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Erfolg für UKIP in England
Die Mainstream-Parteien können das nicht ignorieren

Der zweite deutliche Erfolg für die europakritische Partei UKIP sei eine Warnung an die etablierten Parteien in Großbritannien, sagte Hans Kundnani vom Institut European Council on Foreign Relations im DLF. Tories und Labour müssten sich mit den realen Sorgen der Menschen zur Einwanderung oder der EU auseinandersetzen.

Hans Kundnani im Gespräch mit Christine Heuer | 21.11.2014
    Porträt von Mark Reckless
    Der UKIP-Kandidat Mark Reckless ist der zweite Abgeordnete der Partei im britischen Parlament. (picture alliance / dpa / Facundo Arrizabalaga)
    Christine Heuer: Reckless - übersetzt ins Deutsche heißt das rücksichtslos, und genau so, als ziemlich rücksichtslos, dürften die Tories in Großbritannien das Verhalten ihres zu UKIP übergelaufenen früheren Parteifreundes gleichen Namens empfinden. Mark Reckless hat mit seinem Seitenwechsel nämlich eine Nachwahl nötig gemacht und diese nunmehr eben für UKIP sehr deutlich gewonnen, und er ist nicht der erste, sondern bereits der zweite Ex-Tory, der seiner Partei auf diese Weise schadet. Weitere könnten folgen. Die Konservativen und ihr Chef David Cameron sind erschüttert.
    Ich möchte über das Thema jetzt mit Hans Kundnani sprechen. Er ist Forschungsdirektor am European Council on Foreign Relations. Das ist die erste paneuropäische Denkfabrik mit Büros in sieben europäischen Großstädten, unter anderem in London und in Berlin. Der Forschungsschwerpunkt ist die europäische Außenpolitik. Aber Großbritannien und die Europäische Union, das ist für den ECFR natürlich auch ein interessantes Thema. Guten Abend, Herr Kundnani.
    Hans Kundnani: Guten Abend.
    Heuer: David Cameron hatte gesagt, er wolle sein letztes Hemd geben, um den Tories den Wahlkreis Rochester and Strood zu erhalten. Das hat nicht geklappt. Steht der britische Premier jetzt nackt da?
    Kundnani: Ja, das ist ein schwerer Schlag für Cameron. Im Gegensatz zu der Nachwahl letzten Monat, die er auch verloren hat, hat er diesmal wirklich alles versucht, um den Sitz zu retten, und auch das hat nicht geklappt und es gibt jetzt die Gefahr, dass noch andere konservative Abgeordnete zur UKIP auch wechseln vor der Wahl im Mai.
    Heuer: Ist das denn wirklich so, dass die mit UKIP eine bessere Aussicht darauf haben, ihren Parlamentssitz zu behalten, als wenn sie bei den Tories blieben?
    Kundnani: Ja, es sieht so aus, nicht überall, aber in manchen Teilen Großbritanniens. Die zwei Sitze, die die Konservativen gerade verloren haben, sind beide im Süden Englands in Wahlkreisen, wo es bestimmte Sorgen gibt, vor allem über Einwanderung, und das hat UKIP ziemlich gut ausgenutzt.
    Heuer: Wenn jetzt noch mehr Tories überlaufen zu UKIP, steht dann die konservative Partei in Großbritannien vor der Spaltung?
    Kundnani: Ja, das ist eine Gefahr. Die Partei wird sich wahrscheinlich nicht jetzt gleich vorm Mai spalten, aber es gibt schon eine Gefahr ironischerweise, dass es eigentlich ziemlich gut sein könnte für die Labour-Partei, wenn die konservative Wählerschaft ein bisschen gespalten ist. Das heißt, ich glaube nicht, dass die Partei selber sich spaltet. Es kann sein, dass im Mai viele konservative Wähler auch UKIP wählen werden.
    Heuer: Oder Labour bei den Parlamentswahlen. Nach Labour wollte ich Sie auch fragen. Es ist ja offenbar so, dass der typische UKIP-Wähler der weißen Arbeiterklasse angehört.
    Kundnani: Ja, genau.
    Heuer: Das ist immer so ein bisschen schablonenartig, aber setzen wir das mal voraus. Labour holt aber auch nicht die Wähler ab?
    Kundnani: Ja, genau, und das behauptet auch UKIP, dass sie genauso Chancen haben, Stimmen von Labour zu gewinnen, als auch von den Konservativen, und diese Argumente von UKIP werden gestärkt durch die Tendenz von manchen Labour-Politikern und Politikerinnen, ein bisschen herablassend umzugehen mit gerade diesen Wählern. Es gab ein paar Tage vor dieser Nachwahl einen Tweet von einer Labour-Abgeordneten, die wie gesagt so ein bisschen herablassend war, was die Wähler in diesem Wahlkreis angeht, und das stärkt halt diese Kritik von UKIP, dass sie eigentlich die einzige Partei ist, die die normalen Menschen vertritt, im Gegensatz zu der Labour-Partei.
    Heuer: Heißt das, die etablierten Parteien in Großbritannien machen alles falsch im Umgang mit UKIP?
    Kundnani: Ja. Ich meine, es sieht gerade ein bisschen so aus. Aber ich bin mir nicht sicher, ob es eine Alternative gibt. Es gibt reale Sorgen innerhalb der Bevölkerung und das ist nicht so, als ob die Mainstream-Parteien, also die Konservativen und Labour, das einfach ignorieren können. Sie müssen sich damit auseinandersetzen.
    Heuer: Welche realen Sorgen sind das, Herr Kundnani? Was ist in Großbritannien schlimmer als in anderen Staaten Europas?
    Kundnani: Ich sage nicht, dass es schlimmer ist als in anderen Staaten, aber Großbritannien ist schon in einer etwas anderen Situation als Deutschland zum Beispiel. Es gibt einen vernünftigen Kern, glaube ich, des britischen Euro-Skeptizismus, und das ist diese reale Gefahr, dass gerade weil Großbritannien nicht der gemeinsamen Währung beigetreten ist oder beitreten wird und zur gleichen Zeit die Euro-Zone weiter macht mit tieferer Integration, zum Beispiel Bankenunion und so weiter. Es gibt eine reale Gefahr, meiner Auffassung, dass immer mehr Entscheidungen getroffen werden auf der Ebene der Euro-Zone, und das ist dann ein Dilemma für die Länder wie Großbritannien, aber nicht nur Großbritannien, auch Schweden zum Beispiel, auch Polen, die nicht in der gemeinsamen Währung Mitglieder sind. Da sagen die Euro-Skeptiker zum Beispiel, wir verlassen die EU nicht, sondern die EU verlässt uns.
    Heuer: Aber es hätte den Briten ja freigestanden, dem Euro beizutreten.
    Kundnani: Ja, klar. Politisch war das aber spätestens seit Anfang der Euro-Krise gar nicht mehr möglich. Aber auch vorher war das für Großbritannien aus verschiedenen Gründen schwieriger als für andere europäische Länder.
    Heuer: Herr Kundnani, was machen wir aber jetzt mit dieser Situation? Soll Großbritannien aus der EU austreten? Sind die meisten Briten tatsächlich dafür, diesen Schritt zu tun?
    Kundnani: Nein. Soweit würde ich nicht gehen. Es ist sehr schwierig vorauszusehen, wie das sich jetzt weiterentwickelt. Cameron hat ein Referendum versprochen, wenn er wiedergewählt wird. Das muss dann bis 2017 passieren. Und das ist sehr schwer, jetzt zu sagen, erstens ob es ein Referendum geben wird. Es kann sein, dass Cameron nicht die Wahl gewinnt. Aber auch wenn ein Referendum stattfindet, ist es sehr schwer zu sagen, wie das laufen würde. Die britische Bevölkerung ist gespalten und ich habe den Eindruck, die Diskussion darüber, wie das sein würde, wenn Großbritannien aus der EU austritt, fängt erst jetzt an. Wenn ich wetten würde, würde ich sagen, wenn ein Referendum stattfindet, dass die britische Bevölkerung dafür stimmen wird, in der EU zu bleiben, aber das ist wirklich schwer vorauszusagen, glaube ich.
    Heuer: Was kann denn die Europäische Union tun, um es den Briten etwas leichter zu machen, Ja zu Europa zu sagen?
    Kundnani: Da kommen wir zurück auf das, was ich einen vernünftigen Kern des britischen Euro-Skeptizismus genannt habe. Ich glaube, es ist schon berechtigt, für Großbritannien zu sagen, weil es so aussieht, dass es eine Gefahr gibt, dass Entscheidungen auf der Ebene der Euro-Zone getroffen werden, dass man bestimmte Garantien für Nicht-Euro-Staaten einführen sollte. Das würde helfen.
    Heuer: Machen Sie mal ein Beispiel. Was meinen Sie mit Garantien?
    Kundnani: Zum Beispiel man könnte eine Art doppelte Mehrheit geben, das heißt, eine Mehrheit von Euro-Zonen-Staaten, aber auch von Ländern, die nicht Euro-Staaten sind, wo man so eine doppelte Mehrheit braucht, um bestimmte Entscheidungen zu treffen. Das gibt es zum Beispiel jetzt im Bankenbereich und das könnte man weiter ausbauen. Das würde dann im Grunde genommen sichern, dass Nicht-Euro-Staaten nicht diskriminiert werden.
    Heuer: Herr Kundnani, jetzt frage ich das aber zum Schluss noch mal aus der anderen Perspektive. Die Briten, die verzögern gerne das Zusammenwachsen Europas und warum sollen eigentlich überzeugte Europäer die Briten unbedingt halten wollen. Wie gut ist Großbritannien für Europa?
    Kundnani: Ich meine, das ist natürlich eine Entscheidung, die jedes andere Land in Europa für sich entscheiden muss. Ich könnte das verstehen, wenn zum Beispiel jemand in Deutschland oder auch in Frankreich, noch wahrscheinlicher in Frankreich, würde ich sagen, sagt, dass die EU besser ist ohne Großbritannien. Das ist völlig berechtigt, finde ich, wenn ein Franzose oder ein Deutscher so was sagt. Bloß das sagen sehr wenige Deutsche. Es gibt manche Franzosen, die das sagen, aber es gibt sehr wenige Leute in Deutschland, die es sagen. Im Gegenteil: Die meisten Deutschen sagen, wir wollen, dass Großbritannien in der EU bleibt. Dann ist die Frage aber: Wenn man wirklich will, dass Großbritannien in der EU bleibt, dann muss es eine gewisse Verhandlung geben und vielleicht muss man da einen Kompromiss finden, wo man die Interessen von einem Land wie Deutschland und von der Euro-Zone im Allgemeinen mit den Interessen von Großbritannien vereinbaren kann.
    Heuer: Hans Kundnani, Forschungsdirektor am European Council on Foreign Relations. Wir haben ihn in Berlin erreicht, aber eigentlich arbeitet er im Londoner Büro. Herr Kundnani, vielen Dank für das Interview.
    Kundnani: Danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.