandstraße hier im Förderberg soweit vorzubereiten, dass sie geraubt werden kann."
Jeden Tag kleine Abschiede
Der Blick durch das Seitenfenster bestätigt dies: "24. Februar 2019", steht da in Edding auf das Schild geschrieben. Das Datum, an dem die Bandanlage zuletzt geprüft. Nun ist sie seit Wochen komplett demontiert. Kukovic kennt all dies:
"Und dann ging es Anfang des Jahres damit los, dass wir den Fördergurt vom Förderberg planmäßig rückbauen konnten. Ja, als das abgeschlossen war, haben wir halt das komplette Bandgestänge demontiert."
Letztendlich sind das Alles klare, technische Abläufe, Schritte die Kukovic kennt. Doch…
"… das große Ganze dahinter ist historisch. Tut auch ein bisschen weh."
Der Wagen rollt langsam zurück.
Ab August nächsten Jahres, wird dann auch Kukovic, 48 Jahre alt, in den Vorruhestand gehen. Er schnallt sich ab, steigt aus:
"Naja, jeder hat sein Päckchen zu tragen."
Hinter ihm liegt der Förderschacht, auch dieser wird verfüllt werden. Unter Tage, so sagen die Kumpel, hat nun die Bergruhe eingesetzt. Das Grubennetz von einst 140 Kilometer Strecke unter Tage wächst von unten zu, erklärt Sagenschneider in der leeren Kaue:
"Unser Streckensystem haben wir natürlich nicht geraubt. Das heißt, den ganzen Stahlbogenausbau, den wir alle 80 Zentimeter dahingestellt haben, den haben wir nicht weggerissen, weil: Das wäre wirtschaftlich sehr unnütz gewesen, das zu tun."
Bis zum Jahresende werden sich - Tag für Tag - die rund 500 noch verbleibenden Mitarbeiter verabschieden. Täglich bekommt Sagenschneider E-Mails.
"Es gibt jeden Tag so die kleinen Abschiede, jeden Tag meldet sich irgendeiner, der sich verabschiedet. Man könnte eigentlich jeden Tag zu einer Verabschiedung gehen, wenn man will, ein Brötchen essen, mal einen Kaffee trinken."
Aber zeitlich nicht möglich. Denn: Noch ist was zu tun, Sagenschneider zuckt mit den Achseln:
"Joah, macht einen schon ein stückweit traurig, weil: Das ist so das endgültige Ende. Deckel drauf."
Und sein Worte hallen in der leeren Kaue nach…