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Eröffnung der Elbphilharmonie
Einmalige Akustik nur noch bis heute Abend ein Geheimnis

Nach fast zehnjähriger Bauzeit wird die Hamburger Elbphilharmonie heute Abend offiziell eröffnet. Besucher sind von der Architektur beeindruckt, Künstler vom Klang im Großen Saal. Wegen der Kostenexplosion gab es viel Kritik, doch inzwischen überwiegt die Freude.

Von Axel Schröder | 11.01.2017
    Die Elbphilharmonie am 28. November 2016 im Hafen in Hamburg.
    Die Elbphilharmonie am 28. November 2016 im Hafen in Hamburg. (imago/Manngold)
    Der Weg ins Herz der Elbphilharmonie führt durch die "Tube". Die Rolltreppe im Inneren dieser weißgetünchten Röhre mit ihren eingelassenen Glaspailletten trägt die Besucher auf die erste Ebene des alten Kaispeichers. Und schon bei dieser Rolltreppenfahrt geraten viele in Schwärmen:
    "Die Architektur ist großartig! Es ist schon außergewöhnlich mit diesem ganzen paillettenartigen Design hier in dieser Tube und auch oben die wellenartigen Glasfenster. Und ich mag das hier sehr gerne!"
    Das Besondere an der Tube: Die Rolltreppe verläuft in einem sanften Bogen. Vom unteren Eingang aus ist ihr Endpunkt nicht zu sehen. Die Tube steht damit sinnbildlich für das gesamte Projekt: An dessen Beginn war den Beteiligten weder klar, wann das erste Konzert wird stattfinden können noch wie teuer der Prestigebau am Ende sein würde. Die ersten Schätzungen gingen von Baukosten zwischen 77 bis 146 Millionen Euro aus und einer Eröffnung im Jahr 2009. Heute, acht Jahre später als geplant, wird das Konzerthaus eröffnet. Gekostet hat es 789 Millionen Euro.
    Am Ende der Tube öffnet sich der Rotklinkerbau. Durch die breite Panoramascheibe fällt der Blick flussabwärts über die Elbe, auf den Dreimaster Rickmer Rickmers, die Cap San Diego, die Landungsbrücken. Über eine zweite Rolltreppe, dann über rote, flache Backsteinstufen erreichen die Besucher die Plaza, das eigentliche Entrée ins Konzerthaus in 37 Meter Höhe. Kostenlos, auch ohne Konzertticket.
    Die Kosten nehmen die meisten Besucher mittlerweile schulterzuckend hin
    Den Besuchern der Plaza verschlägt es den Atem, einige wenige sehen die Elbphilharmonie nach wie vor kritisch:
    "Wahnsinn! Die haben das tatsächlich gebaut! Das ist das Fazit!"
    "Wir sagen immer: Von uns aus hätte es das nicht geben müssen. Und vor allem finden wir das nicht schön, dass es so als Hamburgs neues Wahrzeichen bezeichnet wird. Unser Wahrzeichen ist und bleibt der Michel!"
    "Dass das hier so teuer geworden ist - ok. Aber es ist eine exponierte Lage. Man muss das Ganze sehen, und ich denke, es ist ein Gewinn für Hamburg!"
    Die Kosten für die Elbphilharmonie nehmen die meisten Besucher mittlerweile schulterzuckend hin. Aus ganz unterschiedlichen Gründen: Die einen überzeugt die Architektur, die solide, präzise Handarbeit, die an so vielen Orten in der Elbphilharmonie sofort ins Auge fällt. Zum anderen hat die Neuordnung des Projekts vor vier Jahren, die Neuverhandlung der Verträge zwischen Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz und dem Baukonzern Hochtief die Kosten und den Zeitplan bis zur Eröffnung stabil gehalten. Vier Jahre lang konnten sich die Hamburger an den unglaublichen Preis des Gebäudes gewöhnen. Auch der Plan des Senats, das Haus für möglichst viele Bevölkerungsgruppen zu öffnen, scheint aufzugehen. In den ersten vier Wochen haben 250.000 Menschen die Plaza besucht. Und tatsächlich sind auch die Konzerttickets erschwinglich, erklärt der Sprecher der Hamburger Kulturbehörde Enno Isermann bei einem Rundgang durchs Haus:
    "Wir haben ja sehr bewusst kein privatwirtschaftlich organisiertes Konzerthaus hingesetzt – was man auch hätte machen können. Wo man dann Ticketpreise ab 100 Euro hat. Wir wollten, dass das ein Haus für alle hier wird. Darum kommt man hier auch für zwölf Euro in ein Konzert rein. Und natürlich muss man das dann auch bezuschussen. Nicht nur die Konzertpreise werden bezuschusst, sondern wir haben auch ein sehr umfängliches Musikvermittlungsprogramm hier. In acht Räumen, wo tagsüber Schulklassen sein werden und den ersten Kontakt zur klassischen Musik kriegen."
    Sechs Millionen Euro wird die Stadt dafür pro Jahr ausgeben, erklärt Enno Isermann. Im 12. Stock sind die Proberäume der Musiker untergebracht, auf einer Ebene mit dem Großen Saal. Dessen Klang soll bis heute Abend ein Geheimnis bleiben. Aber diejenigen, die ihn schon kennen, wie Sebastian Gaede, sind begeistert. Er ist Cellist im Elbphilharmonie-Orchester, dem einstigen NDR-Sinfonieorchester:
    "Der Klang hier ist einmalig! Ich habe in vielen großen Sälen schon gespielt, in der Suntory Hall, in Los Angeles oder im Concertgebouw. Die großen Säle, die auch von Toyota zum Teil gemacht worden sind. Und das ist noch mal einer drauf einfach! Das ist unglaublich. Erstens, auf der Bühne zu spielen, ist ein anderes Gefühl. Aber noch viel mehr als Zuschauer. In jedem Platz, wo man sitzt, ist das Orchester so transparent und gleich zu hören, ist unglaublich."
    Musiker beim Blick aus dem Fenster: "Guck Dir das an! Das ist doch unbeschreiblich!"
    Seine Kollegin, die Cellistin Katharina Kühl, sieht es genauso. Sie nickt rüber zur Fensterfront. Die Glasscheibe spannt sich vom Boden bis zur Decke, von einer Seite des Raums zur anderen: Tief unten steuert ein Frachtschiff elbabwärts, weiter hinten stapeln sich Container auf den Hafenterminals, rauchen die Schlote der Industriebetriebe:
    "Wenn alle Musiker hier morgens ankommen und glücklich sind - und das erlebe ich sehr viel - dann setzt man sich hier nochmal hin, trinkt einen Kaffee vor der Probe und die Kollegen sagen: "Guck Dir das an! Das ist doch unbeschreiblich!" Wenn man hier morgens mit so viel positiven Eindrücken in die Probe geht, hat das natürlich Einfluss!"
    Im Herzstück der Elbphilharmonie, im Großen Saal, stimmt das Orchester die Instrumente. Ringsum sind wie auf Terrassen die Sitzreihen für 2.100 Besucher angeordnet. Ein organisch geformter Raum, gerade Linien sind die Ausnahme. Selbst die Wände, die sogenannte "weiße Haut", entwickelt von der Akustik-Koryphäe Yasuhisa Toyota, wirken trotz ihrer computerberechneten Formenvielfalt wie ein einziger perfekter Organismus. Thomas Hengelbrock, der Chefdirigent des Elbphilharmonie-Orchesters, erzählt in einer Pause zwischen den Proben vom allerersten Testkonzert, von der Anspannung, die damals herrschte, vor allem bei Chefakustiker Yasusiha Toyota:
    "Es gab Kollegen, die hatten schon nach dem ersten Satz Tränen in den Augen, vor Glück. Wir konnten das nicht fassen. Ich habe mich nur umgedreht und habe gerufen in den Saal: "Bravo, Herr Toyota!" Er saß hinter uns und ich glaube, er war am allernervösesten, am alleraufgeregtesten. Wir sind vorher so durch den Saal, und er war wirklich sehr, sehr, sehr, sehr gespannt, sehr nervös. Sie dürfen nicht vergessen: Die Elbphilharmonie ist das mit Abstand teuerste Gebäude, was je für die Musik gebaut worden ist. Die Kosten sind ja völlig aus dem Ruder gelaufen. Und es ist nicht zuletzt den hohen Ansprüchen geschuldet, die hier die Architekten und auch Herr Toyota angemeldet haben. Da lastete schon ein ganz schön großer Druck auf den Verantwortlichen. Also er war ganz glücklich. Er rannte die ersten Tage nur rum und rief: "I’m so happy!"