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Endlich mal erklärt
Gibt es das perfekte Filmende?

"Ein Film hat einen Anfang, eine Mitte, und ein Ende - aber nicht notwendig in dieser Reihenfolge." So hat der Regisseur Jean-Luc Godard die Frage nach dem Ende eines Films beantwortet. Das Ende ist demnach nicht allein der Schluss, sondern auch ein filmisches Mittel.

Von Rüdiger Suchsland | 19.04.2020
"The End" - Früher wurde "The End" am Ende des Films eingeblendet
Steht manchmal am Anfang: Das Ende des Films! (Deutschlandradio / Jörg Biesler)
Im Film "Fight Club" gibt das Ende dem ganzen Film einen anderen Sinn. Da erkennen wir Zuschauer erst am Schluss, dass die eine Hauptfigur nur in der Vorstellung der anderen Hauptfigur existiert. Dass diese verantwortlich ist für alles, was wir jener zugeschrieben haben.
Das ist ein großartiges Ende, der Beginn einer Liebesgeschichte, wenn auch vor den Kulissen explodierender Hochhäuser. Aber da wissen wir schon: Das bildet sich Tyler, die Hauptfigur sowieso nur ein: "Where is my mind?" - Wo ist mein Hirn singen die "Pixies" im Schluss-Song treffend.
Das ist ein erschütterndes Ende. Weil es das Weltbild und die ganze Vergangenheit - oder sagen wir bescheidener: Die bisherige Handlung - in neuem Licht erscheinen lässt.
Solche Schock-Enden waren in den 90iger Jahren besonders beliebt: Da erklärt das Ende erst alles. Da war es Mode, mit den letzten Sequenzen eines Films die Erwartungen komplett zu unterlaufen. Gerade in vermeintlich sicheren Zeiten - wie den 90ern - liebt man den Kick der Verunsicherung.
Auch in "The Game" vom gleichen Regisseur, David Fincher, begreift Michael Douglas und wir mit ihm erst am Schluss, dass die ganze Handlung, die ihm das Ende seiner bürgerlichen Existenz als reicher Amerikaner bescherte, nur ein Spiel war, ein Geburtstagsgeschenk seines Bruders, um den Mann endlich wieder mal so richtig überraschen zu können. Und durch diese Schocktherapie findet er wieder zu sich selbst.
Das Ende als finaler Paukenschlag
In Alejandro Amenábars "The Others" wird Nicole Kidman als Mutter und ihre süßen Kinder von Geistern heimgesucht - bis alle drei schließlich erkennen müssen, dass sie selbst die Toten sind.
In solchen Filmen wird das Ende zum finalen Paukenschlag. Wenn so die Welt untergeht, möchte man dabei gewesen sein - und wir wissen, dass wir das Kino danach wieder verlassen können. Was bleibt ist die Schönheit und die Sehnsucht nach solch einem Ende.
Darum ist es auch nicht schlimm, wenn das Ende kein Happy End ist, wenn Filme bestenfalls so bittersüß aufhören, wie "La La Land", der Musical-Erfolg des vergangenen Jahres, der mit seinem Nostalgiecharme bezauberte, und so wirkte, als sei er überaus romantisch. Der aber in Wahrheit das Ende aller Romantik inszeniert. Denn das Paar "kriegt" sich am Ende ja eben gerade nicht.
Wenn Emma Stone als erfolglose Schauspielerin lernen muss, dass die Sehnsucht nach Liebe und Glück den Erfolg nur behindert, nimmt der Film im Gegensatz zur Hollywood-Konvention ganz klar Partei für den Erfolg, gegen die Liebe und enttäuscht so alle Erwartungen nach einem Happy End. Die Parteinahme für den Verzicht aufs private Glück ist die neue Ideologie Hollywoods und des gegenwärtigen Amerika. Der Film will zeigen, wie schnell die Idealisten mit dem Erfolg gehirngewaschen werden.
Am besten ist es aber, wenn zumindest in der Fiktion nichts aufhört.
Auf einem aufgeschlagenen Kunstlexikon liegt eine Brille
Spezialwissen der Kultur - Endlich mal erklärt Postdramatik? Dystopie? Keine Ahnung. Jede Kulturszene pflegt ihre Fachausdrücke, weil sie griffig sind. Wir erklären endlich mal die Begriffe der Spezialsprachen und antworten auf Fragen, die man sich vielleicht nicht zu stellen traut. Denn Arroganz war gestern.
Lust auf und Angst vor dem Ende
Darum lieben Filmfans neuerdings Sequels und Serien so sehr. Entweder sehen wir sie so, wie es jetzt Mode ist: "Binge-Watching", also wörtlich "Gelage-Glotzen" nennt man diesen Zustand. Man sitzt am Wochenende vor dem Bildschirm und kann die Couch gar nicht mehr verlassen, oder nur um das Nötigste zu erledigen. Eine Serienfolge nach der Anderen ziehen wir uns rein, und so kann man zwischen Freitag- und Sonntagabend leicht mehr als eine Staffel sehen.
Man rast wie getrieben auf das Ende zu. Und kann sich nicht entscheiden zwischen dem Zwang des Weiter, der Lust auf den finalen Showdown oder Cliffhanger zur nächsten Staffel und der Lust daran, dass es endlos so weitergeht.
Soll also am liebsten nichts aufhören? Alles immer weitergehen in endloser Variation des Immer-Gleichen? Wirklich? Erinnern wir uns: In der Komödie "Und täglich grüßt das Murmeltier" erlebt ein Wetteransager den gleichen Tag wieder und wieder. Er ist in einer Zeitschleife gefangen.
Als er sich dann doch aus ihr lösen kann ist das für ihn eine Befreiung. Dieser Film zeigt uns, wie viele andere: Wir brauchen das Ende. Damit wir neu anfangen können. Aber jedes Ende ist auch ein kleiner Tod. Und darum lieben wir die unendlichen Geschichten. So lange sie erzählt werden, geht das Leben weiter.