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Energieunion
"Das halte ich für aussichtslos"

Der CDU-Politiker Arnold Vaatz glaubt nicht an die Möglichkeit einer europäischen Energieunion. Dafür gebe es nicht ausreichend Transportkapazitäten und Reserven für Erdgas, sagte er im DLF. "Auf lange Sicht ist das überhaupt nicht machbar, wenn man jeden Tag warm duschen will."

Arnold Vaatz im Gespräch mit Jürgen Liminski | 26.04.2014
    Der CDU-Politiker Arnold Vaatz
    Der CDU-Politiker Arnold Vaatz (Deutscher Bundestag / Lichtblick / Achim Melde)
    In Deutschland gebe es zwar einen gewissen Puffer, mit dem 75 Tage lang der gesamte Gaskonsum bestritten werden könnte, sagte der Energieexperte, der im Bundestags-Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sitzt und stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag ist. Ein Ausfall russischer Gaslieferungen ließe sich so ein Jahr lang kompensieren. Für die übrigen Länder sei dies aber keine Lösung.
    Erdgas werde auch in der industriellen Produktion benötigt, ohne Gas "müssten nach einer bestimmten Zeit die Maschinen abgeschaltet werden", so Vaatz. Die Infrastruktur hier in Kürze auf einen anderen Energieträger umzurüsten, hält er "für eine rein utopische Lösung". Und bei anderen Lieferanten, etwa aus Nordafrika, würde sich das Erdgas erheblich verteuern, da die entsprechenden Leitungen nicht vorhanden seien und man auf Flüssiggastransport mit Schiffen umsteigen müsste. Bei energieintensiven Produkten hätte dies "einen enormen Preissprung zur Folge".
    Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk hatte angeregt, dass für alle 28 EU-Mitgliedstaaten Gas zentral eingekauft werden könnte. Bei Engpässen sollten sich die Staaten unterstützen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) trägt den Vorschlag grundsätzlich mit.

    Das Interview mit Arnold Vaatz in voller Länge:

    Jürgen Liminski: Europa habe sich, so meinte Thomas Mann einmal, in schweren Zeiten, Europa habe sich zu einem gefährdeten und instinktunsicher gewordenen Erdteil gewandelt. Auch jetzt schwebt wieder ein Schwert über den Häuptern. Die Ukraine-Krise bedroht die Energieversorgung. Ein Krisengespräch folgt dem anderen. Der neueste Vorschlag lautet Energieunion. Der polnische Ministerpräsident hat dafür gestern die Bundeskanzlerin gewonnen, ohne dass man in Details ging. Aber eine stärkere Verflechtung bringt auch mehr Freiheit. Der bulgarische Staatspräsident, dessen Land weitgehend von russischen Lieferungen abhängig ist, sieht darin eine Priorität und formuliert es im Interview der Woche, das morgen ausgestrahlt wird, so:
    "Für mich, die beste Energie, und die billigste Energie, ist die gesparte Energie. Für mich, die sinnvollste Priorität, ist, die Energienetze in der Gesamtregion zu verbinden. Weil dann kann Bulgarien Gas entweder aus Kroatien, aus Rumänien oder aus Griechenland oder aus der Türkei beziehen. Dann haben sie Alternativen."
    Kann eine Energieunion solche Alternativen schaffen, ist es überhaupt möglich, sich von russischem Erdgas unabhängig zu machen, welche Folgen hätte ein Stopp der russischen Lieferungen? Zu diesen und weiteren Fragen begrüße ich den stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion, er ist auch zuständig für Verkehr und Aufbau Ost, Arnold Vaatz. Guten Morgen, Herr Vaatz!
    Arnold Vaatz: Guten Morgen, Herr Liminski!
    Liminski: Herr Vaatz, die EU soll als Energieblock, als Energieunion auftreten. Aber das nach marktwirtschaftlichen Regeln. Passt das zusammen?
    Vaatz: Das gibt es im Prinzip schon lange. Wir haben einen europäischen Markt für Strom und einen europäischen Markt für Gas. Das Problem ist allerdings die Verfügbarkeit. Das heißt, haben wir überhaupt genügend Transportkapazitäten und haben wir überhaupt genügend Reserven? Und das ist natürlich auf lange Sicht überhaupt nicht machbar, insbesondere dann nicht, wenn man jeden Tag warm duschen will.
    "Größenordnungen, über die wir uns nicht hinreichend klar sind"
    Liminski: Ziel dieser Energieunion ist die energiepolitische Unabhängigkeit von Russland. Ist das denn in kurzer Zeit sozusagen von heute auf morgen zu machen?
    Vaatz: Das halte ich für aussichtslos. Ich habe ja schon gesagt, bei uns in Deutschland, in Europa, Westeuropa bricht ja im Allgemeinen die Welt zusammen, wenn drei Tage lang aus der Dusche nur kaltes Wasser kommt. Und gar nicht zu reden von dem Ausfall der Prozesswärme für die Industrie. Alles das sind Größenordnungen, über die wir uns meines Erachtens nicht hinreichend klar sind. Wir haben in Deutschland zwar auch einen gewissen Puffer, der Puffer könnte ... Also, wir haben insgesamt gespeichertes Gas sozusagen, und dieses gespeicherte Gas könnte 75 Tage etwa den gesamten Gaskonsum sozusagen in Deutschland bestreiten und einen russischen Gasausfall von etwa einem Jahr kompensieren. Aber danach müsste sofort eine Lösung gefunden werden. Und für die übrigen Länder ist das, für Polen und die Ukraine und so weiter wäre das überhaupt keine Lösung.
    Liminski: Welche Folgen hätte denn ein Stopp der Gaslieferungen aus Russland für die Industrie in Deutschland?
    Vaatz: Ja, das große Problem wäre dann sozusagen, dass die Prozesswärme ausfiele, die müsste kompensiert werden. Die Raumheizung und das alles mal weggelassen, es würde über große Strecken bedeuten, dass also vermutlich nach einer bestimmten Zeit die Maschinen abgeschaltet werden müssten, die das betreffen. Und die Möglichkeit, also jetzt die Infrastruktur in kurzer Zeit nachzurüsten, die halte ich für eine rein utopische Überlegung. Aber ich weiß nicht, was Herr Tusk genau vorschlagen wird, das muss man jetzt erst mal sehen, aber im Großen und Ganzen halte ich das für nicht machbar.
    Liminski: Wenn ich Sie vorhin richtig verstanden habe, hätten wir sozusagen ein Jahr Zeit, um uns über Reserven oder über andere Lieferungen Gedanken zu machen oder auch dafür zu sorgen. Gas gibt es in Nordafrika, vor allem in Algerien, in Katar. Sind das denn Alternativen für Deutschland gegenüber Russland?
    Vaatz: Ja, das würde die Dinge auf alle Fälle erheblich verteuern. Man müsste also wesentlich stärker auf LNG umsteigen, das ist also verflüssigtes Erdgas, was mit Schiffen transportiert wird, die entsprechenden Leitungen sind nicht vorhanden, also zum Beispiel eine Leitung, die von Algerien über Sardinien nach Italien gehen soll, die stockt seit etlichen Jahren, dort kommt also nichts. Und ansonsten reichen die Kapazitäten nicht im Entferntesten aus für den Transport von Gas, man müsste tatsächlich über Flüssigkeit gehen. Und das hätte dann also eine enorme Verteuerung zur Folge, und demzufolge, das müsste dann eingepreist werden in alle möglichen Produkte, die energieintensiv hergestellt werden. Und das hätte einen enormen Preissprung zur Folge.
    "Keine vernünftige Alternative zum gegenwärtigen Zustand"
    Liminski: Berührt dann dieses Thema nicht auch das Thema Energiewende? In solch einer Energieunion würde ja auch Atomstrom gespeichert, und wenn keine andere Energie da ist, müsste man ja wahrscheinlich auf Atomstrom wieder zurückgreifen!
    Vaatz: Ja gut, also, über die Speicherung von Atomstrom brauchen wir uns solange nicht zu unterhalten, solange wir nicht mal in der Lage sind, über Nacht das Überangebot von Solarenergie, was am Tag anfällt, zu speichern, geschweige denn die Windenergie. Das Thema Stromspeicherung ist eine Angelegenheit, deren Perspektiven in Deutschland meines Erachtens weit überschätzt werden, jedenfalls die kurzfristigen. Und dann ist das Thema Energiewende aber nur am Rande betroffen, denn wenn wir in Deutschland von Energiewende reden, dann reden wir jedenfalls bei den Dingen, die uns jetzt unmittelbar bedrücken, im Wesentlichen von einer Stromwende. Das heißt, wir sehen im Augenblick explodierende Strompreise oder steigende Strompreise, und wir reden über Strom. Allerdings, der Anteil an russischem Gas, der jetzt verstromt wird, der ist zu ersetzen, das ist kein Problem. Es geht um andere Dinge, es geht ausschließlich eigentlich um die Frage, wie wird das ersetzt, was an Gas zur Wärme, also zur Raumheizung, zur Warmwasseraufbereitung und zur Prozesswärme für die Industrie verwendet wird. Und da gibt es meines Erachtens keine vernünftige Alternative zum gegenwärtigen Zustand.
    Liminski: Wie wird denn Russland reagieren, wenn Europa sich zu einer Energieunion zusammenschließen würde? Schon jetzt schadet die Krise der russischen Wirtschaft.
    Vaatz: Ja gut, auch da, glaube ich, unterliegt Europa ziemlich romantischen Vorstellungen. Die russische Gesellschaft kann wesentlich mehr ertragen, als sich Europa überhaupt vorstellen kann. In Europa wird der Notstand ausbrechen, wenn, wie gesagt, drei Tage oder eine Woche mal nur kaltes Wasser aus der Dusche kommt. Aber Russland kann Belastungen völlig anderer Dimensionen aushalten. Zumal dann, wenn es sich in einem so nationalistischen Rausch befindet wie jetzt eben und die ganzen alten Idole, die Blut in Strömen an den Händen haben wie Stalin und Lenin, wieder ausgräbt und verehrt. Das lässt darauf schließen, dass man also dort ganz offensichtlich zu allem entschlossen ist, insbesondere auch die Bevölkerung, die hinter Putin steht. Und das heißt, dass sie auf Härten nur aggressiv reagieren werden und in keiner Weise sich irgendwie einschüchtern lassen werden, auch dann, wenn es zu massivem Geldverfall und zu ungedeckten Haushalten und so weiter kommt. Das sind alles Dinge, die in Westeuropa eine große Bedeutung haben, Russland hat solche Sachen schon öfters erlebt, immer überstanden, ist immer gestärkt daraus hervorgegangen. Und darauf wird man auch jetzt wieder setzen, das halte ich für überhaupt eine Drohung, die für Russland ohne Bedeutung ist. Putin lacht darüber, der kann wahrscheinlich nachts nicht schlafen vor Lachen über die Naivität der Europäer.
    "Europa hat nicht die Mittel, auf Aggressionen der Russen zu reagieren"
    Liminski: Also, auch Sanktionen würden in diesem Sinne nichts nützen?
    Vaatz: Nein, ich glaube, dass sie seinen Ehrgeiz anstacheln werden und dass sie seine Lust zu demonstrieren, dass er stärker ist als Europa, das wird es stimulieren. Und im Übrigen ist es auch so, dass Europa in der Tat überhaupt nicht die Mittel hat, auf die gegenwärtige Aggression der Russen zu reagieren. Und wir wissen überhaupt nicht, an welcher Stelle Russlands Appetit Halt macht. Und das Einzige, was wir wissen, ist, dass es zwischen Deutschland und Russland eine Reihe von Staaten gibt, die Bevölkerungen haben, die entschlossen sind, nie wieder einer zukünftigen Generation zuzumuten, unter russischer Knute zu leben. Und demzufolge dann auch kämpfen werden. Das wird der wirkliche Härtetest für die russische Expansion sein, aber nicht unsere Sanktionen.
    Liminski: Wären denn die Chinesen die Gewinner der Ukraine-Krise, wenn die Russen sozusagen ihr Erdgas an China liefern könnten?
    Vaatz: Ja, das könnte sein. Das hängt von den Kapazitäten der Leitungen ab, da bin ich also jetzt nicht ganz genau informiert, wie viel man nach China liefern kann. Aber ganz sicher ist es so, dass dann Russland selbstverständlich versuchen wird, den Weltmarktpreis zu unterlaufen und die Chinesen von anderen Märkten auf den russischen Markt rüberzuziehen und sie günstig zu beliefern, und sie könnten dann tatsächlich erhebliche Vorteile daraus ziehen, das ist möglich. Aber es hängt, wie gesagt, ab von den Leitungsquerschnitten und den zulässigen Drücken in den Leitungen, die für China verfügbar sind.
    Liminski: Sagt Arnold Vaatz, CDU, und stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion hier im Deutschlandfunk. Besten Dank für das Gespräch, Herr Vaatz!
    Vaatz: Bitte.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.