Freitag, 29. März 2024

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Entwicklungsminister Gerd Müller
"Nicht mit dem Entwicklungsetat Achterbahn fahren"

Es sei falsch, dass Finanzminister Olaf Scholz den Entwicklungsetat kürze, sagte Entwicklungsminister Gerd Müller im Dlf. Bei der Hilfe in Krisenregionen gehe es nicht nur um Menschenleben, sondern auch um unsere Sicherheit. Scholz verkenne die globalen Herausforderungen, so Müller.

Gerd Müller im Gespräch mit Frank Capellan | 12.05.2019
Gerd Müller (CSU), Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, spricht im Rahmen der UN-Klimakonferenz in Polen
Laut Koalitionsvertrag muss der Entwicklungsetat parallel zum Verteidigungsetat ansteigen. Dem werde Finanzminister Olaf Scholz nicht gerecht, sagte Gerd Müller (CSU) im Dlf. (picture alliance/ dpa/ Sadak Souici)
Capellan: Gerd Müller im Deutschlandfunk-Interview, herzlich willkommen bei uns, schön, dass Sie uns noch einmal besuchen…
Müller: Was heißt noch einmal? Hoffentlich ist es nicht das letzte Mal.
Capellan: Nein, das hoffen wir nicht. Das hängt ein bisschen davon ab, wie es weitergeht mit der Großen Koalition. Auch darauf werden wir sicherlich zu sprechen kommen, ob diese Koalition Ihrer Ansicht nach wirklich bis zum Ende 2021 weitermachen wird. Aber lassen Sie mich beginnen mit einer persönlichen Frage. Sie gehören ja zu den Dienstältesten im Kabinett Merkel. Ich glaube, da war Ursula von der Leyen, Peter Altmaier, die mit Ihnen auch 2013 schon dabei waren. Wie geht es Ihnen persönlich, wie geht es in der Großen Koalition, die ja wahrlich sich nicht mit Ruhm bekleckert hat?
Müller: Ja mir geht es persönlich sehr gut. Die Zusammenarbeit unter den Kollegen, auch wenn es viele vielleicht nicht glauben, ist gut bis freundschaftlich.
Capellan: Wie sind denn die fair gehandelten Schokohasen angekommen, die Sie vor Ostern auf den Kabinettstisch stellen wollen oder haben Sie ihr Versprechen nicht wahr gemacht?
Müller: Doch, aber da fehlt es immer noch an Bewusstsein, sowohl bei den Chefs als auch in der Administration.
Capellan: Das ist aber ein schlechtes Zeichen, also wenn es schon im Kabinett nicht ankommt bei unseren führenden Politikern…
Müller: Ja, wir sind ja da an einem Punkt, dass grundsätzliche Fragen des Lebens und wie leben wir, viele nicht mehr reflektieren. Da sind meine Ministerkollegen nicht anders als der Normalbürger.
Capellan: Sie haben dann wahrscheinlich diese Hasen auch bei Lidl gekauft? Ich spiele jetzt drauf an, dass Sie Werbung gemacht haben für Lidl, weil dort fair gehandelte Produkte jetzt angeboten werden.
Gerd Müller (CSU), Bundesentwicklungsminister, informiert sich in einem Berliner Lidl-Supermarkt zu fairem Einkauf und wird dabei vom Vorsitzenden der Geschäftsleitung von Lidl Deutschland bei einem gemeinsamen Supermarkt-Rundgang begleitet. 
Bundesminister Müller sieht Lidls Unternehmenskurs als vorbildlich (Wolfgang Kumm/dpa)
Müller: Ja, das passt sehr gut, 62 Prozent der deutschen Schokolade, die Basis ist ja Kakao aus Westafrika, ist zwischenzeitlich fair angebaut und zertifiziert. Das ist die letzten zehn Jahre gelungen und das ist großartig, und da kann jeder Bürger, wenn er Schokolade kauft, darauf achten. Das heißt, bei der Tafel Schokolade, im Augenblick nicht fair gehandelt, kommen ganze drei Cent bei den Familien in Westafrika an, und davon können sie nicht leben. Das müssen wir ändern durch faire Lieferketten.
Capellan: Eine große Rolle spielen auch die Bananen. Sie haben gelobt, dass ein Lebensmitteldiscounter wie Lidl jetzt nur noch diese fair gehandelten Bananen verkauft. Dafür haben Sie Kritik einstecken müssen. Das ist ungewöhnlich, dass ein Minister Werbung macht für eine Kette. Aber da können Sie mit leben?
Müller: Selbstverständlich, die, die vorausgehen, das sind immer Pioniere, bei Bananen und anderen Produkten ist es Lidl, hat eine Riesendiskussion im deutschen Handel ausgelöst. Aldi und andere ziehen nach. Um was geht es? Ich war in Mexiko auf einer Bananenplantage in einer Kooperative, harte Arbeit, für das Kilo im Einkauf bekommen die Mexikaner 14 Cent für das Kilo Banane. Und da sage ich klar, wer hier Bananen das Kilo unter einem Euro verkauft, der nimmt in Kauf, dass am Anfang der Kette Kinder arbeiten, sklavenähnliche Bedingungen herrschen und keine existenzsichernden Löhne bezahlt werden. Das muss man und kann man gemeinsam lösen, indem der deutsche Handel sagt, wir zahlen einen existenzsichernden Lohn und das sind dann statt 14 Cent im Einkauf 25 Cent.
Capellan: Noch einmal zurück zu der Schokolade und zum Kabinett. Sie brauchen wahrscheinlich im Moment besonders viel Nervennahrung, besonders viel Schokolade. Wir haben die Haushaltsberatung, wir hatten in dieser Woche die Steuerschätzung. Es ist deutlich weniger Geld da, und das betrifft auch Ihr Ministerium. Ist da das letzte Wort gesprochen?
Deutschland könne "Enormes in Krisenregionen bewegen"
Müller: Nein, wir sind jetzt in den Haushaltsberatungen. Das letzte Wort hat das Parlament, und das Parlament hat mir auch letztes Jahr ganz erheblich geholfen. Es geht um die Hilfe in den Krisenregionen der Welt, Jemen, Syrien, wo nach wie vor sechs bis acht Millionen Menschen auf tägliche Hilfe angewiesen sind. Diese Woche war David Beasley, der Chef des Welternährungsprogrammes, bei mir. Er sagte mir, jeden Tag überleben 92 Millionen Menschen auf dem Planeten nur durch tägliche Essensrationen des Welternährungsprogrammes. Deutschland ist zweitgrößter Helfer, und wir können Enormes in den Krisenregionen bewegen. 50 Cent kostet das tägliche Überleben eines Kindes im Irak, in Syrien, in den Flüchtlingscamps, das sind 200 Euro im Jahr.
Capellan: Und solche Hilfsprogramme sehen Sie in Gefahr, wenn Ihr Etat nicht mehr so steigt wie bisher?
Müller: Ja, wir müssen dann in den Krisenregionen wieder kürzen. Das war einer der Auslöser auch für die Flüchtlingskrise 2015. Wenn die Menschen eben nichts mehr zum Überleben haben, dann müssen sie sich auf die Flucht machen, und dann kommen sie auch zu uns.
"Ich warne davor, diese Hilfen jetzt zu kürzen"
Capellan: Bisher war es ja so, da gab es auch eine Vereinbarung im Kabinett, wenn es zusätzliche Steuereinnahmen gab, dann gingen die prioritär unter anderem auch in Ihr Ministerium, auch in das Verteidigungsministerium, für die Sicherheitspolitik, aber auch in das Entwicklungsministerium. Ist damit jetzt Schluss?
Müller: Wir müssen an die Koalitionsvereinbarung nicht nur erinnern, sondern sie muss eingehalten werden und hier geht es um Menschenleben. Es geht aber auch um Sicherheit. Es ist nicht nur human, sondern es ist auch wirtschaftlich. Wir geben für die eine Million Flüchtlinge hier in Deutschland im Jahr 25 Milliarden aus. Die Ausgaben für einen hier ankommenden Flüchtling sind mehr als das Hundertfache, als wenn wir Hilfe vor Ort in den Krisenregionen leisten. Also es ist ausgesprochen sinnvoll, und ich warne davor, diese Hilfen jetzt zu kürzen.
Capellan: Also Sie bestehen darauf, wenn es Spielraum gibt, wenn es zusätzliches Geld gibt, in diesem Jahr beispielsweise erwarten wir ja noch Steuermehreinnahmen gegenüber dem, was man erhofft hatte, da muss das auch in das Entwicklungsministerium gehen?
Müller: Ja, das ist doch in unserem eigenen Interesse, dass wir mit dem Entwicklungsetat nicht Achterbahn fahren wollen.
Scholz "verkennt die globalen Herausforderungen"
Capellan: Aber das sieht ja wahrscheinlich der Finanzminister Olaf Scholz von der SPD etwas anders. Also setzt er, der Sozialdemokrat Scholz, falsche Prioritäten?
Müller: Ja, eindeutig, er verkennt die globalen Herausforderungen, und es ist meine Aufgabe, klar zu sagen, wer im Entwicklungsetat kürzt, was für 2021 vorgesehen ist, der muss die Verantwortung übernehmen für Leben und Tod in den Krisenregionen um Europa herum, wo Deutschland Großartiges leistet. Er muss auch Verantwortung dafür übernehmen, dass wir unsere internationalen Klimazusagen nicht einhalten können.
Capellan: Da will ich auch gleich darauf zu sprechen kommen, auf die Klimapolitik, aber noch einmal zurück zum großen Ganzen in diesem Haushalt. Da fordern ja beide Seiten viel Geld, die SPD insbesondere für soziale Projekte, Stichwort Grundrente. Da sagen viele, das kostet fünf bis acht Milliarden Euro. Die Union beispielsweise will den Soli komplett abschaffen. Da heißt es, das kostet zwölf Milliarden. Also am Ende stellt sich ja die Frage, wofür wollen wir das Geld wirklich ausgeben, wo soll es herkommen, müssen mir möglicherweise doch die schwarze Null aufgeben und wieder neue Schulden machen. Wie stehen Sie dazu?
Müller: Also klar, man muss Prioritäten setzen, und es geht ja nicht um weniger, sondern der Haushalt, die Finanzen, die Steuereinnahmen wachsen ja weiterhin. Sie wachsen nur nicht in der Dimension, wie wir das bisher gewohnt waren. Wenn wir die Relationen sehen, Verteidigung, hier wird mächtig Lobbyismus betrieben in Richtung zwei Prozent für Verteidigung, auch in Deutschland.
Capellan: Wir sind allerdings weit davon entfernt noch.
Müller: Ja und ich bin auch der Meinung, dass die Bundeswehr gut ausgestattet sein muss, aber für Entwicklungszusammenarbeit, internationale Hilfe, Klimaschutz, was über mein Ministerium finanziert wird, sind wir bereit, 0,5 Prozent einzusetzen.
Capellan: Sie haben es gerade angesprochen, die Verteidigung, Ursula von der Leyen hat einen Nachschlag bekommen gegenüber dem, was zunächst vorgesehen war in der Etatplanung, 400 Millionen Euro. Sie sind da meines Wissens bisher leer ausgegangen. War nicht die Vereinbarung auch im Koalitionsvertrag, dass man sagt, für jeden Euro, den wir in die Verteidigung, in die Sicherheitspolitik stecken, müssen wir auch einen Euro in die Entwicklungszusammenarbeit stecken?
Müller: Die Vereinbarung ist eins zu eins, nicht zuletzt auch durch Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion.
Capellan: Also wird der Koalitionsvertrag gerade gebrochen?
Bundesfinanzminister Scholz hat die Ergebnisse der Steuerschätzung vorgelegt.
Kritik an Bundesfinanzminister Olaf Scholz. (Kay Nietfeld/dpa)
Müller: Der Koalitionsvertrag wird vom Finanzminister Scholz durch die Eckpunkte gebrochen.
Capellan: Scholz argumentiert allerdings so, diese Vereinbarung eins zu eins sei eine einmalige Geschichte gewesen. Für Sie muss das für die ganze Legislaturperiode oder auch für die kommenden Haushalte gelten?
Müller: Die Eins-zu-eins-Vereinbarung war für diese Periode und es gilt für Entwicklungszusammenarbeit das 0,7-Ziel.
Capellan: Also 0,7 Prozent, das ist die sogenannte ODA-Quote…
"Militär hat die beste Lobby der Welt"
Müller: Aber das Militär hat die beste Lobby in der Welt, und deshalb werden weltweit die Rüstungs- und Militärausgaben in diesem Jahr um nahezu 100 Milliarden steigen auf sagenhafte 1.700 Milliarden. Alleine die Amerikaner haben um 50 Milliarden erhöht. Dem steht gegenüber 160 Milliarden für Krisenprävention, Entwicklungszusammenarbeit. Eins zu zehn, das ist ein Skandal. Wenn wir ein Viertel des Militärhaushalts weltweit in Kriegsverhinderung, in Friedensprävention, in Krisenbekämpfung investieren würden, dann könnten wir uns Milliarden, Milliarden im Rüstungsbereich sparen. Diese Rüstungsspirale nach oben ist wahnsinnig.
Capellan: Dann verstehe ich allerdings nicht, warum Sie sich dagegen ausgesprochen haben, Sie haben die Nato-Quote, das sogenannte Zwei-Prozent-Ziel angesprochen, warum Sie sich dagegen ausgesprochen haben, Gelder, die für Entwicklungsprojekte in Afghanistan, beispielsweise, im Irak, ausgegeben werden, die auf diese Nato-Quote anzurechnen. Warum ist das nicht rechtens Ihrer Ansicht nach?
Müller: Weil das Rechentricks sind, in den Entwicklungsetat reinzugehen und Entwicklungsausgaben auf die Rüstungsquote anzurechnen. Das ist absolut inakzeptabel.
Capellan: Aber noch einmal zum Geld, wo es vor allen Dingen fehlt. Sie haben den Marshall-Plan für Afrika auf den Weg gebracht, mit großer Unterstützung der Kanzlerin. Angela Merkel war gerade auf einer Afrika-Reise. Fehlt auch Geld jetzt für diese Projekte, die man sich für Afrika vorgenommen hat? Man will ja deutsche Unternehmen auch da hinbekommen, wirklich in Afrika zu investieren.
Müller: Also, wir werden einen hohen Preis bezahlen, unsere Kinder, wenn wir heute nicht erkennen, dass beispielsweise die afrikanische Bevölkerung sich bis 2050 verdoppelt. Wenn jeder Mensch in Afrika in den nächsten 20 Jahren Zugang zu einer Steckdose bekommt, also elektrischen Strom, dann bedeutet das nach der jetzigen Situation 1.200 zusätzliche Kohlekraftwerke auf dem afrikanischen Kontinent.
Capellan: Und Sie wollen sie dazu bringen, die erneuerbaren Energien zu nutzen?
Müller: Ich bin der Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Wir haben die Lösungen in der Technologie der Erneuerbaren. Afrika ist der Kontinent der Sonne, wir müssen sie nutzen. Also auch hier wird die Klimapolitik in Deutschland viel zu eng gesehen.
Capellan: Stellt sich nur die Frage, wie sollen deutsche Unternehmen in Afrika investieren, wenn wir immer noch das Problem der Korruption haben, wenn wir immer noch mit einer nicht funktionierenden Verwaltung in vielen Staaten zu kämpfen haben. Was bringt da einem deutschen Unternehmen Steuergeld, was es über den Fonds für Entwicklungszusammenarbeit ja geben soll, wenn die Strukturen in den Staaten nicht stimmen?
Müller: Sie sprechen das richtig an, mit öffentlichen Geldern, mit Steuergeldern lösen wir die riesigen Herausforderungen nicht. Wichtige Säule ist neue verbesserte Rahmenbedingungen für Privatinvestitionen. Dazu habe ich einen Entwicklungsinvestitionsfonds auf den Weg gebracht. Die Kanzlerin unterstützt mich hier. Der wurde angekündigt mit einer Milliarde. Der Finanzminister hat mir dafür bisher 100 Millionen zugestanden. Das ist geradezu jämmerlich. Blicke ich nach Afrika, stoße ich an jeder Hausecke auf Chinesen. Die Chinesen sichern sich jede Miene, Kupfer, Coltan, seltene Erden, Lithium, und wir Deutschen verschlafen unsere Zukunft.
Capellan: Das heißt, Sie brauchen ein Machtwort der Kanzlerin gegenüber dem Finanzminister?
"Afrika als Chancenkontinent für die deutsche Wirtschaft"
Müller: Ich brauche die Erkenntnis, dass wir Afrika als Chancenkontinent auch für die deutsche Wirtschaft erkennen und dazu die Rahmenbedingungen verbessern. Eine dritte wichtige Säule ist eben der faire Handel, die Öffnung europäischer Märkte für afrikanische Produkte. Dazu kommt, Afrika muss selber mehr leisten. Wir konzentrieren uns auf Reformpartner, Bedingung ist für die Zusammenarbeit Kampf der Korruption, Einhaltung der Menschenrechte und hier insbesondere Stärkung der Frau.
Capellan: Das Interview der Woche im Deutschlandfunk, heute mit dem Minister für Entwicklung und Zusammenarbeit, Gerd Müller von der CSU. Wir haben über Klimawandel/Klimaschutz gesprochen. Wie groß ist der Druck auf die Politik, da wirklich zu Fortschritten zu kommen?
Müller: Deutschland trägt zwei Prozent zum Welttreibhausgasausstoß bei. Wir müssen in Deutschland minimieren, ehrgeizig vorausgehen, aber die Entscheidung, ob die Gletscher schmelzen, ob unsere Enkel eine Zukunft haben, die fällt in den Schwellenländern und in Afrika.
Capellan: Die fällt auch in den Regenwäldern, sage ich mal. Was kann Deutschland dagegen tun? Müsste man nicht zum Beispiel rigoros Palmöl verbieten, um das Abholzen der Regenwälder zu stoppen?
Müller: So ist es, wir haben ein Handlungsproblem der internationalen Politik. Das eine ist, was ich schon angesprochen habe, die Energiepolitik international, weg von Kohle hin zu Erneuerbarem. Und das Zweite ist, die Absorptionsfähigkeit des Planeten erhalten und stärken. Das wird vielfach in der Diskussion vergessen. Eine Buche, auch hier bei uns in Deutschland oder in Berlin, liefert Sauerstoff für einen Menschen für 14 Jahre. Die Lunge des Planeten sind die tropischen Regenwälder, in Brasilien, im Kongobecken. Deshalb sind wir diese Woche, Deutschland, die Bundesregierung, mein Ministerium, einer internationalen Waldschutzinitiative beigetreten, tropischen Regenwald schützen.
Capellan: Aber wie ganz konkret?
Müller: Durch Vereinbarungen, zum Beispiel mit der brasilianischen Regierung, mit den Bauern, ihnen Anbaualternativen bieten, aber wir müssen auch ganz klar machen, dass wir, wenn ich in Richtung Indonesien blicke, den Regenwald dort, Zertifizierung von Palmöleinfuhr und Zertifizierung von Sojaeinfuhr nach Europa, kein Palmöl und kein Kilo Soja nach Europa, das auf der Basis von brennenden Regenwäldern in Argentinien und Brasilien gewonnen wird.
Capellan: Aber sicherlich müssen auch wir hier einiges tun, ich spreche den Verkehrssektor an, es wird verhandelt über ein Klimaschutzgesetz. Warum gibt es keine CO2-Steuer? Warum wendet sich die Union dagegen? Warum führen wir nicht eine Kerosinsteuer endlich ein, um das Fliegen teurer zu machen? Warum ist die Mehrwertsteuer auf die Bahn nicht längst halbiert worden? Das sind doch entscheidende Fragen, über die wir seit Jahren, seit Jahrzehnten teilweise reden.
Müller: Ja, das ist die nationale Diskussion, das Klimaschutzgesetz wird dieses Jahr diese Entscheidungen einfordern. Aber ich sage noch einmal, damit retten wir den Planeten nicht, denn Deutschland stößt zwei Prozent aus.
Capellan: Ja gut, aber wenn wir eigene Vorgaben, eigene Ziele immer wieder reißen und Grenzwerte nach unten verändern, wird es wahrscheinlich schwierig werden, Schwellen- und Entwicklungsländer zu überzeugen, ihrerseits etwas für den Umwelt- und Klimaschutz zu tun, oder?
Klimaschutz: "Deutschland muss vorausgehen"
Müller: Ganz klar, Deutschland muss vorausgehen. Wir haben die Klimaschutzziele, die wir uns selber gegeben haben, im Paris-Vertrag bisher nicht erreicht. Wir müssen weit darüber hinausgehen, was gesetzliche Vorgaben sind. Und es stimmt mich sehr optimistisch, vor sechs Monaten habe ich die Allianz Klima und Entwicklung auf den Weg gebracht. Neben allen gesetzlichen Vorgaben haben sich 300 deutsche Unternehmen, auch große Unternehmen, wie SAP, die Munich Re, ich mache immer für die Werbung, die vorausgehen, die sagen, wir reduzieren unseren Klimatreibhausgasausstoß in unseren Firmen bis auf das absolut Notwendigste. Auf null geht es nicht und das Restbudget, was wir nicht minimieren können, kompensieren wir durch Zahlungen in Entwicklungsprojekte zum Schutz des Regenwaldes, zum Aufbau, zur Aufforstung, und das finde ich großartig.
Capellan: Aber ganz konkret noch einmal gefragt nach den Möglichkeiten, nach den Steuerungsmöglichkeiten, die wir auch national hier haben, sind Sie, wie die meisten CSU-Politiker auch gegen die CO2-Steuer, sind Sie gegen die Kerosinsteuer auf Flugbenzin?
Müller: Das müssen jetzt die Kolleginnen und Kollegen vorlegen. International bin ich schon viel weiter. Ich glaube nicht, dass die Elektromobilität zum Beispiel, über die wir jetzt uns die Köpfe heißreden, die Zukunft im Verkehr ist. Die Zukunft sind klimaneutrale Kraftstoffe, Methanol beispielsweise, synthetische Kraftstoffe.
Capellan: … die aber in der Produktion unheimlich energieaufwendig sind ...
Müller: Die in der Produktion sehr energieteuer sind und deshalb in Afrika produziert werden können, beispielsweise in Marokko, wo die Sonne 365 Tage scheint und Energie zum Nulltarif vorhanden ist. Und wir können dort aus Sonne und Wasserstoff klimaneutrales Methanol produzieren. Warum machen wir es nicht? Weil die letzten zehn Jahre die Öl-Lobby so etwas überhaupt nicht wollte. Auch die Automobillobby setzt viel zu einseitig nur jetzt auf Elektromobilität. Wir müssen offenbleiben. Elektromobilität gibt es nicht CO2-frei. Wo kommt denn der Strom her und wo kommt das Lithium her. Also wir müssen die Gesamtbilanz sehen.
Capellan: Lassen Sie mich noch ein anderes konkretes Umweltproblem ansprechen, den Plastikmüll, der ja auch immer mehr in das Bewusstsein der Bevölkerung gerät. Diese Unmengen von Kunststoffen, die wir produzieren und wo viele Menschen, auch ich persönlich, bis vor ein, zwei Jahren immer gedacht haben, das ist alles nicht schlimm, das wird recycelt. Die Deutschen, die Weltmeister im Recyceln, duales System, und nun fühlen sich doch viele von der Politik verschaukelt, weil sie erkennen mussten, dass dieser Müll nach China exportiert wurde. Die Chinesen wollen den jetzt nicht mehr haben, aber jetzt wissen wir, dass beispielsweise deutscher Plastikmüll in Malaysia landet. Was kann die Politik, was muss die Politik schnell dagegen tun?
"Klare Regeln zum Schutz von Mensch, Natur und Tier"
Müller: Das ist ein Riesenskandal. Wir können nicht aus China raus und nach Malaysia rein. Wenn ich an den Küsten Ghanas und in anderen Entwicklungsländern bin, dann schwemmt es dort unser Plastik an. Wenn wir die nächsten zehn Jahre diese Entwicklung nicht stoppen, haben wir mehr Plastik in den Meeren der Welt, als wir Fisch haben. In der Zahnpasta heute sind Mikroplastikpartikel. Vor Jahren noch waren das kleine Sand oder Kiesel. Diese Mikroplastikteile in der Zahncreme sind durch Kläranlagen nicht herauszufiltern und bilden riesige Klumpen in den Ozeanen, die sich dann im Magen der Fische wiederfinden. Das ist doch ein Irrsinn, in welche Richtung wir die Entwicklung treiben. Wir müssen nicht nur die Recycling-Quote erhöhen, wir brauchen auch andere Lösungen beim Verpackungsmüll. Deutschland ist Verpackungsweltmeister. Es gibt Alternativen. Appelle der Politik sind das eine, Freiwilligkeit in einem Markt, der grenzenlos global heute wirkt, führt nicht mehr zum Ziel. Der weltweite globale Markt braucht klare Regeln zum Schutz von Mensch, Natur und Tier.
Capellan: Aber die können Sie ja auch schaffen diese Regeln. Also da fällt mir jetzt das Textilbündnis ein, da haben sich nur 50 Prozent der Unternehmen diesem Bündnis angeschlossen.
Müller: Ja, das ist ein klassisches Beispiel. 50 Prozent verweigern sich und deshalb wird am Ende, wenn die Wirtschaft sich nicht auf Freiwilligkeit einlässt und bewegt, ein Gesetz stehen müssen.
Capellan: Herr Müller, uns läuft die Zeit davon, wir müssen aber noch auf die Europawahl zu sprechen kommen. Sie haben selbst zu Beginn Ihrer politischen Karriere im Europaparlament gesessen. Wie groß ist Ihre Sorge, dass, salopp gesagt, Europa vor die Hunde geht, dass wir einen Rechtsruck in Europa erleben? Wir diskutieren über den Brexit, darüber, dass sich immer mehr Europaskeptiker breit machen. Wie wichtig ist diese Europawahl?
Müller: Zentral wichtig, aber wir müssen auch neue Antworten geben. All die Themen, die wir jetzt diskutiert haben, Bekämpfung des Plastikmülls, internationale Umweltthemen, Terrorismusabwehr, verstärkte Zusammenarbeit zur Wahrung der Sicherheit bedarf europäischer Antworten, aber Brüssel soll sich bitte heraushalten aus den täglichen Fragen des Lebens. Hier habe ich die Erwartung, dass die neue Kommission einen neuen Ansatz findet.
Capellan: Aber was die Sicherheits- und Verteidigungspolitik angeht, da gibt es gerade Stress in Europa, auch zwischen Deutschland und Frankreich, weil wir beispielsweise auch in Ihrem Sinne, so wie ich das vernommen habe, einen Rüstungsexportstopp verlängert haben gegenüber Saudi-Arabien beispielsweise. Und die Briten und die Franzosen würden gerne dorthin Waffen weiter exportieren. Trotzdem, Sie sagen, es ist richtig, dass Deutschland diesen Weg geht und wir sollten daran festhalten?
Müller: Ja, das sind Detailfragen, die sicherlich schwierig sind, aber ich sage noch einmal grundsätzlich, bei der Verteidigung würde ich einen qualitativen Sprung machen jetzt hin zu einer europäischen Verteidigungsunion. Das war schon das Ziel von De Gaulle. Es ist dringend notwendig, wir werden effektiver und wesentlich günstiger sein.
Capellan: Aber kurz noch einmal gefragt, Saudi-Arabien darf derzeit keine Waffen aus Deutschland bekommen?
Müller: Mit Saudi-Arabien können wir auf Augenhöhe auch nur dann verhandeln, wenn es eine europäisch abgestimmte gemeinsame Lösung ist.
Capellan: Die ist aber noch in weiter Ferne, denke ich mal. Lassen Sie uns noch auf das Problem des ungarischen Ministerpräsidenten Orbán und seiner Fidesz-Partei zu sprechen kommen. Manfred Weber, Ihr CSU-Kollege, ist Spitzenkandidat bei dieser Europawahl, distanziert sich nun zunehmenden von ihnen. Ist das richtig, die Fidesz-Partei aus der EVP, aus der konservativen Parteienfamilie auszuschließen? Geht da kein Weg mehr dran vorbei?
Müller: Ich habe da einen Ansatz, Völker und Menschen zusammenzuführen, und ich werde nicht vergessen, was die Ungarn für uns in Europa, in Deutschland für die Wiedervereinigung getan haben. Die großen Differenzen sind doch in der Flüchtlingspolitik entstanden. Wir können nicht einfach von Brüssel verordnen, ihr in Ungarn, Ihr in Polen, ihr müsst das anders sehen, ihr müsst es so sehen, wie wir das in Brüssel wollen.
Capellan: Also Sie würden Orbán noch eine Chance geben?
Müller: Ich weiß, dass die Ungarn zum Beispiel bereit sind, genauso wie die Tschechen, und ich werde diesen Weg umsetzen, in der Flüchtlingspolitik mit mir Entwicklungsprojekte in Afrika umzusetzen. Die Ungarn sagen mir, der Außenminister, wir sind nicht bereit, zusätzliche Flüchtlinge aufzunehmen, aber wir sind bereit, mit Ihnen in Afrika, den Herkunftsländern, zu investieren. Und das finde ich wichtig. Da nehmen wir die Ungarn hier beim Wort, aber ich bin dagegen, die Länder auszugrenzen. Ich möchte sie nicht isolieren.
Capellan: Kommen wir, um unser Gespräch abzurunden, zum Einstieg. Wie lange werden Sie noch Minister sein? Wie lange wird diese Große Koalition halten? Viele Skeptiker sagen, wenn die Landtagswahlen in diesem Jahr schieflaufen im Sinne der Union, im Sinne der Sozialdemokratie, wenn es da einen weiteren Absturz gibt, dann wird diese Koalition zerbrechen. Fürchten Sie das auch?
Müller: Also, wir werden natürlich kritisch begleitet. Die SPD hat so etwas wie eine Halbzeitbilanz. Aus der Sicht der SPD fällt die sehr gut aus. Die Unionsminister sind eher verstärkt in der Bringschuld. Die Leistungsbilanz ist gut, aber die Vermittlung der Erfolge ist nicht zufriedenstellend. Aber blickt man in die Niederlande, die totale Zersplitterung, blicken wir nach Italien, nach Großbritannien, das Chaos, dort auch im Parteien- und im Regierungsbereich, dann haben wir in Deutschland Stabilität. Und die SPD hat zu dieser Stabilität beigetragen. Auch das sollte in der öffentlichen Wahrnehmung berücksichtigt werden, und mein Appell ist, keine Stimme den Radikalen. Ich würde der SPD fünf bis zehn Prozent mehr gönnen, wenn es die Radikalen links und rechts dann nicht gäbe.
Capellan: Überraschende Aussage, Gerd Müller, danke für das Gespräch hier im Deutschlandfunk.
Müller: Vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.