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"Es gibt erkennbar ein rot-grünes Politikprojekt in Schleswig-Holstein"

Sicher über seine rot-grüne Wunschkoalition könne er erst sein, wenn der Vertrag unterschrieben sei, sagt Torsten Albig, SPD-Spitzenkandidat bei den bevorstehenden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein. Denn noch zierten sich die Grünen. Doch der Kieler OB sieht große Schnittmengen etwa für eine "kluge Haushaltspolitik".

Torsten Albig im Gespräch mit Jasper Barenberg | 01.04.2012
    Jasper Barenberg: Herr Albig, "gute Arbeit, gerechte Löhne" – ein Parole, ein Schwerpunkt in Ihrem Wahlkampf hier in Schleswig-Holstein. Gestern hat es nach 40 Stunden Verhandlung eine Einigung im Tarifstreit im öffentlichen Dienst gegeben, 6,3 Prozent mehr Lohn, verteilt in verschiedenen Stufen über die nächsten zwei Jahre. Als Sozialdemokrat sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis?

    Torsten Albig: Als Sozialdemokrat freue ich mich, dass es dann doch relativ schnell zu einem gemeinsamen Ergebnis von Arbeitgeber und Gewerkschaften gekommen ist, dass man sich hat einigen können, dass auch die Arbeitgeberseite gesehen hat, was sie auch nie bestritten hat, dass es wichtig ist, dass man auch im öffentlichen Dienst attraktive Löhne hat. Wir verlangen den Menschen in den Städten und in den Kreisen eine Menge ab, insbesondere da, wo sie sich um Kinder, um Erziehung kümmern. Das sind harte Berufe, harte Aufgaben. Und unsere Gelder sind nicht so doll. Von daher ist das ein gutes Ergebnis, dass wir ohne weitere Streiks uns haben einigen können.

    Barenberg: Auf der anderen Seite sind Sie auch Oberbürgermeister in Kiel, und als solcher werfen Sie vielleicht einen skeptischeren Blick auf das Ergebnis. Die Kommunen haben ausgerechnet, dass die Kosten allein für 2012 sich bundesweit auf 2,2 Milliarden Euro summieren. Wie schwer liegt Ihnen als Oberbürgermeister also dieses Ergebnis im Magen?

    Albig: Ich habe ja schon recht frühzeitig auch öffentlich genau auf diese Problemlage hingewiesen, dass wir hier in einem Bereich sind, wo es ja nicht darum geht, das wirtschaftliche Wachstum in einem Unternehmen zu verteilen, sondern es ist ein nachvollziehbarer und auch berechtigter Anspruch der Gewerkschaften und der Arbeitnehmerinnen und der Arbeitnehmer. Aber er trifft im kommunalen Bereich auf geschwächte Städte und geschwächte öffentliche Arbeitgeber, die eben in den letzten Jahren nicht mehr bekommen haben, was sie verteilen könnten. Für eine Stadt wie meine ist das eine zusätzliche Last im Haushalt von sicherlich über sieben Millionen Euro, und das ist wirklich viel Geld. Es ist ungefähr der Gegenwert, den das Wachstumbeschleunigungsgesetz, also das Gesetz, mit dem die Hoteliers entlastet wurden, auch für meine Stadt an Belastung gebracht hat. Wenn wir auf das verzichtet hätten, dann würde ich jetzt nicht so viel Sorge haben. Aber jetzt müssen wir gucken, und ich hoffe, dass die Gewerkschaften da auch an der Seite der Kommunen stehen – und ich bin auch ganz sicher, dass es so sein wird, wenn es heißt: wie machen wir die Kommunen so stark, dass sie über solche – noch mal, auch als Sozialdemokrat – vernünftigen Abschlüsse nicht in die Knie gehen.

    Barenberg: Die Arbeitgeber im kommunalen Bereich haben ja während der Verhandlungen gesagt und schon vor den Verhandlungen auch, dass ein hoher Abschluss Jobs ganz konkret gefährdet, dass ein hoher Abschluss die Gefahr birgt, dass Leistungen zurückgefahren werden müssen, dass Stellen unbesetzt bleiben werden. Wird das auf Kiel beispielsweise zutreffen nach diesem Abschluss, den man ja "hoch" nennen kann?

    Albig: Wenn es uns nicht gelingt, in einer dennoch gesamtgesellschaftlichen Diskussion hin zu bekommen, dass wir unsere Städte und Gemeinden stärker machen, wenn sie so schwach bleiben wie heute, wenn sie abhängen auch an ihrer Steuerkraft an sehr wechselnden Gewerbesteueraufkommen, die in Kiel von Jahr zu Jahr 20 bis 80 Millionen Euro schwankend in den Krisenjahren, wenn das so bleibt und wir parallel Mehrausgaben, in welchen Bereichen auch immer, von der Gesellschaft aufgebürdet bekommen, dann ist die einzige Möglichkeit von Kommunen – das ist ja nicht der böse Wille von irgendwelchen perfiden Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern –, dann ist ihre einzige Möglichkeit in Zeiten, wo wir Schuldenbremsen einzuhalten haben, dass wir versuchen, mit geringeren Leistungen, mit schlechteren Angeboten und auch mit immer weniger Personal zu Rande zu kommen. Wir haben ein föderales System, das Kommunen am Ende der Nahrungskette sehen, ein föderales System, in dem wir im Prinzip das verteilt bekommen, was Bund und Länder uns übrig gelassen haben. Tatsächlich funktioniert aber unsere Gesellschaft genau anders herum. Sie stehen morgens auf und treten aus einem Haus, das möglicherweise schon mit kommunalen Mitteln gebaut wurde oder unterstützt wurde, auf eine Straße, die Ihre Kommune betreibt, die Ihre Kommune unterhält, gehen an Grünanlagen vorbei, die Ihre Kommune zu bestellen hat ...

    Barenberg: Herr Albig, was Sie beklagen ist das Politikmodell "armer, magerer Staat".

    Albig: Ja.

    Barenberg: Auf der anderen Seite wollen die Leute ja möglichst wenig Steuern zahlen, sie verlangen gute Dienstleistungen dort, wo sie leben, sie wollen aber wenig Steuern zahlen, sie wollen nicht mehr Steuern zahlen. Also, was anderes bleibt übrig, wie wollen Sie mehr Geld für die Kommunen frei machen?

    Albig: Wir können sehr präzise sagen, auch nach so einem Tarifabschluss: Was kostet eine Erzieherin, was kostet ein Müllwerker, was kostet ein Bühnenarbeiter? Und wenn eine Gesellschaft sagt, sie möchte gerne einen Platz für ein einjähriges Kind, sie möchte eine verlässliche Grundschule, sie möchte regelmäßige Müllabfuhr und sie möchte, dass es auch eine Opernpremiere gibt, dann kann ich in einer Stadt sehr genau sagen, was das kostet. Und warum definieren wir nicht so herum, das Notwendige, was wir Kommunen geben müssen, aus dem Gesamttopf von Steuern. Das Zweite, wo ich nicht bereit bin zu akzeptieren, dass eine Gesellschaft nicht auch über ihre Einnahmen redet, wenn wir sagen, wir denken uns als Gesellschaft etwas Neues aus. Also, der Rechtsanspruch null bis drei z.B. ist eine zusätzliche Leistung, die ich unterstütze, halte ich für richtig. Dann kann es aber nicht genügen zu sagen, wir denken uns einen Rechtsanspruch aus, geben eine zufällig gewählte Summe Geldes da rein, von der alle – der Städtetag sofort – sagen, das reicht im Leben nicht aus, um damit diese Leistung zu erfüllen. Und wenn wir dann feststellen, wir haben aber im Topf gar nicht das Geld dafür, dann ist die richtige Antwort, dass man im gleichen Moment, wo man diese kluge Forderung aufstellt, auch sagt: Liebe Leute, die typische Finanzierungsmethode in einer Gesellschaft wie unsere ist, dass wir das mit Steuern machen. Dann müssen wir uns auch gar nicht groß verrenken. Wenn wir das wollen, dann müssen wir Euch bitten, das zu unterstützen. Ihr könnt nicht auf der einen Seite die wählen und die unterstützen, die sagen: Kindergärten sind toll. Und dann geht Ihr hin und sagt: Aber wer Steuern verlangt, der ist irgendwie ein Räuber. Wir sind keine Räuber, sondern wir haben Erzieherinnen und Erzieher, die wir einstellen müssen, die, wie wir eben gesehen haben, jetzt mit 6,3 Prozent besser bezahle sollen. Wenn man dann hört, dass jemand "Da haben Sie ja völlig recht" sagt – kann sein, dass wir in der Steuer und der Finanzierungshaltung unserer Leistungen, dass wir da nicht ganz ehrlich sind. Und diese Debatte, die eine andere ist als so eine alte Links-Rechts-Diskussion, man muss es den Reichen wegnehmen und dann den Armen geben. Sondern es ist eine Frage: Wie organisierst Du die Finanzierung Deines Gemeinwesens.

    Barenberg: Aber Sie haben noch nicht verraten, wie genau – also ich sage mal, ein Vorschlag ist, den die Bundes-SPD ja auch vertritt, Spitzensteuersatz rauf – 49 Prozent . . .

    Albig: Das ist das eine Element. Dieses Verraten – nichts Genaues – ist ja dann nicht so originell. Also wenn wir sagen, wir haben nicht genug, dann wird es im Tarif immer noch einen oben drauf geben. Dann muss man sagen: Wie viel fehlt uns? Wenn drei Milliarden fehlen, dann würde ein Punkt Spitzensteuersatz dieses ergeben. Fehlen uns zehn Milliarden, dann müssten Sie über eine Vermögenssteuer nachdenken, dann müssten Sie über die Justierung der Erbschaftssteuer nachdenken. Sie müssen nur die Angst davor aus dem Kopf bekommen, dass das sofort Verteilungsdiskussionen in Deutschland sind. Ich möchte mit den Menschen gerne über Finanzierungsdebatten für das für notwendig Erachtete reden. Und wenn man irgendwo einsparen muss, dann stellt man hinterher fest: Ja, wo genau sparen wir es dann ein. Dann bleibt am Ende immer der öffentliche Dienst, von dem man sagt: Ja, den brauchen wir irgendwie nicht. Nur selbst, wenn ich das runterbreche und frage, was genau am öffentlichen Dienst stört Euch eigentlich, dann sind es in der Regel die Politessen, die einen ärgern, aber den Rest finden wir eigentlich ganz gut. Der öffentliche Dienst Kindergarten: Ja, den finde ich ganz gut. Der öffentliche Dienst Bücherei: Finde ich ganz gut, der öffentliche Dienst Schwimmbad: finde ich auch ganz gut. Politessen vielleicht nicht, aber auch nur so lange, wie nicht vor meinem Haus jemand falsch parkt und ich möchte, dass der da weggeschleppt wird. Diese Ehrlichkeit in der gesamtgesellschaftlichen Diskussion – Sie haben völlig recht, es führt am Ende, wenn wir uns Neues ausdenken und nicht auf Altes verzichten können, führt es dazu, dass wir es immer verbinden müssen mit einer "das Geld kommt genau aus der Steuerquelle", kommt aus genau der veränderten Einnahme. Dann wird Politik ehrlich, denn schöne Sachen zu versprechen, ist das Eine, und es dann den Bürgermeistern und Bürgermeisterinnen des Landes zu überlassen, wie sie das irgendwie beschaffen – also das ärgert uns zunehmend in der kommunalen Welt, dass das so zusagen zu unserem Hobby gemacht wird, dass wir immer schlechtere Wiesen, immer schlechtere Sportplätze haben, um immer neue Ideen aus Bundes- und Landesebene zu bezahlen.

    Barenberg: Am 6. Mai wollen Sie Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein werden. Warum sollen die Menschen den Spitzenkandidaten der SPD wählen?

    Albig: Sie sollen, und ich würde mich freuen, wenn sie ihn wählen, weil er aus genau aus dieser Welt kommt. Er ist jemand – ich bin jemand, der eben nicht sein ganzes Leben in einer Politikwelt verbracht hat, sondern viele Erfahrungen gesammelt hat, und insbesondere in dieser realen Welt von Kommunen. Ich weiß, wie es ist in einer Grundschule, ich weiß, wie es aussieht in unseren Kindergärten, ich weiß, welche Herausforderungen wir haben auf den Marktplätzen in unserem Land. Und ich möchte gerne mit den Menschen, ohne irgendeine Überhöhung zu haben – alle Probleme lösen sich, sobald ich in der Staatskanzlei bin. Das tun sie nicht. Aber dass wir miteinander wieder in ein Verständnis, wie Realität funktioniert und nicht nur, wie Pressemitteilungen in Landespressekonferenzen funktionieren, dass wir in diesem Verständnis uns wieder daran machen, unser Land gemeinsam stark zu machen.

    Barenberg: Sie haben sich durchgesetzt in einer Mitgliederbefragung der Mitglieder der SPD gegen den Parteichef in Schleswig-Holstein Ralf Stegner, der 2009 die Wahl im Norden verloren hat. War das auch ein Sieg des Pragmatikers gegen den Vertreter einer klaren linken Politik?

    Albig: Es war der Sieg eines Mannes, von dem – ich glaube – auch die große Mehrheit meiner Partei den Eindruck hatte, er vertritt eine Art von Politik, einen Politikstil, der realitätsgeerdeter ist als vieles, was in der Parteipolitik stattfindet. Ralf Stegner ist ein ausgesprochen kluger, streitbarer, scharfzüngiger Sozialdemokrat, der unsere Partei sehr stärkt. Und ich bin jemand, der auch mit seinem kommunalpolitischen Hintergrund in der Lage ist, stärker Menschen einzubinden, Menschen zu gewinnen, zu begeistern, sie hinter ein auch gesamtgesellschaftliches Projekt zu versammeln. Und es war mein Eindruck, deshalb bin ich in den Wettbewerb gegangen, dass es an der Zeit ist, so ein Angebot zu geben. Jeder hat seine Stärken, Ralf Stegner hat unbestreitbar große Stärken. Und ich habe eben andere, ein anderes Profil, einen anderen Politikstil. Danach gab es eine gewisse Sehnsucht in meiner Partei, und das Ergebnis gab mir nicht ganz unrecht.

    Barenberg: Man kann ja geradezu auf den Gedanken kommen, dass die Situation an der Spitze der Bundes-SPD ganz ähnlich ist. Auf der einen Seite mit Peer Steinbrück und Frank Walter Steinmeier, Vertreter einer soliden, geerdeten, vernunftorientierten Politik, auf der anderen Seite mit Parteichef Sigmar Gabriel eher den Angriffslustigen, eher der auch polarisiert, wie das Ralf Stegner in Schleswig-Holstein tut. Ist das auch ein bisschen die Wahl, die die SPD hat mit Blick auf den Bund und die Bundestagswahl im nächsten Jahr?

    Albig: Erst mal zeigt es, dass wir auf vielen Ebenen, möglicherweise auf allen Ebenen, unterschiedliche Charaktere haben, und das ist auch gut so. Wir sind eine Volkspartei, die auch in ihrer gesamten Breite ganz unterschiedliche, auch inhaltlich, Profile hat. Und auch das ist gut so. Das soll so sein, sonst wären wir keine Volkspartei. Man kann nicht auf der einen Seite fordern, dass wir spannende Politik machen, dass wir bunt und breit sind und dann die daraus kommenden, möglicherweise auch Unterschiede in der Wahrnehmung uns hinterher vorwerfen. Wir haben unterschiedliche Charaktere. Das haben wir in Schleswig-Holstein, das haben wir aber auch in den Kommunen und im Bund. Und in der jetzigen Phase verbreitert es unsere Wirkmacht in der Diskussion. Und von daher freue ich mich, wenn ein so breit aufgestelltes Spitzenpersonal auch gemeinsam versucht, für Sozialdemokratie zu werben. Man wird sich zu einem gegebenen Zeitpunkt entscheiden müssen, ob man – Sie haben das sehr richtig gesagt – eher einen pointiert-aggressiven Stil nimmt, der richtig sein kann in gewissen Zeiten, oder mehr einen pragmatischen, ruhigeren – Frank Walter Steinmeier. Peer Steinbrück steht ja so zwischen den Welten. Er ist sicherlich sehr geerdet, aber kann auch sehr scharfzüngig und aggressiv sein. Also, eine ganz komfortable Situation, und nichts liegt mir ferner, als dieses zu bedauern und ich freue mich, dass das so ist. Die andere Seite hat eine zugegebenermaßen starke Kanzlerin, aber eben nur eine Person.

    Barenberg: Und wenn Sie sich durchsetzen mit Ihrem pragmatischen, gemäßigten, geerdeten, alle ins Boot holenden Politikstil, wäre das dann eine Vorentscheidung, ein Fingerzeig, auch für die Berliner Entscheidung? Würde das das Lager von Peer Steinbrück, von Frank Walter Steinmeier gegenüber Gabriel stärken?

    Albig: Ach ja, ich bin sehr überzeugt von der großen Bedeutung Schleswig-Holsteins in der Welt und für die Welt, aber es wäre vielleicht doch ein bisschen übertrieben, dass man sagt, das wäre ein Fingerzeig, wie die Bundes-SPD sich aufstellt. Es ist ein Fingerzeig dafür, was die Menschen in Schleswig-Holstein gerne haben möchten, welchem Politikstil sie den Vorrang geben. Und daraus mag jeder seine geeignete Schlussfolgerung ziehen oder es auch sein lassen. Am Ende wird es woanders entschieden. Und wenn ich um Rat gebeten werde, werde ich ihn geben, aber ganz sicherlich nicht am Radio. Ich will sehen, dass ich meine Aufgabe jetzt ordentlich bewältige, dass ich zeigen kann, dass man damit nicht nur in der SPD, sondern auch im Land eine Wahl gewinnt. Und wenn das so ist, dann schauen wir mal.

    Barenberg: Dann schauen wir auf die Machtoption, die es hier in Schleswig-Holstein gibt. Nach der letzten Umfrage ist sozusagen die Sympathie, die Zustimmung zur CDU ein Hauch stärker, ein wenig besser als die für die SPD. CDU liegt derzeit etwa bei 34 Prozent, SPD 32 Prozent. Die Grünen werden auf alle Fälle zulegen können, so jedenfalls die aktuellen Umfragen. FDP muss um den Wiedereinzug zittern. Sie haben mal das Wahlziel ausgegeben 40 Prozent. Das liegt ja nun, gemessen an den aktuellen Zahlen, noch in einiger Entfernung. Bleiben Sie bei diesem Wahlziel?

    Albig: Diese 40 Prozent beschreiben meine Vorstellung davon, was eine Volkspartei sich vornehmen muss. Daran muss sie sich selber orientieren, sie braucht eine Benchmark, wo sie hingehört. Wir kommen von 25, und ich neige zwar einer gewissen Grundnaivität zu, aber so weit geht sie dann auch nicht, dass wir da nicht einen sehr weiten Weg vor uns haben. 15 Punkte sind da schon eine ganze Ecke. Aber noch mal, wenn Sie sich daran gewöhnen, zu sagen, ich peile eine 30 an, dann distanzieren Sie sich von Ihrem Anspruch als Volkspartei. Und deswegen werde ich immer unzufrieden sein, so lange ich nicht 40 wieder tatsächlich greifbar habe. Wie weit wir an das Ziel herankommen – wir sind jetzt, Sie sagen es richtig, in den Umfragen je nach Institut zwischen 32 und 34, bei einer waren wir bei 35, da lagen wir gleichauf mit der Union. Unser erstes und wichtigstes Ziel ist es, stärkste Fraktion zu werden.

    Barenberg: Wie für jede Partei.

    Albig: Wie für jede Partei. Unser nächstes wichtiges Ziel ist es, dass wir mit den Grünen eine stabile Mehrheit haben.

    Barenberg: Wie zuversichtlich sind Sie da denn?

    Albig: Wenn ich die Zahlen der letzten Umfrage addiere und den SSW immer mit einbeziehe, was ich tue, das machen wir in Kiel, in einer sehr guten Kooperation im Rathaus auch . . .

    Barenberg: Die Partei der dänischen Minderheit.

    Albig: Die Partei der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein, die von der 5-Prozent-Hürde befreit ist, dann liegen wir bei 52, 53 Prozent. Und auf der anderen Seite haben Sie Union und vielleicht Piraten im Parlament. Union dann bei 34. Das ist ein sehr, sehr stabiler Vorsprung. Der setzt allerdings voraus – und das wäre dann ja die nächste richtige Nachfrage: Wie sicher sind Sie denn eigentlich, dass die Grünen mit Ihnen koalieren . . .

    Barenberg: Genau, die zieren sich nämlich ein wenig und betonen ein ums andere Mal, Robert Habeck, der Fraktionsvorsitzende tut das, er sei gegen Ausschließeritis. Also, er will auch eine Machtoption mit der CDU nicht ausschließen. Wie sicher sind Sie sich denn?

    Albig: Sicher kann ich mir erst sein, wenn er und ich und die beiden Parteivorsitzenden den Füller in der Hand haben und unterschreiben. Vor mir aus auch einen Kugelschreiber, aber dass wir den Vertrag unterschreiben. Dann bin ich mir sicher. Und auch dann müssen wir noch die Mehrheit zur Wahl des Ministerpräsidenten organisieren. Auch da gab es ja schon mal andere Erlebnisse in Schleswig-Holstein. Sicherheit haben sie in dem Moment. Heute gucke ich auf die Programme und frage mich, wo sind die großen Schnittmengen. Und da stelle ich fest, dass es erkennbar ein rot-grünes Politikprojekt gibt in Schleswig-Holstein. Denn die Inhalte beider Parteien sind weitgehend identisch, auch die Art, wie wir beschreiben, was wir mit Schleswig-Holstein vorhaben, welche Visionen wir für das Land haben, sind sehr nah beisammen, jedenfalls so nah, dass ich nicht erkennen kann, dass wir großes Konfliktpotential haben bei der Erarbeitung eines Koalitionsvertrages. Und wenn ich das vergleiche mit dem politischen Wettbewerber, stelle ich riesige Lücken fest.

    Barenberg: Aber wenn es um die Gemeinsamkeiten geht, die enden ja zum Beispiel da, wo es darum geht, konsequent weiter zu sparen, etwas, was sehr notwendig ist in Schleswig-Holstein angesichts der Schulden. Da haben die Grünen doch ganz andere Vorstellungen. Die wollen da stärker sparen als Sie. Sie haben einiges versprochen im Wahlprogramm, 120 Millionen im Jahr . .

    Albig: Da muss ich Ihnen nachsehen, dass Sie wahrscheinlich aus Kölner Sicht nicht so viel Zeit hatten, sich mit dem Programm zu beschäftigen. Aber im sozialdemokratischen Programm finden Sie weniger Versprechungen und konkretere Finanzaussagen als bei den Grünen. Das nehme ich den Grünen auch gar nicht übel, aber die Grünen haben doch durch die über hundert Seiten ihres Programms an allen Stellen Wünsche und Verbesserungsvorschläge, die auch alle gut und berechtigt sind und – wenn ich es richtig sehe – an keiner einzigen eine Finanzierungsaussage, nicht an einer einzigen. Dies ist auch durchaus nicht zu kritisieren, weil der Grundsatz, wir werden das durch sparsame Politik im Alltag hinbekommen, wir werden Haushalte aufstellen, die sich der Schuldenbremse stellen, wir sind in derselben Verantwortung. Und da gibt es überhaupt keinen Dissens zwischen Grün und Rot. Dass die Schuldenbremse verbindlich ist, ist Verfassungsgegenstand. Sie wird nicht zur Disposition gestellt. Wir werden uns diesem Ziel stellen und alles immer messen auch an der Fähigkeit, auch die Schuldenbremse zu erreichen. Wir sind nur ambitionierter als Konservativ-Liberale, die sagen, das wird zu Lasten von Bildung finanziert. Wir werden es breiter finanzieren, wir werden es breiter aus den Haushalten organisieren. Das passiert in jedem einzelnen Haushaltsjahr und nicht durch eine imaginäre Streichliste, die sie in so ein Programm reinschreiben. Von denen ist übrigens noch nie eine verwirklicht worden in der Vergangenheit. Auch die jetzige Regierung hatte das in ihrem letzten Programm nicht drin stehen, sondern dachte sich ihre sehr untauglichen Sparmaßnahmen oder Kürzungsmaßnahmen später aus. Das ist Leistung des Alltages. Sie müssen in Ihren Haushalten sicherstellen, dass die Einnahmen immer ein bisschen größer sind als die Ausgaben. Das Delta nehmen Sie zum konsolidieren. Und da sind sich Grün und Rot sehr, sehr einig. Und wir werden ganz sicherlich belegen können, dass man kluge Haushalte in einem starken Land hinbekommt, ohne dreieinhalb Tausend Lehrerinnen und Lehrer zu streichen.

    Barenberg: Also da sind Sie auf der Linie auch von Hannelore Kraft, die zur Wahl in Nordrhein-Westfalen antreten wird, die von einer vorbeugenden Finanzplanung spricht, einer langfristigen Finanzplanung, und die sagt, bei den Themen Bildung zum Beispiel kann sie ja mehr Schulden machen, weil uns die Kosten hinterher auf die Füße fallen würden.

    Albig: Die Aussage, dass sie eine vorbeugende Finanzpolitik machen, die ist in der Tat unbestreitbar richtig, weil sie es nicht ertragen können, dass sie um das Ziel, einmal eine Null im Haushalt zu erreichen, an ganz viele Toren, hinter denen große Folgekosten für eine Gesellschaft lauern, sich heranmachen und diese Tore öffnen. Ein Beispiel: wie viele unserer Hauptschülerinnen und Hauptschüler kommen aus Hauptschule in ungeförderte Ausbildung? Wie viele generell unserer Schulabsolventen kommen in ungeförderte Ausbildung? Ich habe in meiner Stadt 2009 eine Situation vorgefunden, dass von 600 Hauptschülerinnen und Hauptschülern fünf Prozent, ohne dass in irgendeiner Weise die Gesellschaft das ko-finanzieren musste, einen Ausbildungsplatz bekommen haben, 95 Prozent keinen. Das haben wir jetzt verbessert. Jetzt sind wir bei 15, 16 Prozent. Es ist immer noch abenteuerlich schlecht. Wo stellen wir die Fragen an diejenigen, die sagen, ist das eigentlich normal, dass Kinder acht, neun, zehn Jahre zur Schule gehen und dann ist die Gesellschaft nicht in der Lage, sie in eine Ausbildung zu bringen? Dann beginnen schon wieder Transferzahlungen, dann beginnt die Gesellschaft, sich mit ihren Sozialsystemen um diese Menschen zu kümmern? In diese Richtung denkt auch Hannelore Kraft, und ich halte es für klug und richtig. Wir können nicht über PISA, wir können nicht über Bildungsmängel in einer Gesellschaft klagen, und dann ist unsere Antwort auf Haushalt, wir kommen mit weniger Lehrerinnen und Lehrern. Wer das tut, der wird Schulden verschieben und dort viel größer werden lassen als bisher. Was in Schleswig-Holstein nicht geht ist, dass ich dafür neue Schulden mache, weil wir eine Schuldenbremse haben – die ist auch anders als in Nordrhein-Westfalen – die uns zwingt, jedes Jahr einen Konsolidierungskurs einzuhalten. Also werden wir Einnahmen, die wir wie in den letzten beiden Jahren über gute Konjunktur haben, nicht für anderes ausgeben können, sondern nur für dieses Ziel. Wir werden Bürokratie an viel mehr Stellen als die jetzige Regierung, die da sehr nachlässig ist, versuchen, kleiner zu machen und auch günstiger zu machen. Und wir werden hinter jede Aufgabe, hinter jeden Prozess ein Fragezeichen stellen und fragen, muss das genau so sein? Muss ich an -zig Stellen in Schleswig-Holstein über KfZ-Kennzeichen nachdenken, an -zig Stellen über das Organisieren von Ausweisen, an -zig Stellen über das Organisieren von Personalverwaltung? Warum bündele ich es nicht? Warum mache ich nicht an einigen Orten so Dienstleistungszentren? Warum konzentriere ich mich nicht stärker? Wir sind sehr kleinteilig aufgestellt im Land. Da haben Sie eine Menge Potential und müssen sich nur trauen, daran zu gehen.

    Barenberg: Torsten Albig, danke für das Gespräch.

    Albig: Sehr gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.