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"Es fehlte jahrelang an Reformen"

Die Finanzkrise ist Gesprächsthema Nummer 1 in Spanien, sagt Spanienkenner Siegfried Buschschlüter. Vor allem junge Leute ohne Ausbildung seien bislang Opfer der Rezession. Die angekündigten Sparmaßnahmen würden den Kreis der Betroffenen jedoch erheblich erweitern.

Siegfried Buschschlüter im Gespräch mit Jochen Spengler | 26.05.2010
    Jochen Spengler: Eine Sparkasse wird von der Zentralbank mit Staatsgeld vor dem Bankrott gerettet. Weitere Geldinstitute wollen fusionieren. Der Internationale Währungsfonds mahnt schnelle und radikale Reformen auf dem Arbeitsmarkt an, die Gehälter der Minister werden um 15 Prozent gekürzt, die der Parlamentsabgeordneten um mindestens zehn Prozent und auch die Bürgermeister erhalten bis zu 15 Prozent geringere Bezüge. Die Rede ist vom hoch verschuldeten Spanien, dem nach Griechenland möglicherweise nächsten Opfer der Finanzmärkte und Spekulanten. Am Telefon begrüße ich Siegfried Buschschlüter, den viele von Ihnen noch als langjährigen Deutschlandfunk-Korrespondenten in den USA in Erinnerung haben dürften und der seit drei Jahren im wohl verdienten Ruhestand in Spanien lebt – freiwillig. Herr Buschschlüter, haben Sie das schon bedauert?

    Siegfried Buschschlüter: Nein, Herr Spengler. Ich bin ja nicht aus wirtschaftlichen Gründen nach Spanien gekommen, nicht als Unternehmer oder Arbeitnehmer, sondern, wie Sie schon angedeutet haben, als Ruheständler. Natürlich hat sich, seitdem ich kam, im August 2007, einiges geändert hier. Es war damals ein weitgehend unbeschwertes Land im wirtschaftlichen Aufschwung, es gab eine optimistische Grundhaltung. Aber ich bin gekommen, weil ich mich in den 80er-Jahren, als ich schon einmal hier Korrespondent war, sehr wohl gefühlt habe, weil mir die Menschen damals sehr gefallen haben, und das gilt auch heute noch. Die Kultur, die Sprache, das Klima, daran hat sich wenig geändert und deswegen bin ich hier.

    Spengler: Wie zeigt sich denn nun die Finanzkrise, die Bankenkrise im Alltag der spanischen Bürger? Ist sie spürbar?

    Buschschlüter: Sie ist spürbar, sie ist nicht zu übersehen, sie ist auch nicht zu überhören. Das heißt, sie ist Gesprächsthema Nummer 1, darüber sprechen die Menschen auf den Straßen, am Arbeitsplatz, wenn sie Arbeit haben. Sie ist auch Gesprächsthema Nummer 1 für die Medien, denn fast alle sind betroffen, mehr oder weniger, und für die Medien ist es ein faszinierendes Thema, weil man das an menschlichen Schicksalen festmachen kann. Die angekündigten Sparmaßnahmen werden noch viel mehr Menschen betreffen als bisher, vor allem Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst, aber auch Rentner und natürlich auch die Arbeitslosen, denn mit diesen Sparmaßnahmen wird sich das Ende der Rezession nach hinten verzögern. Das heißt, die Hoffnung vieler Arbeitsloser, irgendwann einen Job zu bekommen, die müssen sie zunächst verschieben bis auf 2012 wahrscheinlich und vielleicht sogar noch später.

    Spengler: Es heißt hier immer, der Arbeitsmarkt in Spanien sei völlig marode. Was ist damit gemeint?

    Buschschlüter: Es gibt eine hohe strukturelle Arbeitslosigkeit. Die liegt bei etwa zehn Prozent. Im Vergleich zur EU im Schnitt: Da liegt sie bei sieben Prozent, in den USA nur bei 4,5 Prozent. Strukturelle Arbeitslosigkeit, Herr Spengler, damit ist gemeint: Menschen, die schwer zu vermitteln sind, weil sie keine richtige Ausbildung haben. Das betrifft vor allem auch junge Menschen. Bei den unter 25-Jährigen beträgt die Arbeitslosigkeit über 40 Prozent und der Grund ist, dass viele junge Leute keine richtige Ausbildung haben. Sie haben die Schule entweder vorzeitig verlassen, oder sie haben auf Weiterbildung verzichtet, weil sie schnell Geld verdienen wollten. Da liegt der Prozentsatz bei 30 Prozent und das ist ein besonderes Problem, das noch akuter wurde dadurch, dass viele junge Menschen in der Bauindustrie beschäftigt waren, und Sie wissen: da gab es jahrelang ein großes Angebot an Arbeitsplätzen. Dann ging der Bau-Boom zu Ende, die Blase platzte und ein enormer Prozentsatz der Menschen, vor allem der jungen Menschen stand ohne Arbeit da.

    Spengler: Herr Buschschlüter, Sie kennen Spanien ja nicht erst seit den letzten drei Jahren. Sie haben es angesprochen: Sie waren vor etlichen Jahren dort ARD-Hörfunkkorrespondent. Gibt es etwas, was wirklich augenfällig schief gelaufen ist in dem Land? Ist das die Baubranche, oder ist da noch mehr, was schief lief?

    Buschschlüter: Es fehlte jahrelang, auch als es den Spaniern besser ging, an Reformen, zum Beispiel Reform des Arbeitsmarktes, die jetzt durchgeführt werden soll. Es gibt zu viele Beschäftigte mit Zeitverträgen, die kaum Rechte haben. Es gibt zu viele Festangestellte mit Verträgen, die eine Kündigung entweder unmöglich machen, oder zu teuer machen. Viele Verträge sehen zum Beispiel vor, dass die Arbeitnehmer Lohn- oder Gehaltsanspruch auf bis zu 45 Tage haben für jedes geleistete Dienstjahr. Das ist weit mehr als in den meisten EU-Ländern. Das soll jetzt geändert werden. Das heißt, Neueinstellungen sollen gefördert werden. Das ist eine wichtige Reform, die man vor Jahren schon hätte durchziehen müssen. Weitere Reformvorhaben: das Rentenalter, das Einstiegsalter soll von 65 auf 67 Jahre angehoben werden. Auch das ist nötig, denn Spanien hat da ähnliche Probleme wie Deutschland. Dann gibt es natürlich einen sogenannten Schwarzmarkt, eine Untergrundwirtschaft, in der viele, auch Arbeitslose in dem ersten Jahr, in dem sie arbeitslos sind, arbeiten, also nebenbei noch Geld verdienen, und manche Experten schätzen, da geht viel Geld für den Staat verloren.

    Spengler: Ist denn die sozialistische Regierung insgesamt jetzt auf einem ernsthaften Weg der Konsolidierung?

    Buschschlüter: Ja, und sie sieht sich dadurch gezwungen, nicht zuletzt durch den Druck aus dem Ausland, durch den Druck von der EU, und die Maßnahmen, die Sparmaßnahmen, die der sozialistische Ministerpräsident Zapatero angekündigt hat, die sind eine absolute totale Kehrtwende. Damit hat eigentlich niemand gerechnet, schon gar nicht die Wähler seiner sozialistischen Partei, und die jüngste Meinungsumfrage bestätigt, wenn heute oder morgen gewählt würde, dass viele für die Oppositionspartei, die größte Oppositionspartei PP stimmen würden und nicht für Zapatero. Aber Zapatero hat diese Maßnahmen begründet mit "es führt kein Weg daran vorbei, es muss eingespart, gespart werden". Das Haushaltsdefizit soll von 11,2 Prozent Ende letzten Jahres auf sechs Prozent im Jahr 2011 reduziert werden. Das sind 1,5 Prozent weniger als zunächst vorgesehen. Lohn- und Gehaltskürzungen der Beschäftigten im öffentlichen Dienst, die auch andere Länder jetzt beschlossen haben, Italien gestern, außerdem Ausgabenkürzungen bei Infrastrukturprojekten, vor allem bei der Bahn, harte Einschnitte im sozialen Haushalt. Zapatero, der Sozialist, hatte natürlich bisher darauf gedrungen, oder vielmehr sich auch mit dem Anspruch geschmückt, bei mir gibt es keinen Sozialabbau. Jetzt gibt es ihn.

    Spengler: Siegfried Buschschlüter, langjähriger Deutschlandfunk-Korrespondent, über die Finanzkrise in Spanien. Danke und ich wünsche Ihnen, dass das Leben in Spanien weiter lebenswert bleibt.

    Buschschlüter: Danke schön, Herr Spengler.